Elektronische Musik mal ohne Beat

Mario Hammer – L’esprit De L’escalier

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Elektronische Musik ganz ohne Beats – da denkt man schnell an die „Berliner Schule“ – geprägt von der klassischen EM der 70er Jahre, so wie sie damals von Klaus Schulze & Co. gemacht wurde. Mario Hammers neues Album L’esprit De L’escalier aber als old schoolig zu beschreiben wäre weit daneben, denn es klingt geradezu futuristisch. Lediglich die Wahl der Instrumente ist, wenn man so will, sehr retro: Mit hauptsächlich analogen Synthesizern und modularen Bausteinen macht der in Köln arbeitende Elektronikmusiker seine Sounds, die man – wie die Instrumente selbst – wohl nicht geschmackvoller hätte zusammenstellen können. „Gerade weil so viele Meilensteine der elektronischen Musik von Schulze, Cluster, Popol Vuuh usw. mit Modular-Synthesizern gemacht wurden, wollte ich mit diesem Album eben nicht etwas machen, das es schon vor 20 Jahren  gab, sondern eine Weiterführung dessen“, erklärt Mario. „Es gibt nicht wenige Beispiele, die dann eben vor sich hinblubbern. Was mich immer beeindruckt hat, waren Stücke mit einer gewissen Tiefe, so wie z.B. von David Lynch, Stimming oder auch von Dominik Eulberg. Die Schwierigkeit dabei war, solche Ansätze mit Tracks ohne Beat fortzusetzen. Hier hast du nicht die gleichen Möglichkeiten, zu thematisieren.“

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Langweilig wird’s trotzdem nicht, im Gegenteil: L’esprit De L’escalier ist ein 60-minütiges Konzert der Sounds, mit jedem der insgesamt 13 Stücke nimmt Mario Hammer uns mit auf eine Reise in weite Soundscapes und tiefe Klangräume , manchmal etwas pathetisch und manchmal noisy, meistens schön minimalistisch, ohne dabei auch nur eine Sekunde nach elektronischem Kitsch zu klingen. Die meisten Stücke sind in einem Prozess der Klangfindung entstanden, was das Wesen des Arbeitens mit Modular-Synthesizern gut beschreibt, mit denen das Album fast ausschließlich produziert wurde.

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Der Mix macht den Sound: Marios Setup an vorwiegend analogen Synthesizern ist sehr sorgfältig zusammengestellt. Jeder Synth hat dabei seine spezielle Farbe.

 

 

Analogue Storytelling

Bemerkenswert, dass die Stücke sich trotz des experimentell-explorativen Ansatzes aber nicht – wie es bei vielen Elektronikproduktionen der Fall ist – in beliebiges Rumgeschraube verlaufen. Jedes Stück ist sehr fein austariert und hat ein eigenes Storytelling. Das Gesamtergebnis: ein tolles Album, das einen immer wieder hineinzieht, sei es durch seine weiten Scapes oder aufregenden Step-Sequenzen und Soundspielereien. Auf die Frage, woher das sehr emotionale und sensible Sounddesign stammt, beantwortet Mario sehr einfach: „Es ist halt ein Gefühl, das in einem schlummert. Was ich über mich sagen kann, ist, dass ich diese emotionale Ebene mit meinen analogen Synthesizern am besten rüberbringen kann. Über die Regler finde ich den direkten Zugang zum Klang, es ist anders, als steril am Rechner zu sitzen, wo man dann mit der Maus den Cutoff bedient.“

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Geschmackvoll aber ohne große Geste zitiert Mario Hammer dabei alte Meisterwerke der Elektronik wie z.B. Vangelis’ Filmscore zu Blade Runner. Ansonsten hört man aber heraus, dass Mario Hammer als musikalische Referenzen vorwiegend Artists aus dem gegenwärtigen Geschehen nennt, darunter DJ Koze, Niels Frahm, Trentemoeller, Salz oder Apparat. Und ebenso hört man, dass Mario Hammer in den aktuellen Strömungen von Electronica und Techno zuhause ist. Sein Sound klingt nicht nach klassischer EM, sondern eben sehr modern.

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Die Performances mit den analogen Synthis nimmt Mario mit Aple Logic Pro auf, wo die Sounds dann weiter bearbeitet und arrangiert werden bis zum fertigen Track.

 

 

Modular, analog, hybrid

Marios Arbeitsweise beginnt bei den analogen Sounds, die er mit diversen Synthis und modularen Bausteinen schraubt. „Es war absolut auch das Besondere an dem Album“, erklärt Mario im Interview „zunächst  die Synthesizer zusammenzustellen, die nicht nur meiner eigenen klanglichen Vorstellung entsprechen. Wichtig ist mir immer, dass ein Instrument in gewisser Weise eine Seele hat. Das hat natürlich alles eine ganze Zeit gedauert, ich habe irgendwann angefangen, all diese Synthesizer zu sammeln, sie auszuprobieren, um herauszufinden, ob das, was ich dort herausholen kann, überhaupt zu meinem Sounddesign am Ende passt. Da habe ich mich ganz auf mein Bauchgefühl verlassen. Es beginnt immer mit einem Sound, ja manchmal nur mit einem einzigen Ton, der sich durch das ganze Stück ziehen kann – eine spezielle Ausgangsstimmung ist bei jedem Track das entscheidende Element. Es geht darum, den perfekten Moment zu entdecken – der richtige Ton, mit dem richtigen Sound, mit dem richtigen Effekt. Erst dann fange ich an, alles andere weiter auszubauen.“

Alte Synthis – neuer Sound

Marios Studio ist vollgestopft mit analogen Synthesizern der unterschiedlichsten Herkunft, darunter ein Minimoog Voyager XL, Moog Sub37, Moog Sonic Six, Moog Mother 32, GRP-Synthesizer, Roland Jupiter-4, Analog Keys und diverse Eurorack-Module. Sein erster Synth war übrigens ein Syrinx, den er immer noch hat. Ein sehr spezieller Synthesizer der holländischen Firma Synton, wobei insbesondere auch der Controller zu ungewöhnlich klingenden Modulation führt. Solche Sounds muss man mit den Synth in Echtzeit performen und im Sequenzer aufzeichnen. Aufnahme, Weiterbearbeitung und Arrangement erledigt Mario mit Apple Logic und einigen Plug-ins. Viele der weiten Räume z.B. entstehen durch den Einsatz des Eventide  H8000 und Softwareseitig Valhalla Vintage Reverbs, das zu Marios Lieblings-Hall-Plugins gehört.

Eine Menge Zeug – unterm Strich aber sollte klar sein: Eine große Synthi-Sammlung allein macht kein tolles Album! Es braucht immer noch den Künstler, der die richtigen Synthis mit dem richtigen Geschmack einsetzt – dann kann etwas wirklich Tolles draus werden. Ein gutes Beispiel dafür:
Mario Hammer – L’esprit De L’escalier. Absolut hörenswerte Klangkunst!

 

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Der Synton Sirynx war Marios erster Synth. Der in Hollanf hergestellte Vintage-Synth besitzt einen sehr speziellen Modulation- & Pitch-Controller, der auf Druck reagiert.

 

 

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