Wohin geht die synthetische Reise?

Trends auf der Superbooth 2023

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superbooth 2023

Die Superbooth 2023 ist vorüber und es lohnt sich, ein Resümee zu ziehen, denn die Anzahl der Neuvorstellungen war gewaltig. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass nach den Jahren der aneinandergereihten Krisen die Hersteller nun ihrem Entwicklungsdrang freien Lauf ließen.

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Auf der anderen Seite ist es auch interessant zu beobachten, dass vor einem Monat auf der NAMM 2023 nur sehr wenige Firmen aus dem Synthesizer-Bereich neue Produkte präsentierten. Das zeigt deutlich, wie wichtig die von Andreas Schneider ins Leben gerufene Messe seitens der Hersteller eingestuft wird. Unter diesem Gesichtspunkt verwunderte es ein wenig, dass Firmen wie Roland, Moog und Akai dieses Jahr fehlten. Dabei hätte Roland durchaus die jüngsten Geräte SH-4d und den Tweak Synthesizer S1 zeigen können. Das man Neuheiten nicht unbedingt braucht, um sich zu präsentieren und mit den Anwendern in Kontakt zu treten, haben u.a. Sequential und Novation mit einem großen Stand demonstriert.

superbooth dinsync
Jedes Jahr Ballerbude: der Stand von Dinsync

Aber wenden wir uns lieber den positiven Aspekten der Superbooth 2023 zu. In dem wie üblich sehr bunten und breitgefächerten Getümmel von Einzelkämpfern, Kleinfirmen, Kreativköpfen und Big Playern zeichneten sich ein paar Trends ab, die möglicherweise die Richtung für die nächste Zeit aufzeigen.

superbooth 23 soma
Jammen mit Terra bei Soma Lab

Eurorack

Der Modularsektor ist nach wie vor von unglaublicher Vielfalt geprägt. Dennoch gab es bereits in der Vergangenheit immer wieder Phasen, in denen bestimmte Entwicklungen dominierten, wie zum Beispiel einen Filter-Boom, den Einzug der digitalen Technik, Lösungen für Polyphonie usw. Derzeit scheinen komplexe Module besonders gefragt zu sein. Nachdem die Basics wie VCO, Mixer, Hüllkurven etc. von zahlreiche Herstellern in noch zahlreicheren Varianten auf dem Markt sind, werden derzeit viele große Module für spezielle Anwendungen entwickelt.

Als Beispiele seien hier das Quad-Filter mit VC-Mixer Cunsa von Frap Tools, der spektrale Dual-Oszillator mit Vocoder Spectraphon von Make Noise, das komplexe Voice-Modul SED-CSM von Rides in the Storm und das polyphone und multitimbrale Multisynthese-Modul Nanopolis Antigone genannt. Die Aufzählung ließe sich sehr lang fortsetzen.

TipTop Audio stellt mit ART ein interessantes System für polyphone Anwendungen vor. Dabei besteht ART nicht nur aus speziellen Modulen, sondern ist ein neues Übertragungsprotokoll, das neben mehrstimmigen Noten auch Velocity- und Aftertouch-Daten von MIDI in eine neue Norm übersetzt. Für die mehrstimmige Audioverbindung werden sogenannte Polytip-Kabel genutzt, die der Patch-Aufwand erheblich verringern. Das ART-Protokoll ist Open Source und kann von anderen Entwickler genutzt werden.

tiptop audio art eurorack
Tiptop Audio ART: Kabelsalat vs. Polytip

Anti-Modular

Modular hat die Synth-Szene lange Jahre dominiert, doch nun scheint eine Gegenbewegung einzusetzen. Natürlich waren Synthesizer nie ganz weg und das Eurorack ist immer noch sehr stark, doch was dieses Jahr an Desktop- und Keyboard-Synthesizer vorgestellt wurde, lässt sich als Trendwende zum nicht-modularen Gerät interpretieren. Alles an Bord zu haben und keine Patch-Verbindungen ziehen zu müssen hat praktische Vorteile, die sich offenbar viele Musiker wieder wünschen.

