Pneumatic Drums

Electronic Percussion Performance – Marco Barotti

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Im Special der Januar-Ausgabe drehte sich alles um Electronic-Percussion-Instrumente — hier haben wir mal ein individuelles wie künstlerisch höchst interessantes Beispiel, elektronische Schlaginstrumente als Live-Performance zu konzipieren. Auf der Bühne steht ein illuminierter und mit Luft gefüllter Riesen-Donut, bestückt mit signalroten TriggerPads, einem Beamer sowie einem festgetapeten iPhone. Bei den Pneumatic Drums des Künstlers Marco Barotti handelt es sich nicht nur um ein Kunstobjekt, sondern um einen ausgefeilten Performance-Controller für Ableton Live und Max for Live.

(Bild: Markus Thiel, Archiv)

Pneumatic Drums ist eine Koproduktion des italienischen Musikers und Projektkünstlers Marco Barotti, des Berliner Architektur-Kollektivs Plastique Fantastique, Laser Laser Management und dem japanischen Künstler Tatsuru Arai. Ursprünglich wurde die durchsichtige Kunstoff-Bubble als eine Art Tutu für Tänzer entwickelt und erst später als Grundgerüst für das heutige Pneumatic Drums entdeckt und in einem größeren Maßstab umgesetzt. Im Interview mit KEYBOARDS erzählt Marco Genaueres zur Entstehungsgeschichte und dem Konzept hinter einem außergewöhnlichen und performanten Live-Controller.

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Erzählst du uns bitte etwas über deine Bühnen-Installation?

Von Haus aus bin ich eigentlich studierter Schlagzeuger, und irgendwie sehnte ich mich schon immer nach einem leichten Drum-Set, was beim Transport nahezu keinen Platz für sich beansprucht. So kam es zur Entwicklung von Pneumatic Drums, einem Set, das zusammengepackt inklusive Laptop kleiner und handlicher ist als ein Hänge-Tom.

Genau genommen ist diese Bubble das Ergebnis verschiedener Kunstprojekte, an denen ich in der Vergangenheit gearbeitet habe. Das Modell, welches ich heute auf der Bühne spiele, ist bereits ein Pneumatic Drums der fünften Generation.

Die visuellen Effekte, welche in Interaktion mit meinem Spiel auf die Innenfläche der Bubble projiziert werden, sind das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit mit dem japanischen Künstler Tatsuru Arai. Alles Hör- und Sichtbare läuft im Übrigen synchron in Ableton Live und Max for Live zusammen und wird interaktiv von dort aus durch mein Spiel gesteuert.

Nutzt du in diesem Rahmen auch Backing-Tracks?

Zu ein paar Songs habe ich reduzierte Backing-Tracks vorbereitet, die ich, über Live getriggert, abrufen kann. Neben den auf der Bubble installierten Trigger-Pads setze ich manchmal noch ein oder zwei Controller sowie Bewegungssensoren ein, die ich am Körper trage. Oft sieht es auf der Bühne so aus, als würde ich lediglich ein verrücktes Schlagzeug spielen, in Wirklichkeit spiele ich mittlerweile auf der Bubble viel mehr Synthesizer als Drums. Letzteres war mir auch irgendwie zu offensichtlich. (lacht)

In meinem neuen Song The Flames spiele ich beispielsweise zunächst den Bass auf den Pads, um diese Line anschließend zu loopen und dann Pianoakkorde „on top“ zu spielen. Das ist ein riesen Spaß!

Also kannst du die Pads auch chromatisch für Synthesizer einsetzen?

Klar! Ich spiele viele Synthie-Parts auf meinen 19 Pads, quasi wie auf einem Keyboard. Am Anfang war das ein wenig kniffelig, da ich mir nicht immer gleich alle Pad-Zuordnungen merken konnte und ich durch die Sonnenbrille, die ich als eine Art Markenzeichen auch heute immer noch auf der Bühne trage, manchmal auch nicht mehr viel gesehen habe. Aber ich habe mittlerweile gelernt, das Pneumatic Drums aus dem Herzen zu spielen – dabei geht es viel um Intuition! Ein großer Stützpfeiler ist aber auch Ableton Live und das „Drum Rack“, mit dem ich viele Samples vorbereite und schneide, um sie dann in der Show abzurufen.

