Ensoniq ESQ-1: Hybrid-Synthesizer der 80er

Ensoniq ESQ 1

Der Ensoniq ESQ-1 wurde im Jahr 1986 vorgestellt und markierte den ersten Synthesizer des US-Herstellers Ensoniq. Nach dem Überraschungserfolg mit dem günstigen Sampler Mirage gelang dem Unternehmen aus Pennsylvania ein weiterer Meilenstein – diesmal mit einem hybriden Synthesizer, der digitale Oszillatoren mit klassischer analoger Filtertechnik vereint. Unter Kennern gilt der ESQ-1 bis heute als echter Geheimtipp mit Charakter.


Technik und Klangarchitektur des Ensoniq ESQ-1: Digital trifft Analog

Herzstück des ESQ-1 sind drei digitale Oszillatoren (DCOs), die auf ein ROM mit 32 8-Bit-Wellenformen zurückgreifen. Diese erzeugen ein breites Spektrum an Grundmaterial – von Sägezahn und Pulse bis hin zu perkussiven und gesampelten Klängen. Die DCOs lassen sich wahlweise synchronisieren oder amplitudenmodulieren, was auch experimentelle Sounddesigns ermöglicht. Zwar fehlt eine echte Pulsweitenmodulation, doch durch einen Trick (Synchronisation aktivieren, DCO 1 auf SAW, DCO 2 auf SQUARE und dessen Tonhöhe per LFO modulieren) kann man sie simulieren.

Die Klangformung erfolgt über ein analoges 4-Pol-Tiefpassfilter auf Basis des Curtis CEM 3376, das auch im SCI Prophet VS Verwendung fand. Besonders bemerkenswert ist die Ausstattung mit gleich vier Hüllkurvengeneratoren, die über einen zusätzlichen „Second Release“-Parameter verfügen – damit lassen sich sogar Reverb-ähnliche Klangverläufe erzeugen. Ergänzt wird das durch drei vielseitige LFOs, deren Modulationsziele auch ungewöhnliche Parameter wie die Attackzeit der Hüllkurve einschließen.

Ensoniq ESQ 1 Aufbau
Foto: Bernhard Loesener

Workstation-Gefühl dank 8-Spur-Sequenzer

Ein Highlight bei Erscheinen war der integrierte 8-Spur-Sequenzer, der bis zu 10.000 Noten sowie 30 Sequenzen und 10 Songs speichern konnte. Besonders für den Live-Einsatz praktisch war die Möglichkeit, einzelne Spuren in Echtzeit stummzuschalten – ein Feature, das man sonst nur von dedizierten Sequenzern kannte. Auch wenn der Sequenzer aus heutiger Sicht rudimentär wirkt, war er in den 80ern ein echtes Verkaufsargument.


Intuitive Bedienung trotz digitaler Struktur

Trotz der komplexen Architektur bleibt der ESQ-1 angenehm bedienbar – ein Verdienst des klar gegliederten Interface. Das große Display mit acht Soft-Buttons erlaubt direkten Zugriff auf Parameter, ohne durch tief verschachtelte Menüs navigieren zu müssen. Jeder Funktionsbereich besitzt eigene Taster, wodurch das Editieren schnell und logisch von der Hand geht. Zwar gibt es nur einen Datenfader, doch das Layout macht das wieder wett. Die anschlagsdynamische Tastatur ist halbgewichtet und verzichtet zwar auf Aftertouch, bietet aber ein angenehmes Spielgefühl. Klassische Pitch- und Modulationsräder stehen als Spielhilfen zur Verfügung.

Ensoniq ESQ 1 Bedienung
Foto: Bernhard Loesener

Klangcharakter: Warm, digital, amerikanisch

Klanglich überzeugt der ESQ-1 mit einer Mischung aus wärmenden Tiefen und rauer Digitaltextur. Die 8-Bit-Samples wirken durch das Curtis-Filter angenehm geglättet. Zwar reicht die Resonanz des Filters nicht bis zur Selbstoszillation, doch das fällt im musikalischen Kontext kaum ins Gewicht. Durch Amplitudenmodulation lassen sich besonders mit geräuschhaftem Wellenmaterial interessante, fast ringmodulationsartige Klänge erzeugen. Die Klangpalette reicht von klassischen Synth-Pads im 80er-Jahre-Stil über percussive und elektronische Sounds bis zu ausdrucksstarken Lead-Voices. Besonders gut eignet sich der ESQ-1 für Industrial, Synthwave, Ambient oder experimentelle Elektronik – realistische Naturinstrumente oder Subbass-Monster sind hingegen weniger seine Stärke.


