Piano 2.0

David Klavins Una Corda

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Der süddeutsche Klavierbaumeister David Klavins will dem Jahrhunderte alten Konzept des Akustikpianos neue Seiten abgewinnen. Sein aktuelles Upright Piano namens Una Corda definiert das Klavier an entscheidenden Punkten neu.

David Klavins
David Klavins (Bild: David Agraffe)

 

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„Warum werden Pianos seit über 100 Jahren nahezu unverändert gebaut?“ Klavierbaumeister David Klavins hat sich diese Frage immer wieder gestellt. Wieso bewahren die besten Klavierbauer das über 100 Jahre alte Konzept mit all seinen technischen Unzulänglichkeiten, anstatt nach modernen Alternativen und Verbesserungen zu suchen?

David Klavins ist davon überzeugt, dass selbst der beste Konzertflügel klanglich optimiert werden kann. Dazu muss er von konstruktionsbedingten „Altlasten“ befreit werden, die er aufgrund der technologischen Grenzen des 19. Jahrhunderts besitzt und noch immer mit sich herumträgt. Anstatt auf höchstem Niveau weiter zu „verschlimmbessern“, sieht Klavins viele Optionen, um mithilfe aktueller Technologie und modernen Materialien dem Piano zu einem Klang zu verhelfen, von dem viele Pianisten bislang nur träumen.

In den vergangenen Jahren hat Klavins einige seiner Ideen spezifiziert und zunächst in seinem Konzert-Klavier Modell 370 umgesetzt. Dieses gut zwei Tonnen schwere und 3,70 Meter hohe Wunderwerk ist heute in der Universität Tübingen installiert und hat zahlreiche Künstler, darunter den Berliner Pianisten Nils Frahm, nachhaltig inspiriert und beeinflusst. In enger Zusammenarbeit mit Nils Frahm hat Klavins nun seinen Klang-Goliath in ein transportables Instrument verwandelt, welches sich problemlos in Kleinserie herstellen lässt – das Una Corda.

 

The Giant Klavins Modell 370
Das Modell 370 – ein Klavier mit gigantischen Maßen. Den 3,70 Meter hohen Koloss kann man auch als Sampling-Instrument namens “The Giant” spielen.

Neue Wege

Das Una Corda präsentiert sich in ungewohntem, aber rundum stimmigem „Industrie-Look“: Die gesamte Mechanik sowie der Resonanzboden und die Saiten liegen offen – nicht nur für Fans von „Maschinen-Ästhetik“ eine Augenweide. Auf ein Gehäuse wurde jedoch nicht der Optik wegen verzichtet, sondern zugunsten akustischer Eigenschaften und der Gewichtsersparnis. So bringt das Instrument gerade einmal 98 kg auf die Waage. Es lässt sich problemlos in drei Teile zerlegen und in passende Flightcases verpacken. Die offene Konstruktion ermöglicht zudem einfache Präparationen der Saiten, auch während des Spiels. Gerade modern und innovativ denkende Pianisten wie Nils Frahm oder Wally de Backer (Gotye) wissen diese Option sehr zu schätzen.

Aktuell wird das Instrument mit 64 oder 88 Tasten gefertigt. Jedes Exemplar ist ein Einzelstück. So kann David Klavins jederzeit individuelle Kundenwünsche berücksichtigen. Dazu zählt unter anderem die Ausstattung mit Pickups – diese werden vom Piano-Pickup-Guru Charles Helpinstill aus Houston, Texas geliefert.

 

Technische Innovationen

„Moderne Pianos sind auf Lautheit optimiert“, erklärt David Klavins. „Ein lauter Klang ist beeindruckend und war früher mangels geeigneter Verstärkungsmöglichkeiten auch sinnvoll („Pianoforte“). Als Pianoverkäufer überraschte mich jedoch der häufige Wunsch nach leiseren Instrumenten – zum heimischen Üben natürlich wesentlich besser geeignet. Ich überlegte, wie man die Lautstärke reduzieren könne, ohne gleichzeitig Klang und Dynamik zu beeinträchtigen.“ Dazu wurde es für David Klavins notwendig, wesentliche Konstruktionsmerkmale eines Pianos infrage zu stellen.

