Lukas Vogel und Erol Sarp

Interview mit den Grandbrothers

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Grandbrothers
(Bild: Markus Thiel)

Wer bei neuer Musik auf einem Flügel lediglich an Wiener Schule und Expressionismus denkt, hat vermutlich die Grandbrothers noch nicht gehört. Auch wenn die Idee, einen Flügel auch als Schlaginstrument zu nutzen, nicht wirklich neu ist, lassen die beiden Düsseldorfer mit ihrer Form des Duetts die Königsklasse des Pianoforte in neue Sphären abheben.

Was diese beiden Musiker mit ihrem Flügel anstellen, sollte man selbst erlebt haben. Die Beschränkung auf nur ein einziges Instrument durchbrechen die Grandbrothers unter anderem mit sequenzergesteuerten Elektromagnethämmerchen, die den Korpus des Pianos zur extravaganten Drummachine werden lassen, mit welcher Lukas Erols Pianospiel mit einer weiteren klanglichen Dimension bereichert. Dazu kommen durch kontaktlose Induktion zum Schwingen angeregte Seiten, welche dem Klavier ungewohnt Pad-artige Sounds entlocken.

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Wir trafen die beiden anlässlich der Veröffentlichung ihrer aktuellen LP Open in ihrem Bochumer Studio.

Wir habt ihr euch kennengelernt?

Erol: Kennengelernt haben wir uns 2007 bei der Aufnahmeprüfung fürs Studium. In den ersten Wochen haben wir uns dann direkt ziemlich schnell angefreundet und viel miteinander unternommen. Im Studium hat man natürlich auch zwangsläufig viel miteinander zu tun, da es ja ein wirklich kleiner Fachbereich ist. Das Projekt wurde dann so ca. 2011 aus der Taufe gehoben, da keiner von uns beiden in dieser Zeit irgendeine Band hatte und wir uns daher überlegten, ob wir nicht etwas Gemeinsames auf die Beine stellen könnten. Bei unseren Überlegungen sind wir dann irgendwie ziemlich schnell auf die Idee mit dem Flügel gekommen.

Das Klavier war für uns aber genaugenommen auch sowas wie ein logischer Schritt, da wir beide über das Instrumentalfach Jazzpiano bereits einen Zugang dazu hatten. Nach und nach hat sich das Ganze dann weiterentwickelt. Uns wurde relativ schnell klar, dass wir uns bei der Umsetzung unserer eigenen Musik komplett auf das Klavier und alles, was man da heraus – holen kann, beschränken würden. Damit hatten wir uns klar gegen die Nutzung von Drumsamples, Synthesizern oder irgendwelchen anderen ergänzenden Klangerzeugern entschieden. Das heißt, der Sound muss schon irgendwie aus einem Flügel zu generieren sein.

Grandbrothers
(Bild: Markus Thiel)

Habt ihr vorher auch schon mal was mit präparierten Pianos ausprobiert? Oder anders gefragt, wie seid ihr letztlich auf die Idee mit den elektromagnetisch gesteuerten Hämmern gekommen?

Lukas: Ich glaube von uns hat bisher keiner mit präparierten Pianos im herkömmlichen Sinne gearbeitet.

Erol: Vielleicht mal so spielerisch ein Blatt Papier reingelegt oder etwas in der Art, aber lange nicht so aufwendig, wie das etwa Hauschka praktiziert.

Lukas: Es war dann eigentlich mehr so, dass unsere ursprüngliche Idee war, Klavier mit Elektronik zu kombinieren, ohne die Art und Weise der Umsetzung konkret zu definieren. Beeinflusst hat mich auf jeden Fall, dass ich schon recht früh damit angefangen habe, auch eigene Synthesizer zu bauen. Wir hatten sogar im Studium das Fach Musikinformatik, in dem ich mich intensiv mit Entwicklungsumgebungen wie Max/MSP und Super-Collider beschäftigt habe. Irgendwie hat es sich dadurch bis hin zum Bau von Studiogeräten bei mir schon sehr in eine Bastlerrichtung entwickelt.

