VINTAGE PARK

Synthesizer Siel Cruise (*1981)

Anzeige
5
Siel Cruise (*1981) (Bild: Dieter Stork)

In der zweiten Hälfte der 70er-Jahre begann die Ära der bühnenorientierten Multikeyboards, die bis in die frühen 80er andauerte. Neben Klassikern wie ARP Quadra oder Moog Opus findet man in diesem Segment viele Instrumente, die von italienischen Herstellern gefertigt wurden.

Für den Keyboarder, der oft auf der Bühne stand, waren die Multikeyboards ein Segen. Statt drei Keyboards brauchte er nur noch eines zu schleppen, und der Geldbeutel wurde auch nicht durch den Kauf von mehreren teuren polyfonen Synths übermäßig belastet. Wichtig war auch eine einfache und übersichtliche Bedienung. Erkauft wurde die Bequemlichkeit freilich mit einer etwas eingeschränkten Klangauswahl und dem Verzicht auf experimentellere Sounds. Zu den wichtigen italienischen Herstellern dieser Zeit zählt die in San Benedetto del Tronto ansässige Firma Siel, deren bekanntestes Produkt der sechsstimmige Analogsynth Opera ist.

Anzeige

Für alle Nordlichter: Der Firmenname hat nichts mit Wattenmeer und Deichen zu tun, sondern ist ein Akronym, das für „Societa Industrie Elettroniche“ steht. Das Multikeyboard Cruise kam 1981 auf den Markt und kostete ca. 2.600 Mark; aus heutiger Sicht kein Pappenstiel, aber für damalige Verhältnisse ein gutes Preis/Leistungs-Verhältnis, denn polyfone Synthesizer waren extrem teuer. Der Cruise bietet eine analoge Klangerzeugung mit vier unterschiedlichen polyfonen Sounds sowie einen unabhängigen monofonen Leadsynth.

Siel kooperierte Anfang der 80er-Jahre erst mit ARP und dann mit Sequential Circuits. Die amerikanischen Firmen standen damals unter gewaltigem finanziellen Druck und versuchten, mit den relativ günstigen, in Italien gefertigten Geräten einen breiteren Kundenkreis zu erreichen. So kam der Siel Orchestra (ebenfalls ein Multikeyboard) in den USA als ARP Quartett (u. a. von Massive Attack und 808 State verwendet) und das Siel PX E-Piano als Sequential Circuits Piano Forte auf den Markt. 1988 wurden die Siel-Fertigungsstätten von Roland gekauft.

Äußeres

Der Cruise besitzt ein Plastikgehäuse mit metallener Oberseite, das typisch für viele Siel-Modelle wie z. B. den Opera 6 oder die LX-Orgelreihe ist. Das Design und die Farbgebung sind etwas eigenwillig, aber mit seinen vielen Bedienelementen und Aktivitäts-LEDs sieht der Synth imposant aus. Neben einer Reihe von Fadern findet man auf dem großzügigen Bedienpanel vor allem die speziell designten FlipSchalter, die sich federleicht und komfortabel mit einer leichten Fingerbewegung umlegen lassen – hier zeigt sich die Performance-Orientiertheit des Instruments. Das nicht anschlagdynamische Keyboard bietet eher bescheidene Spielqualität und residiert knapp oberhalb der Kategorie „Wet Noodle“.

Die viereinhalb-oktavige Tastatur bietet einen festen Split-Punkt für die Poly- und die MonoSektion. Beide lassen sich übereinanderlegen und der rechten oder linken Keyboard-Zone zuweisen. Als Spielhilfe gibt es einen Pitch-Hebel für den Monosynth. Die Stimmung der polyfonen Abteilung lässt sich durch eine leicht versenkte Schraube einstellen. Rückseitig verfügt der Cruise über zwei Klinkenausgänge (Mono- und Poly-Sektion), eine fünfpolige DIN-Buchse für ein Volume-Pedal sowie Fußschalteranschlüsse für die Sustain-Funktion beider Sektionen.

Klangerzeugung

Die mehrstimmige Klangerzeugung arbeitet mit einem Master-Oszillator und einer Frequenzteilerschaltung. Sie ist vollpolyfon und verfügt über vier verschiedene Preset-Sound-Abteilungen. Diese Presets (Brass, Strings, Piano, Reed) sind mit verschiedenen Klangfarben-Variationen ausgestattet – meist hohe und tiefe Lagen –, und einige Kernparameter können verändert werden. Bei den Brass-Sounds (Trombone, Trumpet) lassen sich Filterresonanz, ATTACK und CUT – OFF sowie ein CRESCENDO-Effekt aktivieren bzw. einstellen. Die Strings (Cello, Violin, Percussion) verfügen über eine regelbare VCA-Hüllkurve (ATTACK und DECAY).

