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Yamaha SY22 (*1989)

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Yamaha SY22 (*1989) (Bild: Dieter Stork)

Zu den innovativsten Ideen im Synthesizeruniversum der achtziger Jahre gehört die Vektorsynthese, die Dave Smith und John Bowen für den Sequential Circuits Prophet VS-Synthesizer entwickelten und im Jahre 1986 vorstellten.

Der Prophet VS ihrer Firma bescherte nicht den erhofften Erfolg, und nachdem Sequencial Circuits ca. ein Jahr später Pleite gegangen war, entwickelten andere Hersteller das faszinierende Klangkonzept weiter. Bekanntester Ableger der Vektor-Synthese ist sicher die Korg Wavestation (1990), aber auch von Yamaha gibt es einen kleinen Synth mit X/Y-Controller: den SY22, der im Gegensatz zum Korg Synth für ein etwas günstigeres Preissegment konzipiert wurde und 1989 zum Preis von ca. 1.890 Mark herauskam. Er ist im Zuge der Analog-Renaissance der 90er Jahre fast in Vergessenheit geraten, obwohl er interessante Features bietet und ein zu Unrecht unterschätztes Instrument ist. Nicht umsonst erkannten auch Produzenten wie Moby, Cevin Key (der Keyboarder des amerikanischen Elektronikprojekts Scanner) und die Industrialband Skinny Puppy das Potenzial des Synthesizers.

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Äußeres

Das Design des SY22 ist solide, macht ihn aber nicht gerade zum Sexgott unter den Synthesizern. Ins Auge sticht nur der großzügig dimensionierte Vektorstick, der sich gut bedienen lässt. Ansonsten ist die Bedienoberfläche mit Gummitastern ausgestattet. Ein Data-Slider (wie man ihn z. B. vom DX 7 her kennt) fehlt leider. Der einzige Fader ist der Regler für die Gesamtlautstärke. Die anschlagdynamische, mit monofonem Aftertouch ausgestattete 5-OktavenTastatur lässt sich (im Vergleich zu vielen aktuellen MIDI-Masterkeyboards) relativ gut spielen. Im Inneren des Gehäuses (warum nicht außen?) gibt es übrigens jeweils ein Poti, das zur Justage der Intensität von Aftertouch und Velocity-Response dient. Dies sind aber, wie wir später sehen werden, nicht die einzigen Geheimnisse, die der SY22 verbirgt.

Vektorsynthese

Ein Patch des SY22 besteht aus samplebasierten PCM- und FM-Sounds. Dabei werden entweder zwei FM- mit zwei PCM-Sounds oder ein FMmit einem PCM-Sound kombiniert. Die Samples sind mit 12 Bit/22 kHz aufgezeichnet und belegen 1 MB ROM. Es stehen 128 Samples zur Auswahl. Die Bandbreite reicht vom Pianosample über Blasinstrumente bis zu Drumsounds und Geräuscheffekten. Trotz der Einschränkung auf gerade mal zwei Operatoren (der DX 7 arbeitet mit sechs Operatoren) kann der SY22 eine ziemlich große Bandbreite unterschiedlicher Klänge erzeugen. Dabei kann man aus einem Vorrat von 256 FM-Presets auswählen.

Bei jedem Element (egal ob Sample oder FM) kann man individuell Tonhöhe, VCA-Hüllkurve und die Modulation durch den dankenswerterweise sehr schnellen LFO editieren. Mit dem Vektor lässt sich die Lautstärke der an vier bzw. zwei Polen des Vektor-Radius angeordneten Sounds mischen. Alternativ steht auch ein Detune-Modus zum dynamischen Verändern der Tonhöhen der vier Elemente zur Verfügung. Die Fahrten mit dem Vektorstick kann man aufzeichnen, automatisch abspielen und auch schrittweise editieren.

Das geheime Leben des SY22

Unter der Oberfläche des SY22 gibt es noch eine ganze Reihe undokumentierter Parametern, die manchmal erst das Salz in der Suppe sind. Man kann sie aber nur über SysEx bzw. computergestützt mit Editor-Software erreichen.

Auch wenn es kaum Realtime-Kontrollmöglichkeiten für einzelne Parameter gibt (etwa via Velocity), eröffnen die zusätzlichen Parameter dem Frickelfreund doch beträchtliche neue Klangmöglichkeiten. Ändern lassen sich so z.B. auch essentielle Parameter wie FM-Algorithmus, Detune und Pitch-Scaling (auch für die PCM–Sektion), Operator-Frequenz inklusive Fixed Frequency, VCA-Hüllkurve mit Level/Rate-Scaling, und man kann zwischen acht Operator-Wellenformen wählen.

Sound Dem SY22 haftet der Ruf an, nur dünne, metallische Sounds erzeugen zu können. Dies mag für ein einzelnes Element zutreffend sein, aber bei geschickter Kombination von bis zu vier Elementen lassen sich schön futuristische Pads und Synth-Sounds programmieren, die vor allem in Industrial- und elektronischen Kontexten eine gute Figur machen. Dank des Vektorsticks kann man intuitiv ins Klanggeschehen eingreifen und interessante Sounds generieren, die ansonsten nur mühevoll zu programmieren sind. Wer tiefer in die Programmiermöglichkeiten eintaucht, wird auch mit guten, experimentellen Klängen belohnt, die man dem Synth angesichts der z. T. etwas braven Presets (64 Presets, 64 Speicherplätze für User-Sounds) nicht zugetraut hätte.

Auch die internen Effekte können dabei hilfreich sein. Das größte Manko ist das fehlende Filter; hier ist es angebracht, sich mit externen Effekten zu behelfen. Erfreulicherweise gibt es eine Random-Funktion, mit der sich Zufalls-Sounds erzeugen lassen. Dank der achtfachen Multitimbralität kann man auch Sounds stacken und dabei ziemlich massive Klanggebilde auftürmen.

Ist der SY22 für den heutigen Musiker interessant?

Diese Frage kann man trotz etwas gewöhnungsbedürftiger Bedienung mit „Ja“ beantworten. Der Synth war nie ein Kultgerät und ist deshalb relativ günstig zu erwerben; man kann ihn zum Beispiel als günstiges Masterkeyboard im Heimstudio einsetzen. Außerdem ist der Vektor-Joystick ein Pluspunkt: seine Bewegungen werden über MIDI ausgegeben.

Er eignet sich auch zur Steuerung von Softwareinstrumenten, da er nicht wie konventionelle Joysticks mit einer Rückholfeder ausgestattet ist und stets in der letzten Position verharrt. In Sachen Bedienungsanleitungen leistet Yamaha vorbildlichen Service. Man kann sich das deutsche Handbuch unter www.yamaha.co.jp/ manual/german/index.php downloaden.

 

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