Inspiration und Technik

Jean-Michel Jarre im Interview

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Jean-Michel Jarres Instrumentarium ist leicht beschrieben: vom Besten das Beste und davon reichlich. Sein Pariser Studio ist das Eldorado für jeden Synth-Freak. Auch für sein aktuelles Album Electronica 2 hat JMJ aus dem Vollen geschöpft – ein perfekter Anlass, um mit dem Grandseigneur der Synthesizermusik über Trends und Lieblings-Instrumente zu sprechen.

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Jean-Michel Jarres aktuelles Werk definiert sich selbstredend nicht allein über das verwendete und erwartungsgemäß höchst beeindruckende Equipment. Ganz im Gegenteil: Ebenso wie für den ersten Teil von Electronica hat der Altmeister auch hier eine illustre Runde musikalischer Mitstreiter aller Couleur um sich versammelt: New-Wave-Ikonen wie Gary Numan und Cindy Lauper finden sich Seite an Seite mit dem genialen Berliner Newcomer Siriusmo oder mit Filmmusikstar Hans Zimmer. Der gelungenste Coup: Für den Track Exit hat JMJ mit keinem Geringeren als Edward Snowden gearbeitet – immerhin das erste und bisher einzige Kunstprojekt, zu dem Snowden sein Ja gegeben hat. Wir treffen einen bestens gelaunten JMJ zum Gespräch in Berlin.

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Jean-Michel, welchen Synthesizer würdest du mit auf eine einsame Insel nehmen?

Ich glaube, das wäre der EMS VCS 3. Ich habe ihn von Beginn an in meinem Setup und bin nach wie vor von seinem einmaligen Sound und Konzept fasziniert. Einen EMS Synthi 100 habe ich auch mal ausprobieren können, war davon aber weniger überzeugt. Meine VCS3/AKS sind wesentlich zuverlässiger. Den Memorymoog mag ich übrigens auch noch sehr. Er ist auch live immer dabei.

Stichwort „live“: Du bist einer der wenigen, die mit wertvollsten Vintage-Synths auf die Bühne gehen, darunter auch große Modularsysteme. Warum tust du dir das an?

Man könnte natürlich alles sampeln, so wie man auch ein Orchester sampeln kann. Aber würde man deshalb auf ein Orchester verzichten wollen? Genauso wenig möchte ich live auf meine „echten“ Lieblingsinstrumente verzichten.

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Wie wird dein aktuelles Live-Setup aussehen?

Für die kommende Tour planen wir einen sehr spannenden Mix aus analoger und digitaler Technologie. Wir entwickeln gerade interessante Controller – viel mehr kann ich darüber noch nicht verraten. Aktuell arbeite ich sehr viel mit Ableton Live. Es hat mein aufwendiges und teures Pro-Tools-System mittlerweile vollkommen überflüssig gemacht. An Synthesizern werden ganz sicher das Moog System 55, ein ARP 2500 und ein Macbeth M5 dabei sein. Das System 55 wird von einem Memorymoog mit angesteuert. Mein Geiss Matrix Sequencer – mittlerweile dessen dritte Generation mit Touchscreen und MIDI – steuert die anderen (semi-)modularen Geräte. Nord Lead 2 und Nord A1 werden sicher auch mit dabei sein – zwei moderne Synthesizer, die ich sehr mag und regelmäßig nutze. Der Moog Sub 37 gefällt mir ebenfalls sehr gut – endlich wieder ein Moog, der den Klassikern wirklich nahekommt.

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Wie bereitest du die Modular-Synthesizer für einen Gig vor?

Sie werden so eingesetzt und programmiert, dass beim Gig möglichst nichts gepatcht werden muss – das würde die Sache ein bisschen zu kompliziert machen. Moog 55, ARP 2500 und Machbeth M5 werden wichtige Sounds liefern, die im gesamten Show-Ablauf präsent sind und zwischen den einzelnen Stücken nur wenig verändert werden müssen.

Welche neuen Instrumenten-Trends findest du interessant?

Gelungene Konzepte interessieren mich immer. So ist etwa der Teenage Engineering OP-1 ein tolles Ding – ein erstklassiges und sehr inspirierendes „Spielzeug“ im rundum positiven Sinne. Circuit-Bending interessiert mich ebenfalls sehr. Damit will ich mich unbedingt so bald als möglich beschäftigen!

Wie denkst du über den aktuellen Eurorack-Boom? Nutzt du ein modernes Modular-System?

Das aktuell große Interesse an diesen Instrumenten ist eine tolle Sache! Leider hatte ich selbst bisher noch nicht genügend Gelegenheit, mich mit dem riesigen Eurorack-Angebot zu beschäftigen. Ich will das aber unbedingt nachholen (sprach’s und besucht am folgenden Tag einen allseits bekannten Berliner Synthesizer-Shop; Anm.d.Red.). Das Tolle an modularen Synthesizern – ob vintage oder modern – ist die spielerische Herangehensweise, das Experimentelle daran. Genau so, wie wir in den 70ern die ersten Synthesizer erkundet haben, nämlich im Trial-and-Error-Verfahren, nutzen junge Musiker heute vielfach diese Systeme. Auch wenn solche Instrumente scheinbar technisch limitiert sind, beschneiden sie nicht die Kreativität – ganz im Gegenteil! Ebenso interessant ist ihre unglaubliche Vielseitigkeit und Flexibilität. Du wirst nicht vom Instrument auf eine bestimmte musikalische Thematik festgelegt. Nicht zuletzt deshalb passen sie so gut in meinen aktuellen Albumkontext.

Du streifst mit Electronica verschiedenste Genres der elektronischen Musik. Nicht nur deine zahlreichen Instrumente – auch deine musikalischen Mitstreiter könnten nicht spannender und unterschiedlicher sein. Wie hat sich dieses Konzept entwickelt?

Es handelt sich bei allen Mitmusikern auf Electronica um Künstler, die mich persönlich faszinieren und beeinflussen. Ich habe sie ausnahmslos persönlich kontaktiert und aufgesucht. Der Austausch mit anderen und deren kreativer Input ist mir äußerst wichtig. Kunst lebt von einem solchen Austausch über Genre- und Landesgrenzen hinweg.

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Wie hast du Edward Snowden ins Boot geholt?

Edward Snowden ist eine höchst faszinierende Person. Er hat Großes und unglaublich Mutiges getan! Er hat der Welt und letztlich auch mir die zwei Seiten einer omnipräsenten Technologie vor Augen geführt: Auf der einen Seite sind Internet und Smartphone der Schlüssel zur Welt – auf der anderen Seite sind sie eben auch das Schlüsselloch, durch welches jedermann nahezu lückenlos überwacht werden kann. Mit Edward in seiner derzeitigen Situation zusammenarbeiten zu dürfen war eine wichtige Erfahrung.


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KEYBOARDS 4/2016

Das sind die Themen dieser Ausgabe:

  • Sampletalk mit And.Ypsilon (Die fantastischen Vier)
  • Tobias Enhus spricht über sein Synclavier
  • Die Groove-Mutter: Yamaha RS7000
  • Real Samples – Historische Tasteninstrumente digitalisiert
  • Software-Sampler am Rande der Wahrnehmung
  • Korg DSS-1 als Hardware-Plug-in
  • Cinematique Instruments – Filmreife Sample-Instrumente
  • Groovesampler in der Praxis
  • Die Mellotron-Story
  • Vintage Park: Fairlight CMI
  • Transkription – Ten Sharp: You

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