Die Jazz-Legende

Transkription: Joachim Kühn – Touch the Light

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Joachim Kühn ist eine Jazz-Legende, ein Tasten-Pionier und einer unserer wenigen internationalen Stars. Mit 22 Jahren blieb der junge Leipziger Pianist nach einem Jazz-Wettbewerb (Gulda Wettbewerb 1966 in Wien) im Westen – über Hamburg, New York und Los Angeles fand sein Genregrenzen überwindendes Spiel Beachtung.

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Ob es sich um Kompositionen von Bach oder Mozart handelte oder um Jazz-Tunes von Coltrane und Coleman, Joachim Kühn fand seinen eigenen verbindenden Weg – so z. B. 2005 auf dem Solo-Album Allegro Vivace. Er arbeitete u. a. mit Ornette Coleman, Archie Shepp, Joe Henderson, Billy Cobham und Michael Brecker zusammen – auf der anderen Seite gründete er mit dem Guembri und Oud spielenden  Marokkaner Majid Bekkas sowie dem spanischen Schlagzeuger Ramon Lopez ein Trio, das eine CD in der nordafrikanischen Wüste aufnahm und 2012 für die Zusammenarbeit mit der HR-Bigband den Jazz-Echo erhielt.

In der Corona-Zeit nahm Joachim Kühn in seinem Haus auf Ibiza die Songs seiner in diesem Jahr erschienenen Solo-CD Touch The Light auf – dafür nutzte er seinen Steinway-Flügel und einen DAT-Recorder; peu à peu schickte er die Einzelspuren nach München zu Siggi Loch (ACT-Music Gründer).

Auf der CD präsentiert Joachim Kühn eine weite Spanne musikalischer Einflüsse: Das Allegretto aus Beethovens 7. Sinfonie steht neben Interpretationen von Purple Rain von (Prince) und dem »Rhythm & Blues«-Klassiker Fever. Aber auch Bill Evans wird mit Peace Piece portraitiert und mit A Remark You Made von Joe Zawinul schließt sich der Kreis, denn Joe saß 1966 in der Jury des Wettbewerbs, den Joachim für seinen Verbleib im Westen nutzte. Und dann sind da noch die eigenen Songs wie Sintra und der Titelsong der neuen CD Touch The Light, unser Transkriptions-Song. In diesen Titel kann man viel hineininterpretieren: Angefangen von der Abendsonne, die auf Ibiza den aufnahmewilligen Flügel bescheint, bis hin zu Licht, Transparenz und räumlicher Weite reichen meine Assoziationen, mehr dazu am Ende des Artikels.

Die Transkription findest du in der Sound&Recording-Ausgabe 05/2021. Hier versandkostenfrei bestellen oder als PDF kostengünstig herunterladen. 

Zum Song

In der Begleitung setzt Joachim Kühn sowohl Dezimen als auch Nonen (in der Schichtung zweier Quinten) ein und erzeugt so bereits genügend Klangfülle sowie durch die Nonen einen harmonisch offenen Klang. Die rechte Hand ist frei von harmonischen Verpflichtungen. Der Grundbeat orientiert sich mit wenigen Ausnahmen an Ganzen und Halben Noten.

Das Akkord-Umfeld ist einfach angelegt: Am, A5/9 (Asus2), G5/9 und G, F5/9 und F, E5/9 und Em bilden die Grundlage. Die Melodie und das Solo bedienen sich der konventionellen Dur- und Molltonleitern, häufig auch pentatonisch. Und da ist sie wieder, die unvermeidliche Frage: Aber ist es auch Jazz? Für Leute, die fast alles gespielt haben, stellt sich die Frage wohl nicht mehr, da ist Jazz ein Teil der zur Verfügung stehenden Ausdrucksmittel, egal ob avantgardistisch, minimalistisch, folkloristisch, neoklassisch …

Der Clou des Songs findet sich in der klaren Melodieführung, die sich wie eine Essenz aufs Wesentliche konzentriert und rhythmisch fließend und wohldosiert daherkommt. »Rubato« ist zwar ein Schlüsselwort für rhythmische Freiheiten, und es ist hier durchaus als Hinweis angebracht, allerdings umschreibt dieses nicht wirklich das Zusammenspiel der beiden Hände. Während die linke Hand der klaren Takteinteilung folgt, entzieht sich die Melodie der rechten Hand den metrischen Schwerpunkten des 4/4-Taktes. Deutlich wird dieses vor allem im Solo: Die vielen notierten 16tel-Synkopen sind nicht funky-präzise gemeint, sondern sie repräsentieren die Vermeidung von Punktlandungen auf der »1« und »3« – im besten Falle scheint sich die Melodie abzukoppeln und über die Akkorde zu fließen. Das in diesem langsamen Tempo überzeugend zu spielen, setzt viel Erfahrung, Vorstellungskraft und ein gutes Timing voraus – dies macht den Großteil des Charmes dieser Interpretation aus.

Die Akkordstruktur wird flexibel gehandhabt und passt sich den Erfordernissen der Melodie an und umgekehrt – sogenannte Changes sucht man vergebens. In Takt 29/30 wird der Begleitrhythmus variiert: Ob die vorgezogenen 16tel-Akkorde die originale »Denke« von Joachim Kühn widerspiegeln oder nur den angestrengten Versuch des Transkripteurs zeigen, muss an dieser Stelle offenbleiben. Gelegentlich wird der Akkordrhythmus durch Zwischenschläge auf die »2u« ergänzt, und auch die Zuordnung von einem Akkord pro Takt wird am Ende des Solos aufgegeben.

Und auch das sind Wegmarken eines guten kompositorischen Konzeptes: Erst in Takt 35 lässt Joachim Kühn eine kurze virtuose Umspielung aufblitzen, die zugleich zu den hohen Lagen des Flügels führt. Nach einem viertaktigen Zwischenspiel kommt das Thema noch mal zu Ehren, und zu guter Letzt berührt der Pianist mit einem strahlenden Dur-Akkord das Licht und verweist somit auf den Titel des Songs.

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