Wundersames Instrument

Thereministin Lydia Kavina im Interview

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Als Lew Thermen (frz.: Theremin; 1896 – 1993) beim Sowjetischen Elektrischen Kongress von 1920 sein „Aetherophon“ – vom griechischen „aether/Luft“, „phone/Stimme“ – der Öffentlichkeit vorstellte, wurde auch ein gewisser Vladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als Lenin, hellhörig.

Der Vater aller Oktoberrevolutionen entsandte den genialen Tüftler in den Westen, um dort anhand seiner Erfindung die technische Überlegenheit des Sozialismus zu demonstrieren. In den USA entwickelte Thermen sein Instrument weiter und ließ es in Serie bauen. Ende 1966 setzten die Beach Boys eine mit einer Tastatur versehene Version in ihrem Hit „Good Vibrations“ ein. Brian Wilson, kreativer Kopf der kalifornischen Strandjungs, war jedoch nicht der erste westliche Musiker, der sich vom Klangpotential des Theremins fasziniert zeigte.

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Schon der Neutöner Edgar Varèse (1883 – 1965) hatte im Jahr 1934 für seine Komposition „Ecutorial“ mit zwei „Fingerboard“-Theremins experimentiert; und der Hollywood-Komponist Miklós Rozsa setzte die für ungeübte Ohren nach einer singenden Säge klingende Apparatur 1945 im Hitchcock-Thriller „Spellbound“ (deutscher Titel: „Ich kämpfe um dich“) ein. Ein jüngerer Tonkünstler, der dem Theremin einen effektvollen Kino-Auftritt verschaffte, war Jack Nitzsche, der die Schlußsequenz des auch für seine Musik Oscarprämiierten Milos-Forman-Streifens „Einer flog über das Kuckucksnest“ (1975, mit Jack Nicholson) mit seinen oft gespenstisch anmutenden Schwebesounds untermalte.

Theremin-Klangbeispiel

Wie Nitzsche bedient sich die Mehrzahl der Spieler bis heute des leicht handhabbaren Fingerboard-Theremins. Das Original-Instrument indes spielt sich anders und – wenn man dem in diesem Fall trügerischen Augenschein traut – fast von selbst.

Das Funktionsprinzip

Zwei mit Antennen ausgestattete Hochfrequenzgeneratoren erzeugen ein Spannungsfeld, innerhalb dessen der Spieler durch Handbewegungen wechselnde Spannungsverhältnisse erzeugt; die dabei entstehenden Tonhöhen und Lautstärke-Pegel werden über Lautsprecher hörbar gemacht. Um den richtigen Ton zu treffen, bedarf es allerdings einiger Übung, wie Lydia Kavina weiß. Mitte der Neunziger wurde sie von dem US-Songwriter Tom Waits, seit jeher ein Jäger und Sammler obskurer Klangerzeuger, für eine gemeinsame Musical-Produktion mit dem Theatermacher Robert Wilson nach Hamburg geholt. Dort lernte sie der Kölner Posaunist Achim Fink kennen, der im Frühjahr 1998 als Musical Director der Kölner Inszenierung des Waits/Wilson-Werks „The Black Rider“ fungierte und die Kavina in sein Ensemble holte.

In der rheinischen Domstadt haben wir uns zwischen Proben und Aufführungen mit der Virtuosin unterhalten und uns Erste-Hand-Informationen über den Dino unter den elektronischen Klangerzeugern besorgt. Damit nicht genug, hat uns Lydia Kavina einige repräsentative und besonders expressive Theremin-Sounds in einer 4-Spur-Aufnahme zusammengestellt.

Wann und wo fand deine erste Begegnung mit dem Theremin statt?

Als ich neun Jahre alt war, kam Lew Thermen aus eigener Initiative auf mich zu, um mir Unterricht zu erteilen. Er brachte mir als erstes ein kleines Theremin mit, und ich begriff ziemlich schnell, wie man es bedient. Ich wusste damals noch nicht, dass ich es mit einem höchst ungewöhnlichen Instrument zu tun hatte. Die Koordination bekam ich schnell heraus; die richtige Spieltechnik zu erlernen, dauerte jedoch viele Jahre. Ich bekam über mehrere Jahre einmal in der Woche eine Unterweisung, die mehr spielerisch als strenger Unterricht war. Er brachte Kuchen oder Süßigkeiten mit, besuchte die Familie und führte mich in die Kunst des Thereminspielens ein. Er sprach sanft und immer mit Humor, so dass man nie irgendeinem Druck ausgesetzt war.

