Zwei Burgherren im Zwiegespräch

Jordan Rudess (Dream Theater) und Damon Fox (Bigelf) im Interview

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Jordan Rudess Dream Theater Fox Bigelf
Damon Fox und Jordan Rudess (Bild: Michael Kuchenbecker)

Der eine schwört auf den unverwechselbaren, knarzig-charakteristischen Sound nahezu musealer Tasteninstrumente, der andere verblüfft die ehrfürchtigen Metal-Heads im Publikum immer wieder mit Hi-Tech-Equipment und allerneuesten Gear-Gadgets: Damon Fox ist Front- und Tastenmann der kalifornischen Psychedelic Hard- und Classic-Rocker Bigelf, und Jordan Rudess setzt seit 10 Jahren als Keyboard-Wizard bei Dream Theater Maßstäbe im Progressive Metal. Wir trafen die vermeintlich so unterschiedlichen Keyboarder-Charaktere im Rahmen der „Progressive Nation“-Festival-Tour zu einem aufschlussreichen Techtalk.

Zwischen euren Live-Setups liegen Welten – genauer gesagt: mindestens 30 Jahre Technologie-Entwicklung. Wie würdet ihr die Herangehensweise des jeweils anderen charakterisieren?

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Rudess: Was Damon macht, finde ich einfach cool: Wenn er sein analoges Equipment aus Minimoog und Mellotron auffährt, ist das ja mehr als bloßes Spielen irgendwelcher Instrumente – er setzt damit ja unweigerlich eine Art Statement für Vintage-Synths, gerade wenn man das alles auf der Bühne sieht. So etwas kann ich mit meinem modernen, digitalen Synths ja gar nicht leisten. Ich für meinen Teil suche meine Geräte ganz pragmatisch danach aus, ob ich mit ihnen klanglich das umsetzen kann, was ich mir vorstelle. Im Studio können das oftmals auch Analogsynths sein, und dann überlege ich, wie ich dies in einem weiteren Schritt mit digitalen Mitteln wie der Korg Oasys live umsetzen kann.

Fox: So gesehen ist mein Klangvorrat natürlich arg beschränkt – auf ganze sechs Sounds.

Rudess: Verteilt auf sechs Keyboards! (lacht)

Fox: Jordan ist da viel flexibler, obwohl er nur den einen Controller spielt. Aber dass man bei Bigelf in jedem Song eine Hammond-Orgel hört, macht ja auch unseren Stil aus und ist Teil der Bigelf-Philosophie, die z. B. streng genommen erst einmal keine Samples vorsieht.

War das eine bewusste Entscheidung, auch im Hinblick auf das Live-Spiel – besonders handlich ist dein Equipment ja nicht gerade …

Fox: Ganz sicher. Manchmal komme ich mir zwischen meinen Keys zwar vor wie ein Jongleur, und die Länge meiner Haare macht das schnelle Finden der richtigen Tasten nicht unbedingt leichter, aber das macht ja auch den FunFaktor aus. Andererseits bewundere ich auch Jordans Möglichkeiten, hunderte Sounds über sein „Mothership“ per Knopfdruck abrufen zu können und solche Innovationen wie etwa ein iPhone oder interaktive Videos zu integrieren. Er zeigt den Fans die Möglichkeiten der Moderne, wir erinnern mit unserem Vintage-Equipment quasi an die Wurzeln – und dass es sich lohnt, sie in Erinnerung zu behalten.

Rudess: Ich habe das Gefühl, dass Vintage-Sounds und -Instrumente zurzeit wieder beliebter werden. Ich spiele zum Beispiel auch ein [Manikin] Memotron, die digitale Neuaflage des Sampler-Urgesteins Mellotron.

Fox: Das tue ich auch, allerdings nur als Backup für mein Original-Mellotron – das sich übrigens entgegen vieler Befürchtungen immer noch als durchaus zuverlässiges Live-Instrument erweist.

Rudess: Auf dieser Tour habe ich das Memotron nicht mehr dabei, aus dem schlichten Grund, dass ich einfach auf maximal einer Keyboardtastatur spielen möchte, die ich ständig im Blick habe. Wir haben manchmal so viele Program-Changes innerhalb eines Songs – von verzerrten Solosounds über Piano-Chords bis hin zu getriggerten Sprachsamples –, dass ich einfach keine Zeit habe, meine Hände auch noch zu einem anderen Keyboard hin zu bewegen.

Also verwendest du auch erheblich viel Zeit für die Vorbereitung?

Rudess: Exakt. Und darauf zu entscheiden, welche Technologie mir den größtmöglichen Komfort bietet, so viel wie möglich mit einem Gerät zu steuern. Für mich ist das die Korg Oasys.

