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Im Reich der Minitasten-Monster: Yamahas Portasound-Serie

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(Bild: Dieter Stork)

Die PortaSound-Familie hat vom Lo-Fi-Sampler bis zum extrem gebendeten PCM-Keyboard einiges zu bieten. Sigur Rós, Portishead, Trent Reznor, Autechre und Björk können nicht irren …

Ausgebildete Pianisten schütteln sich vor Grauen: Keyboards mit Minitasten, dafür haben wir nicht ein halbes Leben lang geübt! Dabei gibt es auch im Reich der Mini-Keyboards viele pfiffige und ungewöhnliche Klangerzeuger zu entdecken, die manchem Track erst die richtige Würze verleihen. Nicht nur Casio, auch Yamaha hat seit den 80er-Jahren viele Geräte mit Kultpotenzial zu bieten. Da lecken sich natürlich die Circuit-Bender die Lötkolben-bewehrten Finger, aber auch ungebendet bieten die Mini-Monster, die man zuweilen auf dem Gebrauchtmarkt günstig abstauben kann, dem Produzenten interessante Inspirations-Quellen.

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Für Musiker, die Lo-Fi-Pop, Chip-Tune-Sounds, experimentelle Elektronik oder eine abseitige Ästhetik schätzen, können die Yamaha PortaSound-Keyboards eine potente Geheimwaffe für merkwürdige Sounds sein, die man mit seiner DAW nicht so ohne Weiteres hinbekommt. Auch die obskuren Patterns der Begleitautomaten können als inspirierende Quelle für kranke Loops dienen. Ein Blick auf die PSS-Serie, die bald wieder Zuwachs bekommen wird (s. u.), lohnt sich; man sollte keine Angst haben, dass einem die Finger schrumpfen. Schon manche Modelle der Reface-Serie mit ihren sehr leistungsfähigen Familienmitgliedern (allen voran der tolle Reface DX) könnten in einer nicht allzu fernen Zukunft Kultstatus erlangen.

Die Yamaha VSS-Sampler sind seit Jahren ein Geheimtipp vieler Produzenten (und CircuitBender), die abseitige Sounds lieben. (Bild: Dieter Stork)

Los ging es 1980 mit den drei Minikeyboards PS-1, PS-2 und PS-3. Die frühen Portable-Keyboards von Yamaha waren anfangs mit einer analogen Klangerzeugung ausgestattet, später kamen verstärkt FM-Synthese und PCM-Sounds zum Einsatz. Charakteristisch für viele frühe PortaSound-Keyboards ist das formschöne und praktische Kunststoff-Case, das zum Lieferumfang gehört. Im Folgenden stellen wir drei Geräte mit Kultpotenzial vor.

Der VSS-200-Sampler bietet (wie der VSS-39) vergleichsweise viele Möglichkeiten zur Manipulation der Samples. (Bild: Dieter Stork)

Bitte 8 Bit

Ab 1987 brachte Yamaha − inspiriert durch den Erfolg des Casio SK-1 − die VSS-Sampler-Serie heraus. Neben dem VSS-30 gibt es die Modelle VSS-100 und VSS-200 (unser Testgerät). Viele Musiker ziehen Yamahas VSS-Serie Casios SK-Samplern vor, da sie (auch ungebendet) deutlich mehr Möglichkeiten bieten, das Ausgangsmaterial kreativ zu manipulieren. Außerdem lassen sie sich einfacher midifizieren. Auf dem Gebrauchtmarkt erzielen die kultigen VSS-Sampler mittlerweile recht hohe Preise. Das VSS-200-Keyboard ist mit einer vieroktavigen Minitastatur und zwei Lautsprechern ausgestattet (das VSS-30 hat drei Oktaven und einen Speaker). Die Klangerzeugung basiert z. T. auf dem YM2416-Chip (und dem MB81256-12 DRAM). Die Sample-Engine kann 8-Bit-Samples mit einer Länge von insgesamt 1,9 Sekunden verarbeiten. Gesampelt werden kann vom (Cinch-)Line-Eingang und dem süßen Mikrofon (garantierter LoFi-Sound), das beim VSS-200 an einem Spiralkabel angebracht ist und in eine rückwärtige Halterung gesteckt werden kann. Es gibt (wie auch beim VSS-30) neben einer Overdub-Funktion relativ viele Nachbearbeitungsmöglichkeiten. Man kann das Sample loopen und rückwärts oder alternierend abspielen bzw. loopen. Außerdem steht eine Lautstärke-Hüllkurve mit ADSR-Charakteristik zur Verfügung, und zur weiteren Klangbearbeitung findet man einen Fuzz-Effekt mit charmanter Verzerrung, eine FM-Modulation, einen einfachen Echo-Effekt, Amplituden-Modulation sowie Level- und Pitch-Parameter. Zusätzlich zur Sample-Engine gibt es eine Sektion mit 100 PCM-Presets (Samples von FM-Sounds), die ebenfalls als Ausgangsmaterial dienen und durch die Effekte geschickt werden können, sowie eine Begleitautomatik mit einem digitalen Drumcomputer mit 10 Patterns. Das VSS-30, das nach Ansicht mancher User am besten klingt, kommt ohne Begleitautomat aus und bietet 10 Presets; beim eher ungeliebten VSS100 muss man auf die Effekte und Loop-Möglichkeit verzichten, dafür ist ein Arpeggiator an Bord.

