Prepare for the Unpreparable

Ein Abend mit Hauschka

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Zu Hause zwischen Konzertsaal und Club, zwischen klassischer, avantgardistischer und popmusikalischer Tradition — bei einem Solo-Abend mit Volker Bertelmann alias Hauschka wird man gewahr, in welch unterschiedliche Richtungen die Anziehungskräfte des Hauschka’schen Klangkosmos’ wirken können.

Hauschka
(Bild: Mareike Foecking)

Wie zuletzt in Hamburg: Im Rahmen des zur internationalen Musiktrendmesse aufgestiegenen Reeperbahn-Festivals ist es die Konzertgesellschaft der „klassischen“ und baulich noch zu vollendenden Elbphilharmonie, die den Mann mit dem präparierten Klavier auf die Bühne stellt – und zwar im neuen, subterranen MOJO-Club. Mit seinem Eingang aus riesigen, im Straßenbeton versenkten BatmanTüren ist der nun noch hipper als das altehrwürdige MOJO. Aufgezeichnet wird das Konzert vom NDR, live gehört wird es von Fans aller Altersklassen, die sonst sicher alles andere hören außer NDR-Radio, aber heute Abend den Club fast verstopfen. Und dann bringt Hauschka das Innenleben seiner Klaviers zum Tanzen. Mit Schellen und Tamburin, mit Gaffa und Filz, Nägeln, Bolzen, Folien … und schließlich einer Ladung Tischtennisbälle. Und er erfüllt den Raum, der selbst schon etwas von Kinotheater hat, mit einem Cinemascope-Sound zum Wegbeamen.

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„Momente der Zeitlosigkeit“, sagt Bertelmann, die sucht er für sich, beim Spielen und beim Komponieren. Vor allem aber beschert er sie seinen Hörern – so auch auf seinem jüngsten Album Abandoned City, das Anfang dieses Jahres erschienen ist. Alle Stücke des Albums sind nach verlassenen Städten benannt; Orte, an denen die anliegende Diamantenmine nichts mehr abgeworfen oder der havarierte Atommeiler das Leben für immer unmöglich gemacht hat. Trotzdem sind die Stücke selbst natürlich keine Vertonung eines Stadtbildes: „Ich will ja nicht sagen, so oder so klingt Elizabeth Bay oder Pripyat.“ Es geht ihm vielmehr darum, den vielen möglichen Assoziationssträngen, denen man beim Hören seiner Musik folgen kann, noch einen weiteren hinzuzufügen. Daher findet sich in jedem seiner CD-Booklets auch eine Kurzgeschichte, damit der Hörer in einen „Anregungskreislauf“ kommt, wie Bertelmann es nennt.

Live regt er das Publikum mit seiner enorm konzentrierten Bühnenpräsenz an, ihm völlig zu folgen … oder sich ganz zu verlieren. „Ich mag das, wenn ich Tage nach einem Konzert eine E-Mail bekomme, in der mir jemand schreibt, er habe über Aspekte seines Arbeitslebens nachgedacht und was er für sich ändern kann.“ Mit einer verblüffenden Leichtigkeit tritt er aber auch aus dieser Situation heraus, wenn er eine sehr persönliche Ansage macht – oder in einer intimen Klavierpassage ein störendes Handygeräusch aufgreift und ironisch-spontan im Diskant imitiert. Für solche Situationen kann man sich nicht im Vorhinein präparieren.

Wie genau planst du so einen Abend – schreibst du dir zum Beispiel eine Setlist?

Tatsächlich kam der NDR eben zu mir und fragte mich nach einer Setliste; ich habe denen gesagt, sie können die Stücke einfach MOJO 1 bis 5 nennen. Die meinten dann „Ja, wie?“ – aber diese Stücke sind ja jeden Abend anders gespielt, und so versuche ich, die Stücke meist einfach nach dem Venue anzumelden, in dem ich sie spiele. Manchmal nenne ich sie auch so, wie sie auf der Platte heißen, wenn ich sie entsprechend spiele – aber in den meisten Fällen verwende ich nur Themen von der Platte und arbeite sie in eine Art Remix ein, weil es eben auch darum geht, spontan mit besonderen Situationen umzugehen. Heute zum Beispiel hatte ich ein Tambourine auf den Saiten liegen, das dann ständig gewandert ist – irgendwann verliert es den Effekt auf einer Saite! Dann musst du entweder die Melodie so spielen, dass es wieder zurück in die andere Richtung wandert, oder du folgst ihm eben in seiner Bewegung.

Ich hatte heute auch nur wenige Tischtennisbälle reingeworfen, die alle in eine Ecke der Tastatur wanderten, und dann musste ich versuchen, sie wieder zurückzuschießen. Das klappt mal mehr oder weniger gut – aber das Prinzip der Überraschung ist einfach toll, weil es dir selbst die Gelegenheit gibt, deine Gewohnheiten zu ändern; man muss ständig überlegen: „Wie bringe ich das jetzt zu einem guten Ende?“ Insofern sind ganz viele Komponenten spontan – ich bereite mich also nur mental auf ein Konzert vor: Ich versuche, möglichst wach zu sein und zu wissen, mit welcher Energie ich in den Abend reingehe: Ob ich gleich zu Beginn einmal alle Effekte anmache, sodass gleich ein großer „Space“ entsteht – oder ob ich ganz still anfange, nur mit dem Klavierklang, und die ganze Elektronik kommt erst am Ende. Diese Wechsel aus ganz reinem Klavierklang einerseits und der Präparation plus Delays andererseits, diese Mischung finde ich unglaublich spannend.

