Feinster Schweden-Pop aus Köln

Groenalund: Auf den Spuren des Abba-Sounds

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Es gibt wenige Bands, die ihre Fans so sehr in ihren Bann ziehen wie ABBA. Als nach 40 Jahren Pause die Reunion verkündet wurde und Fridas und Agnethas Stimmen wieder auf neuen Kompositionen von Benny und Björn zu hören waren, hatten viele Fans Tränen in den Augen. Bereits lange vor diesem spektakulären Event hat der Kölner Musiker und Komponist Martin Gerke sich daran gemacht, den ABBA-Sound wiederzubeleben – mit seiner Band Groenalund, deren Debütalbum im Februar 2022 erscheinen soll.

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In seinem Studio in Köln Ehrenfeld produziert Martin Gerke hauptberuflich Filmmusik, u. a. für ARTE; auch Produktionen mit Bands und Solokünstlern sowie Sprachaufnahmen gehören zu seinem Portfolio. Martins Herzensprojekt ist seit einigen Jahren jedoch die Band Groenalund – benannt nach eben jenem Stadtteil von Stockholm, in dem das ABBA-Museum beheimatet ist. Gemeinsam mit seinen Mitstreiterinnen. den Sängerinnen Karolin Biewald, Sarah Schumacher und Mabel Winkler, hat er es sich zum Ziel gesetzt, den Sound seiner Kindheit und Jugend neu zu beleben und fortzuschreiben. Stilecht treffen ausgefeilte Vocal-Arrangements auf analoge Synthesizer und String-Machines sowie »echte«, handgespielte Instrumente – inklusive eines Gastauftritts des einstigen ABBA-Studiogitarristen Janne Schaffer.

Martin, was fasziniert dich an der Musik von ABBA?

Die Universalität, sowohl in der Musik als auch in den Texten. ABBA sind oberflächlich und vergnügt, aber oft gleichzeitig tiefschürfend und verzweifelt. Das umspannt einen ganzen menschlichen Kosmos. Das holte mich ab als Achtjährigen, der nur klassische Musik von zu Hause aus gewohnt war, und gibt mir immer noch etwas, bis heute, gut 40 Jahre später. ABBA ist eine Lebensphilosophie, gleichzeitig populär und avantgardistisch.

Martin Gerke in den RMV Studios an Benny mAnderssons Yamaha GX-1

Von den schlagerhaften frühen Songs wie Waterloo bis zum Synth-Pop der späteren Werke wie The Day Before You Came hat sich die Musik von ABBA über die Jahre stark verändert. Trotzdem hat sie einen hohen Wiedererkennungswert. Was macht für dich den ABBA-Sound aus?

Der ABBA-Sound ist stets prall gefüllt wie eine Wundertüte; da gibt es wenig Löcher im Arrangement. Zwischen den Gesangslinien ist viel Platz für prägnante Kleinmotivik und Backgroundchöre. Die von Michael B. Tretow realisierte »Wall of Sound« gehört auch dazu. Viele Instrumente werden gedoppelt, es ist viel Kompression im Spiel. Die Drums sind druckvoll, aber im Hintergrund, damit die Arrangements vorne funkeln können. Harmonik, Rhythmik, Soundauswahl – alles dient der Melodie. In den aktuellen Charts findet man sowas nur noch selten.

Alle Tracks des Debütalbums sind Eigenkompositionen – bis auf einen: Just Like That ist ein verschollener ABBA-Song, der nie in einer finalen Version veröffentlicht wurde. Wie hast du diesen Song rekonstruiert?

