Ein Freund großer Worte singt

Sebastian Krämer im Interview

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(Bild: Andreas Gundlach)

Wie bitte findet man solche Reime? Wie dazu noch solche Melodien? Nun findet man ja nicht einfach so, da braucht es schon einen genialen Geist, um solcherlei zustandezubringen. Sebastian Krämer hat ihn. Und viele Lieder daraus gewonnen. Aber intellektuell hin oder her: Erfrischend und originell ist das, was er macht!

Nun sind wir also im Aufnahmeraum in deinem Keller-Studio. Ich sehe drei Keyboards − keins hat ein Display, eins braucht nicht einmal Strom. Glaubst du nicht manchmal − dir fehle da vielleicht was?

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Wenn ich Sehnsucht nach einem Display habe, schalte ich hier mein Yamaha NU1 an, von dem du wahrscheinlich gar nicht bemerkt hast, dass es sich nicht um ein Klavier, sondern auch um ein Keyboard handelt. Das hat immerhin so rote Leuchtbalken wie auf einem alten Digitalwecker, ist aber vor allem per MIDI mit einem PC im Nebenraum verbunden, der mir hier eine wundervolle Bedienoberfläche für jede Menge Retortenklänge nebst DAW auf den Flachbildschirm zaubert …

»Sehnsucht nach Displays«, …das wäre doch fast noch ein Bonus-Titel für deine Akademie der Sehnsucht (LC 11449). Auf dieser Doppel-CD präsentierst du dich ja nicht nur als »flotter Liedermacher am Klavier« wie einst im »Giraffentango«, sondern außerdem auch als ausgefuchster Komponist. Sind die z. T. orchestralen Arrangements hier unten entstanden? Mit den Sounds aus der Retorte?

Das Kompliment, das mit dieser Frage einhergeht, leite ich bei Gelegenheit mal weiter an das Mendelssohn Kammerorchester Leipzig, die werden sich freuen, schon wie Retorte zu klingen. Nein, du meinst natürlich die Layouts, und die habe ich tatsächlich noch mit GM-Sounds und den werkseitigen Klängen aus einem Ensoniq KS-32 hörbar gemacht, um zu wissen, was ich den Musikern da auf die Pulte stelle. Das war auch noch nicht hier, die Platte hat ja schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Heute habe ich natürlich Komplete und sampletank, aber für die richtigen Aufnahmen bitte ich meist doch echte Musiker zum Mikrofon.


№2/3 2017

  • Editorial
  • Facts & Storys
  • Modular Kolumne
  • Mit Mark Forster auf Tour
  • MANDO DIAO IM INTERVIEW
  • Amy Lives: Xanthoné Blacq
  • Ströme− Eurorack Clubbing
  • MARIO HAMMER & THE LONELY ROBOT
  • Peter Pichler: Bewahrer des Trautoniums
  • NONLINEAR LABS C15
  • AKAI MPC LIVE
  • GIPFELSTÜRMER: NOVATION PEAK
  • Auf Lichtung gesichtet: Bigfoot
  • Gute Vibes im Museum
  • DIE HOHNER-STORY
  • Transkription − Chuck Leavell: Song For Amy
  • Impressum
  • Inserenten, Händler
  • Das Letzte − Kolumne

»Echte« Musiker an »echten« Instrumenten. Während einige Keyboard-Hersteller nach wie vor an interessanten Konzepten für innovative Synthesizer tüfteln, bieten andere die spannende, aber zugleich triviale Illusion von »… klingt ja genau wie: ein Saxofon z. B«. Welche Eigenschaften muss ein Keyboard haben, um für dich ein echtes Lieblingsinstrument zu werden?

Das Bemühen um diese »triviale Illusion« ist ja so alt wie die Orgelbaukunst. Du findest kaum eine Kirchenorgel ohne Flöten- und Oboenregister. Aber Imitationen, das liegt in der Natur der Sache, können ja den Originalen immer nur hinterherhinken. Ein digitaler Steinway, der noch besser wäre als der echte − was immer das dann hieße −, wäre ja erst recht keiner. Denn der echte punktet sogar noch mit seinen Macken.

Und damit wären wir bei diesem goldenen Schätzchen, meinem Hohner Clavinet I. Da brummt und hängt immer was, FM-Radio inklusive − kann sich Apple mal ’ne Scheibe von abschneiden. Und die Saiten müssen mit einem Schlitzschraubendreher − ohne Übersetzung! − direkt am Wirbel gestimmt werden; also unpraktischer geht es gar nicht. Aber ein Original! Die Imitate faszinieren uns und erleichtern die Arbeit ungemein, aber wir lieben die Originale.

(Bild: Andreas Gundlach)

Und das Teil on Top scheint ein ganz besonderes Original zu sein. Firma Wittmayer … Was hat es damit auf sich?

Das ist ein Klavichord, tatsächlich der Pate des Clavinets, hier noch die rein akustische Bauform. Wenn man so will, ist das Klavichord das Silent-Piano des 18. Jahrhunderts, das z. B. Bach und Söhne eifrig nutzten. Der Klang ähnelt dem Cembalo, ist jedoch um einiges leiser und anschlagdynamisch. Bass ist so gut wie nicht vorhanden, dafür silbrige Obertöne. Hohner modernisierte im 20. Jahrhundert dann dieses historische Instrument, fügte natürlich Tonabnehmer, Vorverstärker und hier im Modell I sogar einen internen Lautsprecher hinzu. Fertig war das Clavinet. Beim alten Klavichord kannst du allerdings, was für Tasteninstrumente sehr ungewöhnlich ist, sogar die Intonation mit dem Druck beeinflussen, wir haben also Pitchbending auf jedem einzelnen Ton.

