Jazzpiano

Interview mit John Taylor

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Der britische Musiker John Taylor gehört seit Ende der 60er-Jahre zu den wichtigsten und interessantesten europäischen Jazzpianisten. Fernab aller Klischees entwickelte er einen einzigartigen Stil, der gleichermaßen in der Tradition eines Bill Evans wie in der pastoralen klassischen Musik Englands zu wurzeln scheint, immer aber unvorhersehbar und äußerst inspiriert bleibt.

John Taylor

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John Taylors Spiel wird gerühmt für seine lyrischen Qualitäten, seinen harmonischen Einfallsreichtum, für die Fülle seiner Klangfarben und für seine ausgefeilte Rhythmik. Bereits 1977 gründete er die Gruppe „Azimuth“, mit der er für das Label ECM wegweisende Alben wie The Touchstone oder Départ einspielte. Kritiker beschreiben dieses Trio mit dem Trompeter Kenny Wheeler und der Sängerin Norma Winstone als „eines der fantasievollsten und ausgewogensten Kammermusikensembles des zeitgenössischen Jazz“. Neben Kenny Wheeler verbindet John eine langjährige Zusammenarbeit mit dem britischen Saxofonisten, Klarinettisten und Komponisten John Surman, aus der u. a. die hochgelobte Produktion Ambleside Days hervorgegangen ist.

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Das Weltklasseniveau des Pianisten John Taylor wurde in den vergangenen Jahrzehnten darüber hinaus in zahlreichen Produktionen mit Musikern wie Jan Garbarek, Charlie Haden, Peter Erskine, Gil Evans, Dave Holland, Jack DeJohnette, Lee Konitz, Michael Brecker, Marc Johnson, Joey Baron, Enrico Rava, Charlie Mariano, Ralph Towner oder Miroslav Vitous dokumentiert. Auch als Komponist erlangte John Taylor höchste Anerkennung. So erhielt er im Jahr 2002 für seine Komposition The Green Man Suite den „BBC Jazz Award“ in der Kategorie „Best New Work“. KEYBOARDS hatte die Gelegenheit zu einem Interview mit John, in dem er unter anderem über seine aktuelle Solo-CD Phases, sein harmonisches Konzept, diverse Tasteninstrumente und seine aktuellen Projekte spricht.

John Taylor
(Bild: Luigi Pretolani)

John, deine CD Phases ist in diesem Jahr beim italienischen Label „CamJazz“ erschienen. Vier der Kompositionen auf dem Album tragen die Titel Spring, Summer, Autumn und Winter. Offenbar hat die CD also etwas mit den „Phasen“ des Jahres zu tun. Was war dein musikalisches Konzept bei der Arbeit an dem Album?

John Taylor: Das Konzept hat sich in einer Zeit entwickelt, als ich an neuen Soloklavier-Ideen arbeitete, aus denen zunächst das Stück Spring entstand. Weil ich in den 80er-Jahren für die Gruppe Azimuth schon eine Komposition mit dem Titel Autumn geschrieben hatte, kam ich auf die Idee, dass mein neues Soloprojekt etwas mit den Jahreszeiten zu tun haben könnte. Sobald dieser übergeordnete Gedanke im Raum stand, kam der Prozess ins Rollen, und es folgten die Stücke Summer und Winter. Die übrigen Kompositionen habe ich dann intuitiv so ausgewählt und angeordnet, dass der große Bogen der CD für mich stimmig war.

Du hast in deinen Jazzimprovisationen und -kompositionen eine sehr persönliche, unverwechselbare Harmonik entwickelt. Auf Phases wird zudem deutlich, dass du dein harmonisches Vokabular ständig erweiterst …

John Taylor: Mir ist es wichtig, meine harmonische Sprache immer wieder aufzufrischen, zu erneuern – nach neuen Klangfarben zu suchen und mit diesen Stimmungen, Eindrücke oder Gefühle auszudrücken.

Gibt es Spieler oder Komponisten, die dich dabei inspirieren?

John Taylor: Ja klar, ich werde immer wieder inspiriert durch Musiker wie Kenny Wheeler, Herbie Hancock, Olivier Messiaen oder Bill Evans, um nur einige zu nennen.

Wie erarbeitest du dir improvisatorische Freiheit mit dem neuen harmonischen Material, das du in deinen Kompositionen entwickelst?

John Taylor: Für mich ist es immer wieder eine Herausforderung, über neuere Stücke zu improvisieren – auf Phases sind das Stücke wie z. B. Ritual oder Spring. Ich beschäftige mich lange mit diesen Kompositionen und entdecke dabei irgendwann Wege, wie ich improvisatorisch mit dem Material umgehen kann. Dabei geht es mir darum, nicht nur konventionelle Formen der Improvisation auszuloten, sondern auch mit Elementen wie Klangfarbe oder Textur zu improvisieren.

Ich habe eine Passage aus deinem Solo über Spring transkribiert (siehe S. 20), in der deine linke Hand ein Ostinato mit rhythmischen Variationen spielt und deine rechte darüber außergewöhnliche, sehr spannende Lines improvisiert. Hast du bei dieser Improvisation ein bestimmtes harmonisches Konzept verfolgt?