Lydia Kavina Theremin
Lydia Kavina

Wo kann man heute Unterricht im Thereminspiel nehmen?

Es gibt eine Gruppe in Moskau, die von einem Ingenieur namens Lew Koralow geleitet wird; dort kann man eine Ausbildung bekommen. Ich selber gebe Meisterklassen, mal eine Woche in England oder auch mal in den USA. Meine gesammelten Erfahrungen habe ich in einem Lehrvideo zusammengefaßt, das von Bob Moog produziert wurde. Auf diesem Video zeige ich Schritt für Schritt, wie man das Theremin erlernen kann. Es ist ja wichtig, dass man beim Erlernen eines Instruments jemanden beobachten kann, der das Instrument schon beherrscht. Man kann zwar jeden Tag zum Beispiel Gitarristen im Fernsehen anschauen, aber so gut wie nie einen Thereminspieler. Es gibt hier in Deutschland eine Firma, Touched By Sound in Nürnberg, die Theremine mit dem Lehrvideo verkauft. Rudi Linhard von dieser Firma arbeitet mit Bob Moog zusammen und hat auch inzwischen ein MIDI-fähiges Theremin entwickelt.

Gibt es Qualitätsunterschiede zwischen den Instrumenten verschiedener Hersteller, und worin bestehen sie?

Oh ja, ganz bestimmt gibt es Unterschiede. Ein wichtiges Kriterium ist die Stimmstabilität. Oft sind die Generatoren bei diesem Instrument nicht stabil; das bedeutet, dass man bei der Tonhöhe den Abstand immer wieder neu einschätzen muss. Weiterhin gibt es Unterschiede beim Tonumfang, also ob ein Theremin zwei, vier oder sogar sechs Oktaven Umfang bietet, und ebenfalls bei der Sensibilität der Lautstärke – ob sie nur grob „an – aus“ macht oder sehr viele Dynamikpositionen erfassen kann. Die von Moog gebauten Instrumente sind sehr stimmstabil, wohingegen manche Bausatz-Instrumente nicht so stimmsicher sind.

Kannst du unseren Lesern einige Spieltips geben?

Ja, gerne. Zum Beispiel die exakte Intonation: dazu bringt man die Hand in die Position, wo man erfahrungsgemäß den gewünschten Ton erwartet, lässt aber mit der „Volumenhand“ nur eine geringe Lautstärke zu, so dass man dann die genaue Tonhöhe nachkorrigiert und erst danach die Lautstärke hochzieht. Diese Fingertechnik wurde übrigens von Clara Rockmore entwickelt, die eine hervorragende Violinistin war, bevor sie wegen eines körperlichen Leidens das Geigenspiel aufgeben musste und ihre ganze Musikalität und Ausdrucksform auf das Theremin übertragen hat. Sie hat das Theremin wie eine Geige gespielt und sogar das Repertoire übernommen. Der Abstand zwischen zwei Halbtönen ist ja sehr gering. Da genügt schon eine kleine Handbewegung, man muss nicht den ganzen Arm bewegen. Die Finger sind ja viel beweglicher und können feiner dosieren.


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Spielst du eigentlich auch ein akustisches Instrument?

Ja, ich spiele Klavier; ich habe am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau ein Kompositionsstudium absolviert. Aber Konzerte bestreite ich nur auf dem Theremin.

Hast du vor, mit dem Theremin auch Plattenaufnahmen zu machen?

Ich habe schon zwei CDs aufgenommen, die in diesem Jahr herauskommen werden. Eine Produktion wurde in Amerika aufgenommen und enthält Werke, die für das Theremin geschrieben wurden. Diese CD zeigt eine Bandbreite vom Akustik-Duo aus Theremin und Klavier über Theremin mit Streichquartett und Theremin mit Stimme bis hin zum Theremin mit Elektronik und sogar einem Theremin-Quartett. Es sind dort Kompositionen von 1929 bis heute zu finden. Die zweite CD habe ich in Deutschland mit Matthias Sauer gemacht, der ein Theremin-Experte ist. Bei dieser Produktion haben wir versucht, die ganze Vielfalt der Klangmöglichkeiten des Theremins zu erfassen, auch in unterschiedlichen Musikstilen – Orchester, Jazz, Pop, Heavy Metal und natürlich Klassik, zum Beispiel mit Harfe. Es handelt sich um eine große Anzahl kurzer Beispiele, die Anregungen geben sollen, das Theremin überall einzusetzen.

