Pat Pattison über das Geheimnis guter Songtexte

Pat Pattison 1

Manche Hörer lesen fieberhaft mit, andere nehmen Songtexte lediglich als notwendiges Vehikel für den Gesang wahr. Was macht gelungene Texte – oft Kurzgeschichten – aus? Wie stärken sie die Wirkung eines Stücks? Wo liegen die größten Stolperfallen? Wir haben den Berklee-College-Dozenten Pat Pattison befragt, der seit den 1970er Jahren Vorlesungen zu Songtexten hält.

Pat Pattison sticht unter den unzähligen Ratgebern zum Thema „Songtexte“ heraus: Der 1942 geborene Dozent unterrichtet das Schreiben von Songtexten sowie Poesie am Bostoner Berklee College of Music. Zu seinen ehemaligen Studenten zählen die Grammy-Gewinner John Mayer und Gillian Welch. Mittlerweile hat der leidenschaftliche Lehrer vier Bücher veröffentlicht. Dort zeigt er konkrete Wege auf, um die Wirkung eines Songs durch gezieltes Feilen an Lyrics und Phrasierung zu optimieren. Neben Online-Kurse am Berklee lehrt er seinen „Massive Open Online Course”, kurz MOOC: „Songwriting: Writing the Lyric“, eine Videovorlesung bei coursera.org, die interessierten Teilnehmern offensteht.

„Inzwischen haben zwei Millionen Menschen an der Vorlesung seit ihrem Start im Jahr 2013 teilgenommen“, erklärt Pattison – das untermauert seinen Ruf. Was macht einen guten Songtext aus, warum löst Manches Resonanz aus, während anderes belanglos erscheint? Wie wichtig ist die Verwendung von bildhaften Ausdrücken? Was hat es mit der Kraft von Verben auf sich? Eine gute Gelegenheit für ein Gespräch.

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Offen über Emotionen zu schreiben kann beim Autor ein Gefühl von Scham, Verletzlichkeit oder Nacktheit auslösen. Welchen Fehler machen die meisten beispielsweise bei einem Liebeslied? Was wären umgekehrt gelungene Beispiele?

Pat Pattison
(lacht) Typische Fehler bestehen in klischeehafte Ideen, Reimen und Phrasen – einen Text zu verfassen, der keinem authentischen Empfinden entstammt. Sprache kann einfach und unverbraucht sein, ohne Klischees zu bedienen. Ein Song, in den ich mich einmal verliebt habe, als ich die Version von Nina Simone hörte, heißt „You’d Be so Nice to Come Home to“. Er stammt von Cole Porter. Der Titel ist eine interessante Art „Ich liebe dich“ zu sagen. Je spezifischer du wirst, je mehr Sinne du ansprichst, desto effektiver ist das Ergebnis.

Die zweite Zeile lautet „You’d Be so Nice by The Fire“. Ein weiteres Beispiel ist der Song „I Can’t Make you Love me“ von Mike Reid und Allen Shamblin, aufgenommen von Bonnie Riatt, Prince und vielen anderen. Der Text beginnt mit den Zeilen: „Turn Down The Lights, Turn Down The Bed, turn down these voices inside my head“. Das ist so spezifisch, es zieht den Hörer in den Song hinein! Den Aspekt würde ich nicht nur auf Liebeslieder beziehen, sondern auf jede Art von Songs: Inwiefern hinterlässt das einen Eindruck beim Hörer? Wenn Nina Simone singt, „You’d be so nice by the fire”, habe ich direkt ein Bild vor Augen, das aus eigenen Erfahrungen gezeichnet wird.

Im Ergebnis beziehen sich die Worte, die ich höre, tatsächlich auf mich, weil sie meine Sinneserinnerungen stimuliert haben. Ich bin im Song, und das löst bei mir ein Gefühl aus. Das Gleiche gilt bei „Turn down the lights, turn down the bed ( … ): Ich sehe das Bett vor mir, ich weiß, welche Farbe die Bettwäsche hat. Hier entsteht wieder ein Bild aus meinen Erfahrungen, ich werde Teil des Songs. Ich denke, ein gelungener Songtext enthält Passagen, insbesondere sehr früh, die die Sinne der Hörer anregen: was sie sehen, riechen, hören, schmecken, berühren … sodass ich ein Teilnehmer bin – statt nur Beobachter.