Der Komponist meiner aktuellen Single, ein Schwede, verwendet im Original über einhundert Akkorde. Ich habe das alles dann auf 52 Samples reduziert, sodass ich das Ganze per Oktav-Shift auf mehrere Ebenen der 19 Pads verteilen kann – im Prinzip wie auf einem Keyboard. Das war am Anfang der totale Wahnsinn für mich, und ich habe geschlagene zwei Wochen damit zugebracht, mir zu merken, wo genau die einzelnen Akkorde liegen. Aber wenn man es einmal hat, ist gerade dieser neue Song wirklich magisch und emotional berührend. Genau genommen ist es der erste romantische Song meiner Karriere, der Rest war und ist eigentlich schon sehr New-Disco-lastig also: In Your Face!

Da entwickelt sich demnach gerade ein neuer Stil?

Das Ganze speist sich doch schon sehr aus den Ambient-Klangwelten, die ich als Künstler bei meinen Installationen verfolge. Somit ist es für mich eigentlich nicht sonderlich neu – auf der Bühne allerdings schon. Ich beschäftige mich zurzeit viel mehr mit Atmosphären, wie etwa der Vertonung von Kunst-Film-Sequenzen, wo es sehr um die Stimmung geht. Früher war ich immer der Meinung, ich müsste alle Fäden bei einem Projekt gleichzeitig in der Hand haben, was meist einem organisatorischen Tsunami gleich kam. Heutzutage schätze ich den kreativen Freiraum, den mir eine intensive Kooperation mit anderen Künstlern bei der Projektgestaltung gewährt.

So schaffst du dir dann also mehr Zeit für das Wesentliche.

Exakt! Ich arbeite mittlerweile in sehr vielen unterschiedlichen Prospektiven. Mein bisher größtes Projekt habe ich in Frankreich umgesetzt, wo ich für eine Filmprojektion auf zwei Häuserfronten eine komplette Kreuzung beschallen musste. Dabei habe ich mit Stadion-Hörnern und speziellen Polystyrol-Lautsprecher-Batterien in Weinregalen, ergänzt um Vibrations-Speaker, gearbeitet. Auf diese Weise entwickelte jede Oberfläche ihren ganz eigenen Sound. Bei all diesen Projekten lerne ich immer mehr, die Zeit, die mir zur Verfügung steht, stärker für die Musik zu verwenden.


Pneumatic Drums. Die „Bubble“ ist eine Kombination aus Projektions- und Schlagfläche. Die Triggerimpulse werden an das Drum-Rack und Synthesizer-Parts in Ableton Live übermittelt, wo dann die Performance als live aufgenommen und geloopt wird.


Du arbeitest also auch viel mit Multichannel-Setups?

Ja, sogar sehr gerne. Bei meinem letzten Projekt in der Saatchi Gallery in London habe ich zusammen mit Plastique Fantastique eine große begehbare Bubble realisiert, die über ein Multichannel-System auf den Herzschlag eines eintretenden Menschen reagiert. Über einen Ohrclip-Sensor tritt die Maschine „The Pulse of London“ mit dem Menschen in Interaktion und Dialog, indem sie melodische und rhythmische Elemente mit dem Herzschlag synchronisiert. Dabei gibt das Multichannel-Setup aus zehn Lautsprechern eigentlich nur Vibrationen ab, die wiederum die Bubble in Schwingung versetzen und sie so in das eigentliche Soundsystem verwandeln.

Der Sound drinnen ist absolut verrückt. Es gibt so viele Resonanzen und Reflexionen – ein Wahnsinns-Erlebnis! In der Mitte sitzend fühlt man sich wie auf einem Club-Subwoofer, mit dem Unterschied, dass es natürlich Aufgrund der Vibrationen keinen direkt wahrnehmbaren Schall gibt.

Es scheint so, als ginge es dir bei deinen Projekten auch verstärkt um Interaktion mit dem Publikum?

Erst, wenn der Zuschauer oder Besucher selbst Teil der Performance wird, werden Kunst und Musik wirklich erfahrbar.

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