Rainer-Brüninghaus-Workshop

Übungen zum Komponieren von Filmmusik

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Stellen Sie sich vor, Sie müssen eine Filmsequenz musikalisch untermalen, in der der Held nach einer Action-Szene nun gedankenversunken auf einem langsam dahinschaukelnden Schiff bei untergehender Sonne aufs Meer schaut. Wie würde man die Musik strukturieren?rainer-brueninghaus-workshop

Wahrscheinlich würde man zunächst auf eine idyllische, ruhige Musik verfallen und sich dabei von den prächtigen Bildern der untergehenden Sonne inspirieren lassen. Aber wir dürfen keinesfalls das Innenleben des Helden vergessen! Was mag er wirklich denken? Wie steht es im Verhältnis zum gesamten Film? Hatten wir für ihn schon ein Leitmotiv eingeführt? Unser Held ist hier ja in einem enormen Zwiespalt, da vorher etwas passiert ist, das ihm Probleme bereitet. Also wäre eine pure idyllische Musik, die wir aus rein musikalischen Gründen zwar sehr gern schreiben würden, fehl am Platz.

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Bei Filmmusiken sollten Sie niemals als Musikliebhaber handeln, sondern immer dem Film dienen! Igor Strawinsky hat diesmal sehr pointiert gesagt: „Filmmusik mag gewiss in mancher Beziehung wichtig sein, aber nicht als Musik, und deshalb ist auch die Ansicht, dass bessere Komponisten auch bessere Filmmusik schreiben könnten, nicht unbedingt stichhaltig.“ Er wollte damit also ebenfalls andeuten, dass die Musik im Film nicht als Selbstzweck Sinn macht, sondern im musikpsychologischen und musiksoziologischen Kontext zu den Personen sowie ihren Stimmungen, Situationen etc. Ein guter Filmkomponist kann intuitiv die Situationen und Stimmungen der Personen und des gesamten Films umsetzen.rainer-brueninghaus-workshop-noten-1rainer-brueninghaus-workshop-noten-2rainer-brueninghaus-workshop-noten-3

Ausgangsmaterial

Zurück zu unserem Beispiel: Man sollte zwar die Ruhe des Meeres aufgreifen, aber dabei einen Kontrapunkt setzen, der den Zwiespalt des Helden andeutet. Man könnte also z. B. eine flächige Abfolge von zwei Akkorden durch Streicher spielen lassen, die durchkreuzt wird von einer Zwiespalt erzeugenden, leicht dissonant gegen die Akkorde treibenden Linie eines Hornes. Greifen Sie dies bitte als Übung auf, und konzipieren Sie eine Musik, die auf diese Szene passen würde.

Als Diskussionsgrundlage biete ich in meinem Notenbeispiel eine Musik an. Hier haben wir zunächst in den ersten 8 Takten die Ruhe des Meeres bei Tempo 80. Im Bild sehen wir nur den Bug des Schiffes. Nun kommt unser Held ins Bild, und in Takt 9 startet die Melodie des Horns. Als Musiker hätten wir gern eine harmonisch in die Akkorde eingebettete Musik geschrieben, aber hier gehorchen wir der Psychologie der Szene: Der Held ist im Zwiespalt, und wir ordnen ihm deshalb eine teilweise recht dissonante Melodie zu.

Eine gewisse Kunst besteht darin, die Melodie nicht so dissonant werden zu lassen, dass sie beziehungslos zum sonstigen musikalischen Geschehen dasteht. Es müssen immer noch Bezugspunkte zu den Grundakkorden da sein. Übrigens sollte man aufpassen, nicht zu viel Musikalisches hineinzupacken. Weniger ist mehr – besonders im Film, da ja außer den musikalischen schon jede Menge andere Informationen auf den Betrachter einwirken, vor allem das Bild und die Handlung. Daher habe ich die Melodie nach zwei Takten wiederholt. Und auch dann gebe ich meiner Lust, etwas komplett Neues entstehen zu lassen, nicht nach, sondern lasse eine Spiegelung des ersten Motivs folgen, die nur am Schluss eine kleine Steigerung erfährt.