Pat Pattison: „Je mehr Sinne du ansprichst, desto effektiver kommt der Text an”

Pat Pattison Buch Lyrics
Pat Pattison: „Songwriting without Boundaries”, 2012 veröffentlicht, enthält hilfreiche Schreibübungen zum Thema „Object Writing“ und zu Metaphern, um die eigenen „Detailtiefe“ zu optimieren (Writer’s Digest Books, Englisch, 240 Seiten)

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Als Unterrichtsgrundlage analysierst du gelungene Songs, warum und auf welche Art sie funktionieren. So erstellst du Werkzeuge, die du in den Büchern und Kursen erklärst. In welchen Fällen könnte es hingegen einen Song stärken, gängige Konzepte zu ignorieren – falls es die überhaupt gibt?

Pat Pattison
Ein Grundsatz meiner Arbeit lautet: „Es existieren keine Regeln, nur Werkzeuge“. Natürlich kannst du statt Regeln auch Werkzeuge brechen, wenn du willst, aber dadurch werden sie nutzlos (lacht). Wenn du zum Beispiel eine zerbrechliche, instabile Idee unterstützen möchtest, kannst du das auf unterschiedliche Arten machen: Du kannst eine ungerade Anzahl von Versen verwenden, um ein Gefühl von Unausgewogenheit zu erzeugen! – aber es gibt keine Regel, die besagt, dass du das machen musst.

Du könntest auch eine gerade Anzahl von Versen verwenden und etwa den vierten Vers kürzen – wie das Paul Simon in der Bridge bei „Still Crazy after all these Years” macht. Stattdessen könntest du den letzten Vers verlängern – wie Paul Simon in der Bridge bei „Train in the Distance”. Oder du könntest ein instabiles Reimschema verwenden – ABBA beispielsweise – oder ein stabiles wie ABAB, bei dem du unreinere Reimarten wie Assonanz- oder Konsonanzreime verwendest. Statt deine Gesangsphrase auf dem Grundschlag zu beginnen, könntest du dahinter beginnen.

Wenn du möchtest, dass sich dein Song instabil anfühlt, weil die Idee in die Richtung von “Ich vermisse dich so sehr” geht, hast du viele Werkzeuge zur Verfügung – aber, wie gesagt, es gibt keine Regeln, lediglich Dinge, die du benutzen kannst, um deine Intention umzusetzen.

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In einem Interview mit dem Online-Magazin „Writer’s Digest” hast du Aristoteles’ „Poetik” als eigene Offenbarung erwähnt: Der Philosoph erklärt darin, dass jedes großartige Kunstwerk gleiche Qualitäten offenbart: Einheitlichkeit. Das sei praktisch ein Statement zum Thema „Prosodie“: Demnach stehen alle Elemente eines Werks zueinander in Beziehung und dienen dem Zweck des Werks, bei einem Song beispielsweise Melodie und Worte, Akkorde und Botschaften, Reimschemata und Emotion. Wie wichtig ist denn der Aspekt von Prosodie, sprich: der Einheitlichkeit von Form und Inhalt, im Songwriting?

Pat Pattison
Für mich ist Prosodie die wichtigste Idee im Bereich Kunst allgemein! Was immer du ausdrückst, alle Elemente sollten das unterstützen. Das klingt nach gesundem Menschenverstand – sicherzustellen, dass sich alle Dinge, die du verwendest, deinem Ziel unterordnen.

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Wie „exakt” sollte ein Autor die Übereinstimmung anstreben? Das dürfte in letzter Konsequenz schwer umsetzbar sein – zum Beispiel, wenn ein Mollakkord unter einer positiven Textbotschaft liegt, theoretisch aber ein Dur-Akkord die bessere Unterstützung böte – oder umgekehrt. Viele großartige Songs funktionieren, obwohl gelegentliche Abweichungen auftreten …