Die PSS-Serie wurde kürzlich von Yamaha wiederbelebt: hier das neue PSS F30.

Die Geheimwaffe von Sigur Rós, die in ihrem Studio auch auf edle Studiotechnik wie eine Neve-Konsole setzen, lieben auch Vintage-Teile wie das analoge Yamaha SK-20 Multikeyboard und ihre Geheimwaffe, den VSS-30-Sampler: Keyboarder und Gitarrist Jónsi schwärmt in einem Interview mit Sound On Sound: »It’s an amazing keyboard. I just use the sampler, but it’s amazing what you can do, just beautiful. It’s the best instrument I’ve had since the guitar … it’s unbelievably simple. You just sample something and there’s an effect where you can reverse the sample and make a u-turn, but it’s all really simple. It’s my instrument beside the guitar. I really, really love it.«

Zum VSS-Userkreis gehören außerdem Portishead, Trent Reznor, Autechre und Björk.

Durch das Circuit-Bending von Maestro Joker Nies wird das Home-Keyboard zum Monster − jetzt sind erkrankte Schredder-Orgien möglich, die sich anhören, als würde Stockhausen auf Crystal Meth den Buffer eigenhändig überschreiben. Mithilfe von Drehschaltern lassen sich verschiedene Kombinationen platzsparend (im Vergleich etwa zu einem Steckfeld) realisieren.

PSS-790: gedopte Tischhupe?

Äußerlich vermittelt das PSS-790 den Eindruck einer Tischhupe auf Stereoiden; die Speaker erinnern an eine Boombox, und die bonbonfarbigen Gummitaster wirken vor allem pädagogisch wertvoll. Dabei besitzt das 1990 herausgekommene Gerät Features, die man einem Heimkeyboard gar nicht zugetraut hätte. So gibt es z. B. eine MIDI-Schnittstelle, der Speicherinhalt lässt sich via MIDI-Bulk-Dump transferieren, das Gerät kann MIDI-Clock-Signale empfangen und senden und somit im Studiokontext synchronisiert mitlaufen, und es ist sogar ein Achtspur-Sequenzer an Bord, dessen Spuren man in Echtzeit mit acht Spurtastern muten kann. Die Sounds lassen sich nicht editieren, aber es steht eine Effektsektion mit Reverb, Vibrato und einem Harmonizer genannten Effekt, bei dem der Klang auf sechs verschiedenen Arten mehrfach gelayert wird, zur Verfügung.

Beim PortaSound PC-50 (1982) hatte man eine ebenso geniale wie bizarre
Design-Idee: Das Home-Keyboard kann die Magnetstreifen lesen, die auf der
Unterseite von PlayCards mit aufgedruckten Noten angebracht sind und die
die Songdaten inkl. Begleitautomatik enthalten. Der Kartenschlitz dient
gleichermaßen als Datenschnittstelle und Notenhalter. MasterCard oder
Visa werden übrigens nicht akzeptiert …