War es schwierig, für das Quartett vier gute Thereminspieler zusammenzubekommen?

Es war wirklich nicht ganz einfach. Wir haben es letztendlich erst beim Theremin Summer Institute in Portland, Maine geschafft. Da kamen 25 Teilnehmer, und wir haben mehrere Ensembles gebildet – einmal sogar mit 13 Theremins! Das war keine leichte Aufgabe, denn schließlich hat man immer mit der Intonation zu kämpfen.

Lydia Kavina Theremin2

Arbeitest du vorwiegend im Bereich der zeitgenössischen Musik?

Ich habe schon in vielen unterschiedlichen Bereichen gearbeitet – im Pop, im Jazz, im experimentellen Jazz, bei Tom Waits’ „Black Rider“, auch in der Klassik, beim Film und am Theater. Was ich noch nicht ausprobiert habe, ist, mit Folklore-Instrumenten zusammenzuspielen, zum Beispiel mit einer Balalaika. Mit einem Didgeridoo habe ich aber schon mal zusammengespielt.

Du weißt sicher, dass die Beach Boys ein Theremin in ihrem Hit „Good Vibrations“ eingesetzt haben.

Aber das war eigentlich kein richtiges Theremin. Es war so, dass die Beach Boys das Theremin nicht gut genug beherrschten und sich an [Bob] Moog wandten, der ihnen dann eine Spezialkonstruktion gebaut hat mit einer Art Taststreifen, der leichter zu steuern war. Es war zwar derselbe Tongenerator, aber keine Antennensteuerung.

Auf welchen Aufnahmen ist ein richtiges Theremin eingesetzt worden, und welche dieser Aufnahmen gefallen dir?

Außer der CD von Clara Rockmore, die klassische Werke enthält, gibt es aus den 40er und 50er Jahren Aufnahmen von Samuel Hoffmann, der damals populäre Stücke auf dem Theremin gespielt hat. Er war auch Schüler von Thermen; er hat viel Filmmusik gemacht und war damals recht bekannt. Er hat zum großen Teil süße lyrische Stücke aufgenommen; einige Aufnahmen sind sogar mehrstimmig.

Was sind zur Zeit die Werke, die du persönlich am liebsten spielst?

Von [Camille] Saint-Saens spiele ich sehr gerne den „Schwan“ und den „Elefant“ [aus „Karneval der Tiere“]. Der „Schwan“ ist von allen Thereminspielern gespielt worden; er war übrigens auch das Lieblingsstück von Lew Thermen selbst. Im Original wurde es für Cello geschrieben, aber es eignet sich auch hervorragend für das Theremin. Dann gibt es noch ein Stück mit dem Titel „Mixolydia“, das der brasilianische Komponist Jorge Antones für mich geschrieben hat.

Du bist ja eine Weltreisende in Sachen Theremin. Was steht bei dir als nächstes auf dem Terminkalender?

Nach Konzerten in Wuppertal und Augsburg und zwei großen Konzerten in Italien, die auch aufgezeichnet werden, steht als nächstes der jährliche Workshop in Asheville, North Carolina an, der von Bob Moog organisiert wird.

Lydia Kavina auf LP/CD Adrian Mercator – „Beyond the mirrors“ Prudence 398.6516.2,

1996 „Ed Wood“ Original Soundtrack Recording. Hollywood Records HR-62002-2,

1994 „Music for films“ – various. Opal Records (4/2/1-25755),

1988 The Radio Science Orchestra- „Memories of the Future“, 1996 „SERVIsound – Meditatio in Variatione“ (1995), CD1.1495-3 „Die gefiederte Schlange“

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Nun, da wurden jetzt aber ein paar namhafte Rock Musiker, die dieses Instrument sowohl auf CD als auch live benutzen unterschlagen. Jimmy Page und Joe Bonamassa. Ich denke das gerade diese beiden das Instrument dem größten Publikum bekannt gemacht haben.

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  2. Oh, jetzt fällt mir gerade ein warum: Es sind Gitarristen 🙂

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  3. Interessanter Artikel, aber das Jahr könnte man schon angeben. Oder was ist gemeint mit Aufnahmen, die “dieses Jahr” heraus kommen sollen?

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    1. Hallo Veit,
      der Artikel, bzw. das Interview ist von 1998. Aufgrund des seltenen Themas aber recht zeitlos wie wir fanden.
      LG

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