Der legendäre Orgelsound

Die Hammond Story

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(Bild: Markus Thiel)

Hammond-Orgeln waren die ersten weitverbreiteten polyfonen, elektromechanischen Klangerzeuger. Man kann sie auch als frühe additive Synthesizer mit einer bizarren Tonrad-basierten Klangerzeugung bezeichnen. Der Begriff »Hammond-Orgel« wurde im 20. Jahrhundert fast zu einem Synonym für elektrische Orgeln, ähnlich wie »Tempo« für Papiertaschentücher oder »Kärcher« für Wasserstrahlreiniger.

Die Geschichte der Popmusik wurde geprägt durch den Klang der z. T. monströsen Hammond Orgel-Boliden, die viele Orthopäden reich gemacht und der Welt eine Heerschar rückenkranker Keyboarder und fluchender Roadies hinterlassen haben. Der warme, blubbernde Sound des Instruments, das aber auch tierähnliche Schreie von sich geben kann, wurde zum unverzichtbaren Markenzeichen von Künstlern wie Keith Emerson, Procol Harum (A Whiter Shade Of Pale), Jimmy Smith, Jon Lord von Deep Purple, Booker T (Green Onions), Brian Auger, Barbara Dennerlein, Rick Wakeman, Tom Coster (Santana), Lonnie Liston Smith, Larry Young und vielen mehr.

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Ins Rollen kam das Ganze durch einen Nicht Musiker. Laurens Hammond aus Evanston, Illinios, war ein rühriger Erfinder, der viele Patente anmeldete, darunter auch eines für eine elektromechanische Orgel. Er lebte in seiner Jugend u. a. in Dresden und war von der dortigen Silbermann-Orgel beeindruckt. Die schon mit Zugriegeln und elektromagnetischem Tonradgenerator ausgestattete Hammond A (195 kg schwer) war das erste Modell der neugegründeten Firma und wurde 1934 mit der ersten Symphonie von Brahms in New York vorgestellt. Die Vorführung war ein voller Erfolg; Henry Ford war begeistert und orderte sechs Orgeln. Es folgten bald Bestellungen von Jazzgrößen wie Count Basie und George Gershwin, auch Präsident Eisenhower gehörte zu den Kunden der ersten Stunde.

Die Tone-Wheels wurden nicht entsprechend der Tonhöhe angeordnet, sondern in Kammern mit jeweils vier Tone- Wheels, die die gleiche Übersetzung haben, positioniert, was auf den ersten Blick verwirrend sein kann.
Der Klassiker: Die B3 gilt bis heute als die am besten klingende Hammond-Orgel. Mit den farblich invertierten Tasten lassen sich bei der B3 Sound-Presets abrufen. Der kleine Hebel links unter den Preset-Tastern dient der Steuerung des Leslies.
Die Drawbars erlauben intuitiven Zugriff auf den Sound. Einen typischen Jimmy-Smith-Sound erzielt man z. B. durch folgende Registrierung: 888000000 (die ersten drei Zugriegel werden voll herausgezogen). Hier noch ein paar weitere bekannte Drawbar-Sounds: 688600000 (A Whiter Shade Of Pale, Procol Harum); 654000005 (No Woman No Cry, Bob Marley); 008600000 (Black Magic Woman, Santana); 888643200 (Born To Be Wild, Steppenwolf).

Ursprünglich gedacht war das Instrument als transportabler Kino- und Pfeifenorgel-Ersatz, wobei Letztere natürlich hauptsächlich und traditionell im Sakralbereich zum Einsatz kommt. Wirklich durchgesetzt hat sich die Hammond aber vor allem in den Sparten Jazz, Pop und Rock.

