Die Hüllkurve, so einfach und doch so wichtig. Kein Synthesizer, und erst recht kein Modularsystem, kommt ohne sie aus. Dieses Steuermodul ist für viele Aufgaben essenziell. Nicht umsonst heißt es, dass man nie genug Hüllkurven haben kann.
Envelope Generator
Der englische Begriff bzw. seine Abkürzungen (z.B. Env, EG) sind seit den Moog Modularsystemen die gängige Bezeichnung, die man auf Synthesizern findet. Auf Anregung von Herb Deutsch entwickelte Bob Moog einen Envelope Generator mit den vier Phasen Attack, Decay, Sustain und Release (= ADSR), der zum Standard wurde. Damit lässt sich ein Verlauf eines Steuersignals erzeugen, der in vereinfachter Form dem Lautstärkeverlauf von Instrumenten und Klängen entspricht, aber auch auf beliebige Parameter angewendet werden kann.

Die Basis-Hüllkurve
Die Funktionsweise einer ADSR-Hüllkurve ist recht simpel. Damit die Hüllkurve arbeiten kann, muss sie von einem Gate-Signal gestartet werden. Dieses Signal kommt zum Beispiel von einem Keyboard oder einem Sequenzer. Liegt das Gate-Signal an, beginnt die Attack-Phase von null, bis sie den Maximalwert erreicht. Ist der Attack-Wert auf das Minimum (quasi Null), beginnt die Hüllkurve gleich mit dem Maximalwert.
Ist der Maximalwert erreicht, geht die Hüllkurve in die zweite Phase über: das Decay. Hier sinkt der Wert gemäß der eingestellten Zeit, bis die dritte Phase, das Sustain, erreicht ist. Der Sustain-Wert wird so lange gehalten, bis das Gate-Signal endet, d.h. bis die Keyboardtaste losgelassen wird. Ab diesem Punkt beginnt die vierte Phase: Release. Diese bringt den Wert der Hüllkurve wieder auf null. Ohne Release fällt die Hüllkurve sofort auf null, bei höheren Zeiten sinkt der Wert allmählich.
Kurz gesagt: Attack, Decay und Release sind Zeitwerte, Sustain ist ein Pegel. Die wichtigsten Funktionen der Hüllkurve sind der Gate-Eingang, die Regler für die vier Phasen und der Ausgang für das Hüllkurvensignal.

Erweiterte Funktionen
Das ADSR-Konzept lässt sich natürlich ausbauen und speziell im Modularsektor gibt zahlreiche Abwandlungen der Basis-Hüllkurve. Folgende Funktionen sind bei nicht wenigen Modulen zu finden:
Retrigger: über diesen Eingang lässt sich die Hüllkurve erneut starten, auch wenn das Gate-Signal noch anliegt.
Invertierter Ausgang: das Signal wird als „negative“ Hüllkurve parallel ausgegeben.
Time Range: es gibt zwei oder drei Geschwindigkeitsbereiche zur Auswahl, um die Hüllkurve anzupassen.
Slope: anstelle eines linearen Verlaufs der Phasen gibt es logarithmische oder exponentielle Kurven, die z.B. bei der Steuerung der Lautstärke eher dem Hörempfinden entsprechen.
Loop: entweder die gesamte Hüllkurve oder die AD-Phasen werden wiederholt durchlaufen, sodass ein periodisches Signal entsteht. Die Hüllkurve wird damit zum LFO (Thema in Teil 12).
CV-Eingänge: die einzelnen Phasen lassen sich mit externen Steuerspannungen modulieren, z.B. das Decay wird bei laufender Sequenz gezielt verlängert oder verkürzt.

Einfache und komplexe Hüllkurven
Als vereinfachte Varianten gibt es auch reine Decay-Hüllkurve, die man zum Beispiel bei einfachen Synthesizern zur Filtermodulation einsetzt > Roland TB-303. AD-Hüllkurven finden sich häufig als Quad-Module (bzw. Mehrfach-), die mehrere Signale erzeugen und auch kombinieren können. Über die Extrafunktion „End-of-Decay“ (oder „End-of-Release“ bei ADSR) lassen sich mehrere Einheiten in Reihe schalten, um so komplexere Verläufe zu erzielen.
Der Sonderfall ADS ist eher selten anzutreffen. Hier wird die Release-Phase vom Decay mitbestimmt. Das ist weniger flexibel, fällt aber oft nicht ins Gewicht.
Multisegment-Hüllkurven haben, wie der Name es sagt, mehr als die vier grundsätzlichen Phasen. Es kann ein Delay vor dem Attack geben, eine Hold-Phase zwischen Attack und Decay haben oder einfache mehrere Abschnitte mit individuellen Zeit- und Pegelwerten. Letzterer Typ wird auch als Function Generator bezeichnet.

Was kann eine Hüllkurve steuern?
Im Prinzip alles, was einen CV-Eingang hat. Die zwei häufigsten Anwendungen sind bei VCA und VCF. Eine Hüllkurve am VCA steuert den Lautstärkeverlauf eines Sounds, der damit perkussiv, langsam einschwingend, lang ausklingend und alles dazwischen sein kann. Dabei wird der komplette Pegel ausgenutzt, um den VCA auch vollständig öffnen und wieder schließen zu können
Beim Filter bestimmt eine Modulation der Cutoff den Klangverlauf. Hierfür wird eine separate Hüllkurve verwendet, damit sich dieser Verlauf von der Lautstärke unterscheiden kann. Außerdem ist die Intensität der Modulation dosierbar.
Auch die Tonhöhe (Pitch) eines Oszillators ist ein sinnvolles Ziel für die Hüllkurve. Damit wird z.B. das sogenannte Bending erreicht, das dem Klang am Anfang eine kurze Phase der fallenden Tonhöhe hinzufügt. Stärker kann diese Modulation bei einem synchronisierten VCO eingesetzt werden, der dadurch eine markante Klangveränderung bei gleichbleibender Tonhöhe erhält.
Alle Funktionen, die man mit dem Drehen eines Reglers, für eine Klangveränderung nutzt, können auch Ziele für eine Hüllkurve sein, sofern ein CV-Eingang hierfür vorhanden ist: Pulsbreitenmodulation am VCO, Wavetable-Position an einem entsprechendem digitalen Oszillator. Modulationstiefe bei FM, Shift bei einem Phaser, Parameter bei Effekten, Gain bei Distortion, Geschwindigkeit eines LFOs und und und …
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