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KEYBOARDS 4/2016

Das sind die Themen dieser Ausgabe:

  • Sampletalk mit And.Ypsilon (Die fantastischen Vier)
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  • Software-Sampler am Rande der Wahrnehmung
  • Korg DSS-1 als Hardware-Plug-in
  • Cinematique Instruments – Filmreife Sample-Instrumente
  • Groovesampler in der Praxis
  • Die Mellotron-Story
  • Vintage Park: Fairlight CMI
  • Transkription – Ten Sharp: You

Teamwork

Jetzt hören wir uns das Ganze zusammen mit dem Produzenten oder Regisseur an. Dabei ist es wichtig, eine gute Zusammenarbeit zu entwickeln. Produzent und/oder Regisseur haben mit Sicherheit Gewichtiges zu sagen, denn sie befassen sich ja schon wesentlich länger mit dem Film als der Komponist. Deshalb sollte man sein Ego zurückstellen und aufmerksam darauf hören, was sie zu sagen haben. Man sollte es immer als Hilfe ansehen, nicht als böswillige Kritik.

Die Kommunikation kann dennoch schwierig sein, weil Filmemacher nicht immer über das musikalische Vokabular verfügen, das nötig wäre, um präzise zu formulieren, was sie haben wollen. Also sollte man eine gemeinsame Sprache entwickeln, die auf den psychischen und sozialen Filminhalten basiert.

Die Streicher-Akkorde mit dem Bass als Untermalung des langsamen Gleitens übers Meer gefallen Ihnen. Dem Produzenten klingt das Horn immer noch zu harmonisch, außerdem klingt es zu getragen. Eine einsame Trompete bringt die Einsamkeit des Helden mit seinem inneren Zwiespalt wahrscheinlich besser zur Geltung, außerdem kann sie mit mehr Ausdruck und persönlichem Touch gespielt werden als das Horn. So wird die Persönlichkeit des Helden stärker unterstützt, und die Szene wird noch intimer und persönlicher.

Dramaturgie

Zum Schluss stellen wir uns noch vor, dass nach Takt 16 eine Dramatisierung notwendig ist, da die Szene allmählich wieder dramatischeren Dingen entgegentreibt. Wie könnte man das allmählich einweben, ohne die bisher aufgebaute Stimmung bzw. Musik zu verlieren? Bitte nehmen Sie dies wieder als Übung, und komponieren Sie etwas hinzu, was dem Rechnung trägt.rainer-brueninghaus-workshop-noten-4

Dazu folgender Vorschlag: In Takt 17 beginnt eine Viertelbewegung aus zwei Tönen der Violinen, die eine gewisse Dramatisierung erzeugt. Dies wird nach vier Takten mit einer weiteren Bewegungslinie gesteigert, diesmal doppelt so schnell in Achtelnoten. Und nochmals eine Steigerung in den letzten beiden Takten: diese Linie strebt weiter nach oben. Dadurch haben wir das Geschehen über die Selbstbesinnung des Helden auf beispielsweise weitere Action-Szene bestens vorbereitet.


Musik vs.SFX

Deutsche Filmemacher neigen dazu, bei einem Soundtrack die Geräuschkulisse überproportional zu betonen. Amerikanischen Filmemachern ist dagegen eher die Psyche der handelnden Personen wichtiger, die vor allem durch die Musik getragen wird. Ausnahmen bestimmen zwar auch hier die Regel, im Groben trifft diese Einteilung aber zu.

„Musikern“ würden also die amerikanischen Filmemacher entgegenkommen, denn die Musik ist in deren Filmen oft sehr präsent. Oft ist die Enttäuschung aber groß, wenn am Ende einer Filmproduktion die Musik in der Gesamtmischung recht leise und unpräsent ist. Aber da heißt es, Zähne zusammenbeißen – wichtig ist, ob der Gesamt- Soundtrack dem Film dient oder nicht. Aber auch im amerikanischen Kino werden vor allem bei Action-Szenen die Geräusche mit äußerst potenter Lautstärke transportieren, oft dann sogar noch unterstützt durch ebenso laute, umtriebige Musik, wodurch sich ein immenser Druck aufbaut. Bei Szenen, in denen jedoch das Innenleben der Personen im Vordergrund steht, steht auch meistens die Musik vor der Geräuschkulisse.

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