Pat Pattison
Sicher! Dadurch wird allerdings ein Effekt ausgelöst, nicht? Es könnte beispielsweise Ironie entstehen. Klar kann es sein – und ich habe das oft gesehen – dass jemand, auf der einen Song über ein gebrochenes Herz singt, eine Idee im Sinne von „Ich kann ohne dich nicht leben“: Die Strophen bestehen aus vier Versen gleicher Länge, dazu das Reimschema AABB. Meine Reaktion darauf ist normalerweise: „Du wirst darüber hinwegkommen.“ (lacht)

Das Herz klingt nicht gebrochen, der Song klingt, als ob du mir nur Fakten erzählst! Wäre hingegen der untröstliche Zustand von der musikalischen und lyrischen Struktur unterstützt worden, würde ich als Hörer mehr fühlen. Darin besteht die Idee von Unterstützung … Es ist nicht mein Ansinnen, zu sagen, was bei Songs falsch läuft. Stattdessen spreche ich lieber von Gelegenheiten, einen Song zu verbessern. Ich würde mir die Strophe ansehen, die ausdrücken soll, wie untröstlich ich bin, und schauen, was ich musikalisch, rhythmisch oder melodisch unterstützend ändern kann. Das kann beispielsweise ein variierter Rhythmus sein.

Falls ich eine Vier-Akkord-Struktur verwende, könnte ich bei der Wiederholung meine Melodielinie gegen die Vier-Akkord-Struktur versetzen. Oder ich könnte ein asymmetrisches Reimschema, eine ungerade Anzahl von Versen verwenden – alle möglichen Dinge, die das Gefühl unterstützen, von dem ich als Sänger spreche. Ich suche immer nach Prosodie, immer danach, die hauptsächliche Intention des Songs oder einer Sektion zu unterstützen.

Pat Pattison: „Ich suche immer nach Prosodie, danach, die Intention eines Songs oder eines Teils zu unterstützen”

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In einem Berklee-Video auf YouTube [siehe oben] bezeichnest du Verben als „die Verstärker der Sprache“. Starke Tätigkeitsverben helfen demnach, die Vorstellungskraft des Hörers anzuregen. Du hast die Kraft eines jeweiligen Verbs mit der Leistung eines Verstärkers gleichgesetzt – und als Beispiel das Gedicht „Putting in the seed“ von Robert Frost zitiert, wo ein Sämling sich seinen Weg durch die Erdkruste bahnt, „shouldering its way and shedding the earth crumbs“. Helfen möglichst viele „leistungsstarke“ Tätigkeitsverben generell, um Wirkung zu erzeugen – oder sollte ich vorsichtig dosieren – ähnlich wie überkomprimierte Musik den Hörer am Teilhaben hindern und unfreiwillig aus der Musik „verbannen“ kann?

Pat Pattison
Dazu rufe ich die Metapher von Verben als „Verstärker“ in Erinnerung: Sei vorsichtig, woran du deinen Verstärker anschließt! (lacht) Mit einem zu starken Verstärker kannst Du einen Satz Lautsprecher in die Luft jagen. Ich würde sagen, es geht darum, zu versuchen, die Stärke der Verben passend zur Idee zu wählen. Viele Verben – speziell die Formen von „to be“: is, was, will be, und so weiter – haben eine sehr geringe „Leistung“ und machen nicht viel. Ich empfehle, dass man als Erstes lernen sollte, Verben zu identifizieren und schauen, ob nicht vielleicht eines existiert, das etwas stärker ist, um die „Leistung“ etwas anzuheben.

Insgesamt willst du aber deinen Song nicht so vollpacken, dass er unerbittlich ist. Wenn du mit Verben arbeitest, stelle sicher, dass Momente existieren, in denen deine Hörer durchatmen können. Es existieren Techniken, wonach du, wenn du etwas Wichtiges zu sagen hast, es direkt sagst. Das, was danach folgt, könnte etwas entspannter sein, um dem Hörer zu ermöglichen, das vorher Gesagte aufzunehmen. Die optimale Art, das zu erreichen, besteht darin, deine wichtigsten Verse an Stellen zu platzieren, die anschließend Raum lassen.

Der letzte Vers deiner Strophe kann beispielsweise inhaltlich der stärkste Vers dieser Strophe sein, anschließend folgt ein zweitaktiger Umschwung, sodass die Leute den Inhalt aufnehmen können. Du musst sicherstellen, dass deine wichtigsten Ideen nicht mit weniger wichtigen Ideen um Platz kämpfen.

