Nicht von dieser Welt

Interview mit Beardy Guy von Walk off the Earth

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(Bild: Jason Blakely)

Berlin − Warschauer Straße. Ich steige aus der S-Bahn und gehe in Richtung RAW-Gelände. Auf dem Weg dorthin durchschreite ich das bunte Treiben der Metropole, in das der Wechsel von Sonnenlicht oder Mondschein eigentlich keinen nennenswerten Unterschied zu bringen vermag …

Hier pulsiert das ständige Leben der Großstadt. Zwei Coach-Service-Nightliner parken vorm Backstage: Heute findet im ASTRA-Kulturhaus ein Konzert statt, das auch hier nicht alle Tage selbstverständlich ist. Internationale Hits der jüngeren Musikgeschichte − in neuem und wirklich originellem Gewand. Eine der weltweit angesagtesten Bands für kreative POP-Kultur ist angereist − die Schlange vorm Einlass reicht bis auf die Straße −, und wer das Gelände kennt, weiß, was das bedeutet: Hier lohnt es sich heute ernsthaft, einen guten Platz zu ergattern!

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In euren Konzerten wird richtig viel mitgesungen − die Fans kennen ja geradezu alle Titel! War es von vornherein euer Konzept, »Mitsingkonzerte« zu spielen?

Naja … zumindest war es immer das wichtigste Anliegen, das Publikum wirklich zu beteiligen und in den Bann zu ziehen! Dafür nutzen wir im Laufe des späteren Abends auch einige »außermusikalische« Effekte wie die Konfettibombe und die Luftballons, die durchs Publikum wandern.

Wir haben aber in der Band auch immer nach unorthodoxen, unkonventionellen Instrumenten gesucht, um unsere Musik zu bereichern. Klänge, die sonst üblicherweise in der Pop-Musik so nicht stattfinden. Je ausgefallener, desto besser. Angefangen haben wir mit Haushaltsgegenständen: Besen oder Zahnbürste! Damit Musik zu machen ist schon erstmal speziell in der Pop-Szene … Aber als wir dann erfolgreicher wurden, sind sogar manche Hersteller auf uns zugekommen, um neue, ungewöhnliche Instrumente zu entwickeln und auszuprobieren.

Wie bist du als Endorser zu Hohner gekommen?

Unsere Settings sind so unterschiedlich − als Keyboarder brauchst du schon mal ein leicht transportables Instrument. Eben z. B. eine Melodika, die habe ich wirklich häufig im Einsatz. Gerne aber auch das Akkordeon. Wir wollten diese Instrumente haben und suchten nach der bestmöglichen Qualität am Markt − so sind wir bei Hohner gelandet und damit sehr glücklich. Das sind echt coole Jungs, und wir denken gemeinsam über weitere »Custom-Made«-Instrumente nach.

(Bild: Andreas Grundlach)

Wenn man euch dann spielen hört, klingt alles so perfekt − sagenhaft komplexe und immer originelle Arrangements. Schreibt ihr dafür Partituren, oder wie geht so etwas?

Nun − es ist tatsächlich in den allermeisten Fällen ein echtes Gemeinschaftswerk. Sicher, es gibt vorher konzeptionelle Vorstellungen, John ist oft die treibende Kraft dafür. Aber das eigentliche Arrangement entsteht dann im Zusammenspiel. Wie bei einer Baseballmannschaft: Alle sind mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Aufgaben ausgestattet, aber gespielt wird dann als ein Team. Beim Improvisieren ist jeder mit seinen Instrumenten am Start, und wenn die anderen mal fünf Taktschläge Luft lassen − na, dann bist du wohl dran, mal einen Ton zu spielen! 🙂

Hattet ihr schon mal Copyright-Probleme wegen der Cover-Bearbeitungen, die ihr spielt?

Ganz zu Anfang vielleicht ein wenig. Aber nach kurzer Zeit war es umgekehrt: Da kamen Künstler und Verlage auf uns zu und wollten, dass wir ihre Stücke spielen. Und ich selbst genieße es, wie man aus einem guten Song etwas Neues schaffen kann. Einen wirklich guten Song kriegst du nicht kaputt − da ist immer wieder eine neue Variante drin. Das hält uns und unsere Fans gleichermaßen in Spannung.

Arbeitet ihr auf der Bühne mit Click-Tracks oder Playbacks?

Sehr, sehr wenig − es spielt eigentlich keine große Rolle, das allermeiste spielen wir wirklich live. Aber eine riesige Hilfe ist natürlich das In-Ear-Monitoring. So haben wir immer eine gute musikalische Orientierung, relativ unabhängig von der Raumakustik.

(Bild: Andreas Grundlach)

Wann startet ihr mit dem Aufbau für ein Konzert wie dieses?