Es kursieren in Fan-Kreisen diverse Fassungen davon in sehr schlechter Qualität. Je länger dieser Song von ABBA zurückgehalten wird, desto fanatischer wird dieser Song eingefordert. Der Song ist längst zum Mythos geworden; er wurde in einer Umfrage auf unserer Homepage eindeutig zur Neuaufnahme gewünscht. Wir haben dann aus allen vorhandenen Versionen die bestmögliche zusammengestellt und aufgenommen. Die ABBA-Aufnahmen von damals wirken noch unfertig, evtl. existiert in Bennys Archiv noch eine fertige Version, aber er mag den Song einfach nicht in seiner Gesamtanlage – was außer ihm und Björn kaum jemand nachvollziehen kann. Die gesamte Hintergrundstory zu diesem Song ist noch komplexer, wie man bei Magnus Palm, dem ABBA-Biographen, nachlesen kann. Ich habe meine Version zum Management geschickt, die haben das an Universal in Stockholm weitergeleitet, und dann kam das Okay, nachdem sie kurz reingehört hatten.

(Bild: Kai Myller)

Just als das Groenalund-Debüt sich der Fertigstellung näherte, kündigten ABBA nach 40 Jahren Pause ein neues Album an. Welche Gefühle löst die ABBA-Reunion bei dir aus, und wie findest du die vorab veröffentlichten Songs?

Ich war in Berlin auf der Release-Party, wo die Songs zum ersten Mal zu hören waren. Die Songs sind ohne die ABBA-Historie kaum in ihrer Tragweite zu verstehen. Es war für alle Beteiligten dort ein sehr bewegender Moment, Fridas erste Zeilen zu hören. Viele hatten Tränen in den Augen. Alle hatten jahrzehntelang die Hoffnung nicht aufgegeben, dass da vielleicht doch nochmal was kommt aus Stockholm. Und dann war es soweit: Die Liebespaare, die einst in Bitterkeit auseinander gegangen waren, machen wieder versöhnliche Musik zusammen. Was für eine unglaubliche Geschichte!

Die emotionale Bedeutung dieser Musik für die Kinderzimmer der 70er- und 80er-Jahre ist, glaube ich, enorm. Die nachkriegsbedingte emotionale Bedürftigkeit vieler Kinder in deutschen Familien konnte dort eine wärmende Quelle finden, eine Art traumafreie Übereltern. Das hat vielen geholfen, emotional zu überleben. Und deswegen sind sie alle bis heute in ihren 40ern und 50ern dieser Musik treu geblieben. Diese Musik ist Familie.

Die neuen Songs, von denen ich erst drei kenne, sind grundsolide ABBA-Songs, die das Alter der dahinterstehenden Musiker nicht verhehlen, und das ist gut so. Das widerspricht dem üblichen Pop-Narrativ, wo das Alter meist wegretuschiert wird. ABBA stehen zu sich, so wie sie sind. Auch die neuen Avatare in London relativieren das nicht. Alle drei Songs sind für mich Ohrwürmer. Dennoch müssen sie sich anstrengen gegen die eigene Legende. Einige Mitstreiter von damals sind nicht mehr dabei: Rutger Gunnarsson am Bass und vor allem der Produzent Michael B. Tretow fehlen mir im Gesamtsound der neuen Produktion. Für das durchschnittliche Fan-Ohr ist das vermutlich irrelevant, aber ich bin tief in die Analyse dieses Sounds eingestiegen und bemerke Unterschiede zwischen früher und heute natürlich sofort. Aber ich muss auch erstmal das ganze Album hören.

Für den stilechten ABBA-Sound nutzt Martin jede Menge analoge Synthesizer und String-Machines, u. a. Yamaha SY-2, Sequential Prophet- 10, Maxi-Korg 800DV, Yamaha SK30 und CS-30 sowie einen Korg Polysix.Die Philicorda-Orgel wurde für Film-Soundtracks genutzt.

Lass uns über Equipment reden! Ein wichtiger Teil des ABBA-Sounds war der Yamaha GX-1, der sagenumwobene, ultra-seltene Vorläufer des CS-80 und einer der ersten polyfonen Synthesizer überhaupt. Du hattest eine Recording-Session in Bennys RMV Studio in Stockholm, wo du Gelegenheit hattest, seinen GX-1 zu spielen. Was kannst du uns über dieses ultraseltene Instrument berichten?

