Konzertflügel aus Mathematik

Modartt Pianoteq – Physical Modeling Piano

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Digitale Pianoklänge werden auch heute noch hauptsächlich durch Sampling-Technik erzeugt; das trifft bis auf wenige Ausnahmen für Digitalpianos und Software-Instrumente zu. Als alternative Methode hat sich in letzter Zeit aber auch Physical Modeling etablieren können. Und die Zeiten, wo man dieser Technik einen eher synthetischen Beigeschmack attestierte, sind eindeutig vorbei …

Tonangebend im besten Sinne des Wortes ist auf diesem Gebiet der französische Hersteller Modartt, dessen Software-Instrument Pianoteq – inzwischen mit der Versionsnummer 5 – Sounds vom Allerfeinsten liefert und selbst auf kleinen Laptops hervorragend läuft.

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Sampling vs. Physical Modeling

Der markanteste Unterschied ist die klangliche Flexibilität. Ein Sampling-Piano ist ein Abbild eines Instruments, das in möglichst vielen seiner Ausdrucksmöglichkeiten über die Dynamik im Sampler wieder zusammengesetzt wird – abertausende Samples fließen dafür in einem Software-Instrument zusammen zu einer Gigabyte-schweren Library. Beim Physical Modeling hingegen wird ein Instrument durch ein mathematisches Modell repräsentiert. Dieses lässt sich in viele Richtungen „verformen“, was große Freiheit bei der Klanggestaltung bietet. So beschreibt es Philippe Guillaume, der Chef-Entwickler und Erfinder des Software-Instruments Pianoteq.

Julien Pommier und Philippe Guillaume
Das Modartt-Team Julien Pommier und Philippe Guillaume

 

Als gelernter Klaviertechniker war er zunächst damit beschäftigt, Pianos für Konzertpianisten zu tunen, wobei er feststellte, dass neben dem Tuning eine Menge weiterer Faktoren den Klang eines Flügels entscheidend beeinflussen. „Mit einer guten Intonation kann man wunderbare Klänge entwickeln“, erklärt uns Philippe Guillaume, „nichtsdestotrotz sind die Möglichkeiten limitiert. Man kann z. B. nicht ausschließlich den sechsten Oberton herausarbeiten. Damals entwickelte ich aber so eine Art Traumvorstellung von einem Instrument, das so etwas kann. Warum? Weil man mit einem Instrument, bei dem man die volle Kontrolle über alle Klangdetails hat, völlig neue Klänge und Soundscapes erfinden und entdecken kann.

Später habe ich Mathematik studiert und wurde Professor an der Universität INSA in Toulouse. Im Institut für Angewandte Mathematik habe ich mit meinem Kollegen Dr. Julien Pommier ein Forschungsprojekt gestartet mit dem Ziel, ein physikalisches Modell eines Pianos zu erstellen, das in Echtzeit arbeiten sollte.“

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Das erste Pianoteq

Mit ihrer Forschung begannen Phillip Guillaume und Julien Pommier 2003. „Es war der Beginn von Pianoteq“, berichtet Guillaume weiter, „und nach drei Jahren Entwicklungszeit kam Pianoteq 1 heraus.“ Eine Überraschung für die Fachwelt, denn bis dahin gab es zwar bereits überzeugende Nachbildungen von Fender Rhodes und Wurlitzer, aber ein akustisches Klavier als physikalisches Modell – das war zu diesem Zeitpunkt noch Neuland.

Pianoteq 1 war in wenigen Sekunden von der Website geladen sowie installiert und brauchte schon damals überraschend wenig Prozessorleistung. Allerdings konnte Pianoteq mit dem hochauflösenden Sound gesampelter Pianos einfach nicht mithalten: Im Grundklang war Pianoteq 1 einfach noch sehr drahtig und „synthetisch“. Dieses noch heute – zu Unrecht – existierende Vorurteil hat hier seinen Ursprung.

