Kolumne mit Peter Walsh

Time is money

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»Zeit ist Geld« … ein Satz, der in der Musikindustrie fast täglich verwendet wird, um allen klar zu machen, dass von beidem ständig zu wenig da ist! Damit wird ohne Zweifel impliziert, dass … wir uns ein wenig beeilen müssen! Wir müssen fertig werden! Eine endgültige Entscheidung muss her!

Aber es ist auch ein Satz, den ich in den letzten zwölf Monaten, seitdem das Corona-Virus über uns hereingebrochen ist, immer seltener gehört habe – das Leben wird neu bewertet, und wie wir unseren Alltag gestalten, stellt eine neue Herausforderung dar. Viele von uns mussten von zu Hause aus arbeiten. Und wir können uns echt glücklich schätzen, wenn unser Job uns dies erlaubt. Der Wechsel hat jedoch mehr verändert, als wir meinen.

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Die Wahrnehmung der Zeit hat sich verändert; sie verlangsamt sich und stoppt in vielen Fällen den externen Taktgeber, der vorher unser Leben bestimmte. Im Zusammenhang mit dem Musikmachen hat es der Verlust dieses Maßstabs schwierig gemacht, das Gleichgewicht zwischen »kreativ sein« und »einfach nur den Job erledigen« zu finden.

Charlie Burchill (Simple Minds) sagte einmal mit einem starken Glasgower Akzent zu mir: »Ye cannae put artistic creativity on a clock« [»Unter Zeitdruck kann man nicht künstlerisch kreativ arbeiten«], und in vielerlei Hinsicht hat er Recht. Die Zeit schafft jedoch eine Struktur in unserem Workflow, und da niemand ein Auge darauf hat, müssen wir uns auf unsere eingebauten Sinne verlassen, die uns sagen, wie viel Zeit für jede einzelne Phase des Produktionsprozesses angemessen ist.

Die benötigte Zeit ist natürlich für jeden von uns unterschiedlich. Wir alle haben unterschiedliche Prioritäten. Aber das Fehlen des Gefühls, dass wir nach einem üblichen Zeitplan arbeiten, kann zu einer ganzen Menge innerer Verwirrung darüber führen, wann, wie lange und – vielleicht noch wichtiger heutzutage – wie viel wir arbeiten sollten.

Natürlich ist Zeit für die meisten von uns immer noch Geld, aber die Währung scheint einen ganz neuen, nicht eindeutigen Wert angenommen zu haben. Ich bin mir nicht sicher, ob die Zeit stehen geblieben ist oder ob sie heutzutage schneller vergeht oder ob ich zu Hause nur weniger produktiv arbeite. Aber die meisten Projekte dauern definitiv länger. Was normalerweise einen Tag im Studio »outside« gedauert hat, dauert jetzt doppelt so lange zu Hause, sozusagen »inside«.

Es ist schwieriger geworden, einen kommerziellen Preis für das festzulegen, was ich tatsächlich in Bezug auf einen Tagessatz mache. In vielen Fällen wird es immer schwieriger, das Honorar für einen ganzen Arbeitstag zu rechtfertigen, wo ich weiß, dass ich nur die Hälfte dessen erreiche, was ich eigentlich an einem ganzen Tag »outside« im Studio schaffen würde.

Einer dieser Fälle ist ein Projekt, an dem ich in den letzten Monaten zu Hause gearbeitet habe – oder könnten es Jahre gewesen sein? Ich habe »remote« ein Album für meinen langjährigen Freund, die Gitarrenlegende James Stevenson, produziert und gemischt, obwohl es sich eher nach endlosem Basteln anfühlt als nach dem gut geölten Produktionsplan, den ich in der Vergangenheit eingehalten habe. Ich glaube, es ist hauptsächlich meine Schuld. Ohne den üblichen Zeitdruck hatte ich den Luxus zu beginnen, wann ich will, und aufzuhören, wann ich will. Und an manchen Tagen waren diese beiden »Zeitstempel« nicht mehr als eine Stunde voneinander entfernt.

Audiodateien aus ganz Großbritannien kamen, sagen wir, »sporadisch« von den zahlreichen Musikern, die zum Album beigetragen haben und mehr als wahrscheinlich im gleichen Takt wie ich leben. Greenwich-Lockdown-Zeit!

Sie spüren wie ich nicht den Druck – oder die Inspiration – der Deadline. Sie müssen nicht rechtzeitig fertig sein, um mit einem Tourbus zum nächsten Gig zu fahren.

