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Vermona Piano-Strings (*1978)

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Vermona Piano-Strings (*1978) (Bild: Dieter Stork)

Das Vermona Piano-Strings ist die deutsche realsozialistische Stringmachine. Das Gerät bietet neben den Strings auch eine E-Piano-Sektion und war in den 70er- und 80er-Jahren ein begehrtes Instrument im Osten.

In der DDR wurde schon früh mit der Produktion elektronischer Musikinstrumente begonnen. Bereits in den 50er-Jahren stellte man die Orgel EMP Ionika vor, die eine röhrenbasierte Klangerzeugung besaß. Diese kompakte „Kleinorgel“ wurde 1958 auf der Leipziger Messe vorgestellt und ging ein Jahr später in Serie. Die elektronischen Bauelemente wurden von der VEB Elektroakustik Hartmannsdorf hergestellt. 1963 übernimmt die frühere Akkordeonfabrik F.A. Böhm aus Klingenthal die Produktion der Orgeln und bringt neben dem elektromagnetischen Claviset von 1963 (das dem Hohner Pianet ähnelt) 1964 die Transistororgel EMP 3 mit der feurigen Modellbezeichnung Matador heraus.

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Im gleichen Jahr wird auch das, aus heutiger Sicht ziemlich exotische, zweimanualige Tasteninstrument EMP 34, das auf den charmanten Beinamen Manuela hört, entwickelt, bei dem die Matador-Orgel mit dem Claviset kombiniert wird. Ende der 60erund Anfang der 70er-Jahre folgen zwei weitere Ionika-Modelle sowie die technisch gereifte und leistungsfähigere TO-200-Weltmeister-Reihe, die z. B. von der Beat-Band Los Banditos eingesetzt wird.

1972 schuf man den neuen Firmennamen Vermona mit dem dynamischen Logo, und die neue Orgelserie ET ging an den Start; sie wurde u. a. auch durch Barbara Morgenstern (sie benutzt das Modell ET 6-1) bekannt. Nachdem Vermona zwei Drumcomputer (ER 9 und DRM) herausbrachte, befasste man sich ab 1977 bei der VEB Klingenthal mit der Entwicklung eines elektronischen E-Pianos, da dieser Sound in der Popmusik dieser Dekade sehr dominant war, und brachte im gleichen Jahr den Phaser 80 heraus, dessen Technik z. T. auch beim E-Piano und Piano-Strings eingesetzt wurde. 1978 war es dann soweit: Das Vermona E-Piano und das Piano-Strings gingen in die Serienproduktion.

Die reine E-Piano-Version ist im Gegensatz zum Piano-Strings mit einem Tremolo-Effekt ausgestattet. Die Stringmachine kostete stolze 5.050 Ostmark (das E-Piano kostete 4.500,–) – ein kleines Vermögen für die meisten DDR-Musiker, aber damals immer noch billiger als ein nahezu unerschwinglicher West-Synth. Vermona-Geräte erfreuten sich bei den sozialistischen Bruderländern zunehmender Beliebtheit. Der Großteil der Piano-Strings-Modelle wurde in die UdSSR exportiert, auch heute noch werden die meisten Gebrauchtgeräte dort angeboten (siehe auch Lutz Würkers Vermona-Seite www.vermona.de).

Äußeres

Das Gehäuse des Piano-Strings besteht aus vinylbespanntem Aluminium und ist mit schmucken, abgerundeten Holzseitenteilen ausgestattet. Mit den Maßen 98,5 × 29 × 12 cm gehört das Gerät zu den kompaktesten und leichtesten StringMachines überhaupt. Auf der Oberseite befindet sich eine Befestigung für einen Notenhalter. Die 5-Oktaven-Tastentastatur ist sehr leichtgängig und lässt sich ganz gut spielen; lediglich der Umstand, dass die Tasten sich nicht ganz so weit herunterdrücken lassen und dass die schwarzen Tasten etwas schmal ausgefallen sind, irritiert etwas und gibt einem manchmal das Gefühl, man leide unter leichter Fingerverdickung.