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Hängen viele Menschen der Idee nach, dass große Werke lediglich durch Inspiration entstanden sind, nicht durch harte Arbeit?

Pat Pattison
Klar, es existiert der „Kult” um Inspiration. Natürlich ist es möglich, von einer Idee „getroffen” zu werden, die sich am Ende als wunderbar erweist – und das kam einfach so! Das ist mit Sicherheit vielen mehr als einmal passiert. Die Frage ist: Was machst du, wenn es nicht so läuft? Ich glaube nicht an Schreibblockaden – das besagt nichts anderes als „Ich kann nichts Gutes schreiben“. Wenn du nichts Gutes zustande bringen kannst, schreib etwas Grauenvolles!

Wenn mir jemand erzählt, er leide unter einer Schreibblockade, gebe ich folgende Aufgabe: “Ich will, dass du von vornherein weißt, dass noch nie jemand die Aufgabe erfolgreich gemeistert hat: Ich möchte, dass du einen schlechten Song pro Tag schreibst, für die nächsten zwölf Tage!“ Irgendwo zwischen Song sieben und acht wirst du scheitern! (lacht) Mein Mantra lautet: „Habe keine Angst davor, Scheiße zu schreiben, denn Scheiße ist der beste Dünger.“ Je mehr Scheiße du schreibst, umso wahrscheinlicher ist es, dass du etwas Wundervolles züchtest.

Pat Pattison
Pat Pattison (Foto: Stephen Webber)

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Du empfiehlst, bei jedem Song die Perspektive zu überprüfen, aus der heraus der Text geschrieben ist: „Manchmal verwandelt das einen guten Text in einen großartigen.“ Wonach sollte ich Ausschau halten, um die Perspektive zu beurteilen?

Pat Pattison
Es existieren vier Perspektiven: Die allwissende Erzählung, bei der sich der Erzähler außerhalb der Welt des Songs befindet. Die verwendeten Pronomen sind he, she, it, they – keine Erste-Person-Pronomen I oder we, keine Zweite-Person-Pronomen. Die Perspektive ist schwierig, hat aber viele Vorteile: Der allwissende Erzähler ist praktisch Gott, kennt die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, die Gedanken aller Protagonisten.

Es gibt Songs, in denen das einen Vorteil darstellt. Zum Beispiel das Stück „In Front of the Alamo“, das von Hal Ketchum aufgenommen und von Gary Burr geschrieben wurde, die Beatles-Nummern „Eleanor Rigby” und „Fool on the Hill“, Paul Simons „Hearts and Bones“ oder John Mayers „Walt Grace’s Submarine Test, January 1967“. Der Vorteil besteht darin, eine sehr breite Sicht zu haben, die Geschichte zu erzählen und dabei die Entwicklung der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu zeigen.

Die Erzählung in zweiter Person ist praktisch dasselbe: Der Erzähler ist kein Protagonist. Das kann sehr effektiv sein. John Mayers „Never on the Day you Leave”, die Beatles-Songs „For No one” und „Lucy in the Sky with Diamonds”, Passengers „Let her Go” oder Bob Dylans „Like a Rolling Stone” sind beispielsweise in der Perspektive gehalten. Die Pronomen sind he, she, it, they und you, ohne die der ersten Person, we, us, I, me. Außerhalb der Welt des Songs stehend, kannst du – indem du zum “du” im Song sprichst – dem Protagonisten etwas erzählen, dass derjenige unmöglich weiß.

Bei der Erzählform des Ich-Erzählers dreht sich alles um das „ich“. Da gibt’s jede Menge gute Beispiele, wie Kenny Rogers’ „The Gambler”, die Eagles-Nummer „Hotel California”, Jason Isbells „Elephant” oder John Mayers „Stop this Train”. Hier berichte ich der Welt von mir, von meinen Perspektiven und Erfahrungen. In dem Fall sollte das auch für die Welt interessant sein, sodass andere eine Lehre aus meiner Geschichte ziehen können – andernfalls bin ich bloß selbstgefällig.