Das berühmteste Hammond-Modell überhaupt ist wohl unbestritten die B3. Sie wurde 1955 vorgestellt und ist mit zwei 61-Tasten-Manualen, einem Volume-Pedal sowie einem Basspedal, das zwei Oktaven umfasst, ausgestattet. Jedes Manual verfügt über zwei Zugriegelsätze, links kann man mit den farblich invertierten Tasten neun Preset-Registrierungen abrufen. Die abgerundete Waterfall-Tastatur erleichtert orgeltypische, blitzschnelle Glissando-Effekte. Das dunkle, verzierte Holzgehäuse mit den pompösen Säulen hat einen viktorianischen Touch, der die Orgel wie ein Instrument aus dem 19. Jahrhundert erscheinen lässt. Die Klangerzeugung, der sogenannte Tonewheel-Generator, der B3 erzeugt 91 Frequenzen. Als Effekte kommen Scanner-Vibrato und Federhall zum Einsatz.

 

Technisch baugleich mit der B3 sind die Modelle A100, die als Heimorgel konzipiert war und integrierte Verstärker/Lautsprecher besitzt, und die Kirchenorgel C3. Zu den Modellen mit Tonewheel-Klangerzeugung, die bis 1975 gebaut wurden, gehören u. a. die M3, M100, L100 und die T200.

Kern des Hammond-Sounds ist das sogenannte Tonewheel. Laurens Hammond hatte sich intensiv mit der Entwicklung von Uhren mit Synchron-Elektromotoren beschäftigt und konnte diese Erfahrungen für die Erfindung des Tonewheel-Generators nutzen. Dieser funktioniert so: Ein Tonrad aus Stahl rotiert, angetrieben von einem Elektromotor, vor einem Tonabnehmer (Stabmagnet in Spule). Da der Rand des Tonrads wellenförmig ist, entsteht eine oszillierende Wechselspannung, die (anschließend durch eine elektronische Filterschaltung optimiert) einer Sinuswelle ähnelt und als Oszillator die Basis des Hammond Orgel-Klanges bildet. Je nach Orgelmodell sind 76 bis 96 Tone-Wheels in einer Hammond-Orgel verbaut. Sie sitzen auf einem Bronzelager, das mit einem Spezialöl, das man einmal im Jahr nachfüllen sollte, geschmiert wird.

Hammond RT Sakral-Schlachtschiff mit synthesebasierten Basspedal-Presets (rechts unten).
Die L100 war Keith Emersons Lieblings- Hammond. Sie wurde von 1961 bis 1972 gebaut und kommt ohne Scanner-Vibrato aus. Das untere Manual besitzt nur sieben Zugriegel.

Old Dirty Bastard!

Die Tonewheels sind bauartbedingt nicht alle in einer hundertprozentig exakten Position vor dem Tonabnehmer angebracht, sodass es zu Phasenverschiebungen kommt. Durch abnutzungsbedingte Schrägstellung oder trudelnde Antriebsachsen werden zudem leichte Lautstärke- und Frequenzschwankungen erzeugt. Weiterer (willkommener) Schmutz im Klangbild entsteht durch Übersprechungen der einzelnen Tonräder (Leakage). Alle diese technischen Unsauberkeiten ergeben den lebendigen, organisch wirkenden Hammond-Sound. Bis 1975 baute Hammond Orgeln mit Tonewheels und stellte dann auf elektronische Transistor-Klangerzeugung um, die aber auch aufgrund ihrer Phasenstarrheit längst nicht mehr so lebendig klingt.

