Retro-Futurismus in Stereo

AKG Lyra – USB-Podcast-Mikrofon im Test

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(Bild: Dr. Andreas Hau)

Podcast-Mikrofone sind fast ausnahmslos auf eine einzige Kernaufgabe optimiert: die Übertragung eines Sprechers unmittelbar vor dem Mikrofon. Was aber, wenn man mehrere Sprecher und Sprecherinnen gleichzeitig einfangen möchte, vielleicht gar eine ganze Diskussionsrunde in Stereo? Oder einen musikalischen Beitrag, etwa von einem Singer/Songwriter mit Gitarre? AKG hätte eine Lösung!

Schon optisch ist das AKG Lyra ein Statement: Sein Design ist gleichermaßen gewagt und traditionell, denn die eckige, konisch zulaufende Form erinnert an die ikonische Silhouette von AKGs wohl bekanntestem Mikrofon, dem C 414, das in verschiedenen Inkarnationen von 1970 bis heute das Vorzeigeprodukt geblieben ist. Das AKG Lyra (Produktnummer C44-USB) ist aber viel größer! Ich war wirklich überrascht, als ich es aus dem Karton nahm; auf Fotos wirkte die junge Dame zierlicher. Mit Abmessungen von 149 x 70 x 47 mm (70 mm mit Reglerkappen) hat es das doppelte bis dreifache Gehäusevolumen meines alten C 414 EB P48. Dabei wird doch sonst alles immer winziger! Aber der voluminöse Mikrofonkorb aus perforiertem Metall (schönen Gruß von meinem alten Braun Sixtant Herrenrasierer!) muss nicht nur eine, sondern gleich vier Mikrofonkapseln beheimaten, nämlich je zwei in einem weiten Winkel nach vorne und nach hinten.

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Bis auf den Korb besteht der Body des AKG Lyra weitgehend aus Kunststoff; der optische und haptische Eindruck ist dennoch wertig. Die Kombination aus Silber-matt und Graublau in Kombination mit der elegant-kantigen Formgebung versprüht ein gewisses 60s-Flair. Das Lyra ist ein echter Hingucker und wirkt teurer, als es kostet, nämlich gerade mal 169 Euro (Listenpreis). Dabei wurde an der Ausstattung nicht gespart: Zum Lieferumfang gehört ein elegant geschwungener Tischständer, der wie der Haltebügel aus massivem Metall besteht, was eine exzellente Standfestigkeit garantiert. Die Unterseite der Aufstellfläche ist gummiert, um ein Verrutschen zu unterbinden und Körperschallübertragung zu minimieren. Alternativ lässt sich das Lyra über seinen Haltebügel auch an einem Mikrofonstativ oder einem broadcast-typischen Tischmikrofonarm montieren.

Das AKG Lyra mit seinen Eltern: »Ganz wie die Mutter: universell und umschaltbar«, sprach das C 414. »Das smarte Aussehen hat Lyra von mir!«, schmunzelte der Braun Sixtant, von Beruf Herrenrasierer.

Technisch betrachtet

Die vier Mikrofonkapseln haben jeweils Nierencharakteristik und sind in Elektret-Technik gefertigt, d. h., die Polarisationspannung ist in der Kondensatorkapsel »eingefroren«. Das hat für ein USB-Mikrofon den Vorteil, dass eine Spannungswandlerschaltung entfallen kann, was Kosten spart und auch ein paar Milliampere des knapp bemessenen USB-Speisestroms. Über einen rückseitigen Drehschalter lassen sich vier Modi aktivieren, die auf der Vorderseite per LED angezeigt werden: Front, Front & Back, Tight Stereo und Wide Stereo. In der Stellung Front werden die vorderen beiden Kapseln mono summiert, in der Stellung Front & Back bilden alle vier Nierenkapseln eine Mono-Summe. Bei Tight Stereo liegen die vorderen beiden Kapseln auf den beiden Stereokanälen, bei Wide Stereo liegen die Kapseln links vorne und hinten auf dem linken Kanal und rechts vorne und hinten auf dem rechten Kanal.

Das Mikrofon-Gain wird ebenfalls rückseitig über ein stufenloses Drehpoti geregelt. Auf der Unterseite gibt es neben dem obligatorischen USB-Port im modernen Typ-C-Format einen Kopfhörerausgang im Miniklinkenformat. Dessen Ausgangspegel lässt sich über einen frontseitigen Endlos-Drehregler justieren. Ebenfalls auf der Mikrofonfront befindet sich eine Mute-Taste, die jedoch ein mechanisches Klickgeräusch verursacht und sich daher nicht so recht als Räuspertaste eignet.

