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Realistic Concertmate MG-1 (*1982) Synthesizer

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Realistic Concertmate MG-1 (*1982) (Bild: Dieter Stork)

Der Realistic MG-1 wurde oft als Moog des kleinen Mannes bezeichnet; dabei tut man ihm bitter Unrecht, denn der kleine Analogbolide ist ein waschechter Abkömmling der Kultfirma. Allerdings ruft der Markenname Realistic selbst bei Synthfreaks meist nur ein Schulterzucken hervor.

Realistic ist eine Marke der in Texas ansässigen Radio Shack Cooperation, die Elektronikartikel anbietet und in den 20er-Jahren von zwei Funkamateuren gegründet wurde. Die Firma geriet in den 60er-Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten und wurde von der Tandy Company aufgekauft, welche die Elektronikkette weltweit erfolgreich machte. Auch in Deutschland gab es in den Siebzigerjahren Tandy-Filialen. Zu den bekanntesten Produkten von Tandy Radio Shack gehört der mit einer Z-80-CPU ausgestattete Computer TRS-80 von 1977 (einer der ersten Heimcomputer überhaupt), der besonders in den USA verbreitet war.

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Auch im Musikelektronikbereich engagierte sich die Firma, wobei aber vor allem der Hobbyanwender im Fokus stand. Die „Concertmate“-Produktreihe stand für preiswerte Heimkeyboards. Es gab aber immer mal wieder Geräte, die auch im professionellen Bereich als Lowcost-Geheimtipps gehandelt wurden, wie z. B. die Tandy-Grenzflächenmikrofone. In den frühen 80er-Jahren kooperierte Tandy mit Moog und präsentierte einen monofonen Analogsynth, den Realistic Concertmate MG-1. Das ca. 600 Mark teure Instrument kam 1982 auf den Markt.

Moog baute den Synth, vertrieben wurde er ausschließlich in den Tandy/RadioShack-Läden. Dass der Synth äußerst leistungsfähig ist und durchaus mit anderen Moog-Derivaten dieser Zeit konkurrieren kann, beweist unter anderem auch eine Reihe bekannter User: Der MG-1 wurde unter anderem von Peter Gabriel, High Llamas, 808 State, den Industrial Rockern KMFDM und No Doubt verwendet.

Äußeres

Auf den ersten Blick sieht das kompakte Gehäuse des MG-1 etwas unscheinbar aus. Es besteht aus stabilem Plastik und hat eine nicht anschlagdynamische Tastatur, die 2½ Oktaven umfasst. Rechts neben dem Keyboard befindet sich ein Kopfhöreranschluss. Die für Moog-Synths typischen Handräder sucht man vergeblich. Außer den Drehpotis für Gesamtlautstärke und den Tune-Reglern für die monofonen und polyfonen Sektionen sind die alle Bedienelemente als Fader oder Schalter ausgeführt.

Auf der Rückseite findet das erstaunte Auge Stereoein- und ausgänge, die als RCA-Anschlüsse ausgeführt sind. Allerdings handelt es sich hier um einen kleinen Etikettenschwindel, denn linker und rechter Kanal geben das gleiche Signal aus. Dem Heimanwender sollte damit lediglich der Anschluss an die Stereoanlage erleichtert werden. Auch der Stereo-Input gibt das Signal wieder am Output aus, ohne dass es die Klangerzeugung des Synthesizers durchläuft; der Eingang war lediglich für den unkomplizierten Anschluss eines zweiten Klangerzeugers gedacht, wenn kein Mischpult zur Hand war. Dafür kann der MG-1 aber mit CV/Gate-Eingängen punkten, wobei der Gate-Eingang, wie bei Moog üblich, mit 1 Volt/Oktave und S-Trigger arbeitet.

Klangarchitektur

Der MG-1 verfügt über zwei spannungsgesteuerte Oszillatoren, welche die Wellenformen Sägezahn, Rechteck (VCO 1) sowie Dreieck und Puls (VCO 2) erzeugen. Eine Pulswellenmodulation ist nicht vorgesehen. Die beiden VCOs lassen sich gegeneinander fein-verstimmen und sind jeweils mit einem dreistufigen Oktavwahlschalter ausgestattet, wobei der erste Oszillator (Fußlagen: 32′, 16′, 8′) noch eine Oktave tiefer liegt als der zweite. Oszillator 1 lässt sich mit Oszillator 2 synchronisieren, wodurch sich die klangliche Bandbreite erheblich erweitert. Auch eine Ringmodulation beider VCOs ist möglich. Als weitere Klangquelle gibt es noch einen Noisegenerator mit Pink Noise.

