Lieblings-Synths und Retrospektive

Jean-Michel Jarre im Interview – On Planet Jarre

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(Bild: Mark Tso)

Seit nunmehr 50 Jahren ist Jean-Michel Jarre unermüdlich musikalisch tätig. Einen Gang zurück schalten? Nicht mit JMJ! Noch immer überrascht der umtriebige Franzose mit Superlativen und stetigem Output. Wir sprachen mit dem Ausnahmemusiker, der uns von Lieblings-Synths aus fünf Jahrzenten, Wegen zur Kreativität und seiner aktuellen Retrospektive Planet Jarre erzählte.

Im September 2018 erscheint als »Geburtstagsgeschenk« die umfangreiche Best-Of-Compilation Planet Jarre in Form einer Doppel-CD. Nur wenige Wochen später bestreitet der Meister seinen spektakulären 50.000-Leute-Gig The Green Concert in Riad, um gleich darauf mit einem weiteren, brandneuen Longplayer die Equinoxe-Story weiterzustricken. Eine Podcast-Serie mit dem britischen Musiker und Komiker Matt Berry erscheint da schon fast als Nebensache. Keine Frage, JMJ hat reichlich Energie und viel zu erzählen. Und das nicht nur musikalisch. Wir treffen uns mit dem niemals müden und immer freundlichen Synthie-Pionier im herbstlich-nebligen Berlin.

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Jean-Michel, vor gut zwei Jahren haben wir nach dem Interview einen bekannten Berliner Modular-Shop besucht. Bist du mittlerweile Eurorack-infiziert?

Ja, ich habe mich seitdem tatsächlich viel mit Eurorack-Modulen beschäftigt und auch Kontakt zu einigen sehr interessanten Herstellern aufgenommen. Wirklich spannend finde ich etwa Erica-Synth. Ich glaube, die gehören derzeit zum Spannendsten, was die Synthesizer-Welt zu bieten hat. Interessanterweise kommen sie aus einem Land, welches man bisher eigentlich nicht so sehr mit Synthesizern verbunden hat [Litauen; Anm.d.Red.]. Sie haben auch Module mit Röhren. Ich finde das irre, in der digitalen Welt mit Röhrengeräten zu arbeiten. Das verspricht wirklich ungewöhnliche Sounds. Die Sachen von Intellijel mag ich auch sehr. Mittlerweile habe ich zwei recht umfangreiche Racks mit verschiedensten Modulen.

Was gefällt dir besonders an der Eurorack-Philosophie?

Im Gegensatz zu einem Modular-Moog oder ARP 2500 kannst du hier verschiedenste technische und klangliche Konzepte in einem Instrument vereinen. Das sorgt natürlich für ganz andere Klangergebnisse. Ein sinnvoll bestücktes Eurorack-System kann ein wirklich leistungsfähiges Instrument sein − nicht nur für Drones und seltsame Noises.

Wächst dein Studio noch immer? Gibt es Neuzugänge, abgesehen vom Eurorack-System?

Ich bin großer Fan von OB 6 und Prophet X geworden − beides sehr interessante Synths. Besonders gespannt bin ich auf den neuen Moog One! Das könnte der ultimative Analog-Synthesizer werden. Ich bin in Kontakt mit Moog und warte sehnsüchtig auf meinen Moog One.

Wie wichtig sind für dich Software-Synths?

Viele Software-Synths sind klanglich wirklich interessant geworden. Nehmen wir etwa die neueste Generation der Vintage-Collection von Arturia: Früher waren die ok, heute sind das allesamt richtig tolle Synths.

Präferierst du dennoch deine Hardware-Klassiker?

Das kann ich gar nicht so klar trennen. Mit Software arbeite ich einfach anders − sie bringt mich auf andere Ideen, liefert andere Resultate. Deswegen experimentiere ich gerne mit beidem. Es gibt da für mich kein grundsätzliches Besser oder Schlechter.

Bevorzugst du lieber einfach gestrickte Synths, oder schätzt du eine gewisse Komplexität?

Für mich ist es besser, bestimmte Einschränkungen zu haben. Zu viele Möglichkeiten bergen die Gefahr, sich in ihnen zu verlieren. Ich denke, mit einem einfachen Synth ist es leichter, einen persönlichen Stil zu entwickeln − und sich selbst auszudrücken. Es gibt so viele Instrumente, deren komplexe Möglichkeiten du in 95% deiner Zeit zu gerade einmal 5% nutzt. Für einen Entwickler ist es sicher eine tolle Herausforderung, ein komplexes Instrument mit unglaublich vielen Möglichkeiten zu bauen, aber bringt dich das als Künstler wirklich weiter? Deshalb mag ich Instrumente, die bestimmte Dinge außergewöhnlich gut können. Schlussendlich sind das meist die Instrumente, mit denen du wirklich langfristig und intensiv arbeiten wirst.

Zu Beginn deiner Karriere hast du dich als Teil »einer Handvoll schräger Leute mit seltsamen Instrumenten« gesehen. Heute stehen dir buchstäblich alle Möglichkeiten offen. Wie gehst du mit dieser Situation um?