Das Mini-Tasten-Keyboard ist nicht anschlagsdynamisch, lässt sich aber vergleichsweise passabel spielen und umfasst großzügige fünf Oktaven. Die Drum-Sounds der Begleitautomatik kann man auf die blauen Pads unter der Tastatur legen. Mit dem Vektorstick man kann man vier Sounds durch das Rühren des Sticks in Echtzeit mischen. Das Gerät arbeitet mit PCM-Klangerzeugung auf Basis von 16-Bit Samples. Einige der 100 Sounds sind ziemlich cheesy, manche aber überraschend gelungen. Zusammen mit den 50 Styles der Begleitautomatik erhält man einen in Silizium gegossenen Rundumschlag der Popmusik in den Mittachtzigern, wobei der Unterhaltungswert ab und zu durch unfreiwillige Komik erhöht wird. Klanglich unterscheidet sich der Charakter von gebendeter Hardware (unser Testgerät wurde von Joker Nies in die Mangel genommen) fundamental von Software-generierten Effekten; sie sind organischer und lebendiger, dafür aber nicht wirklich kontrollierbar und reproduzierbar.

Dank seiner Realtime-Fader gehört das PSS-380 zu den interessantesten FM-Modellen der PortaSounds-Serie.

Das PSS-380 mit Stereo-Lautsprechern gehört ebenfalls zu den interessanten Geräten der PortaSound-Serie. Es verfügt über eine bis zu neunstimmig polyfone FM-Klangerzeugung mit der (bei FM-Synths generell raren) Möglichkeit, die Sounds mit sieben Fadern in Realtime zu editieren (Spectrum, Modulation, Attack, Decay, Release, Vibrato, Volume). Jeder der 100 Preset-Sounds lässt sich modifizieren, und man kann sogar zwei Sounds layern. Die FM-Engine arbeitet bei manchen Sounds mit vier Operatoren und ist in der Lage, charmante und lebendige Sounds zu generieren. An Bord sind außerdem eine Begleitautomatik, ein Preset-Drumcomputer und ein rudimentärer Sequenzer mit der Möglichkeit, drei Sounds zu speichern.

PortaSound-Comeback!

Gerade hat Yamaha die PortaSound-Serie wiederbelebt und ist mit drei neuen Modellen am Start. Das PSS-A50 (ca. 110 Euro) bietet eine MIDI-Schnittstelle und ist mit einem Arpeggiator mit 138 (!) Styles ausgestattet. Außerdem gibt es eine Recording-Option mit Loop-Möglichkeiten. Zur musikalischen Früherziehung sollen die beiden kleinen Modelle PSS F30 und PSS E30 mit integrierten Songs und einem Quiz-Modus (E30) beitragen.

Der Yamaha PSS-790 wurde uns freundlicherweise von Joker Nies (www.klangbuerau.de) zur Verfügung gestellt.

True Rock‹N Roll: Das 1987 herausgekommene Umhänge-Keyboard SHS-10 lässt Gitarristen vor Neid erblassen. Es besitzt eine sechsstimmige 2-Operatoren-FM-Klangerzeugung, einen simplen Chord-Sequenzer, eine Begleitautomatik (wird über MIDI-ausgegeben) und ist mit einer MIDI-Out-Buchse ausgestattet.

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Zwar nicht Yamaha sondern Casio: Es gab vor ein paar Jahren im Gearslutz-Forum eine Diskussion, wonach der schnarrende Bassound im letzten Teil von Michael Jacksons Song “Thriller” von einem (gesampelten?) Casiotone-Keyboard stammen soll. ( https://www.gearslutz.com/board/electronic-music-instruments-and-electronic-music-production/1001219-thriller-heartbeat-synth-sound-break.html )

    Einige der damaligen Casio-Homekeyboards (etwa das CT 101) besaßen diesen “Frog” genannten Presetsound der auch auf Trios “Herz ist Trumpf” oder auf Fred Friths “Same Old me” zu hören ist: https://www.youtube.com/watch?v=7iwgMdGBKqk

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  2. Was unterscheidet eigentlich die x80er von den x90er Modellen, wie z.B. das PSS 380 zum PSS 390?

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    1. Das Yamaha PSS 380 hat ein etwas anderes Design als das PSS 390, aber die gleiche Klangerzeugung.

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    2. Andere Sounds, jedes Keyboard der PSS Serie hat andere Sounds.
      Ein pss-380 hat andere wie ein pass-370 oder 390 diverse pss Serien haben drum Banks oder Midi mit dabei.

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