Eine Portamento-Funktion ist natürlich auch an Bord. Schließlich bietet der MG-1 noch eine achtfach polyfone Sektion, die mit einer Frequenzteilerschaltung mit Rechteck-Oszillatoren arbeitet. Die Poly-Sektion hat nur eine nicht veränderbare Orgelhüllkurve und durchläuft komplett das Filter, was zur Folge hat, dass die Filterhüllkurve bei jedem Anschlag neu getriggert wird. Das mag einerseits eine Einschränkung darstellen, kann manchmal aber auch reizvoll sein. Die Lautstärke aller Klangquellen (inklusive des Signals des Ringmodulators) wird in der Mixerabteilung stufenlos geregelt.

Das Design der Filter- und VCA-Hüllkurven erinnert ein wenig an den großen Urahn Minimoog: Decay und Release teilen sich ein Poti. Mit einem Schalter kann man bestimmen, ob die Release-Phase auf einen festen Wert gesetzt wird oder der Decay-Phase entspricht. Der LFO erzeugt Dreieck, Pulse oder RandomWellenformen und ist bis ca. 30 Hz schnell. Das schön fett klingende Lowpass-Filter hat die moogtypische Kaskadenschaltung, ist als Vierpol-Filter ausgelegt (24 dB/Okt) und bietet eine zweistufigen Key-Follow-Funktion. Für erhöhten Spaßfaktor und das unkomplizierte Erzeugen einfacher Sequenzen sorgt die Auto-Trigger-Funktion, mit der die Hüllkurve im Takt der eingestellten LFO-Geschwindigkeit angetriggert wird. Die Klangarchitektur des MG-1 ähnelt stark den Moog-Modellen Rogue und Liberation.

Sound

Der Klang des MG-1 wischt alle Zweifel an seiner Herkunft angesichts des Realistic-Logos vom Tisch: Er ist ein echter Moog-Abkömmling und klingt warm, brummig und organisch. Dies verdankt er einerseits dem Lowpass-Moogfilter und auf der anderen Seite dem guten Basisklang der VCOs. Insbesondere wenn man alle Oszillatoren inklusive der Poly-Sektion (die einen leicht orgelartigen Charakter hat) zusammenmischt, wird der Klang schön fett.

Die extrem breite und bassige Klangpower eines Minimoogs ist mit dem MG-1 aber nicht machbar; das liegt u. a. auch daran, dass die MG-1-Oszillatoren mit der sogenannten „Heated Chip Technology“ relativ stimmstabil gemacht wurden und die Oszillatordrift minimiert wurde. Dafür kann der MG-1 Dinge, die mit der Minimoog-Legende nicht möglich sind: Er kann dank Ringmodulator experimentelle und metallische Spektren erzeugen, schneidende Leads lassen sich mit der Oszillatorsynchronisation im Handumdrehen generieren, und auch die vollpolyfone Abteilung hat (insbesondere mit LFO-modulierter Filtereckfrequenz) ihren Reiz.

Modifikationen

Wenn man das Glück hat, einen MG-1 zu bekommen, sollte man ihn öffnen und den schwarzen Schaumstoff, der unter dem Bedienpanel angebracht ist, schnellstens entfernen. Dieser hat nämlich die unangenehme Eigenschaft, allmählich zu zerfallen und die Fader unbrauchbar zu machen. Der Synth lässt sich relativ einfach modifizieren. Beliebt und unkompliziert ist z. B. der Austausch der RCA-Buchsen gegen Klinkenbuchsen, der Einbau eines Eingangs, um dem Filter externes Audiomaterial zuzuführen, ein zusätzlicher CV-Eingang für die Steuerung der Filtereckfrequenz und die Midifizierung des Gerätes (siehe www.synhouse.com/concertmate1.html oder www.cykong.com).

Das Gerät wurde uns freundlicherweise von Bernd Reinbold von der hessischen Progressive-Rockband „Sfumato“ zur Verfügung gestellt.

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