Es war ein Kampf, in der Kürze eines halben Tages einen vernünftigen Sound da raus zu kriegen! Das ist wahrlich keine Preset-Maschine, sondern, wie bei Yamaha üblich, ein Instrument, das gespielt werden will. Eigentlich hätte man sich eine Woche vorher damit einschließen und üben müssen, um wirklich perfekte Ergebnisse zu erzielen. Ich habe, nachdem ich einen halbwegs brauchbaren Sound zusammengedreht hatte, ein paar Flächen für charakteristischen Stellen in diversen Songs damit aufgenommen. Falls ich nochmal wiederkomme für das zweite Album, bin ich besser auf das vorbereitet, was mich dort erwartet.

Der Sound ist unglaublich lebendig, brachial und elegant zugleich. Mit meinem neuen Prophet-10 glaube ich manchmal in die Nähe zu kommen. Zurück im eigenen Studio hat mir dieses Erlebnis auf jeden Fall nochmal dabei geholfen, wie ich meine eigenen Instrumente einstellen muss. Auch Bennys Fazioli-Flügel durfte ich spielen. Er wird in der Ballade Forgiven zu hören sein, die im Dezember rauskommen soll.

ABBAs legendärer Studiogitarrist Janne Schaffer hat auf dem Groenalund-Album mitgewirkt.

Welche Instrumente setzt du in deinem eigenen Studio ein? Du komponierst ja hauptberuflich vor allem Filmmusik – nutzt du für alle Arbeiten dieselben Tools, oder verwendest du für Groenalund ein spezielles Instrumentarium?

Die Arbeitsweise unterscheidet sich grundlegend. Bei Filmmusik geht es um eine schnelle Arbeitsweise und um kostengünstige Herstellung. Deswegen arbeite ich da mit Sample-Libraries und Synthese-Plug-ins, wie meine Kollegen auch.

Für Groenalund sind Sample-Libraries grundsätzlich nicht erlaubt. Und das Arbeiten mit analogen Synthesizern der 70er und 80er und sonst nur mit realen Instrumenten hat natürlich Auswirkungen auf das Endergebnis. Das kostet viel Zeit und Geld, aber in der Summe wird die Tatsache, dass alles echt ist, immer deutlicher. Der direkte Zugriff auf die Klanggestaltung, der analoge Weg durch Effekte und Preamps – diese Ästhetik lässt sich in letzter Konsequenz nur schwer im Rechner simulieren.

Ein bisschen Modular muss sein! Darunter eine Roland RS-505 String Machine

Neben einem neuen Prophet-10 und bekannten Klassikern wie dem Juno-106, einem Korg Mono/Poly und dem Polysix besitzt du einige seltenere Vintage-Instrumente, u. a. einen Maxi-Korg 800DV sowie einen SY-2, einen CS-30 und einen SK30 von Yamaha. Sind das die geheimen Ingredienzen des Groenalund/ABBA-Sounds?

Ich habe gezielt nach Instrumenten gesucht, die mir etwas vom typischen ABBA-Synth-Sound geben. Der SY-2 hat ja sogar direkte Verwandtschaft mit dem GX-1; es sind die gleichen Oszillatoren und Filter darin verbaut; und er ist sehr expressiv spielbar per Fußpedal und Aftertouch. Auch die anderen Yamahas, der SK30 und der CS-30, sind direkte Nachfahren des GX-1. Beide klingen elegant und betten sich gut in meine Arrangements ein.

Der Juno-106 und der Mono/Poly klingen fast zu sehr nach 80ern; den Juno benutze ich für Groenalund deswegen fast gar nicht. Aber der Polysix kommt relativ oft vor. Er kriegt diese PWM-Flächen am besten hin, wie im Intro von Lay All Your Love On Me. Der 800DV ist wunderbar für alles grollende, tieftönige, aber auch für flötenähnliche Motive. Er ist sehr charakterstark und eigen.

