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Wurlitzer 200A E-Piano – Elektro-Mechanische Legende

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(Bild: Dieter Stork)

Das Wurlitzer 200A ist neben dem Fender Rhodes das bekannteste E-Piano. Sein obertonreicher, durchsetzungsfähiger Sound prägte unzählige Aufnahmen, egal ob es sich um Ray Charles’ What’d I Say, Supertramps Dreamer oder Pink Floyds Money handelt. Was muss man beim Gebrauchtkauf beachten, und wie lässt sich ein Wurlitzer E-Piano stimmen?

»Der Krieg ist der Vater aller Dinge…«, wusste schon Heraklit, und das trifft in begrenztem Maße sogar auf E-Pianos zu. Denn nicht nur Fender-Rhodes-Erfinder Harold Rhodes feierte seine ersten Erfolge als Lieferant eines tragbaren Pianos für die US Air Force, auch der aus Sachsen stammende US-Einwanderer Rudolph Wurlitzer reüssierte Mitte des 19. Jahrhunderts als Lieferant von Musikinstrumenten für die Army und schaffte sich damit eine gesunde finanzielle Basis für eine der wichtigen Companys der US-Pop-Kultur.

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1872 gründete er die Firma Rudolph Wurlitzer, die schon 1899 mit dem Tonophone ein Player-Piano mit Münzeinwurf herausbrachte, das mit einer elektrisch angetriebenen, zylinderartigen Rolle arbeitete und sich sehr gut verkaufte. Nach der Übernahme der Hope-Jones Organ Company (1910) fertigte Wurlitzer auch Kinoorgeln, Orchestrions und Musikboxen. Legendär ist die Wurlitzer 1015 Jukebox (1945), auch Bubbler genannt, weil sie mit transparenten Röhren mit blubbernden, aufsteigenden Gasblasen verziert ist. Sie wurde ein großer Erfolg, und die Firma war finanziell sehr gut aufgestellt.

Der amerikanische Showmaster Steve Allen mit einem Wurlitzer Modell 120 in den 50er-Jahren
Das Innenleben des Wurlitzer 200A
Das Haltepedal gehörte zum Lieferumfang und arbeitet mit einem Bowdenzug.
Die komplexe Hammermechanik des 200A

Von dem Erfinder Benjamin Miessner, der bereits 1930 ein elektrisch abgenommenes Piano gebaut hatte, erwarb der mittlerweile größte amerikanische Piano- und Orgel-Hersteller Wurlitzer das Patent für die elektrostatische Tonabahme. Statt Klaviersaiten verbaute man aber kleine Metallstäbe.

1954 kam mit dem E-110 das erste Wurlitzer E-Piano heraus, es folgten weitere, verbesserte Modelle (EP-111, EP-112). Diese Modelle waren mit einem internen Röhrenverstärker und einem rückseitigen Lautsprecher ausgestattet. Das erste Wurlitzer-Piano mit Transistorverstärker (EP-140) wurde 1962 vorgestellt. Die Gehäuse der 100er-Serie sind aus Holz oder Faserplatte.

Das Modell 200A ist das bekannteste Wurlitzer E-Piano. Es ist mit einem schwarzen Kunststoffgehäuse, abnehmbaren Beinen und zwei integrierten Lautsprechern ausgestattet. Seine Tastatur umfasst 64 Tasten, als Bedienelemente auf dem schicken silbernen Panel kommen der Lautstärkeregler und ein Poti für die Intensität des internen Tremolo-Effekts zum Einsatz. Das Sustain-Pedal arbeitet mit einem Bowdenzug. Das 200A kam 1974 auf den Markt und war aufgrund seines vergleichbar geringen Gewichts (es ist erheblich leichter als etwa ein Fender Rhodes) und seines durchsetzungsfähigen Sounds bei vielen Musikern sehr beliebt. Sein Vorgänger, das äußerlich ähnliche Wurlitzer 200, war schon ab 1968 verfügbar und in mehreren Farben (schwarz, grün, rot und beige) erhältlich, es litt aber an einigen Kinderkrankheiten. So sind die frühen Modelle (ohne »A«) sehr brummanfällig, weil sich die Wechsel-Stromkabel in der unmittelbaren Nähe des Verstärkers befinden. Dies trifft übrigens auch auf ganz frühe 200A-Modelle zu.