Kannst du denn im Studio zwischen Komposition und Präparation trennen? Wann bei der Entwicklung musikalischer Gestalten, von Themen, harmonischen und rhythmischen Verläufen kommt denn die Präparation hinzu?

Sofort! Das ist nicht trennbar: Wenn ich etwas schreibe, etwas komponiere, habe ich das Klavier entweder bereits präpariert und schreibe sofort für das präparierte Klavier – oder ich nehme wirklich alles raus. Auf der Doppel-LP-Version von Abandoned City gibt es deshalb ja auch eine „präparierte Platte“ und eine ohne jegliche Präparation, mit kleinen Klavierstücken … so ein bisschen wie Chopin-Etüden.

Beim präparierten Klavier ist es einfach hilfreich, dass die Sounds so extrem spannend sind: Mit relativ wenig „Spielvermögen“, mit relativ wenigen Tönen kannst du etwas sehr Interessantes schaffen. Du bist also nicht immer gezwungen, relativ komplexe Sachen spielen zu müssen! Wenn du sie aber spielen willst, kannst du es immer noch obendrauf tun.

Beim reinen Klavierklang gehst du die Komposition ganz anders an – ich denke zunächst viel harmonischer, versuche dann aber auch, harmonisch Kontraste zu schaffen, durch Halbtöne oder interessante Chord-Changes.

Es gibt zum Beispiel auf der präparierten Seite ein Stück, Craco, ein relativ melodiöses Stück und ein bisschen pathetisch vom Thema her – also die Mädels mögen das total gerne (lacht) … und ich auch; ich brauche so etwas in jedem meiner Konzerte! Ich kann nicht nur Geräusche und Drones spielen, sondern zwischendurch immer wieder eine ganz klare Melodie. Dieses Stück ist jedenfalls auf der Grenze: es wollte irgendwie nicht gänzlich ohne Präparationen sein, obwohl ich es mir doch so vorstellen könnte.

Kommst du da dem Pop am nächsten, wenn es melodiös oder sogar pathetisch wird? Oder ist das Klavier an sich gerade Pop?

bisschen schneller sentimental zu werden. Lass es mich so sagen: Eine gute Klaviermusik, also nichts Kommerzielles, liegt manchmal vielleicht nur ein μ entfernt von der nächsten Kaffeehaus-Werbung – aber eben dieses entscheidende μ weiter links.

Aber ich habe insgesamt das Gefühl, dass das Klavier im Moment – oder schon seit fünf oder sechs Jahren – eine echte Renaissance erlebt, dass ganz viel ausprobiert wird, das ganz viele Leute diese Musik lieben. Das Klavier ist ja ein Instrument für ein Hauskonzert, und ich glaube, dass sich ganz viele Menschen danach sehnen, wie zu Hause einfach nur dazusitzen und einer Musik zuzuhören – ohne sich also eine große Show anzusehen.

Gibt es deshalb auch Notenbücher von dir – für die eigene, intime Hausmusik?

Ich werde oft nach Noten gefragt; einige wollen das einfach selbst spielen, andere arbeiten an der Uni und schreiben musikwissenschaftliche Arbeiten über mich. Ich finde das spannend, dass andere aus dem, was sie von mir sehen oder hören, vielleicht Theorien entwickeln. Und ich finde es schön, dass Menschen von mir etwas haben wollen, das sie für ihre Freizeitgestaltung nutzen – Noten sind ein ganz klassisches Element dafür. Bald wird auch ein Songbook zu Abandoned City erscheinen, auf dem wir einen besonderen Fokus auf die unpräparierten Stücken gelegt haben.

Ich habe selbst 10 Jahre Musikunterricht an einer städtischen Musikschule gegeben, und ich weiß genau, woran es mangelt, nämlich an Notenmaterial, welches musikalisch mit der eigenen Identität zu tun hat. Bei den meisten Schülern geht es doch genau andersherum: Sie üben sich an Musik, welche durch das Instrument quasi angeeignet wurde – und wenn sie damit fertig sind, hören sie in der Freizeit eine komplett andere Musik! Und dazwischen gibt es ein riesiges Loch der Identität. Und sie denken vielleicht noch: „Scheiße, es gibt irgendwie, komischerweise, nicht die Musik für mein Instrument, die ich gerne spielen würde!“ Und eben dort versuche ich reinzugrätschen.

Hauschka Pianoi

Technik: Hauschkas präpariertes Piano

Mit insgesamt 14 unterschiedlichen Mikrofonen nimmt Toningenieur Michael Buchholz den Flügel von Bertelmann ab – ein über die Jahre ausgeklügeltes System, mit dem er verschiedenste Klangnuancen nach vorne oder in den Hintergrund schieben kann. Im Zusammenspiel mit den Präparationen wird das Klavier so zu einem klangvollen Synthesizer. Die Effekte und Delays, die Bertelmann selbst neben seinem Klavier bedient, füttert er beim Live-Spiel nur über das Signal von Helpinstill-Pickups – dem klassischen Humbucker für das Klavier. Daher kann er einer ständigen Feedback-Situation entkommen und dennoch extrem laut spielen. So wird der Bass zur elektronischen Bassline, oder er kickt wie eine TR-808, wenn der Klavierhammer direkt auf einen Helpinstill-Pickup, der zwischen Hammer und Saite angebracht ist, trifft.

Neben und unter Bertelmann stehen: 2 × Eventide Effektgeräte (TimeFactor und Space), Boss RE-20 Space Echo (Tap Tempo Pedal; ein „echtes“ Band-Echo ist vor allem für Flüge zu schwer!), Boss RC 50 Loop Station; Boss Stompbox-Hall.

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