Die vierte und am meisten verwendete Perspektive ist die direkte Anrede, „me and you”. Sie findet sich in all den Liebesliedern, den “Ich hasse dich”-Songs, den “Warum hast du mir das angetan?”-Nummern, “Ich werde dich kriegen”, “Warum habe ich dich nicht?” … Da die Erzählperspektive die Beziehung zwischen Sänger und Publikum definiert, finde ich es schwierig, mir ein Live-Set aus „I/You“-Songs anzuhören. Wenn die Beziehung mit dem Publikum immer gleich bleibt, wird das Ergebnis statisch.

Der Rat, den ich meinen Studenten gebe: Ein Song in einer anderen Perspektive kann Kontrast innerhalb deines Sets erzeugen. Das wird die Art verändern, wie das Publikum auf dich reagiert. In deinem 90-minütigen Set betrachtest du also nicht nur die Möglichkeit, unterschiedliche Tempi unterbringen, Kontrast zwischen glücklich und traurig, zwischen Dur und Moll, zwischen einem Groove-Song und einer Ballade – der Blick auf unterschiedliche Perspektiven ist eine von vielen Möglichkeiten, um dein Set „atmen“ zu lassen.

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Nochmal bezüglich Verben: Du hast mal sinngemäß gesagt, dass die häufige Verwendung von Adjektiven mitunter das Ergebnis schwächt …

Pat Pattison
Üblicherweise besteht der Unterschied zwischen einem großartigen und einem durchschnittlichen Autor darin, dass der durchschnittliche Autor Adjektive für Beschreibungen verwendet. Der großartige Autor nutzt normalerweise weniger Adjektive und mehr starke Verben. Ich habe kein Problem mit Adjektiven. Es ist zudem möglich, Adjektive von Verben abzuleiten, was recht interessant sein kann.

Lass uns als Beispiel das Verb „to tangle” [„etwas verwirren“, d. Autor] nehmen: Ich könnte sagen, “the tangling Cloud”. Hier nutze ich das Partizip Präsens – die Wolken befinden sich in dem Prozess, sich zu verwirren, aber „tangling“ ist ein Adjektiv. Oder du könntest sagen „tangled Clouds”, wo sie das bereits vollzogen haben, das Partizip Perfekt. Auch hier gilt: Ein Verb wird als Adjektiv verwendet.

Pat Pattison Buch Songwriting
Mittlerweile ein „Standardwerk“ zum Thema: Ursprünglich 1995 veröffentlicht, ist das Buch „Writing Better Lyrics“ mittlerweile in zweiter Auflage erhältlich. Pattison lotet darin praktisch alle Untiefen und Stolperfallen bei Songtexten aus (F&W, Englisch, 304 Seiten)

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Lass uns auf dein eigenes Songwriting blicken – wie kamst du ursprünglich zum Thema Songtexte?

Pat Pattison
Ich hatte eine Band. (lacht) Ich war der Gitarrist, von dem oft erwartet wird, dass er die Songs schreibt – also schrieb ich die Songs. Das hat Spaß gemacht! Das habe ich fast 15 Jahre gemacht, teilweise war ich bereits Dozent am Berklee College. Ich habe mich nie wirklich als Songwriter, sondern immer als Lehrer verstanden. Ursprünglich lehrte ich Philosophie an der Universität von Indiana. Nachdem ich mit meiner Band auf Tour war, wurde ich am Berklee als Englischlehrer eingestellt, weil ich auch einen Abschluss in Literaturkritik habe. Ich fing an, Englisch zu unterrichten, begann die ersten Philosophiekurse am Berklee, und dann hatte ich die Idee, einen Kurs zu Literaturkritik zu unterrichten.

Statt „Literaturkritik” nannte ich den Kurs „Analyse von Songtexten“. Ich verwendete Joni Mitchell, Paul Simon, Leonard Cohen, Steely Dan und Dylan als „Futter“ für die Literaturkritik-Klasse. Der Kurs wurde sehr populär, und das führte zum ersten Songwriting-Major [Hauptfach des Bachelor-Abschlusses, d. Autor] der Welt. Ich habe also Songwriting unterrichtet, aber lehrte die Werkzeuge analytischer Philosophie. Die Werkzeuge der Literaturkritik eröffnen mir die ganze Fülle des Textens. Mit 35 Jahren wurde mir klar: Wenn ich nie wieder einen Song schreiben würde, wäre das in Ordnung für mich – würde ich hingegen nie mehr unterrichten, wäre das ein Problem. Ich bin also ein Lehrer, der schreibt, kein Autor, der unterrichtet.

