Wiedergeburt einer Legende

Trautoniks – Trautonien und Mixturtrautonien nach historischem Vorbild

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Trautonics Trautonium
(Bild: Jan-Christoph Fritz, Julia Ahlers)

Auf der diesjährigen Musikmesse konnten Besucher die Reinkarnation eines Instruments aus der Pionierzeit der elektronischen Musik erleben: das Trautonium.

Am kleinen Stand der Firma trautoniks (www.trautoniks.de) war eine Auswahl verschiedener Instrumente ausgestellt, die in Kürze in Serie gefertigt werden sollen. Zu sehen gab es Nachbauten des sogenannten „Telefunken- oder Volkstrautoniums“ von 1933 sowie eine Reproduktion des großen „Mixturtrautoniums“ von 1952. Viele Instrumente von trautoniks orientieren sich im Aufbau der Klangerzeugung und auch äußerlich an den historischen Vorbildern, ihr Innenleben basiert jedoch auf aktueller Mikroelektronik. Weitere Produkte wie ein CV/Gate-Manual und Trautonium-Module für gängige Modulsysteme sind in Planung.

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Erstes Serienmodell ist das „Trautonium VT“ – ein Instrument, das optisch wie klanglich stark dem Volkstrautonium ähnelt. Es handelt sich um ein Soloinstrument mit einem Manual – für diesen Preview stand mir ein Vorserienmodell zur Verfügung. Das Gehäuse besteht aus massivem Nussbaumholz und ist wie beim Original so konzipiert, dass der abschließbare Deckel im aufgeklappten Zustand als Notenständer fungiert. Unter dem Deckel verbergen sich das Bandmanual und die Bedienelemente zur Steuerung der Klangerzeugung. Für die Drehregler wurden klassische Knöpfe im Moog-Stil verwendet, und die Frontplatte besteht aus schwarz lackiertem Metall.



№4 2017

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Klangerzeugung

Die Tonerzeugung ist voll analog und basiert auf einem Sägezahnoszillator mit zwei parallel nachgeschalteten Formantfiltern. Beim Spielen kann zwischen vier Klangquellen umgeschaltet werden: der reinen Sägezahn – welle, dem Ausgang von Filter 1, Ausgang von Filter 2 oder einer Mischung beider Filter. Zusätzlich kann ein separates Tiefpassfilter mit den zwei festen Dämpfungsstufen 100 oder 500 Hz vorgewählt werden, das sich auf alle Signale auswirkt. Die Lautstärke sämtlicher Signalquellen lässt sich über Regler aneinander anpassen, damit es beim Umschalten nicht zu Pegelsprüngen kommt.

Die beiden Formantfilter mit 12 dB Flankensteilheit lassen sich jeweils zwischen Tief- und Bandpass-Charakteristik umschalten und bieten Einstellmöglichkeiten für Ausgangslautstärke, Cutoff-Frequenz und Resonanz. Bei hohem Filterpegel setzt eine angenehme, klangformende Verzerrung ein. Der Klangcharakter beider Filter ist übrigens leicht unterschiedlich. Filter 1 beginnt bei hoher Resonanz zu schwingen, während Filter 2 nicht zur Selbstoszillation neigt. Der Frequenzbereich beider Filter kann per Kippschalter von 6 kHz auf 640 Hz begrenzt werden – damit lässt sich bei tiefer Oktavwahl im Bassbereich die Cutoff- Frequenz feiner justieren.

Die Tonhöhe des Trautoniums kann über zwei Potis (grob und fein) an andere Instrumente angepasst werden. Außerdem gibt es einen dreistufigen Oktav-Umschalter zur Wahl des Tonbereichs, der insgesamt von etwa F1 bis c4– also über fünfeinhalb Oktaven – reicht.



Das Außergewöhnliche an einem Trautonium ist nicht so sehr die Klangerzeugung, sondern insbesondere das Bandmanual, das eine sehr nuancierte Tonkontrolle erlaubt.



