Kolumne

Das Letzte: Teufelsbohnen

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Giraldo de’ Pecorino wuchtete seinen schweren, klobigen Körper entschlossen aus der Lungarno General Diaz in den Eingang zur Piazzale deglie Uffizi. Schwitzend und stampfenden Schrittes eilte er über den langen säulenflankierten Platz und fluchte dabei das gesamte Vokabular florentinischer Schimpfwörter in sich hinein, während die Mittagssonne wie zur Strafe ein Loch in seinen Hut zu brennen versuchte. Er wischte sich hektisch die wutverrunzelte Stirn. »Diesem aufgeblasenen Musikus werd ich’s zeigen. Das war das letzte Mal fortissimo in den heiligen Hallen der Uffizien! All dieser unerträgliche Lärm und die Beschwerden! Genug ist genug!«

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(Bild: Miroslaw Majewski)

Bartolomeo Cristofori, der vom aufgebrachten Hofhausmeister und dem nahenden Unheil nichts ahnte, werkelte an diesem Tag wie immer in seiner mit allerlei Paraphernalien vollgestopften Werkstatt im Keller XXIII der Uffizien und tunkte seinen Cantuccino pianississimo in seinen heiß dampfenden Caffè Veneziano. Er musste unbedingt bald mal wieder hoch und ein paar Säcke dieser osmanischen Teufelsbohnen besorgen, bevor der Kardinal auf die spostata idea kam, sie als Heidentrank zu deklarieren.

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Seitdem er am Hofe Ferdinando de’ Medicis in Florenz als Hofcembalobauer angestellt war, war an Schlaf ja eh kaum noch zu denken. In wenigen Wochen wollte er seine umfangreichen Verbesserungen an der Mechanik seines neuen Gravicembalo präsentieren. »Ich werde Unmengen an schlaftötenden Bohnen brauchen. Und Cantuccini. Viele knusprige Cantuccini in allen Größen. Ich werde mir ein Lager dafür einrichten, gleich hier neben der Werkbank!«, sprach er laut zu sich, während er das größte Cantuccino in zwei Hälften brach. Da zerreißt das Krachen und Poltern hinter ihm seine süßen Träume, auf dass beide Gebäckhälften in diametral entgegengesetzte Richtungen fliegen.

Giraldo de’ Peccorino steht breitbeinig und schnaufend in der Tür und versucht mit allen Fasern seines Seins, wie grollendes Gewitterwetter zu wirken. Cristofori dagegen bemerkt die subtilen Signale nicht: »Oh, Signore de’ Peccorino! Welch Überraschung, welch Ehre eines Besuches! Tretet ein, ich werde Euch meine neuesten Ideen zeigen! Wisst Ihr, mein neues Gravicembalo verfügt nun über einen Mechanismus, bei dem der Hammer mittels einer Stoßzunge und Übersetzungshebel gegen die Saite geschleudert wird. Das ist im Prinzip eine Stoßmechanik mit einem Treiber, oder wenn Ihr so wollt: einem übersetzendem Zwischenhebel.« Dabei hebt er beide Arme wie zur Beschwörung. »Dass ich auch nun wieder Doppelseiten verwende, versteht sich von selbst. Hört nur, wie laut sich das anfühlt, Signore de’ Pecorino!«

Seine rechte Hand schießt herunter und trifft die Tasten des Gravicembalo mit voller Wucht. Das durch Mark und Bein knarzende Geräusch eines Gondelaufprallunfalls erfüllt den Raum, dann das laute Geräusch, wie von der gerissenen Bettfeder Gottes. Als dann zeitgleich der aus der Hammermechanik herausgeschleuderte Brocken Cantuccino das Auge des erzürnten Hofhausmeister trifft, bricht die Hölle los. Pecorino fasst sich an den Kopf, taumelt, kann sein Gewicht nicht halten, stampft einen Schritt zur Seite und rutscht auf der anderen Hälfte des zerbrochenen Cantuccino aus. POMF! Mit dem dumpfen Klang eines hingeworfenen Kartoffelsacks bleibt er am Boden liegen. Eine Träne kullert langsam seine hochroten Wangen herunter. Wimmern. Mit langsamer, zittriger Stimme sagt er: »Euer verdammtes Gravicembalo col piano e forte wird sich niemals durchsetzen! Niemals …«

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