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Was ist dein persönlicher Lieblings-Songtext, und warum?

Pat Pattison
Das variiert (lacht) Ich mag Irving Berlins “What’ll I Do” sehr. Das ist ein kompakter, magerer, kleiner Song, der dir schlicht das Herz bricht, in gerade mal 32 Takten. Jason Isbells “Elephant” hatte ich bereits erwähnt, den finde ich wundervoll. Gillian Welchs „Annabelle” ging mir die letzten Wochen durch den Kopf. Ich mag den ebenfalls bereits erwähnten “Walt Grace’s Submarine Test, January 1967” von John Mayer … es existieren einfach so viele gute.

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Besteht ein Unterschied in der Herangehensweise, einen möglichst „erfolgreichen“ Song schreiben zu wollen, und darin, einen schlicht künstlerisch guten Song – wie zum Beispiel einen tiefschürfenden Folk-Song – erschaffen zu wollen?

Pat Pattison
Versuche einfach, den besten Song zu schreiben, der dir möglich ist, und schreibe immer weiter. Ein früherer Student von mir war in Nashville zehn Jahre lang kaum erfolgreich, bevor er Hits hatte – weil er versuchte, Hits zu schreiben: Er emulierte nur, was er im Radio hörte. Schließlich sagte er, “ich werde einfach für mich selbst schreiben, und schreibe die besten Songs, die mir möglich sind.“ Dann nahm seine Karriere Fahrt auf.

Versuchst du 20 Jahre, Hits zu schreiben – Songs, von denen du glaubst, die Leute würden sie mögen – und du landest keinen Hit, bist du ein Versager. Wenn du hingegen 20 Jahre lang probierst, den besten Song zu schreiben, den du schreiben kannst, und du hast keinen Hit – hast du 20 Jahre damit verbracht, deine Songs zu untersuchen, so tief und so gut wie möglich zu schreiben. Dann bist du kein Versager! Versuchst du als Autor, gut zu schreiben, über Dinge, die wichtig sind, wirst du als Mensch wachsen. Mir scheint, diese Art zu schreiben kann keine Zeitverschwendung sein.

Pat Pattison: „Versuchst du als Autor, gut zu schreiben, über Dinge, die wichtig sind, wirst du als Mensch wachsen”

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Wie sieht denn der beste Rat zum Thema schreiben aus, den du jemandem geben könntest?

Pat Pattison
Schreiben ist ein Muskel! Schreibe ein bisschen jeden Tag. Vor unserem Gespräch kam ich gerade aus dem Fitnessstudio. Dort verbringe ich täglich eine halbe Stunde, mache je ein kurzes Set an 15 Geräten. Meine Gesundheit ist hervorragend, mein Tonus ist gut, die Aufgabe ist machbar. Ich werde nicht zwei Stunden im Fitnessstudio verbringen, weil ich das nicht jeden Tag tun kann, das würde mich erschöpfen. Du kannst immer 15 oder 20 Minuten Schreiben in deinem Tag unterbringen.

Die „Object Writing”- [einen spezifischen Gegenstand oder eine Tätigkeit beschreiben, d. Autor] oder Metapher-Übungen in “Songwriting Without Boundaries” sind dahingehend hilfreich. Als das Buch um 2013 herauskam, gab ich Seminare in den USA, Australien, Neuseeland und Kanada. Nachdem ich ging, gründeten die Leute überall Schreibgruppen und machten die vier enthaltenen „14-Day Challenges“. Das Feedback war unglaublich! Tatsächlich hat die Songwriters Association of Canada eine Challenge an kanadische Autoren ausgegeben, ihre Antworten auf die Buch-Challenges auf einer Webseite zu posten. Leute aus ganz Kanada machten all diese Übungen. Diese Challenges sind ein guter Ausgangspunkt, sie werden deine „Schreibmuskeln” stärken und dich in der gewohnten Schreibroutine halten, ein bisschen jeden Tag!

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