Wie schon gesagt − Beschränkungen sind sehr wichtig. Heute sehe ich sie sogar als Luxus. Man versucht, dich davon zu überzeugen, dass die neueste Technologie dir die Möglichkeit verschafft, ein großer Künstler zu werden. Prinzipiell ist das nicht einmal unbedingt falsch, allerdings opferst du dann deine Identität. Fragen wie »Wer bin ich?, Wo stehe ich?« verlieren dann möglicherweise an Bedeutung und damit auch dein Stellenwert als Künstler. Wenn dir heute alle Möglichkeiten offen stehen, ist es deine Aufgabe, dir selbst Beschränkungen aufzuerlegen und dadurch deine persönliche Richtung zu definieren. Kaufe dir einen einzigen Synth und arbeite nur damit mindestens ein halbes Jahr lang − ich bin sicher, du wirst dann eher eine eigene Klangsprache und eine künstlerische Identität entwickeln als mit 20 tollen Instrumenten.

Wie handhabst du diese Herausforderung?

Ich versuche immer wieder, etwas zu tun, was ich zuvor noch nie so gemacht habe. Ein Beispiel ist Robots dont’ Cry von meinem neuen Album Equinoxe Infinity: Da habe ich das gesamte Thema des Tracks mit meinem Mellotron [4000D; Anm.d.Red.] eingespielt − und zwar in einem Take. Ganz so, als würde ich am Klavier sitzen. Bisher habe ich das Mellotron ausschließlich für Flächen, Atmos und Soundscapes verwendet, nie jedoch als Melodieinstrument und Träger eines Tracks. Das war also tatsächlich etwas Neues für mich. Und es hat funktioniert, wie ich finde. Robots hat etwas sehr Eigenes und Intensives erhalten. Einerseits ist da der tolle Mellotron-Sound − dieser besondere Mix aus Nostalgie und Futurismus, der mich immer an Schwarz-Weiß-Filme von Fritz Lang erinnert −, andererseits die Tatsache, einen zuvor unbekannten künstlerischen Weg gegangen zu sein.

Die Gear-Liste auf Planet Jarre scheint sämtliche Instrumente zu enthalten, die du jemals genutzt hast. Wie viele davon existieren heute noch?

Nahezu alle! Wenn möglich, habe ich alle Instrumente aufgehoben.

Das aktuelle Studio: Alles da, vom Moog System 55 bis zum NI Komplete-Keyboard.
Diverse Farfisa-Orgeln und der ...
... Eko Computerrhythm sind seit Oxygene mit dabei.

Und alle sind spielbereit?

Richtig. Dabei ist es wichtig, dass die alten Geräte ständig laufen. Ich schalte sie nach Möglichkeit nie ab. So funktionieren sie am zuverlässigsten.

 Besitzt du noch die Sequencer, die Michel Geiss für dich entwickelt hat?

Ja, die waren sogar aktuell auf Equinoxe Infinity dabei − allerdings eher dank ihres Symbolcharakters. Sie sind sehr schwierig zu syncen. Früher haben wir oftmals einen halben Tag gebraucht, bis der Sync funktionierte. Dann liefen sie allerdings super. Wir konnten nie exakt herausfinden, wo das Problem lag …

Worum handelt es sich beim GRM Coupigny?

Das ist ein superseltenes Instrument aus den späten 50er-Jahren. Es gehörte Pierre Schaeffer, meinem damaligen Musikprofessor in Paris. Es gab nur zwei Exemplare, eines davon konnte ich zeitweise nutzen. Es ist auf Oxygene 3 zu hören und auch auf dem Stück Close Your Eyes, dass ich zusammen mit Air gemacht habe. Wir hatten die Idee, elektronische Instrumente aus fünf Jahrzehnten zu verwenden. Und das ging los mit Schere, Ton- und Klebeband und eben dem Coupigny. Der Coupigny besteht aus einigen Oszillatoren und Filtern aus der Rundfunktechnik. Die Oszillatoren klangen unglaublich kraftvoll − ein toller Sound! Heute stellt man oftmals Filter und Hüllkurven in den Vordergrund, aber letztlich sind doch die Oszillatoren die eigentliche Klangquelle.

Glaubst du, dass auch in der Zukunft noch technische Innovationen stattfinden werden, die die Musikproduktion so nachhaltig beeinflussen können wie einst Synthesizer, Sequencer und Sampler?

Ich bin sicher, dass in den nächsten zehn Jahren A.I. in der Lage sein wird, vollkommen selbstständig eigene Musik zu erschaffen. Wir menschlichen Musiker werden mit einer Situation konfrontiert, die so zuvor noch nie existiert hat und darin eine Stellung beziehen müssen.

Welche Konsequenzen siehst du in dieser Entwicklung?

Das ist die spannende Frage! Sieht man die Sache pessimistisch, wird man sicher sagen, das wäre das Ende der menschlichen Kreativität. Ich bin hingegen der Ansicht, dass der Umgang mit A.I. wirklich großes Potenzial bieten kann. Möglicherweise erhalten wir dadurch den Schlüssel zu unseren ungenutzten Hirnarealen − immerhin 90% − und entwickeln damit eine Art von Kreativität, von der wir bisher nichts geahnt haben.

Ein perfektes Schlusswort! Vielen Dank, Jean-Michel!

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