Der frontseitige Knopf regelt den Kopfhörerpegel; die LEDs zeigen den Aufnahmemodus an: nach vorne oder nach vorne und hinten gleichzeitig, jeweils in Mono oder in Stereo.

Da alle Einstellungen direkt am Gerät getätigt werden und auch das Monitoring bereits eingebaut ist, kommt das AKG Lyra ohne Treiberinstallation aus; einzige Softwarebeigabe ist eine Lizenz für Ableton Live 10 Lite. Am Mac und unter Windows wird das Lyra automatisch erkannt und mit den Systemtreibern betrieben. Prinzipiell läuft es in Verbindung mit Apples Lightning-Adapter auch am iPad bzw. iPhone, allerdings nur, wenn ein aktiver USB-Hub dazwischengeschaltet ist, denn das Lyra zieht mehr Bus-Power als für iOS-Devices erlaubt. Laut Hersteller sollte sich das Lyra auch an Android-Devices betreiben lassen, was ich mangels eines Micro-USB-Adapters für mein Samsung S7 jedoch nicht nachprüfen konnte.

Auf der Rückseite werden das Aufnahmepattern per Stufenschalter gewählt und der Mikrofonpegel eingestellt.

Aufgrund des internen Direkt-Monitorings ist die Latenzperformance in den vorgesehenen Anwendungen irrelevant. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es keine ASIO-Treiber gibt, die manche Windows-Software voraussetzt. Hier muss man sich mit Universaltreibern wie dem Generic-ASIO-Treiber in Cubase oder ASIO4All behelfen. Wer mit dem Lyra Overdubs aufnehmen möchte, muss die Lautstärke des Playbacks in der DAW-Software regeln; einen Mix-Regler bietet das Lyra nicht.

Im Vergleich zu anderen USB-Mikros mit internem Monitoring ist der Kopfhörerausgang recht pegelstark. Trotzdem sollte man einen Kopfhörer mit hoher Empfindlichkeit und nicht allzu hoher Impedanz wählen, denn Wunder kann auch das Lyra nicht wirken. Der Speisestrom eines USB-2.0-Ports ist eben begrenzt.

Die Unterseite des AKG Lyra.

Klang & Praxis

Das AKG Lyra hat einen sauberen Sound mit einer hörbaren Betonung der oberen Frequenzen. Wie meine Messungen zeigen, fällt der Frequenzgang zu den Bässen ab; unter 200 Hz beginnt sich die Kurve allmählich zu senken, was bei geringen Lippenabständen durch den Nahbesprechungseffekt ausgeglichen wird. Für einen »amerikanischen« Sprechersound mit Barry-White-Bassvolumen muss man sich dem Lyra schon auf weniger als 10 cm nähern. Glücklicherweise ist die Poppempfindlichkeit recht gering. Die Mitten werden über einen weiten Bereich von 300 Hz bis 8 kHz weitgehend linear abgebildet; darüber folgt ein schmaler Einbruch bei 9 kHz, der vermutlich der Gehäuseform, genauer gesagt, der Geometrie des Mikrofonkorbs geschuldet ist. Bei etwa 12 kHz kommt es zu einer relativ schmalbandigen Höhenanhebung um 6 dB. Bis auf diesen Ausreißer liegt fast die gesamte Response von 100 Hz bis 20 kHz in einem Schlauch von ±3 dB.

AKG spezifiziert den Grenzschalldruckpegel mit 129 dB SPL, was für alle angestrebten Anwendungen mehr als ausreicht. Das Mikrofonrauschen ist nicht spezifiziert. Nach meinem Höreindruck liegt das Eigengeräusch im üblichen Bereich preisgünstiger Kleinmembrankapseln, d. h. bei etwa 18–20 dB-A. Auch das ist für Podcast-Applikationen absolut ausreichend.

Die verschiedenen Aufnahmemodi sind durchweg sehr brauchbar und praxisorientiert. Der Front-Modus hat, obwohl hier zwei Kapseln summiert werden, eine präzise, konkrete Mitte, die etwas präsenter klingt als Schall, der von den Seiten eintrifft. Das könnte man bei einem Studiomikrofon kritisieren, ist für ein Podcast-Mikro, das üblicherweise in akustisch suboptimalen Räumlichkeiten verwendet wird, aber sogar von Vorteil, weil sich die Stimme auch bei etwas weiteren Lippenabständen klar von den Umgebungsgeräuschen absetzt. Letztere werden zwar nicht so stark unterdrückt wie von dynamischen Broadcast-Mikros, auch weil diese für noch kürzere Lippenabstände ausgelegt sind. Aber der Sprecher-Sound ist dennoch klar und tendenziell feiner aufgelöst. Die Höhenbetonung sorgt für eine sehr gute Sprachverständlichkeit. Insgesamt ist das Klangbild des AKG Lyra eher »europäisch « geprägt, d. h., der Bass ist eher schlank, zumindest bei Verwendung des mitgelieferten Tischständers und dem so vorgegebenen Lippenabstand von etwa 30 cm.