Das fast rechtwinklig zum Keyboard stehende Bedienpanel ist mit sieben Faderwippen ausgestattet – diese lassen sich im Gegensatz zu normalen Fadern (auch noch nach Jahren) dank der Hebelwirkung recht leichtgängig bewegen und sind daher gut zum Umregistrieren von Sounds geeignet. Es gibt drei Sektionen: In der Strings-Abteilung kann man die Lautstärke von Cello, Viola und Violine mischen, die Percussion-Sektion bietet Volume-Regler für Piano, Clavichord und Spinett, und die Effektabteilung verfügt über je vier Effekteinstellungen für den internen Chorus inklusive einer DIRECT- bzw. CLEAN-Einstellung. Außerdem lässt sich mit dem SUSTAIN-Schalter und dem zugeordneten Fader auch die Ausklingphase der Hüllkurve einstellen.

Abgerundet wird die Bedienoberfläche durch den Netzschalter und den Fader für die Gesamtlautstärke. Die Rückseite bietet neben der Netzkabelbuchse einen Monoausgang und einen als Lautsprecherbuchse ausgeführten Anschluss für den Sustain-Fußschalter. Im Lieferumfang befand sich außer diesem und dem Spezial-Case noch eine Volume-Pedal, das mit Ein- und Ausgangskabel ausgestattet ist.

Klangerzeugung

Wie alle Stringsynthesizer dieser Ära arbeitet auch das Vermona-Gerät mit einer Frequenzteilerschaltung. Diese konnte dank neuerer Transistorentechnik viel platzsparender gebaut werden, denn die Basis der Klangerzeugung mit den 12 Master-Oszillatoren (die durch Frequenzteilung alle Töne der fünf Oktaven des Instruments erzeugen) und dem Teilerschaltkreis U 112 (DDR-Eigenentwicklung) sind auf einer postkartengroßen Platine untergebracht, was sich in den kompakten Maßen und dem geringen Gewicht der neuen Instrumentengeneration niederschlägt.

Der Chorus-Effekt arbeitet auf der Basis des Eimerketten-ICs TDA1022, der u. a. auch in vielen String-Machines und Effektgeräten (z. B. im Dynachord TAM Flanger) seinen Dienst verrichtet (siehe auch Till Koppers schöne Website www.till-kopper.de). Die drei 1022-Chips befinden sich auf einer Adapterplatine, da ursprünglich ein anderer IC vorgesehen war. Die Piano-Strings-Klangerzeugung wurde auch in die ultraseltene TGO Panorama-Orgel eingebaut, von der es nur 15 Stück gibt, da sie nie wirklich in Serie gegangen ist.

Sound

Der Sound des Piano-Strings ist ziemlich eigen, eine Mischung aus Stranglers und Lolek & Bolek. Die Strings klingen je nach Einstellung weich und warm, können aber einem Loganoder Solina-Stringssynth in Sachen Breite und Fettgehalt nicht das Wasser reichen. Trotzdem sind (vor allem in den höheren Lagen) gute und ausdrucksvolle synthetische Klänge möglich, wobei ein gewisser Cheese-Faktor kostenlos mitgeliefert wird. Interessant und charakterstark klingt die Percussiv-Abteilung. Hier sind je nach Klangmischung schöne, leicht psychedelisch angehauchte, spinettartige Keyboardsounds möglich, die man so nirgendwo anders findet.

Man kann zwar nur die Strings- oder Percussionsektion alternativ nutzen, aber durch das Drücken mehrerer Taster in der Effektabteilung ist es möglich, die Percussion bzw. Pianoklänge mit den Hüllkurven der Strings zu versehen, wodurch die klangliche Bandbreite noch einmal erweitert wird. Für alle, die Siebzigerjahre-Keyboard-Sounds mögen und Musik in Richtung Air (oder Miss-Marple-Soundtrack) machen, ist das Gerät eine Bereicherung. Für wertvolle Informationen danken wir Vermona-Spezialist Rolf Weichert, der 33 Jahre bei Vermona beschäftigt war und viele Instrumente mitentwickelt hat.

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ich meine, mich zu erinnern, dass das reine E-Piano bei 3000 Mark lag. Das E-Piano-Strings war auch Bestandteil der Vermona “Solist”, die es im doppelten Sinne war, wahrscheinlich Einzelstück. Einzige Orgel mit 9 Fußlagen, mit dem Zugriegelsound der Formation und dem Formantregistersound der ET6.

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