Ich glaube − wir haben die geilste Crew auf der Welt. Die Jungs sind um 10 Uhr am Start und bauen die Bühne und alles, was dazu gehört. Sie sind auch alle selbst sehr gute Musiker, d. h., an manchen Tagen spielen sie für uns den kompletten Soundcheck − und wir kommen dann wirklich nur auf die komplett fertig vorbereitete Bühne. Wahnsinnstypen einfach!

Ich hab viele eurer YouTube-Videos gesehen. Die sind ja ausgesprochen vielfältig und unterschiedlich produziert. Dabei sind auch viele aufwendige Drehorte − andere ganz klein und leicht am Wohnzimmertisch. Welches ist dein persönliches Lieblingsvideo?

Mein Lieblingsvideo ist Royals. Ich mag es, weil ich den einfachsten Part hatte. 🙂 Die anderen haben sich wirklich den Arsch abgespielt, und ich konnte den ganzen Prozess beobachten. Sehr beeindruckend, meine eigene Band so zu sehen! Bei den zwölfstündigen Dreharbeiten ist leider sogar ein kleiner Unfall passiert. An einer Stelle fallen Ukulelen von oben herab − und erwischen einen von uns an der Nase. Aua! Wenn man genau hinsieht, erkennt man im Video die Schminke über der kleinen Verletzung. Das sind natürlich ganz besondere, persönliche Erinnerungen.

Ihr schafft so ein ganzes Video in nur zwölf Stunden?!?

Nicht alles natürlich, es gibt ein Konzept im Voraus, klar. Aber viele Dinge − auch musikalisch − entstehen erst direkt in der Kreativität am Set. Wir haben eine unglaubliche Crew − die bauen uns auch die verrücktesten Stativkonstruktionen, wenn es sein muss. Wir sind wie eine große Familie. Aber wir haben auch jeder unsere wirkliche Familie zu Hause − und sind uns wohl bewusst, dass wir dieses verrückte Leben nur führen können, weil sie uns von dort aus unterstützen!

Was heißt »von dort aus«? wo seid ihr zu Hause?

In Burlington in Ontario. Wir kennen uns schon von klein auf als Musiker aus dieser Stadt. Gemein sam bemerkten wir das Potenzial von YouTube schon seit 2011, also noch bevor es »selbstverständlich« war, als Künstler einen YouTube-Channel zu haben. Und wir begannen konsequent, uns mit dieser Idee zu entwickeln. Unsere Clips haben dieselbe Priorität wie unsere Konzerte; Musik und visuelles Erleben sind uns gleichermaßen wichtig.

Wie war deine instrumentale Ausbildung?

Nun, in meiner Familie spielen alle ein Instrument. Meine Eltern waren sehr darauf bedacht: »Du möchtest nicht zum Klavierunterricht? − Das ist ok, aber dann kannst du leider auch kein Hockey spielen …« Und so habe ich schon mit 4 Jahren Klavierunterricht bekommen. (lacht) Ich hab immer sehr die Musik von Fats Waller geliebt. Später war Rick Wakeman natürlich einer meiner Helden. Dann hatte ich meinen ersten Synthie: einen Juno-60 von Roland. Und na klar: Das Keyboard-Solo in Rosanna (TOTO) hat mich auch geflasht.

(Bild: Andreas Grundlach)

Und nun spielst du ja weit mehr als nur Keyboard?

Ja, wer weniger als fünf Instrumente spielt, fliegt aus der Band! (grinst)

Findest du noch Zeit zum Vorbereiten oder gar Üben?

Man könnte immer mehr üben, als zeitlich möglich ist, besonders wenn wir auf Tour sind. Das ist eben eher Luxus. Und ich genieße unheimlich die kostbaren Momente, in denen ich mal zu Hause mit einem Glas Rotwein an meinem Flügel sitze und einfach Musik genießen darf.

Das ist sicher selten. Wie sieht so euer Jahresplan aus?

Nun − es teilt sich in drei Abschnitte: YouTube-Videos produzieren, auf Tour sein, neue Ideen entwickeln.

Verfolgt jeder für sich als Musiker noch andere Projekte?

Nein, wir leben als Musiker tatsächlich exklusiv für Walk Off The Earth. Nur so erzielen wir diese guten Erfolge, das ginge sonst gar nicht.

Und wir organisiert ihr euch auf Tour?

Wir nutzen die Handy-App »Mastertour«. Das ist einfach das Beste! Aber noch viel wesentlicher ist, dass alle 22 Mitglieder unserer Reisegruppe sich mögen. Jedem passiert mal ein Missgeschick − »Ah − du hast deine Schuhe vergessen? Kein Problem, ich helf dir!« Unsere Crew ist einfach der Wahnsinn, mit Charme und Menschlichkeit − einfach ein Traum!

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