Vintage-Synthesizer gebraucht kaufen: typische Defekte, Modellfallen & eine praxisnahe Checkliste
Vintage-Synthesizer sind fantastisch – klanglich eigen, inspirierend und oft wertstabil. Gleichzeitig altern Bauteile, Displays und Tastaturen, und manche Serien haben berüchtigte „Serienfehler“. In diesem Guide erfährst du, woran viele Klassiker schnell kranken, wie du diese Probleme beim Test entlarvst und was du im Inserat gezielt abfragst. Der Fokus liegt auf Synthesizern und Keyboards; bei Rackmodulen gehe ich separat auf typische Elektronik- und Display-Themen ein.
Vor dem Kauf: so testest du richtig
Bevor du dich in Details verlierst, nimm dir ausreichend Zeit für einen systematischen Funktionstest. Idealerweise spielst du das Instrument kalt an (direkt nach dem Einschalten) und nach 20–30 Minuten noch einmal, weil Wärmefehler dann sichtbar werden.
1) Netzteil, Grundzustand, Erwärmung
Schaltet der Synth sauber ein? Surrt etwas, riecht’s nach „Elektronik“ oder Ozon? Flackernde Displays, Brummen am Audioausgang oder stark abweichende Stimmung deuten häufig auf Netzteil-/Kondensatorprobleme hin.
2) Tastatur & Aftertouch
Spiele langsames Legato und Akzente über die ganze Klaviatur. Fehltrigger, doppelte Noten, tote Tasten, ungleichmäßiges Velocity/Aftertouch weisen auf Kontaktgummis, oxidierte Leiterbahnen oder ermüdete Aftertouch-Sensoren hin.
3) Regler, Fader, Encoder
Drehe und bewege alle Bedienelemente. Kratzen im Audio, Springen/„Hüpfen“ von Werten oder Totzonen sind Klassiker. Encoder reagieren oft auf Kontaktreiniger nur kurzfristig; Tausch ist nachhaltiger.
4) Speicher, Batterie, SysEx
Prüfe Speicherplätze, Write/Save, Werkreset und wenn möglich SysEx-Dump. Eine leere/auslaufende Batterie führt zu vergessenen Patches – bei einigen Korgs verursachten ausgelaufene Akkus sogar Leiterbahnfraß (siehe unten).
5) Audio: alle Stimmen, alle Ausgänge
Durchsteppe Presets, halte lange Akkorde und höre, ob eine Stimme verstimmt, leiser oder verzerrt ist. Teste Einzelausgänge, Kopfhörer und Effektwege. Schalte Chorus/FX testweise ab, um Voice-Chip-Fehler klarer zu hören.
Typische Schwachstellen – Modelle & wofür sie bekannt sind
Im Folgenden nenne ich häufige Problemzonen und konkrete Synths, bei denen sie gehäuft auftreten. Das bedeutet nicht, dass jedes Exemplar betroffen ist – aber genau dort solltest du genauer hinschauen.
Roland
„Red-Glue“ (rot klebende Tastengewichte):
Bei einigen 90er-Keybeds hat sich der rote Kleber der Gewichte über die Jahre verflüssigt und tropft in die Mechanik, bis Tasten klemmen. Besonders oft genannt: JD-800, JV-80/JV-90, XP-50/XP-60/XP-80, D-70, U-20. Achte beim JD-800 zusätzlich auf knisternde Fader und defekte Tasterkappen; eine Keybed-Sanierung (Gewichte tauschen/neu kleben) ist machbar, aber zeitintensiv.
Juno-106 (80017A-Voice-Chips):
Bekannt für ausfallende/kratzende Stimmen durch vergossene Chips. Beim Test einzelne Noten halten und Stimmen „durchrotieren“ lassen. Austausch durch Repro-Chips ist gängig; Sliderreinigung fast immer fällig.
D-50/D-550:
Meist Tastermatten (Kontaktprobleme), EL-Backlight ermüdet (dunkles Display, teils Inverter-Fiepen). Aftertouch (falls vorhanden) ist oft sehr schwach – checke realistisch deine Erwartungen.
JV-/XP-Workstations:
Neben Red-Glue bei bestimmten Tastaturen sind Encoder/Taster und Diskettenlaufwerke (wo vorhanden) Kandidaten. Backup der Patches und Test der Erweiterungsslots (SR-JV80-Boards) sind Pflicht.
Korg
Polysix / Poly-61 (NiCd-Batterie):
Der Klassiker: auslaufende Akku-Batterie zerstört Leiterbahnen (v. a. Polysix-KLM-Board). Schon grünliche/krustige Spuren sind Alarmzeichen. Reparaturen reichen von Reinigung & Leiterbahn-Reparatur bis Board-Tausch.
Trinity/Triton (Touchscreen & Inverter):
Touch-Folien altern, Kontrast und Hintergrundbeleuchtung lassen nach. Prüfe Touch-Kalibrierung und tote Zonen am Bildschirm. Netzteile und Lüftergeräusche (bei großen Workstations) ebenfalls checken.
DW-8000/Poly-800:
Häufig Aftertouch (DW-8000) nahezu wirkungslos und Taster prellen. Beim Poly-800 sind Membrantasten und Batterie-Mods ein Thema.
Yamaha
DX7 / DX7II:
Membrantaster werden widerspenstig, EL-Backlight dunkelt aus, Inverter pfeift. Beim DX7II ist Aftertouch oft unregelmäßig; Tonhöhenrad (Potiverlauf) prüfen.