Die erste Idee bezüglich der Kombination von Elektronik und Klavier ging dann auch erstmal in Richtung Live-Sampling − also im Prinzip Aufnahme und Verfremdung von Sounds mittels DAW. Dabei ist dann bei mir der Wunsch entstanden, dass ich auch in der Lage sein wollte, mittels meines Setups komplett synthesefrei Klänge direkt aus dem Flügel zu generieren. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mir intensive Gedanken darüber gemacht, wie ich ergänzend zu Erols Spiel von meinem Setup aus ebenfalls auf dem Flügel spielen könnte, ohne dabei eine Technologie wie etwa ein Disklavier zu benutzen. Ich habe dann unter anderem angefangen, Saiten unter Strom zu setzen und mit Gitarrenpickups zu experimentieren − womit ich dann erstmal einen Amp geschrottet habe. Irgendwann hat es dann bei mir »klick« gemacht, und mir wurde klar, dass ich aufgrund des Umstands, dass ein Klavier nun mal am besten klingt, wenn man die Saiten anschlägt, auch ich das Instrument mit irgendeiner Art Hammer bearbeiten muss. Mit den kleinen elektrischen Hämmerchen haben wir dann angefangen, das Klangpotenzial des Klaviers tiefgreifender zu erforschen.

Erol: Dabei ergab sich dann, dass man natürlich durch das direkte Anschlagen von Saiten tonal eingreifen kann, aber auf der anderen Seite mit Einbeziehen von Korpus und Rahmen auch Beats generieren kann. Im Prinzip können wir mit unserem Setup jetzt auch eine komplette Drummachine simulieren. Der Flügel, auf dem wir in der Hochschule »üben« durften, hatte auch noch so eine Glockenschraube, mit der man so etwas wie eine Hi-Hat erzeigen konnte − beim aktuellen Flügel mussten wir diesen Sound mit so einem kleinen Metallgefäß ein wenig nachfaken. Für die Bassdrum mussten wir uns auch was Besonderes überlegen. Die Lösung lag am Ende darin, einen Piezo-Tonabnehmer auf eine der Pedalstangen zu kleben und diese dann anzuspielen. Damit hatten wir dann die wichtigsten Groove-Bausteine zusammen.

Sehr spannend!

Lukas: Im Gegensatz zu Leuten, die etwa mit den Händen oder mit Klöppeln live auf einem Klavier herumschlagen, können wir mit unsrer Lösung bequem Beats am Rechner bauen und bearbeiten. Was wir besonders spannend fanden, war die Tatsache, dass wir den Flügel mit unsren Hämmerchen so ungemein akkurat anspielen konnten. Zu Beginn hatte ich sogar einen eigenen Sequenzer für das System gebaut, um etwas freier mit Tempi umgehen zu können. Da gab es auch noch keine Shuffle- oder Humanizer-Funktionen, die das ganze etwas aufgelockert hätten, es war halt alles sehr mechanisch präzise, was aber, mit dem freien Pianospiel von Erol kombiniert, einen ganz besonderen Charme hatte.



 

№5/6 2017

  • Editorial
  • Facts & Storys
  • Modular Kolumne
  • EVANESCENCE
  • Im Gespräch mit Lars Eidinger
  • HÄMMERN MIT DEN GRANDBROTHERS
  • Reisen & Neuanfänge: Lucy Rose
  • Keys4CRO: Tim Schwerdter
  • Klangbastler Enik & Werkzeugmacher Gerhard Mayrhofer
  • Bei Klavis in Brüssel
  • BACK TO THE ROOTS: AKAI MPC X
  • Dexibell Combo J7
  • DICKES BRETT: POLYEND SEQ
  • Mr. Hyde & Dr. Strangelove jagen Dr. No
  • Visionäre: MIDI In My Head!
  • DIE ELKA-STORY
  • Transkription: Michael Wollny
  • Impressum
  • Inserenten, Händler
  • Das Letzte − Kolumne


Auf welcher Basis hast du den Sequenzer konstruiert?

Es war ein reiner Software-Sequenzer, den ich mit Max/MSP umgesetzt habe. Dafür musste ich natürlich alles selbst programmieren, was zum Beispiel die Steuerung der Hämmer angeht, wann diese wie schlagen. Darüber hinaus laufen aber auch noch die kompletten Audioeffekte für die Samples darüber. Das ist aktuell immer noch so, allerdings hat Ableton Live den Sequenzer mittlerweile abgelöst, da es doch um einiges komfortabler ist.