Spielmanual

Dazu dient eine Metallleiste, über die in etwa 1 cm Abstand eine Saite gespannt ist. Drückt man die Saite mit dem Finger auf die Leiste, wird ein Ton ausgelöst, dessen Tonhöhe von der Position auf der Schiene abhängt. Das ganze funktioniert ähnlich wie ein Ribbon- Controller. Das Manual des Trautonium VT ist 70 cm lang und bietet einen Tonumfang von etwa dreieinhalb Oktaven. Es verfügt über die charakteristischen Hilfstasten, die normaler Weise auf die Töne c, e, g, a gestimmt sind. Mit den Tasten können Noten direkt angespielt werden, außerdem dienen sie als optische Anhaltspunkte beim freien Spiel auf der Saite. Über Trimmpotis muss die Mensur der Saite einmalig so angepasst werden, dass der Halbtonabstand auf dem Manual der individuellen Fingerbreite des Musikers entspricht. Denn der Tonabstand ist, anders als bei einer Geige, über das ganze Manual hinweg gleich.

Das gesamte Bandmanual ist druckempfindlich gelagert. Hierüber wird die Lautstärke bzw. der Toneinsatz gesteuert. Der Bewegungsspielraum beträgt durchaus einige Zentimeter und bietet ordentlich Widerstand, an den sich die Finger erst einmal gewöhnen müssen. Damit lässt sich jedoch eine sehr feine Dynamiksteuerung realisieren. Der mögliche Umfang kann über einen Drehregler justiert werden – über solch eine akkurate Dynamiksteuerung verfügte das Manual des originalen Volkstrautoniums übrigens noch nicht. Damals erfolgte die Lautstärkekontrolle größtenteils über ein Fußpedal. Erst spätere Instrumente Oskar Salas, die mit seinem patentierten Glyzerinwiderstand aus – gestattet waren, boten solch eine feine Manualsteuerung der Dynamik. Beim Trautonium VT kann die Lautstärke ebenfalls ergänzend per Fußpedal gesteuert werden. Unser Testgerät war mit diesem Feature leider noch nicht ausgestattet.

Trautonics Trautonium
Auf der Frontplatte sind die einzelnen Sektionen der Klangerzeugung klar voneinander getrennt; die Drehregler im MoogStil fassen sich gut an. (Bild: Jan-Christoph Fritz, Julia Ahlers)

Ausdrucksstarkes Soloinstrument

Auf dem Bandmanual sind alle erdenklichen musikalischen Ausdrucksmittel möglich, von denen viele bei einem Tastaturinstrument nicht möglich sind: echtes Glissando von einem beliebigen Ton zum anderen – dazu Vibrato und Tremolo, deren Geschwindigkeit und Umfang individuell und unmittelbar erzeugt werden können. Zusätzlich hat man stets die volle Kontrolle über die Dynamik des gespielten Tons. Herrlich! Crescendo und Diminuendo lassen sich in allen Schattierungen problemlos umsetzen. Da es keine Hüllkurven gibt, kann der Musiker den Dynamikverlauf des Tons stets selber gestalten. Selbstverständlich sind auch jegliche Arten von Trillern, Vorschlägen und Phrasierungen wie Legato- und Staccato-Spiel ausführbar.

Die Tonerzeugung kann sehr unterschiedliche Klangfarben generieren: von hart bis weich über nasal bis dumpf – und mit den beiden mischbaren Formantfiltersignalen sind auch beliebige Kombinationen realisierbar. Der lebendige Sound entsteht jedoch erst beim Spielen. Aufgrund der Musikalität des Instruments ist man schnell geneigt, klangliche Parallelen zu klassischen Instrumenten ziehen zu wollen. Aber dennoch hört man stets das eigenständige Instrument Trautonium heraus. Über den Wahlschalter der Signalquellen stehen einem quasi vier voreinstellbare Register zur Verfügung.

Ich hätte mir für mein persönliches Trautonium VT noch zwei Features gewünscht: Die Oktavumschaltung über ein zweites Pedal, sodass ich beim Spielen einer Melodielinie über den gesamten Tonumfang hinweg nicht die Hände vom Manual nehmen muss. Und außerdem würde ich gerne über CV/Gate-Ausgänge andere Synthesizer ansteuern können, um die klanglichen Möglichkeiten unendlich zu erweitern bzw. die Vorzüge des Bandmanuals auf andere Synthesizer anwenden zu können. Da jedoch jedes Instrument von trautoniks ein Unikat darstellt, sind in Absprache mit Jürgen Hiller theoretisch alle denkbaren Kundenwünsche realisierbar.

