Anschlagsdynamik (Velocity) bei Keyboards und Synthesizern: Bedeutung, Geschichte und Praxis
Wer mit Tasten spielt, begegnet dem Begriff Anschlagsdynamik, im Englischen Velocity, sehr schnell. Trotzdem herrscht oft Unsicherheit: Was misst Velocity eigentlich, wofür braucht man sie in der Praxis, seit wann gibt es sie – und sind alle Keyboards überhaupt anschlagsdynamisch? In diesem Beitrag bekommst du einen klaren Überblick, damit du deine Sounds künftig bewusster und musikalischer formst.
Was Anschlagsdynamik (Velocity) wirklich ist
Kurz gesagt beschreibt Velocity, wie schnell eine Taste beim Anschlag bewegt wird – und daraus abgeleitet wie kräftig du spielst. Elektronische Tasteninstrumente wandeln diese Spielnuance in einen numerischen Wert um (klassisch 0–127). Dieser Wert steuert anschließend Parameter im Klang: meist die Lautstärke, sehr häufig aber auch die Hüllkurven, Filteröffnung, Sample-Layer oder Modulationsstärke.
Dadurch klingt ein Part lebendig, denn jede Note reagiert ein wenig anders. Spielst du z.B. eine weiche Strophe, entstehen kleinere Velocity-Werte; im Refrain drückst du energischer zu und das Instrument öffnet sich klanglich – ganz ohne zusätzliche Controller.
Wie die Messung funktioniert
Moderne Keyboards erfassen Velocity typischerweise über zwei Schaltkontakte pro Taste oder per hochauflösender Scans: Der Zeitabstand zwischen „Kontakt A“ und „Kontakt B“ ergibt die Anschlagsgeschwindigkeit. Je kürzer die Zeit, desto höher der Velocity-Wert.
Weil Hände, Spielhaltung und Tastenmechaniken sehr unterschiedlich sind, bieten viele Instrumente Velocity-Kurven (soft, normal, hard). Damit passt du die Empfindlichkeit an: Eine „soft“-Kurve liefert schon bei leichtem Spiel hohe Werte – praktisch für sanfte Finger oder kurze Minikeys. Eine „hard“-Kurve dagegen sorgt dafür, dass du kräftiger zulangen musst, bis der Sound richtig „aufmacht“.
Seit wann gibt es Velocity?
Als Standard hat sich Anschlagsdynamik mit MIDI 1.0 (ab 1983) durchgesetzt. Viele legendäre Synthesizer dieser Ära – etwa digitale FM- oder hybride Polysynths – reagierten bereits auf Velocity, teilweise zusätzlich auf Aftertouch. Davor waren die meisten analogen Keyboards nicht anschlagsdynamisch; Orgeln und frühe Synthesizer verhielten sich eher „on/off“.
Mit MIDI 2.0 steht heute außerdem eine höhere Auflösung bereit, wodurch Nuancen noch feiner abgebildet werden können. In der Praxis bleibst du jedoch weiterhin kompatibel, denn Geräte interpretieren Velocity je nach Fähigkeiten – wichtig ist vor allem, dass dein Keyboard überhaupt dynamisch sendet.
Sind alle Keyboards und Synths anschlagsdynamisch?
Nein. Stage-Pianos und viele moderne Workstations sind fast immer anschlagsdynamisch, häufig mit Hammer- oder gewichteter Mechanik. Orgel-Keyboards und echte Orgeln sind es meist nicht, weil der Orgelklang traditionell keine Lautstärkedynamik pro Taste kennt; Ausdruck entsteht dort über Zugriegel, Percussion und Spieltechnik.
Auch bei kompakten Synths, Keytars oder Einsteiger-Minikeys findet man immer wieder feste Anschläge ohne Velocity. Bei Drum-Pads ist Velocity dagegen verbreitet, da die Spielstärke für Groove und Artikulation entscheidend ist. Wenn du unsicher bist, lohnt der Blick ins Datenblatt: „Velocity-sensitive“ (anschlagsdynamisch) ist ein eigenes Feature.
Wofür man Velocity in der Praxis braucht
Weil Velocity so vielseitig ist, lohnt ein bewusster Einsatz – im Live-Setup ebenso wie im Studio:
- Lautstärke & Attack: Leise gespielte Noten starten weicher, laute knallen präziser. Das macht Pianos, E-Pianos und Drums glaubwürdig.
- Filter & Brillanz: Je stärker der Anschlag, desto weiter öffnet sich das Filter – Pads und Leads reagieren dadurch musikalisch, ohne dass du ständig am Cutoff-Drehregler hängen musst.
- Sample-Switching: Mehrere Layer (z.B. verschiedene Snare-Samples) werden je nach Velocity automatisch ausgewählt, was den Sound „akustischer“ wirken lässt.
- Modulation & Ausdruck: Velocity kann Vibrato-Intensität, FM-Index oder Wavetable-Position steuern, wodurch du mit den Fingern formen kannst, statt nur zu programmieren.
- Mix & Arrangement: Dynamik schafft Platz. Sanft gespielte Begleitfiguren treten zurück, betonte Noten tragen die Melodie.
Velocity vs. Aftertouch – wo liegt der Unterschied?
Velocity entsteht beim Anschlag. Aftertouch reagiert dagegen nach dem Anschlag auf Druckveränderungen am gedrückten Key. Monophoner Aftertouch wirkt meist auf alle gehaltenen Töne, polyphoner Aftertouch (oder MPE) erlaubt es, einzelne Töne separat zu modulieren. In vielen Setups ergänzen sich beide hervorragend: Velocity formt den Start der Note, Aftertouch steuert den Verlauf.
Tipps für bessere Ergebnisse – schnell umgesetzt
Auch ohne Menü-Marathon kannst du schnell mehr Ausdruck herausholen. Wähle zunächst eine passende Velocity-Kurve, damit dein natürlicher Spielstil zu verlässlichen Werten führt. Route Velocity im Synth nicht nur auf Lautstärke, sondern zusätzlich behutsam auf Filter, Hüllkurven-Amount oder Waveshaping. In der DAW helfen dir Velocity-Editoren, um uneinheitliche Takes zu glätten oder bewusst Akzente zu setzen. Und falls du Orgel-Sounds spielst, ist „Fixed Velocity“ (z.B. 127) oft sinnvoll, damit der Klang über den Anschlag nicht ungewollt dünner wird.
Brauche ich unbedingt ein anschlagsdynamisches Keyboard?
Wenn du Piano-, E-Piano-, Clav- oder Drum-Sounds ernsthaft spielen willst, lautet die Antwort klar ja. Du profitierst sofort von natürlicheren Transienten, lebendigen Grooves und einem besseren Mix-Fit. Für klassische Orgelsounds, step-basierte Sequencer-Linien oder rein modulare Experimente ist Velocity dagegen weniger entscheidend. Trotzdem gilt: Selbst bei elektronischen Klängen sorgt sie für mehr Musikalität, weil du mit derselben Handbewegung gleich mehrere Parameter „mitspielst“.
Fazit: Anschlagsdynamik/Velocity bei Keyboards und Synthesizern
Anschlagsdynamik/Velocity ist die zentrale Übersetzung zwischen deiner Fingertechnik und dem Klangverhalten eines elektronischen Instruments. Seit den frühen 1980ern gehört sie zum Fundament des MIDI-Workflows – und sie bleibt es, weil Musik von Nuancen lebt. Wer Velocity gezielt einsetzt, spielt nicht nur lauter oder leiser, sondern formt Charakter, Präsenz und Ausdruck jeder einzelnen Note.

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