Von Skinny Puppy bis Jarre: Beliebter Kult-Synth

In den 80ern war der Ensoniq ESQ-1 besonders in der Industrial-Szene angesagt. Die kanadische Kult-Band Skinny Puppy setzte ihn gleich dreifach ein und verwendete ihn unter anderem auf den Alben Cleanse, Fold and Manipulate und VIVIsectVI. Auch Front Line Assembly, Jean-Michel Jarre, Koto, Adamski und Ceephax Acid Crew – der Bruder von Squarepusher – gehörten zum Nutzerkreis. Letzterer setzte ihn für Veröffentlichungen auf dem Rephlex-Label ein.


Modelle und Varianten

Frühe Versionen des ESQ-1 kamen in einem robusten Metallgehäuse auf den Markt, das stark an den Mirage erinnerte. Später folgte eine leichtere Variante im stabilen Kunststoffgehäuse, das sich einfacher transportieren ließ. Die Rack-Version ESQm verzichtet auf den integrierten Sequenzer und bietet ein kleineres Display ohne Soft-Buttons – ein Nachteil bei der Bedienung, aber platzsparend im Studio.

1987 erschien mit dem SQ-80 ein erweiterter Nachfolger. Dieser bot eine größere Auswahl an Wellenformen, doppelte Sequenzer-Kapazität sowie ein eingebautes Diskettenlaufwerk. Import von ESQ-1-Sounds war ebenfalls möglich.


Versteckte Features des Ensoniq ESQ-1: Hidden Waves & OS-Modding

Spannend für Bastler: Der Informatiker Rainer Buchty entdeckte durch Reverse Engineering des Betriebssystems, dass der ESQ-1 intern wesentlich mehr Wellenformen verarbeiten kann als offiziell dokumentiert. Mit seinem selbstentwickelten OS 3.5, das kostenlos auf www.buchty.net/ensoniq verfügbar ist, lassen sich statt der ursprünglichen 32 nun bis zu 256 Wellenformen nutzen. Diese sogenannten „Hidden Waves“ entstehen durch alternative Lesezugriffe auf das ROM, z. B. durch veränderte Startpunkte oder Tonhöhen.


Anschlüsse und Speicheroptionen

Die Rückseite des ESQ-1 bietet alles, was man in einem 80er-Jahre-Synth braucht: Neben einem Stereoausgang (für Panoramaeffekte auch bei Mono-Sounds) findet sich ein vollständiges MIDI-Trio, ein Tape-Interface (auch nutzbar als Sync-Eingang), ein CV-Pedalanschluss sowie ein Eingang für ein Sustainpedal.

Zum Lieferumfang gehörte die ROM-Cartridge „ESQ Voice 80“ mit 80 Werkssounds. Besonders kreative Klangerzeugung ist möglich, wenn man Cartridges des SQ-80 einsetzt – das sorgt mitunter für spannende Glitch-Sounds. Auch RAM-Cartridges und eine Sequenzer-Speichererweiterung wurden angeboten.

Ensoniq ESQ 1 Rückseite
Foto: Bernhard Loesener

Fazit: Ensoniq ESQ-1: Charakterstarker Vintage-Synth mit Potential

Dank seiner ausgewogenen Kombination aus digitaler Oszillator-Architektur und analoger Klangveredelung ist der Ensoniq ESQ-1 auch heute noch ein vielseitiges Werkzeug für elektronische Musikproduktion. Wer bereit ist, auf Effekte und moderne Luxusfeatures zu verzichten, wird mit einem inspirierenden, intuitiv bedienbaren und klanglich individuellen Vintage-Synthesizer belohnt – nicht nur für Nostalgiker, sondern auch für kreative Klangforscher.

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