Vergessene Synthesewelten

Casio VZ-1 (*1988) Synthesizer mit iPD-Klangerzeugung

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In den (nicht immer) goldenen 80er-Jahren hatten viele große, innovative Synthesizerschmieden ihre Haus- und Hof- Synthese, die pfleglich weiterentwickelt wurde. Die Firma Casio, die kürzlich wieder in den Synthesizermarkt eingestiegen ist, erfand damals die Phase-Distortion-Synthese, deren Erfolg die Japaner motivierte, diese auf eine höhere evolutionäre Stufe zu heben, die man trendy „iPD“ nannte. Sie wurde in die VZ-Serie implementiert.

VZ-110M_01
VZ-110M_01

Mit Apple-Produkten wie iPad & Co hatte das allerdings nichts zu tun. Die mit der iPD- Klangerzeugung ausgestattete VZ-Reihe war der Nachfolger der bekannten CZ-Synthesizer, die sich gut verkauften – insbesondere der kleine CZ-101 erlangte Kultstatus und wurde von vielen Musikern eingesetzt.

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Der 1988 vorgestellte VZ-1 ist das Flaggschiff der iPD-Reihe. Er kostete ca. 2.500 Mark und kam auch als Expander-Version mit zwei Höheneinheiten unter dem Namen „VZ-10 M“ heraus. Die gleichen Geräte (mit weißer Gehäusefarbe) wurden übrigens auch unter der Hohner-Flagge verkauft (HS 1 und HS 2 E). Außerdem gibt es eine noch kompaktere, nur achtstimmige Rackvariante (VZ-8 M), die sich mit einer Höheneinheit begnügt und zusätzlich spezielle Modi für MIDI-Gitarre und Wind-Controller bietet. Die Klangerzeugung des VZ-1 ist auch in Casios Synth-Gitarre PG 380 implementiert.

Der Publikumsgeschmack dieser Ära verlangte aber hauptsächlich nach samplebasierten Synthesizern, die einfach zu bedienen waren; daher verkaufte sich die VZ-Reihe, die zudem mit nicht wirklich überzeugenden Presets ausgestattet war, eher schlecht. Aus heutiger Sicht lohnt sich ein neuer Blick auf den unterschätzten Synthesizer mit der komplexen, aber interessanten Klangerzeugung.

Äußeres

Das mattschwarze Äußere des imposanten Boliden im edlen Alu-Finish signalisiert, dass hier ein Werkzeug für den ernsthaften Musiker bereitsteht – nichts erinnert mehr an „Da Da Da“-Keyboards mit eingebautem Taschenrechner. Das hintergrundbeleuchtete Display ist grafikfähig und galt zum Zeitpunkt der Markteinführung als luxuriös – mit den Jahren verblasst es allerdings merklich. Gebrauchtkäufer sollten sich aber nicht abschrecken lassen, denn es gibt Ersatzfolien, die auch für das baugleiche Display des Samplers HZ-1 einsetzbar sind.

Ein definitiver Eyecatcher sind die drei Handräder in der Spielhilfen-Sektion; mit ihnen lassen sich diverse Parameter steuern, sodass trotz der slicken, digitalen Oberfläche eine gewisse Real-Time-Performance begünstigt wird. Der VZ-1 scheint die Designer des Yamhaha VL-1 inspiriert zu haben; dieser gehört neben dem Akai Miniak zu den wenigen Synthesizern, die ebenfalls mit drei Wheels ausgestattet sind.

 

Casio VZ-1

 

Tasten & More

Sehr gut spielbar ist das 6-oktavige, (natürlich) anschlagdynamische Keyboard, das auch als Masterkeyboard eine gute Figur macht. Es bietet Aftertouch und lässt sich vierfach splitten, wobei sich die Split-Regionen crossfaden lassen.

Der Speicherinhalt des VZ-1 (64 Single- Sounds, 64 Combinations) kann auf Speicherkarten abgelegt werden.

Der rückseitige Stereoausgang ist übrigens auch in symmetrischer Ausführung vorhanden, was den professionellen Anspruch des Gerätes unterstreicht.

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Ei-Synth?

Die Kürzel iPD steht für „interaktive Phase Distortion“ und ist eine Mischung von PD- Synthese, wie man sie in Casios CZ-Serie findet und Yamahas FM-Klangerzeugung, die die Basis für den Erfolg der DX-Synthesizern bildete. Diese Syntheseform stellt acht Oszillator-Module bereit, die einen DCO mit einer Sinuswelle, fünf Sägezahnvarianten und zwei Noise-Wellenformen bereitstellen.

Jedes Modul verfügt über eine jeweils achtstufige Pitch- und Verstärker-Hüllkurve. Die Module sind paarweise gruppiert und können sich gegenseitig ring- oder phasenmodulieren. So ergeben sich vier sogenannte „Lines“, die direkt zum Ausgang geschickt werden können oder sich auf der nächsten Ebene ebenfalls untereinander modulieren lassen.

Die ungewöhnlichen Modulations-Optionen auf Oszillatorebene, die eine Menge klanglicher Möglichleiten eröffnen, verdankt die Synthese ihren Beinamen „interaktiv“. Der resultierende Sound, der sich mit weiteren Pitch- und Amp-Envelopes sowie zwei LFOs formen lässt, ist übrigens immer 16- stimmig, egal wie die DCOs verschaltet werden. Die Stimmenzahl wird erst reduziert, wenn man die flexiblen Stack- und Combinations-Modi nutzt; diese sind aber besonders bei massiven Sounds obligatorisch.

Sound 

Schlechte Presets sind tödlich für den Markterfolg eines Synthesizers … wenn im Laden nicht sofort akustisch die Sonne auf- geht, wendet sich der potenzielle Kunde schnell dem nächsten Instrument zu. Dies war beim VZ-1 leider der Fall. Dabei kann die iPD-Synthese ein ergiebiger Quell interessanter Klänge sein, vorausgesetzt man taucht tief genug in die Parameter-Welt des Gerätes ein. Letzteres erfordert bei mehr als 70 Menüseiten auf jeden Fall einen gestählten Forschergeist.

Die Stärken der VZ-1 werden vor allem im Stack-Modus ausgespielt und liegen bei breiten Strings, Pads, kühlen Leads metallischen Klängen und dynamisch spielbaren Brass- und E-Pianos. Auch markante Digitalbässe im 80s-Stil, Fuzz- und Twang-Sounds oder harsche, noisige Effekte sind möglich. Der Grundklang unterscheidet sich deutlich vom Vorgänger und ist ein wenig cleaner und massiver. Im Vergleich zum DX7 klingt der VZ weniger drahtig und deutlich wärmer.

Der VZ-1 wurde uns freundlicherweise von Andreas Hau zur Verfügung gestellt.

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