Ich sehe außerdem ein ganzes Arsenal an String Machines …

Das analoge Synthetik-Streichensemble ist so ein spezielles Ding von mir. Ich schreibe generell sehr gerne für Streicher, ob nun echte oder analog-synthetische. Für beides braucht man viele Klangnuancen. Das seidig, hoch Singende erledigt der Korg Lambda, den Breitwandsound und voluminösen Bass der RS-505; die schnelleren Strings, die sich etwas mehr durchsetzen kommen vom SK30 usw. Ich mische meist mehrere Spuren und Instrumente zu einem homogenen Gesamtklang zusammen. Alle Einzelspuren haben dann individuelle Filterverläufe und unterschiedliche Vibrato-Geschwindigkeiten, wie es eben auch in einem echten Streichorchester wäre. Das Endergebnis ist dann einfach lebendiger. Die Synths werden immer von Hand eingespielt. Nur wenn eine Sequenzer-Ästhetik ausdrücklich gewünscht ist, kommt auch einer zum Einsatz.

Gibt es Effekte, die für den ABBA-Sound wichtig sind?

Ja, der MXR-Flanger ist wichtig, der kommt beim Piano oft auf das mittige Signal. Ich arbeite auch viel mit Vocoder-Flächen, die dem Refrain leicht untergeschoben werden, für Extrafülle. Und ansonsten: doppeln, doppeln, doppeln!

Gemischt wird in der DAW – dank Mackie/Emagic-Controllern aber mit analogem Feeling.

Ein enormer Teil des ABBA-Sounds sind natürlich die Stimmen von Agnetha und Frida, die einen hohen Wiedererkennungswert haben und perfekt miteinander harmonieren. Bei Groenalund gibt es gleich drei Sängerinnen. Wie hast du sie gefunden? Hat Stimmähnlichkeit zu den großen Vorbildern eine Rolle gespielt?

Einer der Gründe, warum wir drei Sängerinnen haben ist, dass wir uns von ABBA unterscheiden wollen. Wir werden mit der Zeit immer deutlicher auch eigene Wege gehen, auch wenn wir momentan einen recht authentischen ABBA-Sound liefern können. Das liegt zunächst an den Stimmen von Karolin Biewald (Mezzosopran) und Sarah Schumacher (Sopran), zwischen deren Timbres eine ähnliche Chemie herrscht wie zwischen Agnetha und Frida. Mit den beiden kriegen wir diesen typischen ABBA-Refrain-Sound überzeugend hin. Die dritte im Bunde, die aber eigentlich zuerst da war, Mabel Winkler, bringt nochmal eine expressiv rockig-bluesigere Klangfarbe ein. Auch die Kombination aller drei Stimmen ermöglicht ein weites Feld verschiedener Klangfarben, das ich noch gar nicht komplett erforscht habe.

Mabel war gesetzt, Sarah fand ich durch Zufall in einem Video von »Jugend musiziert«, und Karo haben wir dann per Anzeige gezielt als tiefer angelegte Stimme gesucht. Wir sind menschlich und musikalisch super zufrieden mit dieser Konstellation.

Für einige Parts hast du den legendären Studiogitarristen Janne Schaffer engagiert, der auf vielen ABBA-Songs mitwirkte. Was ist für dich das Besondere an seinem Spiel?

Sein beseelter, expressiver Ton. Man bucht ihn nicht für die Begleitung, man bucht ihn für ein frei improvisiertes Solo, für seine kreativen Einfälle, die er beisteuert. Sein Sound ist unverwechselbar und am besten auf Eagle von ABBA zu identifizieren. Das war immer eine meiner Lieblingsnummern. Jannes Anteil am Gesamtsound ist dort besonders groß. Als Janne zugesagt hatte, haben wir uns riesig gefreut in der Band!

Das Groenalund-Debütalbum soll im Februar 2022 erscheinen; vorab werden mehrere Singles veröffentlicht.

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