SY77/SY99:
Diskettenlaufwerk (Riemen), Tastermatten, LCD-Hinterleuchtung; Aftertouch und Netzteil-Elkos können Alter zeigen. Prüfe FM-/AFM-Parameteränderungen am Panel auf Encoder-Sprünge.
Sequential/Oberheim
Prophet-5 (Rev2/Rev3):
Stimmstabilität und Keyboard-Bushings (gummierte Lager) altern, wodurch das Spielgefühl schwammig wird. Netzteil-Recap ist oft schon passiert – Beleg geben lassen.
Oberheim Matrix-6/1000:
Taster/Encoder zickig, Firmware-Trägheit (Matrix-1000) bei Parameterfahrten. Batterie und CEM-Chips im Blick behalten.
Ensoniq & Kurzweil
Ensoniq ESQ-1/SQ-80:
Varta-Batterien altern (Speicherverlust), Tastenkontakte und Taster neigen zu Aussetzern. Displays werden blass.
Kurzweil K2000/K2500:
LCD-Backlight, Taster und gelegentlich Netzteil-Lötstellen. Unbedingt Sample-Optionen, ROM-Erweiterungen und SCSI/Flash auf Funktion testen.
Rackmodule, Sampler & Co.
Roland JV-1080/2080, JD-990:
Elektronik meist robust. Kritisch sind Buttons/Encoder, Displays und Speicherbatterie. Ausgänge auf Pegelgleichheit prüfen, Erweiterungskarten erkennen lassen.
Akai S-Series (S1000/S3000) & E-mu ESI/E4:
EL-Displays dunkeln, Laufwerke (Floppy/SCSI) und Lüfter sind Themen. Teste digitale I/Os (falls vorhanden) sowie Sample-RAM per Memory-Check.
Woran du defekte Bauteile erkennst – ohne Labor
- Voice-Chips/Analogfehler: Im Unisono und mit langem Release hörst du verstimmte Einzelschwingungen oder kürzeres Ausklingen einzelner Stimmen.
- Kontaktprobleme an Tasten: Bei langsamen Läufen treten plötzlich harte Velocity-Spitzen oder Note-Off-Hänger auf.
- Encoder/Slider: Werte springen rückwärts oder überspringen Schritte; im MIDI-Out sieht man teils „zitternde“ Controller-Daten.
- Batterieprobleme: Werkpresets fehlen nach dem Ausschalten, Uhrzeit/Settings gehen verloren, oder der Synth bootet mit Fehlermeldung.
- Display/Inverter: Sehr dunkle Anzeige oder hochfrequentes Fiepen – gerade bei EL-Folien typisch.
Was du im Inserat abfragst – und warum
Bitte den/die Verkäufer:in um klare Aussagen zu:
- Servicehistorie (Recap, neue Batterie, Keybed-Überholung, Ersatz-Voice-Chips).
- Defekte/„Macken“, auch wenn „nur kosmetisch“.
- Hochauflösende Fotos von Innenleben bei Polysix/Poly-61 (Batterie-Zone), von Keybeds (JD-800/XP/JV-80) und Display im Betrieb.
- Zubehör & Erweiterungen (ROM-Boards, Karten, Original-Netzteile) – das beeinflusst den Wert stark.
- Rückgabemöglichkeit bei Versandkäufen oder wenigstens einen Live-Test vor Ort.
Realistische Reparatur-Einschätzungen (grob)
- Batteriewechsel inkl. Halter: meist klein (Material wenige Euro, Arbeit 30–90 Minuten).
- Keybed-Sanierung bei Red-Glue: zeitintensiv (mehrere Stunden), Material moderat; professionell kann es dreistellig werden.
- Juno-106 Voice-Chip-Ersatz (Repro): Teile moderat, aber Aus-/Einbau & Kalibrierung treiben den Preis.
- Display-Tausch (LCD/EL-Folie): Material niedrig bis moderat, Arbeitsaufwand abhängig vom Modell.
- Netzteil-Recap: Sinnvoll als Prävention; Kosten abhängig von Werkstatt und Gerät.
(Hinweis: Das sind keine Angebote, sondern Orientierungen – Preise schwanken je nach Region und Werkstatt.)
Kurz & bündig: deine Kauf-Checkliste
- Kalt- und Warmtest durchführen, alle Tasten/Regler abklopfen, alle Stimmen/Ausgänge hören.
- Red-Glue-Modelle visuell prüfen (JD-800, JV-80/90, XP-50/60/80, D-70, U-20). JV-880 ist Rack → kein Red-Glue-Risiko.
- Batterie/Speicher testen, Werkreset und SysEx probieren.
- Display/Touch checken, Inverter-Fiepen beachten.
- Servicebelege zeigen lassen – saubere Historie ist bares Geld wert.
Fazit: Vintage-Synthesizer gebraucht kaufen
Vintage-Synths können „für immer“ halten – wenn du beim Gebrauchtkauf die bekannten Schwachstellen prüfst. Mit einem strukturierten Test, gezielten Nachfragen und realistischen Erwartungen zu Wartung und Budget findest du problemlos Exemplare, die zuverlässig spielen und charaktervoll klingen. Und wenn ein vermeintliches Schnäppchen doch eine Baustelle ist, weißt du jetzt, wo du genauer hinschauen oder besser weiterklicken solltest.
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Leitender Redakteur – keyboards.de
Multiinstrumentalist • Audio Engineer • Kreativer Tüftler • Familienvater • Pen-&-Paper-Enthusiast

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