Die Hammer-Mechanik der Wurlitzer E-Pianos, die in den Grundzügen der des Klaviers nachempfunden ist, ist relativ komplex. Der Hammer trifft auf die Metallzunge (Reed), deren Schwingung vom elektrostatischen Pickup abgenommen wird. Die Tastatur lässt sich gut spielen, allerdings ist der Tastenhub nicht so tief wie beim Rhodes. Auch kann man hier nicht bedenkenlos »reinknallen«, denn dann kann sich schon mal eine Metallzunge verabschieden.

Partystimmung ohne Ende: die Wurlitzer »Bubbler«-Jukebox
Verschiedene Modellvarianten der 200er-Serie
Der amerikanische Showmaster Steve Allen mit einem Wurlitzer Modell 120 in den 50er-Jahren

Zu den Modellvarianten des Wurlitzer E-Pianos gehört das 200B, das netzunabhängig mit Batterien betrieben werden kann. Außerdem gibt es noch eine Reihe von Konsolenmodellen ohne abschraubbare Füße, bei denen das Sustain-Pedal fest in der Konsole verbaut ist. Dazu gehören u. a. die wohnzimmertauglichen Modelle 203, 210 und das nur in Europa erhältliche 300 im Klavierlook. Die Varianten 214, 215, 206 und 207 (Lehrerkonsole mit Monitorschaltern) sind rare Sondermodelle ohne Tremolo, die für den Lehrbetrieb zu einer Art E-Piano-Sprachlabor kombiniert werden können.

Die 1956 in den Universal Studios aufgenommene Session vom Afrofuturismus-Miterfinder Sun Ra ist eines der frühesten im Handel erhältlichen Alben, auf denen ein Wurlitzer E-Piano gefeatured wird. Es erschien 1957 auf Transition (Jazz By Sun Ra Vol. 1). Zu den bekanntesten Stücken mit dem Wurlitzer 200A gehören Ray Charles’ What’d I Say (1959) und Joe Zawinuls Mercy Mercy Mercy (1966 mit dem Cannonball Adderly Quintett).

Der Sound dieses E-Pianos war außerdem das Markenzeichen der britischen Rockband Supertramp. Auch andere Bands wie Pink Floyd (Money) oder Phish (deren Keyboarder das 110p, eine spezielle Schülerversion, spielte) verwendeten das Wurlitzer-Piano. Der Sound des Wurlitzer E-Pianos ist vergleichsweise scharf und mittig und setzt sich daher gut durch. Ein Fender Rhodes klingt etwas weicher und glockiger, während der Grundsound des Wurlitzer bei stärkerem Anschlag etwas aggressiver und bissiger wirkt. Spielt man etwas softer, so kann auch das Wurlitzer weicher und Vibrafon-artiger klingen. Das interne Tremolo ist ein typischer, gerne eingesetzter Effekt; allerdings kann man nur die Intensität, nicht jedoch die Geschwindigkeit des Effekts regeln.

Das Wurlitzer 200A wurde uns freundlicherweise von Dieter Roesberg zur Verfügung gestellt.


Interview mit Jens Lübke (Taste & Technik)

In Sachen Reparatur, Restaurierung oder Midifizierung von E-Pianos gehört Jens Lübke mit seiner Firma Taste & Technik (www.tasteundtechnik.de) zu den kompetentesten Fachleuten unseres Landes. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt.

Jens, was schätzt du am Wurlitzer E-Piano?

Das Wurlitzer ist ein ideales Session-Piano. Die Größe reicht aus, um zu begleiten, aber auch mal für ein Solo-Intro. Es hat seinen Monitor quasi an Bord und ist halbwegs leicht zu transportieren. Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass es im Vergleich zum Rhodes flexibler einsetzbar ist, denn der Wurlitzer-Klang passt irgendwie immer. Und ein Wurlitzer setzt sich gegen Gitarren einfach wesentlich deutlicher durch als ein Rhodes.

Welche technischen Defekte/Probleme treten beim Wurlitzer häufig auf?

Da gibt es leider sehr viele … Manches davon ist schon sozusagen systembedingt, andere Probleme kommen durch das Alter hinzu − die meisten Pianos sind ja nun bald 40 Jahre alt. Wenn dann niemals die Mechanik nachreguliert wurde, spielt sich das Piano halt entsprechend schlabbrig. Häufige Probleme sind schwergängige Achsen in der Mechanik (bei unsachgemäßer Lagerung), ausgeschlagene Tastengarnierung, abgerissene Kondensatoren für die Hochspannung in den Lötstellen, die Sicherungen auf dem Ampboard geben wegen Alterung den Geist auf, vorverdrahtete Brummschleifen im Gerät, eine ungünstige Kabelführung, der Kontakt zum leitfähig lackierten Boden des Gehäuses ist unterbrochen, die Tonerzeugung im Gehäuse reißt komplett ab, weil die Schrauben zu kurz sind, und die Hammerbezüge in den hohen Lagen sind aufgeplatzt.