Erol: … und es ist natürlich auch viel zuverlässiger. Gerade bei den ersten Konzerten, die wir hatten, war es doch oft so, dass kurz vorher etwas nicht funktionierte oder plötzlich auf der Bühne irgendwas ausgefallen war. Es gab da wirklich viele Momente, wo wir richtig ins Schwitzen gekommen sind. Auf der anderen Seite haben wir auch viel dadurch gelernt, und es hatte den positiven Nebeneffekt, dass wir heute viel entspannter sind, wenn dann doch mal was nicht so richtig klappt.

Das gehört aber einfach auch ein bisschen dazu, wenn alles irgendwie selbstgebaut ist. Das Experimentelle ist eben auch irgendwo ein Teil von uns. Das ist im Übrigen auch die beste Ausrede, wenn live was danebengeht. (lacht)

Lukas: Zu dem Zeitpunkt, wo ich diese kleinen Hämmerchen entworfen habe, hatte ich beispielsweise noch gar nicht gerafft, dass es solche Teile ja auch schon industriell gefertigt gibt. Allerdings sind entsprechende Pendants dann viel kleiner und doch nicht ganz so speziell wie unsere.

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Der komplette Flügel mit allen mechanischen und elektromagnetischen Erweiterungen (Bild: Markus Thiel)

Wie gibst du über Ableton die Steuerimpulse an die Hämmer aus?

Softwareseitig ist da immer noch Max For Live mit jeder Menge Max-Patches dazwischen, womit ich die Hämmerchen dann beispielsweise auch mal über ein Launchpad triggern kann. Letztlich konvertiert mir Max MIDI-Signal in serielle Kommunikation, welche via entsprechendem Protokoll dann an ein Arduino-System geht. Auf diesem ist es dann einfach ein kleines C-Programm, welches diese seriellen Befehle in den entsprechenden Strom wandelt, um die Elektromagneten auszulösen. Dazu müssen die aus dem Arduino-System kommenden Ströme allerdings über eine Transistorschaltung mit entsprechend starken Kondensatoren in einer externen Box noch verstärkt werden.

Für das aktuelle Album sind jetzt auch noch komplett neue Elemente hinzugekommen. Wir nennen sie »Bows« − angelehnt an E-Bows, die das gleiche Prinzip anwenden. In speziell gewickelte Spulen können wir die Schwingung der darunterliegenden Saite induzieren und diese so in Schwingung versetzen. Ein E-Bow ist ja in der Lage, die entsprechende Saite zu erkennen, um sich dann darauf einzustellen − das funktioniert bei unserem System natürlich nicht. Da sind wir im Moment auch noch in der Experimentierphase, will heißen, die Schaltung befindet sich noch komplett auf einem Breadboard. Ich habe aber schon alle Teile inklusive Case bestellt und bin gerade dabei, erste Elemente zu löten. Im November wird das dann rechtzeitig zur Tour fertig sein.

Unsere ersten Geräte haben wir noch ohne Gehäuse als Platine transportiert. Solange wir Konzerte im per Auto erreichbaren Umfeld hatten, war das eigentlich kein Problem. Komplizierter wurde es, als wir unseren ersten Gig in London spielen sollten, da mussten wir dann doch schnell zusehen, dass wir unser Equipment mittels passender Gehäuse irgendwie flugtauglich bekommen. Die Krux war, dass wir plötzlich den Kram, den wir vorher immer lose in drei vier Kisten geschmissen hatten, nun so platzsparend wie möglich auf zwei Koffer verteilen mussten.

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Das Grandpiano-Pendant zum E-Bow bei der E-Gitarre (Bild: Markus Thiel)

Lukas: Der größte Knackpunkt dabei war eigentlich der Bleiakku, den wir bis dahin als Spannungsquelle verwendeten. Mit solchen Gepäckstücken hört bei Fluggesellschaften die Kulanz dann leider schlagartig auf.