Fazit

Wer ein originelles, äußerst virtuos einsetzbares Soloinstrument mit Charakter sucht und Spaß am Musizieren mit anderen Instrumentalisten hat, der sollte das Trautonium VT unbedingt ausprobieren. Für den Einstieg kann ich das Heft „Trautonium-Schule“ von 1933 aus dem Schott-Verlag empfehlen, das viele hilfreiche Ansatzpunkte u. a. aus der Feder Oskar Salas liefert. Zu Anfang ist das Bandmanual des Trautoniums zwar ungewohnt, doch bereits nach wenigen Tagen wird man die faszinierenden Ausdrucksmöglichkeiten nicht mehr missen wollen. Die Klangbeispiele zu diesem Artikel sind z. B. nach nur vier Tagen entstanden. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass das Testgerät bei jedem Loslassen der Saite ein störendes Plopp-Geräusch erzeugte, was bei den Aufnahmen deutlich zu hören ist. Dies wird laut Jürgen Hiller beim Seriengerät selbstverständlich nicht der Fall sein.

Mit dem Trautonium VT erwirbt man ein vollwertiges, beeindruckendes Musikinstrument, das bei Bedarf in Absprache mit dem Hersteller noch um weitere Features erweitert werden kann. Der Kaufpreis des Instruments ist aufgrund der gebotenen hohen Verarbeitungsqualität sowie dem Manko der Kleinstauflage gerechtfertigt. Bleibt nur noch festzustellen: Das vielzitierte „Aussterben des Trautoniums“ nach dem Tod Oskar Salas ist abgewendet!

Hersteller / Vertrieb: trautoniks / Schneiders Laden

Internet: www.trautoniks.de / www.schneidersladen.de

Unverbindliche Preisempfehlung: € 4.995,–

Trautonics Trautonium
Jürgen Hiller baut unter dem Label „trautoniks“ Trautonien und Mixturtrautonien nach historischem Vorbild. (Bild: Joker Nies)

Interview mit Jürgen Hiller (trautoniks)

Wie und wann bist du zum ersten Mal mit dem Trautonium in Berührung gekommen?

1987/88 war das „Mixturtrautonium nach Oskar Sala“ endlich soweit, dass Sala es als vollwertigen Ersatz für sein Röhren-Trautonium akzeptierte. Dieses Gerät wurde an der Fachhochschule der Deutschen Bundespost Berlin, wo ich studierte, entwickelt und gebaut. Als das Gerät der Öffentlichkeit präsentiert wurde, habe ich das am Rande zur Kenntnis genommen. Schließlich ist es ja nicht alltäglich, dass eine kleine Fachhochschule so viel Medienrummel erfährt. Außerdem hatten mich schon immer elektronische Musikinstrumente interessiert. Ich fand es nur schade, dass das Projekt vor meiner Zeit lief. Als dann 1990 meine Diplomarbeit anstand, waren zufälligerweise wieder Themen zum Trautonium ausgeschrieben. So wurde meine Diplomarbeit eine Komponente des Trautoniums – und zwar mit dem handlichen Thema „Programmierbarer Frequenzteiler zur Erzeugung von subharmonischen Frequenzgruppen für das Mixturtrautonium nach Oskar Sala“.

Wann und warum hast du dein erstes Trautonium gebaut?

Nach meinem Diplom im November 1990 fiel mir an der FH folgender Aushang ins Auge: „Student für Trautonium Nachbau gesucht“. Ich meldete mich beim Initiator, und wir wurden schnell einig. Ich sollte für das Tonstudio des Kulturzentrums „Die weiße Rose“, das vom Berliner Kultursenat betrieben wird und welches sich damals mit elektronischer Musik befasste, in Projektarbeit mit Jugendlichen ein komplettes Mixturtrautonium bauen. Einer der Betreuer des Tonstudios war Hanno Di Rosa – damals Hanno Rinne –, der auch Oskar Sala um Unterstützung gebeten hatte. So ergab es sich also, dass ich direkt nach meinem Diplom den Bau eines kompletten Mixturtrautoniums leitete, den größten Teil der elektronischen Komponenten fertigte sowie das Instrument zusammenfügte.

Das Projekt war allerdings aufgrund eines geringen Budgets nicht einfach zu realisieren. Wir haben teilweise ausgelötete Bauteile benutzt und die Platinen im Fotolabor selbst geätzt. Viele Komponenten wie z. B. das Gehäuse waren gespendet. Aber im März 1992 wurde das Gerät schließlich mit einem Konzert, bei dem auch Oskar Sala mit seinem Gerät auftrat, der Öffentlichkeit vorgestellt. Hanno Di Rosa und Andreas Bick spielten auf dem „Senatstrautonium“.