Und doch faszinierte diese Software, denn das virtuelle Klavier besaß schon alle Klangdetails von den Saitenresonanzen bis zu subtilen Nebengeräusche der Dämpfer etc. Und wenn auch der Grundklang nicht hundertprozentig war, so konnte Pianoteq vielmehr einen spielerischen Realismus in den dynamischen Zusammenhängen und der Klangentwicklung vermitteln.

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Ton für Ton lässt sich das Klangverhalten in Pianoteq 5 Pro bis ins kleinste Detail intonieren.

Ohne Stufendynamik!

Ein Detail, mit dem Sampling-Sounds auch heute noch ihre Problemchen haben, ist die Darstellung der dynamischen Obertonänderungen des Klaviers über Velocity-Layer. Pianoteq dagegen kann die Entwicklung des Obertongehalts über die Anschlagdynamik stufenlos darstellen. Auch ist ein im Sustain repetierter Ton nie identisch im Attack, wie es mit Samples der Fall ist. Die klanglichen Zusammenhänge über die Spieltechnik zu formen, darin überragte Pianoteq sogar schon damals jedes gesampelte Klavier. „Dies ist einer der großen Vorteile von Physical Modeling“, bestätigt Philippe Guillaume. „Es lässt sich besser spielen, da es das gesamte Klangverhalten beinhaltet. Dabei kommt gar nicht einmal nur das Klangverhalten des einzelnen Tons, sondern umso mehr noch die Interaktion der Töne untereinander zum Tragen. Und hier spielt neben den harmonischen Saitenresonanzen das Zusammenspiel von Sustain- und Soft-Pedal ebenso hinein.“

Virtuelle Piano-Mikrofonierung
Virtuelle Mikrofonierung in Pianoteq 5 Pro. Es lassen sich nicht nur die Mikrofontypen wählen, sondern auch die Positionierung und Ausrichtung lässt sich frei definieren.

Virtuelle Mikrofonierung

Neben den spieltechnischen Vorteilen gibt es aber noch ein anderes wichtiges Feature. Denn auch die Mikrofonierung kann in Pianoteq virtuell geschehen, d. h., Open oder Closed Miking, Hauptmikrofone, Kunstkopf-Stereofonie, die Wahl der Mikrofontypen bis zu deren Positionierung am Instrument und im Raum sind variabel – ein gewaltiges Werkzeug für den Musiker und auch bei der Musikproduktion. „So hat man alle Faktoren der Klanggestaltung zur Verfügung“, sagt Philippe Guillaume begeistert, „von der Stimmung über das Design und die Intonation bis zur Aufnahmetechnik.“

Diese Funktionen kamen in den Versionen 4, 4.5 und 5 hinzu – in dieser Zeit hat Pianoteq auch hinsichtlich der grundlegenden Klangqualität des Klaviermodells große Fortschritte gemacht. Vor allem in der aktuellen Version 5 kann man feststellen, dass der Sound deutlich transparenter und im Vergleich zu den Vorversionen exakter und höher aufgelöst klingt.

Höher, schneller, weiter …

Für Philippe Guillaume ist die Verbesserung des physikalischen Modells ein fortwährender Prozess, „indem wir immer weitere Details einfließen lassen können, was auch der Entwicklung der Computer-Power geschuldet ist“, stellt Philippe Guillaume klar. „So resultieren die klanglichen Verbesserungen in Pianoteq 5 aus dem neuen Resonanzboden- und einem neuen Attack-Modell. Außerdem spielen die neuen Mikrofonmodelle hier hinein.

Eigentlich gibt es keine Grenzen, die Entwicklung immer weiter zu treiben, aber man muss auch bereit sein, sehr viel Arbeit und Zeit zu investieren. Denn die Simulation eines akustischen Flügels ist eine extrem schwierige Angelegenheit, da der Sound so komplex ist. Bei Modartt arbeiten wir kontinuierlich an Verbesserungen – meistens macht man Tag für Tag nur sehr kleine Schritte, und manchmal macht man durch eine plötzliche Entdeckung einen riesig großen Schritt. Es ist aber stets wichtig, den Pianoteq-Usern zuzuhören. Ihr Feedback ist uns eine große Hilfe, um unsere Software immer weiter zu verbessern.“

 

Faszination Piano

Pianoteq 5 bietet außer den nachempfundenen berühmten Flügeln von Steinway, Blüthner und Yamaha auch ein Upright und kann neuerdings auch Konzertharfe und darüber hinaus sogar Elektropianos, Steel- und Hangdrum, Vibrafon, Marimba und Toy Piano.