Die vier Kleinmembran-Kondensatorkapseln in Elektret- Technik zeigen bei 33 cm Abstand einen sanften Abfall der tiefen Frequenzen unter 200 Hz und eine recht schmalbandige Höhenbetonung bei 12 kHz. Die Mitten werden weitgehend linear abgebildet.

Schaltet man auf Tight Stereo, erhält man genau das: ein Stereobild, das ganz bewusst nicht allzu breit wirken soll. Damit eignet sich dieser Modus besonders für Gesang mit Gitarrenbegleitung, denn in solchen Situationen geht es ja nicht darum, eine möglichst weite Stereobühne zu präsentieren, sondern eine Art »breites Mono«, wo unaufdringliche Stereoanteile dafür sorgen, dass das Klangbild nicht langweilig wird. Gerade in der Kopfhörerwiedergabe (heute bekanntlich der Normalfall) wirkt reines Mono eintönig; die Musik scheint aus dem eigenen Kopf zu kommen. Eine Prise Stereo, weniger als Richtungsinformation, denn als Ausdehnung und Tiefe, bereichert das Hörerlebnis ungemein. Interessant ist, dass auch Schall, der von schräg oben eintrifft, sehr laut und klar aufgenommen wird. Das hilft beim Ausrichten des Lyra auf einen singenden Gitarristen.

Die Modi Front & Back und Wide Stereo nehmen nach allen Seiten auf und damit naturgemäß auch mehr Umgebungsgeräusche. Sie bieten sich daher nur an, wenn mehrere Leute am Tisch sitzen und man das Mikro in die Mitte stellt. Ältere Leser kennen solch gesellige Runden aus der Zeit vor 2020, aber irgendwann, so gegen Ende 2021, könnten diese beiden Modi wieder extrem nützlich werden. Bis dahin bleiben sie Science-Fiction aus vergangenen Tagen – auch hier eine Art Retro-Futurismus!

Fazit

Das AKG Lyra ist ein technisch wie optisch attraktives Mikrofon, das alles bietet, was man für Podcasts oder den eigenen YouTube-Kanal benötigt. Gerade für videobasierte Formate bietet es einige Vorteile, denn ob seiner Konstruktion muss es nicht super nah positioniert werden, sodass es den Mund nicht verdeckt. Die charakteristische Silhouette setzt außerdem einen unaufdringlichen optischen Akzent mit einem gewissen Retro-Charme, ohne deshalb altbacken zu wirken.

Mit seinen vier Aufnahmemodi ist das Lyra auf die meisten Szenarien vorbereitet. Es lässt sich übrigens auch im laufenden Betrieb umschalten, ohne dass es zu Aussetzern kommt. So kann man das Mikrofon für Sprachbeiträge monofon betreiben und für Musikeinspielungen auf Stereo schalten (»Da habe ich einen Song für dich«, sprach Kermit, der Frosch). Auch das interne Direkt-Monitoring mit echten Knöpfen zum Anfassen weiß zu überzeugen – bis auf die Tatsache, dass eine gewisse Empfindlichkeit für Handgeräusche vorliegt. Nachregeln während der Aufnahme sollte man möglichst nicht. Wünschenswert wäre vielleicht auch ein ASIO-Treiber für den Windows-Betrieb, aber in den Kernanwendungen, d. h. Sprachaufnahmen, kommt man in aller Regel auch ohne einen solchen aus. Der Sound jedenfalls weiß zu überzeugen, vor allem wenn man einen eher natürlichen Klang bevorzugt. Für die bassbetonte »American Announcer Voice« wie im Kino-Trailer gibt es geeignetere Kandidaten. Das AKG Lyra überzeugt mit einem echten, authentischen Klangbild und der Option auch gesellige Diskussionsrunden einzufangen – in einer hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft, wenn die Pandemie besiegt ist.

AKG Lyra

Hersteller/Vertrieb: AKG

UvP/Straßenpreis: 169,– Euro / ca. 126,– Euro

Internet: de.akg.com; www.audiopro.de

Unsere Meinung:
+++ vier Mikrofonmodi für typische Szenarien
++ integriertes Direkt-Monitoring
++ gelungenes Design inkl. hochwertigem Tischständer
++ sehr preisgünstig
– empfindlich für Handgeräusche

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