In der REED-Abteilung (Akkordeon, Musette, Church Organ) kann man die ATTACK-Phase modifizieren, in der Piano-Gruppe (Piano, Clavichord, Honky Tonk) den DECAY-Parameter. Als dosierbarer Effekt kommt (für alle Sounds) noch ein Chorus zum Einsatz. Leider lassen sich die einzelnen Sektionen nicht mischen, sondern nur an- oder ausschalten – einer der großen Nachteile des Synths. Dafür kann man alle Sounds gleichzeitig aktivieren. Alle Stimmen der Poly-Sektion teilen sich eine Hüllkurve, die bei jedem Anschlag neu getriggert wird; das kann bei den Brass-Sounds aber auch reizvolle rhythmische Effekte ermöglichen (wie in unserem ersten Klangbeispiel).

Die oben beschriebene Klangerzeugung hat man auch im Siel Orchestra und dem baugleichen Siel OR 400 verbaut; in den USA wurde der Orchestra unter dem Sequential-Circuits-Banner auch als Prelude angeboten. Attraktiv wird der Cruise (der mit einer etwas anderen Farbgebung und Beschriftung in Nordamerika wiederum als Sequential Fugue vermarktet wurde) durch den integrierten, unabhängigen monofonen Synth. Er ist mit einem DCO ausgestattet ist und daher sehr stimmstabil. Es stehen zehn verschiedene Wellenformen zur Verfügung, die vor allem aus Sägezahn-, Rechteck- und Puls-Variationen in unterschiedlichen Fußlagen (von 32′ bis 4′) bestehen. Korrespondierend dazu gibt es zehn Presets mit euphemistischen Bezeichnungen wie SAXOPHON, TROMBONE usw.

Der Synthsound lässt sich im FREE-MODE aber auch frei gestalten; dafür steht eine nicht übermäßig schnelle ADSR-Hüllkurve zur Verfügung, die sich Filter und Amplifier teilen müssen. Das Tiefpass-Filter arbeitet mit 12 dB Absenkung pro Oktave und ist mit einem Resonanzparameter ausgestattet – die Resonanz kann bis zur Eigenschwingung gebracht werden und klingt auch bei höheren Werten sehr musikalisch. Gut ist die Möglichkeit, die Note-Priority (hoch oder tief) einzustellen. So kann der Synth im Zusammenspiel mit den polyfonen Klängen Bass- oder Lead-Funktion einnehmen. Außerdem gibt es einen Vibrato-Effekt, der verzögert einsetzt und dessen Intensität und Geschwindigkeit geregelt werden können. Abgerundet wird die einfache Klangarchitektur durch eine Portamento-Funktion.

In etwas erweiterter Form kam der Synth ohne die polyfone Sektion als „Siel Mono“ mit dreioktavigem Keyboard auf den Markt. Er bietet zusätzlich noch einen Noise-Generator und ein Multimodefilter mit Lowpass-, Bandpass- und Hipass-Charakteristik. Wer seinen Mono wirklich liebt, findet auch Wege, ihn zu midifizieren (siehe die Projektbeschreibung www.electronic-obsession.se/studio/mono/mono.html mit einem Doepfer MTC 64); auch die Mono-Sektion des Cruise könnte man theoretisch MIDI-fähig machen. Den Schaltplan und das Manual des Cruise findet man auch im Netz.

Sound

Der Cruise ist klanglich nicht sehr flexibel und sicher kein Synth, mit dem alle glücklich werden können. Hier heißt es eher: „Love it or leave it“. Wer voluminöse, fette Sounds à la Oberheim OB-X sucht, sollte die Finger von dem Gerät lassen, aber alle, die die Klangästhetik von Acts wie Air oder Boards Of Canada schätzen und keine Angst vor einer gewissen Cheesyness haben, können viel Spaß mit dem italienischen Boliden haben. Bei den polyfonen Sounds überzeugen am meisten die Brass- und String-Sounds.

Letztere liegen vom Sound her zwischen Crumar Multiman und Solina String, ohne jedoch deren Breite zu erreichen. Die Reed- und Piano-Abteilungen klingen etwas dünn und eignen sich am ehesten zur Kombination mit String und Brass. Der Monosynth bietet dank seines gut klingenden Filters warme brummige Bässe und schöne, softe Lead-Sounds. Ergiebig ist der Cruise vor allem beim kombinierten Spielen von Poly- und Mono-Synth; hiermit lassen sich reizvolle, krautrockige 70er-Jahre-Klanglandschaften erzeugen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.