Fox: Ich gehe natürlich auch Kompromisse ein: Ich liebe Rhodes-Sounds, würde ein Original aber nie für zwei Songs mit auf Tour nehmen. So setze ich schon mal ein [Clavia] Nord Electro ein, auch als Orgel-Backup. Ich habe jetzt ja schon zwei Keyboard-Burgen, zumindest die Mitte sollte noch frei bleiben. (lacht)

Rudess: Progressive-Rock-Keyboarder sind ja berüchtigt für ihre Keyboard-Burgen. Das Publikum liebt und erwartet das ja auch als Teil der Show. Ich für meinen Teil kompensiere dies sozusagen auf meine Art, indem ich zusätzlich auch das (Haken) Continuum spiele. Am liebsten wäre mir hier aber auch, wenn ich es direkt auf oder gar in meinem Oasys haben könnte. Früher tourte ich auch mal mit einem riesigen Moog-Modularsystem im Gepäck. Was sich zugegebenermaßen als etwas übertrieben herausstellte, da ich es nur in zwei Songs eingesetzt habe. Mit Rücksicht auf die Roadies lasse ich das jetzt lieber sein. (lacht)

Du spielst aber auch noch ein Remote-Keyboard … und auf einem Bildschirm sieht man einen computeranimierten Rudess im Zaubermantel synchron mitspielen.

Meine Keytar ist ein speziell für mich designtes Einzelstück, deshalb spiele ich sie auch so gerne und versuche, die Setlist so anzulegen, dass sich eine Gelegenheit ergibt, sie hervorzuholen. Ich steuere damit einen [Roland] V-Synth an, was ich übrigens auch mit dem Continuum tue. 99 Prozent der Sounds und Samples kommen aus dem Oasys, aber der V-Synth hat einige sehr charakteristische Distortion-Lead-Sounds, die einfach perfekt passen.

Was den animierten „Keyboard-Wizard“ angeht: Der basiert auf Comic-Charakteren, die der finnische Designer Myka Tyyskä ursprünglich für Dream-Theater-Videos erschaffen hat. Der Programmierer Robert Medina ging einen Schritt weiter und hat eine Software entwickelt, die via MIDI alle Note- und Pitch-Wheel-Daten des Oasys empfängt, was den Wizard entsprechend bewegt. Live kann ich so nun quasi mit mir selbst im Duett spielen.

Welche Rolle würdet ihr den Keyboards in euren ja sehr von E-Gitarren dominierten Bands zuschreiben – und wie setzt ihr euch im Arrangement durch?

Fox: Die Hammond-Orgel sehe ich eigentlich als Art Rhythmusgitarre, das war ja schon bei Deep Purple so: Richie Blackmoore und Jon Lord spielten beide verzerrt – und beide ergänzten sich perfekt. Oberflächlich würde man Bigelf oder Dream Theater wohl zunächst als stark gitarrendominiert bezeichnen – wenn man genauer hinhört, sind Gitarren und Keyboards aber durchaus gleichberechtigt.

Rudess: Die Rolle des Keyboarders hat sich in meinen Augen heute auch stark gewandelt, was Sound und Spieltechniken angeht. Wo hört die Gitarre auf, wo fangen die Keyboards an? Manchmal ist das wirklich schwer festzumachen. Wenn ich mit John Petrucci (dem Dream Theater-Gitarristen; Anm.d.Aut.) Soli austüftle, kreiere ich häufig Sounds, die einer E-Gitarre sehr nahe kommen. Das macht es schließlich auch für die Fans interessant, die dann oft rätseln, wer welchen Part eingespielt hat – und meine Soli in der Tat immer wieder John zuordnen.

Fox: Ich denke, Jordan hat auch viel dafür getan, den Keyboarder wieder aus der Rolle des Begleitmusikers, der bloß Pads spielt, herauszuholen. Unsere Beiträge sind halt unbestritten relevant – man sollte als Keyboader so selbstbewusst sein, die auch im Mix widerspiegeln zu lassen.

Das Konzept der „Taste“ hat sich ja mittlerweile erweitert: Inwieweit oder wie lange sind Keyboarder eurer Meinung nach noch an dieses Medium gebunden? Jordan Rudess spielt zum Beispiel verstärkt mit Ribbon-Controllern oder Touchpads …

Rudess: Zunächst muss man als Keyboarder natürlich eine Menge Energie und Ehrgeiz aufbringen, um das ursprüngliche Tastenspiel zu erlernen und zu beherrschen. Aber die Technologien ermöglichen es heute mehr denn je, unseren Horizont zu erweitern. Mein aktuelles Beispiel ist die iPhone-App „Bebot“, die ich auch live spiele. Ähnlich dem Continuum kann man auf dem Screen mehrdimensional spielen, auf X- und Y-Achse fließend Tonhöhe und andere Parameter beeinflussen. Das zurzeit zur Verfügung stehende Bedienfeld ist natürlich noch sehr klein, aber „Bebot“ eröffnet ganz neue Möglichkeiten und Ideen. Solche Entwicklungen sind mehr als nur ein Spielzeug und sollten sehr ernst genommen werden. Ich sehe der Weiterentwicklung mit Spannung entgegen …

Fox: Der Kreativität von Keyboardern sind kaum Grenzen gesetzt. Im Kontext von sogenanntem Progressive Rock, in dem Bigelf und Dream Theater sich ja bewegen, ist solch eine Herangehensweise wie die Jordans auf jeden Fall progressiv im ursprünglichen Wortsinn.

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