Was fasziniert dich so an diesem historischen elektronischen Instrument?

Zum einen habe ich mich schon als Kind mit dem Elektronikbaukasten daran gemacht, seltsame Töne aus Lautsprechern zu holen. Das hat in mir damals schon den Wunsch geweckt hat, eines Tages einen „Synthesizer“ zu bauen. Zum anderen haben mich einfach Herr Sala und seine Virtuosität irgendwie gefangen genommen. Mir wurde schnell klar, dass dieses Gerät mit keinem anderen Musikinstrument zu vergleichen ist: Tonerzeugung wie beim Synthesizer, aber spieltechnisch ein wirkliches Musikinstrument! Ein Instrument, das im Live-Spiel Dinge ermöglicht, die man mit keinem anderen Musikinstrument – auch nicht mit einem Streichinstrument – so spielen kann.

Welche Trautonics-Produkte sind für die Zukunft geplant?

Alle Geräte, ob Standard oder Custom, sind Einzelstücke, die normalerweise erst bei Bestellung gebaut werden. Daher auch die relativ langen Lieferzeiten. Das Trautonium VT ist jetzt schon erhältlich und kann in Schneiders Laden in Berlin besichtigt werden. Ein CV/Gate-Trautonium-Manual – also ohne eigenen Tonerzeuger – ist kurz vor der Fertigstellung. Dann arbeite ich gerade an einem zweimanualigen Mixturtrautonium, das kundenspezifisch für den Münchner Künstler Peter Pichler gebaut wird. Es müsste spätestens im August fertig sein. Die Elektronik darin ist die Basis für ein Standard-Mixturtrautonium.

Wenn diese Geräte fertig sind, wird es auch zwei Trautonium-Module für Modular-Synthesizer geben: einen subharmonischen Generator mit allen Möglichkeiten, die es am Original gab, sowie ein Formantfilter, das nach Trautonium klingen wird. Das kann sich allerdings noch bis 2013 hinziehen.

In ganz ferner Zukunft denke ich auch noch über Soft-Synths nach, die über einen speziellen Controller gesteuert werden. Aktuelle Produktneuigkeiten werden momentan auf Facebook gepostet, es wird allerdings auch demnächst einen RSS-Feed auf der Website geben.


Trautonics Trautonium Oskar Sala
Pionier der elektronischen Musik: Oskar Sala (Bild: Matthias Becker)

Die Geburt des Trautoniums

Das Trautonium wurde 1930 von dem Ingenieur Dr. Friedrich Trautwein (1888–1956) erfunden. Der Zusammenarbeit mit namhaften Musikern und Komponisten jener Zeit, allen voran Paul Hindemith, ist es zu verdanken, dass sich das Trautonium im Gegensatz zu anderen Elektrophonen dieser Ära zu einem ernstzunehmenden Soloinstrument entwickelte. Der junge Pianist Oskar Sala war zu dieser Zeit Musik-, später aber auch Physikstudent und unterstützte Trautwein bei der Weiterentwicklung des Trautoniums. Sala wurde in den folgenden Jahren zu einem Virtuosen auf dem Instrument, das er seinen musikalischen Bedürfnissen immer weiter anpasste und technisch erweiterte.

Nach dem Krieg baute Sala 1952 das „Mixturtrautonium“, dessen Klangerzeugung ganz auf subharmonischen Mixturen basiert: Die Frequenz eines Oszillators läuft durch vier parallele Frequenzteiler und wird jeweils nach der sog. Subharmonischen Reihe im Verhältnis 1:2 bis 1:24 geteilt. Die vier Signale werden gefiltert und zusammengemischt. Dadurch sind bis zu vierstimmige Akkorde (ähnlich einer Chord-Memory-Funktion) bzw. Klangmischungen möglich.

Mit diesem Instrument schuf Sala mittels Overdubbing Werke für elektronische Orchester aber auch Musik für Werbung und Filme. Bekanntestes Beispiel sind die Vogelschreie aus Hitchcocks „Die Vögel“. In den 80er-Jahren bauten Professoren der Fachhochschule der Deutschen Bundespost mit Studenten das „Mixturtrautonium nach Oskar Sala“, das ganz auf Halbleitertechnik basiert. Dieses Instrument spielte Sala (1910–2002) bis zu seinem Tod. Es befindet sich heute im Musikinstrumentenmuseum Berlin.

 

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