Der Name Una Corda kommt nicht von ungefähr: An erster Stelle steht der Verzicht auf die traditionellen drei Saiten pro Taste. So wird das In-sich-Verstimmen eines Tones ausgeschlossen und vor allem im Bassbereich eine wesentlich bessere Tonklarheit gewährleistet. Der Effekt ist verblüffend. Zudem verzichtet das Una Corda auf eine gekreuzte Saitenführung, um ungewollte Oberton-Interferenzen innerhalb des Instruments zu minimieren. Die Saiten selbst sind vergleichsweise dünn und wenig gespannt. Sie besitzen aufgrund ihrer geringen Masse exzellente Schwingungseigenschaften, die sich wiederum in einem sehr sauberen Ton bemerkbar machen. Die Lautstärke wird zwar verringert, dank heutiger Verstärkungsmöglichkeiten stellt das in der Praxis jedoch kein Problem dar.

Klavins Una Corda Pickups
Ein Pickup-System von Charles Helpinstill ist optional erhältlich und unterstreicht den innovativen Charakter des Una Corda.

 

Ein weiterer wesentlicher Punkt, in dem David Klavins mit den Traditionen des Pianobaues bricht, ist die Gestaltung des Resonanzbodens. Die geringe Saitenspannung erlaubt die Verwendung eines sehr dünnen und unberippten Bodens aus zwei kreuzweise verleimten Fichtenlagen. Zudem befindet sich der Boden entsprechend einer Lautsprechermembran in spannungsfreier Neutralposition und ist entgegen der traditionellen Konstruktionsweise nicht gewölbt. So besitzt er wesentlich günstigere Schwingungseigenschaften als ein konventioneller Boden. Ergebnis: ein sauberer, warmer Ton mit langem und klarem Sustain.

Der Verzicht auf ein Gehäuse schließlich verhindert das Entstehen von färbenden Eigenresonanzen. Das „Form follows Function“-Prinzip ist hier kompromisslos umgesetzt.

Da die Una-Corda-Bauweise die Zuglast auf gerade einmal 4 Tonnen reduziert (mindestens 16 Tonnen bei einem konventionellen Piano), ergeben sich ganz neue Optionen zur Rahmenkonstruktion: „Wir verzichten auf einen schweren Gussstahlrahmen und verwenden stattdessen Edelstahlprofile. Die ermöglichen nicht nur ein zerlegbares und damit transportables Instrument, sie erlauben auch die flexible Anpassung der Rahmengröße an eine geänderte Klaviaturgröße“, erklärt Klavins.

Einzig Klaviatur und Hammermechanik entsprechen noch weitestgehend konventionellen Bauformen. Sie werden nach David Klavins Entwürfen von renommierten Herstellern gefertigt (Otto Heuss, Detoa, Abel) und sind auf präzisen und schnellen Anschlag optimiert.

 

Faszinierender Klang

Hört man das Una Corda, wird man schnell und eindrucksvoll überzeugt, wie sehr die konstruktiven Besonderheiten den Klang des Instruments prägen. Trotz der vergleichsweise geringen Lautstärke besitzt das Una Corda in allen Lagen eine enorme Präsenz und Fülle sowie eine beeindruckende Dynamik. Geradezu spektakulär ist die Reinheit des Tons im Bassbereich. Anstelle der üblichen „Klangwolke“ liefert das Una Corda einen präzisen Ton mit mühelos bestimmbarer Tonhöhe. Der Klangcharakter ist sympathisch weich, warm und organisch. Das Sustain ist lang, erstaunlich kraftvoll und dabei von einer beeindruckenden Reinheit.