Additive Synthese − bitte Riegel vorschieben …

Mithilfe der Tonräder werden pro Ton bzw. gedrückter Taste neun verschiedene Frequenzen generiert. Diese neun Fußlagen (16′, 51 /3′, 8′, 4′, 22/3′, 2′, 13 /5′, 11 /3′ und 1′.) lassen sich durch das Herausziehen der Drawbars (=Zugriegel) addieren. Die Lautstärke jeder Frequenz kann in neun Stufen eingestellt werden. Es handelt sich hier also um eine einfache additive Synthese. Erfahrene Hammond-Keyboarder »kneten« mit der linken Hand in Realtime die Drawbars, während die rechte die Tastatur beackert, um energisch ins Klanggeschehen einzugreifen. Als Laurens Hammond, begeistert von den klanglichen Möglichkeiten seiner Schöpfung, 1937 damit warb, dass die Zahl der Klangvariationen mit den Zugriegeln »unendlich« seien, wurde ihm dies von der Konkurrenz gerichtlich verboten; auch sollte er sein Instrument nicht mehr als »Orgel« bezeichnen dürfen. Letzteres wurde ihm aber nach einer spektakulären Testdemonstration in der Universität von Chicago wieder erlaubt; dafür musste er aber die Angabe der möglichen Soundvariationen auf 253 Millionen reduzieren.

Hammond Orgel
(Bild: Markus Thiel)

Schmatz!

Jede Taste der Orgel ist mit neun Schaltkontakten (einer für jede Fußlage) ausgestattet; diese werden beim Drücken der Taste aber nicht wirklich gleichzeitig, sondern eher nacheinander geschlossen. Daher gibt es bei der Hammond-Orgel eine Art Anschlagsdynamik: Beim schnellen Anschlag klingt der Ton kompakter und härter, bei behutsamem Tastendruck schließen die Kontakte langsamer, und der Ton baut sich sukzessiv auf. Ein weiteres charakteristisches Merkmal des Hammond-Sounds ist das schmatzende Geräusch beim Anschlagen der Tasten, der sogenannte »Hammond-Click«. Dieser impulsartige Sound entsteht durch die Unterbrechung bzw. den Anschnitt der kontinuierlich erzeugten Sinuswellenformen, die ja meist nicht im Nulldurchgang getriggert werden. Wer eine noch durchsetzungsfähigere Attack-Phase wünscht, kann die Fußlagen 4′ und 22/3′ als Percussion-Register mit zwei wählbaren Lautstärke-Envelopes aktivieren.

In den 50er-Jahren begann man, die Hammond-Orgeln mit einem Federhall auszustatten. Dieser wurde übrigens 1939 von Laurens Hammond erfunden und 1941 zum Patent angemeldet. Als zusätzlichen Effekt kam das sogenannte Scanner-Vibrato zum Einsatz, mit dem auch Chorus-artige Effekte erzeugt werden können. Dieser technisch aufwendige Effekt wird durch eine analoge Delay-Schaltung mit verzögerten 16 Outputs erzielt, deren Signal von der Scanner-Effekteinheit, die an der Antriebswelle der Tonräder angebracht ist, kreisend abgegriffen wird. Die Verzögerung generiert eine Phasenverschiebung, die zum Originalsignal zugemischt wird (= Chorus) oder alleine erklingt (= Vibrato).

Durch die integrierten Röhrenverstärker der klassischen Hammond-Orgeln wie etwa der B3 wird der Klang außerdem wunderbar übersteuert. Deep Purples Keyboarder Jon Lord aber wollte noch mehr Power und spielte seine B3 am liebsten über ein Marshall-Stack.

Eine Hammond C-2 von 1949
Ein klassisches Leslie-Kabinett

Leslie!

Laurens Hammond hasste es: das Leslie Tonkabinett, das der Erfinder Don Leslie ihm 1940 anbot. Es verfälschte seiner Meinung nach den Sound zu sehr. Trotzdem wurden in den 60er-Jahren Hammond Orgeln gerne durch Nachrüstung eines Leslie Connector Kits mit Leslie-Kabinetten kombiniert und waren zusammen eine unschlagbare Kombination. Erst 1967 besann sich Hammond eines Besseren und integrierte das Leslie-System in seine T- und N-Modelle. Ein klassisches Leslie Kabinett ist als Zwei-Wege-System (Hochton/Tiefton) ausgelegt.