Polyfoner Aftertouch? Das gab’s also schon damals!

Ja, wenn du so willst. Mein Instrument von Wittmayer ist allerdings nur ein Nachbau des ursprünglichen Instruments und kein historisches Exemplar. Sonst hätte ich es kaum dem Tourbetrieb und den damit einhergehenden Blessuren ausgesetzt.

Wie transportierst du es von einem Auftritt zum nächsten?

Heute vor allem: selten. Und ganz, ganz vorsichtig. Es hat so viel abgekriegt, aber nur äußerlich, nicht dort, wo es drauf ankommt. Irgendwann habe ich beschlossen, das Schicksal nicht länger herauszufordern. Aber früher, noch bis vor fünf Jahren, als das Instrument im laufenden Tourprogramm zum Einsatz kam, Tatsache per Hermes-Versand im Auftrag der Deutschen Bahn. Da ist dann mit dem Case oft recht ruppig umgesprungen worden. Man musste auch immer mehrere Tage für den Versand einplanen.

Was für ein Aufwand! Dabei kommt dieser Sound in deinen Liedern ja eher selten vor, etwa im Chanson D’aventure, einer bizarr-lustigen, mittelalterlich anmutenden Beschreibung deiner Arbeit als Drachentöter − aber eben: heutzutage! Und so verrichtest du diesen Job neuzeitlich mithilfe von Handy und GPS, NASA und dem FBI, um den bösen Wesen durch die U-Bahn-Schächte Berlins nachzujagen. Offenbar mit Erfolg, ich habe jedenfalls lange keine Drachen mehr gesehen … Oder auch im Lied Überwachung im Bus: ein Techno/House/Trance-Groove, vorgetragen auf dem Klavichord. Wäre dieses anachronistische Konzept nicht was für die nächste Zebrano-Keyboard-Party?

Dazu erklär ich mal schnell dem geneigten Leser, worum es sich dabei handelt: Als künstlerischer Leiter des Berliner Zebrano-Theaters arbeite ich auch gern an neuen Showkonzepten. Das Wort »Keyboard-Party« fiel mir als Jugendlicher in der Anleitung irgendeines Yamaha-PSS-Sonst-was ins Auge. Es ging in dem Absatz darum zu erklären, was man mit einer MIDI-Schnittstelle so alles anfangen kann, zum Beispiel eine Keyboard-Party feiern: Ein Haufen Keyboardbesitzer kommt zusammen, jeder hat sein Instrument dabei, und dann steuert man sich gegenseitig an. Die totale Session. Mich würde ja mal interessieren, ob es diese Tradition wirklich gibt?

Sebastian Krämer und Andreas Gundlach (l.) in ihrem Element (Bild: Andreas Gundlach)

Wie dem auch sei, für unser kleines Theater in Berlin-Friedrichshain schien es mir gerade schräg genug. Ich wollte genau das mit singenden und textenden Keyboard-Herrchen auf der Bühne veranstalten. Ich brauchte aber noch einen Mittäter, am besten jemanden, der wirklich viel Krempel zu Hause hat, einen Tastenkönig und ein Programmiergenie, kleinkunstaffin und charismatisch, einen mit Superkräften betankten Keyboard-Alleinunterhalter, womit wir bei Herrn Gundlach wären …

Ich danke sehr … (leicht errötend … oder eigentlich nicht − stimmt ja schließlich 😉

Egal, also kurz: Nun gibt es sie definitiv − die Zebrano-Keyboard-Party! Und der nächste Termin wird sowohl auf deiner als auch auf meiner als auch auf der Webseite des Zebrano-Theaters selbst zu finden sein: der 12.01.2017! So viel also mal als kurzer Werbeblock …

Zurück also zu dir: Oben unterm Dach steht ja nun doch noch ein »echter« Flügel. Wie viel Zeit verbringst du daran mit musikalischen Träumen?

Du meinst den, den wir auch schon auf der Keyboard-Party dabei hatten, weil es sich nämlich um ein Disklavier handelt? Der kann ganz alleine träumen, dazu braucht der mich gar nicht. Wie das funktioniert … keine Ahnung.

Nein, natürlich sitze ich da oft, solche Stunden verfliegen ungezählt, weil das passiert, wenn man sich es einfach rausnimmt neben allem, was so ansteht, und wenn nicht gerade meine Frau daran Bach spielt, mein Sohn die Sinfonie mit dem Paukenschlag übt oder der Nachbarsjunge Let it go. Die halbe Siedlung spielt an diesem Flügel. Und zwischendurch spielt er selber an sich rum.

Aha, so läuft das also bei dir, die Maschinen machen alles für dich, und du musst nur noch abnicken?

Ja, jetzt fliegt der Schwindel auf! Aber damit ich dabei nicht zu sehr ansetze, habe ich zumindest hier unten im Studio als Klavierbank nur einen Gymnastikball.

Also Arbeit und Tiefenentspannung in einem Abwasch!

Wenn etwas Körperspannung gefragt ist, zum Beispiel weil man gleichzeitig was einsingen will, verbessert der die Performance enorm. Oder ich spiele im Stehen an meinem »Lego-Keyboard«, das ein i-Phone 4 als Synthi ansteuert.

Na, wenn das mal kein echtes Original ist!

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