John Taylor: Ich würde nicht von einem konkreten Konzept sprechen, aber ich habe zum Teil intervallisch gedacht – große Terzen, Rückung von musikalischen Strukturen in Ganztonabständen …

Bei zwei Stücken auf der CD, Foil und Duetto, benutzt du die Celesta – ein Tasteninstrument mit einem glockenspielähnlichen, aber viel weicheren und differenzierteren Klang. Soweit ich weiß, wird die Celesta vor allem in sinfonischer Musik verwendet. Nur wenige Jazzpianisten haben sie bisher benutzt – spontan kommen mir Thelonious Monk und Keith Jarrett in den Sinn. Wie kam es zum Einsatz dieses außergewöhnlichen Instruments?

John Taylor: In den Bauer Studios in Ludwigsburg, wo wir Phases aufgenommen haben, gibt es eine Celesta. Ich wollte dieses Instrument gerne auf dem Album verwenden und hatte schließlich die Idee, Overdubs aufzunehmen, bei denen ich sowohl die Celesta wie auch den Flügel als Solo- bzw. Begleitinstrument spielte. Dabei war mein Wunsch, ein Ergebnis zu erzielen, bei dem die beiden Instrumente zum einen aufeinander reagieren, zum anderen aber auch in einem Kontrast zueinander stehen und so die Qualitäten des jeweils anderen Instruments besonders zur Geltung bringen. Der Einfall war ziemlich spontan und improvisiert, und mit dem Ergebnis war ich sehr glücklich. Später erfuhr ich, dass Keith Jarrett genau dasselbe Instrument 30 Jahre vorher in den Bauer Studios für sein Album The Survivor´s Suite eingesetzt hatte.

Johnt Trailor
(Bild: Carol Forbes)

Wo wir gerade über andere Tasteninstrumente als das Klavier sprechen: In den späten Siebzigern hast du in dem Trio Azimuth mit Synthesizern gearbeitet, und auf John Surmans Proverbs and Songs spielst du Kirchenorgel. Wie entwickelte sich dein Interesse für diese Instrumente?

John Taylor: Als ich John Surman in den frühen Siebzigern zum ersten Mal mit dem EMS-Synthi AKS hörte, war ich fasziniert und begeistert. Ich verwendete das Instrument dann 1977 auf dem ersten Azimuth-Album. Danach habe ich es noch einige Jahre lang gespielt und bei späteren Aufnahmen auch eine elektronische Orgel benutzt, die im Rainbow Studio in Oslo stand. Ich erinnere mich nicht genau, welche – vielleicht war es eine der damals aktuellen Farfisa- oder Haven-Orgeln, in jedem Fall etwas in der Richtung. Nachdem wir 1996 Proverbs and Songs aufgenommen hatten, habe ich in vielen Konzerten und an vielen verschiedenen Orten auf Kirchenorgeln gespielt. Diese Orgeln waren natürlich alle unterschiedlich und einzigartig, wodurch jedes unserer Konzerte auch den Aspekt eines kleinen Abenteuers bekam, weil ich mich immer wieder spontan auf die verschiedenen Instrumente einstellen musste.

Welche Keyboarder interessieren dich zurzeit?

John Taylor: Seit Langem bewundere ich den britischen Musiker Django Bates, der elektronische Tasteninstrumente unglaublich fantasievoll einsetzt.

Lass uns über deine Zeit in Deutschland sprechen: Von 1993 bis 2007 warst du Professor für Jazzklavier an der Hochschule für Musik Köln und hast die Jazzszene und Jazzausbildung in Deutschland über viele Jahre aus nächster Nähe beobachten können. Was sind deine Eindrücke aus dieser Zeit?

John Taylor: Während meiner 13-jährigen Tätigkeit in Köln habe ich viele interessante und begabte Studenten kennengelernt. Außerdem habe ich Freunde gefunden und auch selbst eine Menge gelernt. Besonders beeindruckt hat mich in Deutschland die Menge an Ausbildungsangeboten im Jazzbereich und an musikalischen Aktivitäten im Allgemeinen. Ich glaube, dass jungen Musikern hier viele Chancen geboten werden.

Wie beurteilst du die Jazzausbildung in Deutschland im Vergleich zu deiner aktuellen Tätigkeit in England?

John Taylor: In England unterrichte ich momentan als Dozent für Jazz an der York University. Im Unterschied zur Hochschule in Köln bin ich hier Teil eines „modularen“ Ausbildungssystems: Die Studenten erhalten eine umfassende Ausbildung, die verschiedene Musikrichtungen umfasst – Jazz ist nur ein Teil davon.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal zu deinen musikalischen Aktivitäten zurückkehren und dich bitten, mir etwas über deine nächsten Projekte zu erzählen. Wird es dieses Jahr weitere CD-Veröffentlichungen geben? Komponierst du zurzeit?

John Taylor: Bei meinen aktuellen Projekten bin ich als Pianist und auch als Komponist involviert. CamJazz wird eine neue CD veröffentlichen, die dem amerikanischen Schriftsteller Kurt Vonnegut gewidmet ist. Auf dem Album spielt eine Quartettbesetzung. Dazu gehören der britische Saxofonist Julian Argüelles und die Musiker meines Trios: Palle Danielsson am Bass und Martin France am Schlagzeug. Darüber hinaus schreibe ich gerade Musik für ein Projekt mit der WDR Big Band, bei dem die italienische Sängerin Diana Torto und ich im März des kommenden Jahres die Gastsolisten sein werden.

Notenblatt "Spring"

 

Über den Autor:

Jazzpianist Jarry Singla studierte in den Neunzigerjahren bei John Taylor an der Hochschule für Musik Köln.

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