Nobody’s going nowhere, mate! Niemand geht nirgendwo hin, mein Freund! Um fair zu sein, haben die meisten Künstler, mit denen ich im Laufe der Jahre zusammengearbeitet habe, das Konzept »Deadline« sowieso nie respektiert. Es wird allgemein hingenommen, dass dies in der Verantwortung des Produzenten liegt. Deshalb sehen wir Produzenten so aus, als hätten wir einige Wochen oder Monate lang nicht ein einziges Mal das Tageslicht gesehen …

Ein anderer sehr bekannter Künstler, mit dem ich mir schon einige Nächte um die Ohren geschlagen und viele Sonnenaufgänge im Studio erlebt habe, sagte einmal zu mir: »Deadlines sind da, um gebrochen zu werden, Pete!« Und er hat sie immer und immer wieder gebrochen! Jetzt möchte ich kein Spielverderber sein, aber mir hat die Idee, eine Art Cut-Off-Punkt zu haben, immer gefallen. In einem Zeitplan zu arbeiten, schafft für mich einen Rahmen, der mich auf dem richtigen Weg hält oder es zumindest tun sollte.

James Stevenson hatte ursprünglich vor, sein Album bereits fertig und auch gemischt zu haben, damit es zu »The Gathering« (»Die Versammlung«), ein Musikfestival, an dem er jedes Jahr teilnimmt und das vom 80er-Rocker Mike Peters (The Alarm) organisiert wird, erscheint. Es ist ein unglücklicher Name für ein Festival, während wir mitten in einer Pandemie stecken, findet ihr nicht auch? Und wie jeder andere Auftritt, den James für dieses und letztes Jahr auf seinem Zettel hatte, wurde »The Gathering« abgesagt (Ich habe kürzlich erfahren, dass es auf Mai 2021 verschoben wurde.)

Die Zeit steht wieder still. Es gibt also auch keinen Tourbus für James. Er geht, wie alle anderen Musiker und Künstler auf der ganzen Welt, leider nicht so schnell irgendwohin. Der einzige Silberstreifen auf einer sehr dunklen Wolke ist, dass wir jetzt mehr Zeit haben, um an seinem Album zu arbeiten, und er wird nicht wie jedes zweite Jahr in einem schlammigen Feld irgendwo im regnerischsten Teil von North Wales durchnässt. Und das führt mich zum Thema Reisen.

Früher (viele von uns werden von nun an den Begriff »Pre-Corona« verwenden) wurden so ziemlich alle meine Deadlines von Faktoren bestimmt, die eigentlich nichts mit Musik zu tun haben. Reisen ist einer der einflussreichsten. Heutzutage fällt dieser Faktor vollständig von der Sorgenliste, da wir nirgendwo hingehen. Wenn ich auf die letzten 40 Jahre zurückblicke, ist es verrückt zu sehen, wie oft ich mich gehetzt und abgemüht habe, um pünktlich fertig zu werden und um für etwas wirklich Wichtiges in meinem Leben nach Hause zu kommen: Weihnachten, Geburtstage, sogar Hochzeiten, einschließlich meiner eigenen! Und 2001 habe ich den letzten Flug von Madrid nach Hause genommen, um die Geburt meines dritten Sohnes zu erleben. Er wurde 24 Stunden, nachdem ich mit Miguel Bosé die endgültigen Vocals für das Album Sereno aufgenommen hatte, geboren. Ich habe dafür einen Latin Grammy für das »Best Male Vocal Album« bekommen.

Es ist wichtig zu erkennen, dass das Wissen, dass man einen Flug oder einen Zug nehmen muss, genau das sein kann, was einen dazu zwingt, vor der Abreise fertig zu werden. Eine Produktion war oft ein wahnsinniges Rennen, gepresst zwischen zwei Flügen. Seit Corona können wir stattdessen Hausschuhe anziehen und länger bleiben.

Ausnahmen bestätigen die Regel! Kurz vor Weihnachten wurde ich gefragt, die Musik für einen Film-Trailer zu produzieren, an dem ich bereits früher im Jahr beteiligt war. Auffällig war, dass mir nicht genau gesagt wurde, wann die Deadline war, und ich war mir daher (noch) nicht bewusst, unter welchem unglaublichen Zeitdruck ich stand. Der Penny fiel, als ich eine Überraschungs-E-Mail vom Kunden erhielt, als ich gerade loslegen wollte. »Wer auch immer die Musik für den Trailer mischt – können wir die Stems bitte in 15 Minuten haben!«

Eigentlich glaube ich nicht, dass »bitte« drinstand. Was folgte, war ein mit Adrenalin gefüllter 24-Stunden-Marathon, bei dem wir es geschafft haben, das gesamte Stück von Anfang bis Ende zu schreiben, aufzunehmen und zu mischen. Nach dem Zählen der Arbeitsstunden hatte ich natürlich das Gefühl, dass ich das Recht hatte, einen ehrlichen Arbeitstag abzurechnen, ohne mich schuldig zu fühlen. Tatsächlich glaube ich, dass ich das Doppelte berechnet habe. Zeit ist Geld!

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