Dafür stehen unter anderem die voluminöse 5-Track Groovebox PolyPulse von Lambda Synthetics, der Experimental Synthesizer Carbon8 von Modal Electronics, der von Chris Huggett mitentwickelte duophone Synthesizer Mantis von PWM, der verkleinerte Vibes von Mayer EMI, der die gleiche Engine wie der MD900 besitzt, der Desktop-Expander des Oberheim OB-X8 und natürlich der UDO Audio Super Gemini. Auch diese Aufzählung ist nicht vollständig und es gibt auch bestimmte Syntheseformen, die nun wieder vermehrt im Fokus stehen.

Physical Modeling

Anfang/Mitte der 1990er Jahre schien Yamaha mit den VL/VP-Synthesizern eine neue Ära einzuleiten, auch Korg unternahm mit Prophecy, Z1 und Wavedrum Versuche mit der neuen Technologie. Doch real- und virtuell-analog bediente den Zeitgeist besser und beendete diesen Ansatz recht schnell. Physical Modeling wurde in der Folge fast nur im Software-Bereich weiterentwickelt.

Doch nun findet man PM-Konzepte auch in Hardware-Synthesizern wieder. Erica Synths überraschte mit Steampipe. Das hier verwendete Modell ist sehr flexibel und kann sich von Blasinstrumenten über gezupfte und gestrichene Saiten bis hin zu massiven Klangkörpern wandeln, ohne das spezifische Algorithmen aufgerufen werden müssen. Dafür sorgt eine Klangröhre (Pipe) mit doppeltem Feedback-Weg. Obwohl es im eigentlichen Sinne keinen Oszillator, sondern nur einen Noise Generator (Steam) gibt, lassen sich die Sound mit bis zu acht Stimmen spielen.

erica synths steampipe

Aodyo Instruments zeigte den Prototypen des Anyma Omega, die 16-stimmige Version des Anyma Phi. Das Desktop-Gerät kann über den integrierten Ribbon-Controller mit Druckfunktion gespielt werden. Die Engine stellt zahlreiche Instrumenten- und Synthese-Modelle zur Auswahl. Die Bedienung ist dank großem Display und zahlreichen Reglern viel intuitiver als beim Phi und das System ist auf zukünftige Erweiterungen ausgelegt.

aodyo anyma omega

Der Software-Sektor bleibt nicht zurück. Reason Studios Objekt arbeitet mit drei Resonatoren, die von einer flexiblen Exiter-Sektion angeregt werden. Der Synthesizer wird in das Reason-Rack samt Verkabelung eingebunden.

Granular-Sampler

Auch bei der Granular-Synthese geht es stärker in Richtung Hardware. Tasty Chips bringen mit GR-Mega eine erweiterte Version des GR-1. Hiermit sind nun auch die Nutzung von Stereo-Samples und die Granulierung auf der spektralen Ebene möglich. Sonicware Liven Texture Lab verbindet diese Form der Sample-Verarbeitung mit den Funktionen einer Groovebox und kann auch als Effektgerät eingesetzt werden. Von den Entwicklern des Vector Synth stammt Tempera. Hier können acht Samples parallel genutzt werden. Mit vier Emittern lassen sich die Samples separat, aber auch benachbarte Samples gemeinsam zu Granular-Sounds verformen. Aus Frankreich kommt Kiviak Wofi, ein 10-stimmiger Sampler, der einerseits an Toy-Keyboards wie Casio SK-1 und Yamaha VSS-30 angelehnt ist und dessen Algorithmen Wofi auch emuliert, aber andererseits mit Granular-Synthese auch völlig davon losgelöst ist. Arturia hat mit dem MicroFreak Stellar auch die neue Firmware V5 veröffentlicht, die eine Sample-Engine und drei Granular-Algorithmen beinhaltet.

kiviak wofi

Wenn es ein allgemeingültiges Resümee der Superbooth 2023 gibt, dann wohl das: es bleibt spannend und vielfältig. Die Entwicklerszene ist lebendig und wird uns weiter überraschen. Es gibt immer wieder schwerpunktmäßige Verlagerungen, aber das Spektrum bleibt weit und offen. So darf es die nächsten Jahre ruhig weitergehen.

Performance von Cuckoo

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