Live getroffen

Ti Amo – Phoenix und ihr Sound

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Phoenix Band live Keyboards
(Bild: Dirk Heilmann)

Musik ist Kunst, und über Kunst kann man streiten. Aber in diesem Punkt sind mein Kollege Martin und ich d’accord. Die ganze Musik von Phoenix (und damit natürlich auch ihr Sound) ist nicht alltäglich und in vielerlei Hinsicht einfach außergewöhnlich gut … und das ist eigentlich auch schon der ganze Grund, warum wir sie zusammen bei einem ihrer Live-Konzerte besucht haben.

Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen: Vor ca. 15 Jahren bin ich eines Abends mit dem Auto nach Hause gefahren, und aus dem Radio hörte ich das erste Mal Everything von Phoenix. Der Sound der Band hob sich für mich ganz klar von dem vielen Radio-Schmarrn deutlich ab – im absolut positiven Sinne, versteht sich! Und obwohl ich mir die CD damals doch erstmal nicht gekauft hatte – ich habe eine angeborene Skepsis gegenüber „populärem Mainstream“ –, hat mich die Band nie ganz losgelassen.

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Dass die Band über die Jahre nicht in der Versenkung verschwand, sondern im Gegenteil weiterhin hörbare und bisweilen sogar tanzbare Musik produzierte, war das letzte Zünglein an der Waage (oder ein Sandsack auf der Waage), das diese Band so sympathisch macht.

Phoenix Band live Keyboards
Deck D’Darcy (Bild: Dirk Heilmann)

Im Kölner E-Werk trafen wir den Bassisten und Keyboarder Deck D’arcy und hatten Gelegenheit, ihn zum neuen Album Ti Amo sowie zum Live-Sound und den Keyboards zu befragen.

Hallo Deck. Erzähl doch erstmal über euer neues Album TiAmo.

Wie bei jedem Album von uns gab es auch hier kein inhaltliches Konzept im Voraus. Wir waren auf der Suche nach einem Ort, an dem wir das neue Album produzieren konnten – wenn man so will, ist das das Konzept: einen Ort finden, an dem man frische Musik erschaffen kann. Aber sonst hatten wir nicht unbedingt eine hundertprozentige Idee, was wir machen wollten. Wir fanden also diesen Ort in Paris, ein altes Opern-Haus, welches jetzt als Zentrum für digitale Kunst genutzt wird, mit einem Veranstaltungsraum im Erdgeschoss, verschiedenen Ausstellungsräumen etc. Dort haben wir uns dann eingerichtet. Das Studio, welches wir uns dort reingebaut haben, sollte anders sein als das, das wir für die letzte Platte verwendet haben.

Wir haben uns dann neue Instrumente gekauft und auch alte Instrumente aus unserem Lager ausgegraben. Bevor wir anfangen, stellen wir uns meistens eine frische Palette an Sounds zusammen, die wir benutzen werden. Dafür haben wir so ca. 2 Monate gebraucht.

Auf Phoenix-Konzerten hängt derzeit ein Spiegel schräg über der Bühne und in Größe der Bühne. Über den LED-Boden werden so alle möglichen Schriften und Bilder über die Bühne projiziert ...
... und man bekommt einen ungewöhnlichen Blick „von oben“ auf die Band.

Welche Instrumente habt ihr auf dem Album verwendet?

Wir hatten uns u.a. eine 12-Saiter-Gitarre dazugekauft, die sehr wichtig war für dieses Album. Eine 12-Saitige haben wir bisher noch nie verwendet. Aber wir hatten sie zufällig in einem kleinen Musikladen gefunden, Chris spielte sie an, und irgendwie war der Klang direkt magisch, was selten passiert bei einer 12-Saiter Gitarre … die klingen in meinen Ohren meistens scheiße. Dann hatten wir die Gitarre irgendwann verloren und erst nach langer Nachforschung und mittels einer Hotel-Überwachungskamera wiederbekommen. Wir hatten sie im Kofferraum eines Taxis vergessen. Zum Glück, denn diese Gitarre hat den Klang des Albums sehr geprägt, ein wirklich wichtiges Instrument für uns, was wir auf jedem einzelnen Song verwendet haben.

In dem Zuge haben wir uns auch einen Juno-60, den wir dann allerdings doch nicht benutzt haben, und einen ARP QUADRA zugelegt, mit dem wir die Streicher gemacht haben. Einen Sequential Circuits Prophet T8 hatten wir noch ausgegraben, den wir schon seit über 15 Jahren haben, allerdings konnten wir ihn nie wirklich benutzen, da er immer chronisch verstimmt war. Jetzt haben ihn endlich zur Reparatur gegeben und konnten ihn dann auch auf dem Album einsetzen.

Der ARP Quadra stammt von 1979 und wurde in Keyboaords 10/1990 in der Rubrik „Synthesizer von Gestern“ vorgestellt. Damaliges Urteil: Einer, der alles kann, aber nichts so richtig.
Der Sequential Circuits Prophet T8: Vorgestellt in der Keyboards 10/1993, erblickte er allerdings schon 1983 das Licht der Welt. Bereits damals von Autor Matthias Becker als einer der besten Analogsynthesizer betitelt, der je gebaut wurden.

Die kostenlosen Downloads der Artikel zu ARP Quadra und Sequential Circuits Prophet T8 findet ihr in unserem Archiv:

ARP Quadra

Sequential Circuits Prophet T8

Wie ging es dann weiter, nachdem ihr euch eure Sound-Palette zusammengestellt hattet?