Erol: Manchmal müssen wir zwar immer noch mal die Koffer öffnen und dem Sicherheitspersonal erklären, was das alles so ist, aber im Großen und Ganzen läuft das jetzt problemlos. Einmal hatte ich die Steuerbox ins Handgepäck gepackt − warum auch immer −, da musste ich schon sehr lange erklären, dass man damit wirklich Musik machen kann. Am Ende standen so knapp sechs bis sieben Mitarbeiter um uns herum, und es wurde noch richtig lustig. Aber kurze Zeit hatte ich wirklich ein wenig Sorge, ob das jetzt gut geht.

Lukas: Ich weiß auch noch, warum wir die Box im Handgepäck hatten. Auf dem Hinflug hatten wir sie nämlich im Koffer, und dabei hatten sich durch die Vibrationen im Gepäckraum und das Handling zahlreiche Kontakte gelöst. Das mussten wir dann noch alles kurz vor dem Gig wieder zusammenlöten.

Klingt so, als wäre es grundsätzlich eine gute Idee, immer ein Lötbesteck dabei zu haben.

Am Anfang war das wirklich so, mittlerweile ist aber alles bombensicher verbaut − da kann eigentlich nicht mehr viel kaputtgehen.

Wie sieht das aus, wenn ihr zusammen komponiert?

Erol: Eigentlich jammen wir ganz klassisch erst mal ein bisschen. Manchmal kann das eine Melodie sein, um die wir herumarbeiten, oder auch mal ein Pattern. Durch die neuen Bows und vor allem natürlich durch das Live-Sampling entstehen auch viele Ideen. Aber im Prinzip entsteht das alles immer gemeinsam. Wenn ich mich beispielsweise alleine hinsetze, fehlt mir irgendwie auch etwas.

Also bekommt ihr das schon sehr organisch hin. Ja, es ist eigentlich wie bei jeder anderen Band. Da kommt dann auch schon mal die Frage, ob der Beat nicht auch so oder so sein kann, und umgekehrt hat Lukas auch Vorschläge und Vorstellungen, was harmonisch passieren kann. Wir begreifen aber auch wirklich beide Komponenten als zwei gleichberechtigte Musikinstrumente.

Lukas: Mit der Einschränkung, dass mein Musikinstrument ohne Erols natürlich irgendwie nicht funktioniert. Es ist eigentlich für mich auch nicht möglich, schon mal irgendetwas am Computer vorzuentwickeln, da das eigentlich erst im gemeinsamen Prozess überhaupt entstehen kann. Eine Arbeit im stillen Kämmerlein ohne den Input des Flügels geht einfach gar nicht. Ich habe ja beispielsweise auch gar keinen Einfluss auf die Pedaltätigkeit, die bei der Klanggestaltung im Zusammenhang mit dem Auslösen der Hämmerchen eine gewaltige Rolle spielt.

Erol: Diese Synergie im Arbeitsprozess hat sich bei uns aber auch wirklich sehr schnell entwickelt.

Grandbrothers
(Bild: Markus Thiel)

Plant ihr noch technische Erweiterungen an eurem Setup?

Lukas: Ja, es gibt da etwas, an dem ich schon mal ein wenig herumgeforscht habe. Was wir gerne noch hätten, sind nämlich ein paar tiefere Töne, die ich versuchen möchte, mit so einem Gongschlägel auf dem Rahmen zu erzeugen. So was bräuchte man dann natürlich auch als Maschine.

Erol: Das wäre dann auch gar nicht wirklich als Percussion-Element, sondern eher als Soundeffekt gedacht, da dabei natürlich auch der gesamte Flügel angeregt wird. Auf dem ersten Stück des neuen Albums haben wir diesen Sound auch schon integriert. Allerdings spiele ich das in diesem Fall manuell.

Eine Idee von uns wäre in diesem Zusammenhang auch mal, dass wir vielleicht zum Konzertbeginn noch gar nicht auf der Bühne sind und dann erst mal der Flügel alleine so langsam zu leben anfängt. Dafür wäre der Fellschlägel natürlich auch ideal.

Lukas: Da es bei uns ja eigentlich auch ziemlich experimentell angefangen hat, überlegen wir, ob es sich nicht auch wieder ein bisschen mehr in diese Richtung entwickeln sollte. Vielleicht gibt es da in Zukunft noch mal eine gesonderte EP.

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