David Klavins ist davon überzeugt, dass die klangliche Präzision des Una Corda nicht mit einem Verlust an Lebendigkeit einhergeht, sondern im Gegenteil ein erster Schritt zu einem neuen Klangideal darstellen kann. Die Höreindrücke wissen das durchaus zu bestätigen. Dynamik und Spielweise können den Klang in weiten Bereichen formen. Im Diskantbereich erinnert das Una Corda bisweilen an eine Harfe, in mittleren und tiefen Lagen erhält der Klang eine leicht glockige Note, die an ein E-Piano erinnert. Mittels der leicht zu installierenden Modulatorleiste (mit Filzstreifen versehen) lässt sich der Klang in weiten Bereichen formen und variieren – sehr beeindruckend.

 

Hi-Tech-Optionen

Nicht minder zukunftsweisend sind die nachrüstbaren Optionen, die in absehbarer Zeit erhältlich sein sollen. Neben dem schon erwähnten Pickup-System ist eine Digitalabtastung mit MIDI-Ausgang vorgesehen. Bei stummgeschalteter Mechanik kann das Una Corda als Master-Keyboard allererster Güte dienen. Zudem wird ein interner Sample-Player entwickelt, der die Kombination von akustischen und digitalen Klängen ermöglicht.

Als weiteres Bonbon für innovative Instrumentalisten versteht sich die Ausstattung mit einem von Andrew McPherson (Digitales Musikzentrum der Queen Mary Universität, London) entwickelten Touch-Sensor-System: Dabei erhalten die Tasten eine druck- und bewegungssensitive Folienbeschichtung, deren Daten vom MIDI-Interface des Una Corda ausgegeben werden – die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten liegen buchstäblich auf der Hand, die Weichen für den Weg des zukünftigen Weg des Pianos sind gestellt.

 

Portrait: David Klavins

david-klavins
(Bild: David Agraffe)

David Klavins sieht sich gleichermaßen als Handwerker und Künstler. Nach einer Ausbildung zum Klavierbauer arbeitet er zunächst als Klaviertechniker und Stimmer beim bekannten Hersteller Schimmel. Ab 1976 restauriert und verkauft er in seinem „Klavierhaus Klavins“ ältere Instrumente und erwirbt so umfassende Fachkenntnis von Bau und Klang des Pianos. 1980 legt Klavins seine Meisterprüfung ab und beginnt gleichzeitig mit der Entwicklung eines Großklavieres.

In den folgenden drei Jahren entsteht das legendäre Modell 370 – das größte Klavier der Welt, heute in der Universität Tübingen installiert. Ab 1993 verlegt Klavins seinen Wirkungskreis für fast zwei Jahrzehnte nach Lettland, Südkorea und in die USA. 2011 zurück in Deutschland, übernimmt er die Ballinger „Klavier-Klinik“. Neben der Restaurierung klassischer Instrumente entwickelt David Klavins hier seine eigenen innovativen Versionen des modernen Pianos.

Una Corda Klangvideo: 


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KEYBOARDS 4/2016

Das sind die Themen dieser Ausgabe:

  • Sampletalk mit And.Ypsilon (Die fantastischen Vier)
  • Tobias Enhus spricht über sein Synclavier
  • Die Groove-Mutter: Yamaha RS7000
  • Real Samples – Historische Tasteninstrumente digitalisiert
  • Software-Sampler am Rande der Wahrnehmung
  • Korg DSS-1 als Hardware-Plug-in
  • Cinematique Instruments – Filmreife Sample-Instrumente
  • Groovesampler in der Praxis
  • Die Mellotron-Story
  • Vintage Park: Fairlight CMI
  • Transkription – Ten Sharp: You

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Wo findet man Hörbeispiele?

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  2. Faszinierend der handwerkliche Gedanke unter praxisbetonten Aspekten!
    Eine hervorragende Umsetzung der Idee mit machbarem Ziel. Ein Top-Pionier
    als Piano-Hersteller und Musiker!

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