Dann haben wir etwas gemacht, was eine Premiere war: Wir haben unsere Proben aus Multitrack mitgeschnitten. Eigentlich schneiden wir alles nur mit einem total billigen Diktiergerät mit, das zwar schrecklich klingt und total über-komprimiert, was einen gewissen Charme besitzt und immer schön den Kern der Stücke hervorhebt. Manchmal brauchen wir aber auch die einzelnen Layer, um rauszufinden, was wir überhaupt gespielt haben. Wenn wir also unsere Proben mitschneiden, haben wir das Diktiergerät mit allen einzelnen Spuren, Audio und MIDI. Wir haben uns also darauf konzentriert, alles genau zu dokumentieren und zu archivieren, damit wir auf keinen Fall den ersten Take verlieren – das war uns sehr wichtig. Es klingt zwar kitschig, aber oft hat der erste Take eine gewisse Magie, und genau die wollten wir einfangen. Zuvor ist es häufiger vorgekommen, dass wir unzufrieden waren mit dem Ergebnis, wenn wir den ersten Take nochmal nachzugespielt oder nachgebaut haben. Dieses Mal wollten wir alles genauestens archivieren, d. h. auch die einzelnen Sounds, die Keyboard-Settings, die Einstellungen der Effektpedale etc. Alles, was du auf dem Album hörst, ist im Grunde ein First-Take, dadurch haben wir auch viel weniger aufnehmen müssen als sonst und wir waren flexibler, weil man z. B. MIDI-Spuren noch einmal verwenden konnte, um damit andere Synthies anzusteuern. Ich denke, dadurch ist das Album sehr organisch geworden.

Eines eurer Alben heißt Wolfgang Amadeus Phoenix und ein Lied darauf Lisztomania. Erzähl doch mal, welchen Stellenwert die klassische Musik für euch hat.

Mit unserer Musik im direkten Sinne hat das eher weniger zu tun. Natürlich gehört die klassische Musik zu unseren Wurzeln, schließlich ist beides westlichen Musik, und so gehört es eben auch zu unserer Identität. Und Klavier war damals das erste Instrument, das ich gelernt habe (damals von meiner Großmutter). Aber bei Wolfgang Amadeus Phoenix bzw. Lisztomania haben wir uns mehr auf die schillernden Charaktere oder die starken Persönlichkeiten der beiden Komponisten Mozart und Liszt fokussiert und haben eben diese thematisiert.

Die Keyboard-Burg von heute: optisch postmodern, technisch digital mit analogen Sounds
Abfeuern der Sounds aus zweiter Reihe mittels Livid-Elements-Controller
Doepfer-Manual mit DIY-Beleuchtung

Für den Liveeinsatz kommen bei Phoenix – wie wäre es auch anders zu erwarten – relativ viele Klänge von den Tasten. Auf Tour hat die vierköpfige Band daher den Keyboarder Robin Coudert dabei, der – genau wie der Schlagzeuger – nicht fest zur Band gehört.

Aus zweiter Reihe fährt er nicht nur die Sounds unter seinen eigenen Fingern, sondern steuert auch gleichzeitig die Sounds der beiden Mini-Keyboards Yamaha PSS-580, die von Deck und dem Gitarristen Laurent Brancowitz bedient werden. „Die Keyboards haben mit ihrem ‚natürlichen‘ Sounds rein gar nichts mehr zu tun, sie dienen nur als Tastatur, und die richtigen Sounds werden für jedes Lied von Robin über die Livid-Elements-Controller gesteuert. Von den PSS-580 haben wir schon etliche verschlissen, und natürlich haben wir immer mindestens zwei als Ersatz dabei.“ Ob es nicht fummelig ist, über solche kleinen Tasten zu spiele, frage ich. „Och, man gewöhnt sich daran“, antwortet Deck und ergänzt, dass sie ja auch keine Arien auf den Mini-Keyboards spielen, sondern einfache Läufe.

Phoenix Band live Keyboards
Hoher Verschleiß an Yamaha PSS-580 – und immer welche als Ersatz dabei (Bild: Dirk Heilmann)

Robins Keyboard-Burg macht auf den ersten Blick einen eher postmodernen Eindruck. Vier Manuale von Doepfer, die im äußerst minimalistischen Gehäuse und neben den schwarzen Tasten nur … äh … schwarze Tasten haben. Als einziges weitere Gimmick ist hier, genau wie bei den Yamaha-Keyboards, über jeder der Tastaturen ein LED-Streifen angebracht, der ein wenig Licht spendet – bei dem teils sehr dunklen Bühnenprogramm sehr praktisch.

Im Studio nutzen Phoenix allerlei, meist analoge, Keyboards, Synthesizer und Stagepianos, darunter auch einige Vintage-Schätze. Diese Technik live einzusetzen wäre aber nicht nur ein ständiges technisches Risiko, sondern auch ein enormer logistischer Aufwand, sofern die Keys überhaupt alle auf die Bühne passen würden. Daher werden live nur eigens aufgenommene Samples von den Keyboards genutzt, die auch auf Platte zu hören sind.

Phoenix Band live Keyboards
Guess, what’s the box … (Bild: Dirk Heilmann)

Auf einem Yamaha PSS-580 fällt mir ein kleines ungewöhnliches Kästchen auf, dass mich irgendwie an ein Morsegerät (???) erinnert. Nach einem Morsegerät zu fragen liegt mir dann aber auf der Bühne doch etwas zu fern, also formuliere ich: „What’s this little box, here?“, und bekomme genau die Antwort, die ich schon irgendwie erahnt habe – sehr extravagant, aber warum nicht?

Auch Sänger Thomas Mars hat sein kleines eigenes „Sound-Device“.

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