Ryo Okumoto:

Mellotron-Magier im Prog-Rock-Zirkus

Anzeige

Dieses Gesicht sagt mehr als tausend Worte: Wenn Ryo Okumoto auf der Bühne steht und seine Hammond-Sounds durch das Leslie treibt oder mit tiefen Mellotron-Chören den Boden beben lässt, kneift er die Augen zusammen, wirft den Kopf in den Nacken und öffnet den Mund weit, gerade so als sänge er seine Instrumente, als wäre er es, der zusammen mit den Klängen auf die Reise geht – vom Tastendruck durch die Filter, Controller und Effekte hin zum Publikum.

mellotron-magier-Ryo-Okumoto-1
(Bild: InsideOut Music)

Mal hoch konzentriert über sein Stage-Piano gebückt, mal ekstatisch an seiner Keyboard-Burg rüttelnd, bis diese zuweilen kollabiert und ihn unbeirrt weiterspielend unter sich begräbt, wird der zierliche Japaner zu dem, was man ohne Zweifel „eins mit seiner Musik“ nennen kann. Seine Musik, das ist der Progressive Rock, den er seit 1997 mit den kalifornischen Vollblut-Musikern Spock’s Beard zelebriert. Doch in Jazz und Fusion ist Okumoto ebenso zu Hause – sein Soloalbum „Coming Through“ von 2003 vereint diese Stile gekonnt. Das Konzept dahinter: „Ich wollte alte Kompositionen, an denen mir viel lag, überarbeiten und im Prog-Stil neu arrangieren.“ Die ersten eigenen Kompositionen veröffentlichte Ryo Okumoto bereits 1980 auf dem Album „Solid Gold“, zwei weitere Alben folgten noch im selben Jahr.

Anzeige

Seine musikalische Karriere begann in der heimischen Abstellkammer im japanischen Osaka: Dort lernte er bei Kerzenschein und unter den gestrengen Augen der Mutter zunächst das Harmonium- Spiel, und mit vier Jahren bekam er Klavierunterricht. „Ich spielte natürlich Klassik, was ich ziemlich langweilig fand. Mit zehn lernte ich dann Pop- Songs auf der Gitarre und gab mein erstes Konzert – zu Hause, vor Kindern aus der Nachbarschaft.“

Dass Ryo Okumoto Musik zu seinem Beruf machen würde, zeichnete sich während seines Studiums an der Dick Grove School of Music in Los Angeles ab: Nachdem er in Japan bereits mit Kitaro zusammengearbeitet hatte, knüpfte er nun Kontakte zu Musikern wie Phil Collins, Aretha Franklin oder Barry White, die er auf Tour oder im Studio unterstützte. Im vergangen Jahr tourte Ryo Okumoto mit Natalie Cole.

Mit Spock’s Beard und deren Debüt- Album „The Light“ spielte der ambitionierte Keyboarder sich in die Oberliga des zeitgenössischen Prog Rock, wo die Band bis heute verweilt – auch nach dem plötzlichen Weggang des Bandgründers, Frontmanns und Songschreibers Neal Morse, der die Band aus religiösen Motiven verließ. Ryo Okumoto erinnert sich an die Anfänge von Spock’s Beard: „Damals teilten Neal und ich uns die Keyboard- Arbeit: Während er Piano spielte, konnte ich mich auf den Rest konzentrieren“, was ganz Ryos Geschmack entsprach: „Wir überlegten, welche Sounds wohl zu unserem Stil passen würden und orientierten uns an den Klassikern: Mellotron, Hammond und Minimoog mussten einfach dabei sein.“

mellotron-magier-Ryo-Okumoto-2
(Bild: InsideOut Music)

Wenn Ryo Okumoto über das Mellotron redet, gerät er ins Schwelgen: „Es ist schon etwas Besonderes: Jeder benutzt heute Samples, aber ich bleibe beim Original – man ist immer damit beschäftigt, das Instrument nachzustimmen, der Sound schwebt immer Chorus-artig. Das kann man mit Samples einfach nicht imitieren.“ Auf seinen Aufnahmen und auf Tournee in den USA benutzt er konsequent eines seiner zwei Original-Mellotrone, und auch auf dem jüngsten Spock’s Beard-Album „Octane“ (Inside- Out) sind die charakteristischen Flöten-, Streicher-, und Chorklänge wieder prominent platziert, obwohl die Scheibe insgesamt die epischen Prog-Rock-Pfade früher Spock’s Beard-Tage zugunsten straighterer Song-Strukturen verlässt. Ryo Okumoto schafft es irgendwie, das 40 Jahre alte Sampler-Urgestein immer noch frisch und unverbraucht klingen zu lassen. So verfeinert er es auf „Octane“ mit Phaser-Effekten oder wechselt auch mal zwischen den verschiedenen Klängen der drei Tonband-Spuren unter einer Taste, während er einen Akkord hält.

Das Beherrschen der spezifischen Controller eines Instruments ist für Okumoto genauso wichtig wie das Tastenspiel selbst, so auch bei der Hammond-Orgel (live spielt Ryo Okumoto eine Korg CX3), seinem anderen Liebling: „Das Geheimnis ist das Volume-Pedal – und die Zugriegel. Man muss lernen, wie man sie richtig einsetzt.“ Und so sieht man Ryo auf der Bühne kontinuierlich in Action: Seine Finger flitzen von Zugriegel zu Tastatur, von Tastatur zu Filter- Reglern. Für Analog-Sounds hat Ryo sich gerade einen Korg MS2000 zugelegt. „Eigentlich habe ich mir schon lange keine neuen Geräte mehr gekauft – die Sounds der modernen Synthesizer unterscheiden sich doch nicht so sehr“, verrät er. „Aber dann war ich doch mal im Musikgeschäft und bin auf den MS- 2000 gestoßen. Und der hatte ja einen Vocoder!“ Der fand auf der „Coming Through“-Tour 2004 direkt Einsatz – noch ein zusätzliches Gerät, das Okumoto in Windeseile bedient.

Dann kneift er wieder die Augen zusammen, legt den Kopf in den Nacken, öffnet den Mund weit und rüttelt an seinen Keyboards, und wenn diese mal umfallen – was soll’s? „Es ist schließlich alles Unterhaltung, ein bisschen wie im Zirkus.“


Hier versandkostenfrei die neue Keyboards-Ausgabe zum Thema Sampling bestellen 

KEYBOARDS 4/2016

Das sind die Themen dieser Ausgabe:

  • Sampletalk mit And.Ypsilon (Die fantastischen Vier)
  • Tobias Enhus spricht über sein Synclavier
  • Die Groove-Mutter: Yamaha RS7000
  • Real Samples – Historische Tasteninstrumente digitalisiert
  • Software-Sampler am Rande der Wahrnehmung
  • Korg DSS-1 als Hardware-Plug-in
  • Cinematique Instruments – Filmreife Sample-Instrumente
  • Groovesampler in der Praxis
  • Die Mellotron-Story
  • Vintage Park: Fairlight CMI
  • Transkription – Ten Sharp: You

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.