Was muss man beim Gebrauchtkauf beachten?

Man sollte das Piano auf jeden Fall mal ausgiebig anspielen. Wenn man sich dann wohlfühlt und die Lautstärke und Intonation halbwegs ausgewogen und die Stimmung halbwegs ok ist, ist das schon die halbe Miete. Das Piano sollte vollständig sein inkl. Pedal und Beinen. Hier ein Test für schwergängige Achsen: Pedal treten und halten, dann alle Tasten mal anspielen und beobachten, ob alle wieder sauber hochkommen oder evtl. unten bleiben oder nur träge wieder hochkommen. Dies ist aber in 95% der Fälle behebbar.

Wie bist du an dein erstes Wurlitzer E-Piano gekommen? Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?

Das war noch zu der Zeit, in der ich das nur als Hobby betrieben habe. Ich hatte damals zwei Wurlitzers, die eigentlich als Ersatzteilspender gedacht waren. Bei dem einen war die Tastatur ganz gut, beim anderen die Tonerzeugung. Also habe ich aus-zwei-mach-eins gemacht und hatte so ein ganz ordentliches Wurlitzer. Wie bei allen mechanischen Instrumenten merkt man auch hier, dass nicht alles hundertprozentig passt und man hier und da Sachen anpassen muss.

Welche Effekt-Pedale passen gut zum Wurlitzer 200A?

Ich mag eigentlich den Wurlitzer-Klang, so wie er ist, am liebsten, natürlich immer mit dem internen Tremolo. Aber auch Wahwah oder EH Electric Mistress nutze ich ab und zu mal. Man muss aber immer mit dem Pegel des AUX-Ausgangs am Wurlitzer aufpassen. Es gibt zwei unterschiedliche Schaltungen für den AUX-Ausgang, und die eine macht ordentlich Pegel, was schnell zu Übersteuerungen führen kann. Auch Wurlitzer über Amp, z. B. der kleine Fender Blues Junior, oder ein Low-Gain Overdrive-Pedal − da habe ich gerade das ToneCity Sweet Cream für mich entdeckt − machen Spaß.

Macht eine Midifizierung des Wurlitzer E-Pianos Sinn?

Tja, das ist eine sehr individuelle Frage. Wenn man es unbedingt möchte, kann man das natürlich machen. Man muss aber bedenken, ob das bei so einer kleinen Tastatur Sinn macht … und Mod- oder Pitch-Räder gibt es ja auch nicht. Ein kleiner Vorteil des Wurlitzers ist, dass es ja sowieso einen Netzanschluss hat, so muss man für das MIDI-System nicht mit extra Steckernetzteilen hantieren, sondern kann alles intern verdrahten.

Wie kann man ein Wurlitzer 200 A stimmen?

Wurlitzer stimmen ist nichts für Ungeduldige oder Leute mit schwachen Nerven, denn gestimmt wird ja mit einer kleinen Lötzinn-Pyramide vorne auf jedem Reed. Da heißt es also: Lötzinn auftragen und mit kleinen Schlüsselfeilen wieder abtragen, bis der Ton stimmt. Zum Glück ist die Befestigungsbohrung in den Reeds ca. 1 mm grösser als die Schraube dick ist, sodass man mit dem Spiel in der Bohrung kleinere Verstimmungen abfangen kann. Man muss auch bedenken, dass am Pickup-System rund 150V DC anliegen. Die sind zwar hochohmig entkoppelt, aber empfindliche Personen spüren trotzdem was, wenn sie dort anfassen.

Ein Problem dürfte für den Nicht-Fachmann eher sein, dass man ein großes Abschirmblech und auch die Dämpfer wegschrauben muss, um da überhaupt dranzukommen. Und an einigen Stellen hat man bei offenem Gerät auch frei zugänglich Netzspannung anliegen, also: Vorsicht!

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Super Artikel, dankeschön hierfür!
    Interessant finde ich ja auch, dass Harald B. Rhodes, zunächst ebenfalls Instrumente fürs Militär entwickelte… (Quelle: http://elektronisches-piano.de/das-wurlitzer-e-piano/ )
    »Der Krieg ist der Vater aller Dinge…« halte ich aber trotzdem für ein wenig übertrieben 😉

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