Der Leslie-Effekt entsteht durch rotierende Schallabstrahler, die vor den Lautsprechern angebracht sind und neben einem Vibrato auch eine durch den Dopplereffekt erzeugte Tonhöhenschwankung erzeugen. Für eine echte (Schweine-)Rockorgel ist der verschwurbelte, modulierende und leicht verzerrte Leslie-Effekt (der sich durch das Umschalten der langsamen auf schnelle Rotation dramatisch steigern lässt) natürlich Pflicht.

Leslie Modell 950: das mit knapp 2 Metern (!) Höhe wohl größte jemals produzierte Leslie-System aller Zeiten
Die aktuelle XK-5 ist transportfreundlich und liefert den typischen Hammond-Sound auf digitaler Basis. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist das Multikontak-System unter jeder Taste, das die harmonischen Zugriegel-Frequenzen nacheinander im Ton - einsatz erklingen lässt. Darüber eine noch kompaktere XK-1c

Vorsicht Falle!

Auch abgehangene Synthesizer Connaisseurs können sich Face to Face mit einer Hammond-Orgel als Vollhonk entblößen, wenn es heißt: »Schalt doch mal an, und spiel was!« Wenn man nämlich lediglich nervös am Netzschalter rumfummelt, tut sich noch gar nichts, und man sieht zunehmend ziemlich schlecht aus, da die Orgel sich partout weigert, in einen spielbaren Betriebszustand zu wechseln. Vor solchen traumatischen Situationen wollen wir den geschätzten KEYBOARDS-Leser natürlich bewahren. Es ist nämlich nicht damit getan, den Netzschalter zu betätigen, vielmehr gilt es, folgende Schritte zu memorieren und in der beschriebenen Reihenfolge durchzuführen, um auch weiterhin als allwissender Gearhead zu gelten:

Betätige den Start-Schalter ca. acht Sekunden lang. Jetzt kann man den Run-Schalter einschalten; der Start-Schalter wird noch vier Sekunden lang gehalten und dann losgelassen. Nach ca. einer halben Minute ist die Orgel am Start (und die Ehre gerettet).

Hammond Orgel
Danke an Michael Falkenstein von Hammond Deutschland für die umfassende Tour durch die heiligen Hallen seiner einmaligen Hammond-Sammlung! (Bild: Markus Thiel)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. In welchem Heft wird “Der legendäre Orgelsound –
    Die Hammond Story” von Bernhard Lösener, 12. Februar 2018 veröffentlicht?

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    1. Hallo Petra,
      das war in der Ausgabe 04/2017: https://www.musik-media-shop.de/keyboards-4-2017-foo-fighter-rami-jaffee-matt-black-von-coldcut-omd
      Am 12. Feb. 2018. wurde die Story nur online veröffentlicht.
      Lieben Gruß

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    2. Hallo Petra,
      es gibt in Deutschland einen Hammond-Club mit über 200 Mitgliedern. Hier gibt es auch die Hammond-Story von Dieter Enners, dem langjährigen Vorsitzenden des Clubs. Im Club gibt es eine Zeitschrift und zwei Treffen im Jahr mit Konzert.
      Melde dich bei Interesse einfach bei mir.
      Hammond-Nostalgie-Club(at) t-online.de

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  2. Ich habe mir vor einigen Jahren eine alte Hammond H-100 Orgel gekauft – einfach nur ein Traum. Zwar gibt es viel Rauschen und alles, was bei einem alten Röhreninstrument dazugehört, aber dafür hat man einen Klang, der einfach nicht zu ersetzen ist! Meine Ehrfurcht vor den Erfindern dieses Wunderwerks wächst immer nur weiter, je mehr ich das Instrument kennen lerne.

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  3. Hallo, ich besitze ein kleines Bühnenklavier, von dem mir gesagt wurde, dass es ein Hammond Klavier sei. Leider kann ich bisher darüber nichts in Erfahrung bringen. Wer weiß da was? Einen Namen hab ich bisher auch nicht nicht gefunden.
    Herzliche Grüße
    Friedemann

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