Bei dieser Vielfalt mag man sich Philippe Guillaume als jemanden vorstellen, der unentwegt über seinen mathematischen Formeln brütet. Von großer Begeisterung und Hingabe zum reinen Klang zeugen aber auch die liebevollen Nachbildungen historischer Klaviere. Die Kremsegg Collection beinhaltet dabei Instrumente aus dem 18. und 19. Jahrhundert, sogar ein C. Bechstein aus dem Jahre 1899 ist darunter zu finden. Da solche Instrumente großen Seltenheitswert haben, ist Pianoteq besonders auch für Klassikpianisten interessant, um historische Musik auf authentisch klingenden Instrumenten zu spielen.

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Musikstücke mit den Instrumenten hören, wie damals Bach, Mozart oder Beethoven. Mit den historischen Instrumenten der Kremsegg-Collectioin in Pianoteq ist’s möglich.

 

Philippe Guillaume bemerkt zwar, dass es ihm schwerfalle, Klang mit Worten zu beschreiben, aber was ihn am meisten am Pianoklang fasziniert, „sind die Resonanzen und die Art, wie diese sich als aufeinanderfolgende Wellen überlagern und immer wieder neue Muster bilden. Ein anderes faszinierendes Element ist für mich, wie aus der Kombination aus Holz und Metall der Klang entsteht – das Holz vom Resonanzboden, das Metall der Saiten. Die große Schwierigkeit ist es, zwischen dem holzig und dem metallisch Klingenden eine gute Balance zu finden – das sind für mich die beiden Gesichter des Pianoklanges. Die Balance ist eine Frage des Geschmacks, und tatsächlich hat sich dieser über die Zeit ständig geändert. Im 19. Jahrhundert gab es zum Beispiel eine weitaus größere Klangpalette, als wir sie heute vorfinden. Aber gerade diesen Klangreichtum des Piano-Sounds finde ich so faszinierend. Deswegen sind mir auch die Nachbildungen der historischen Instrumente so wichtig. Und außerdem: Wo bekommt man schon die Gelegenheit, sich die Musik von Mozart, Beethoven, Schubert usw. so anzuhören, wie sie zu deren Zeiten geklungen hat?“

 

Wie ein physikalisches Modell entsteht

Sampling kann man nachvollziehen: aufnehmen, schneiden, mappen, spielen. Bei einem Sound, der sich aus mathematischen Formeln ableitet, erscheint einem der Vorgang doch etwas abstrakter. Aber auch bei Modartt beginnt der Prozess mit zahlreichen Aufnahmen einzelner Töne. „Diese analysieren wir dann hinsichtlich ihrer physikalischen Charakteristiken und füttern damit unser mathematisches Modell. So erhalten wir eine erste Rohversion des Modells. Damit endet der ‚automatische‘ Teil der Arbeit, und der manuelle Teil beginnt.

Jetzt vergleichen wir den von unserem Modell erzeugten Sound mit dem Original. Wir feilen dann solange an den Klangparametern, bis wir uns dem ursprünglichen Sound immer weiter nähern. Den finalen Step machen wir dann in Zusammenarbeit mit Beta-Testern. Unser Ziel dabei ist dann eigentlich nichts anderes, als der Versuch, ein möglichst schön klingendes Instrument zu erschaffen.

Dieses finale Tuning ist dann auch der ausschlaggebende Moment, wo das Instrument so etwas wie eine Seele bekommt. Zwar arbeiten wir mit einem physikalischen Modell, aber letztendlich sind wir damit gar nicht so weit entfernt von der wirklichen Welt, denn die wesentlichen Elemente sind auch bei uns: Tuning, Intonation und Design – diese Dinge kann man in der digitalen Welt nur mittels Physical Modeling effektiv darstellen.“

 

 

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