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MIDI-Headz – von innovativen Geistern und Visionären

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MIDI Headz
(Bild: Tubbutec, Audiowerkstatt, Rasmus Bell)

»Gibt’s nicht!« gibt es nicht! Hat die Industrie nicht die passende Lösung parat, greifen findige Gear-Nerds nicht selten zu CAD-Programm und Lötkolben. Und manchmal entsteht daraus das Trend-Tool von morgen …

Dein Live-Setup braucht noch einen kleinen, aber sehr speziellen Clock-Konverter? Unter der Haube deines Lieblings-Vintage-Synths schlummert unentdecktes Potential? Der Diskdrive deines Kult-Samplers gibt den Geist auf? Derartige Probleme gehören zum Alltag des getriebenen Gear-Nerds. Die Lösungen bewegen sich jedoch oftmals unterhalb des Radars der etablierten Instrumentenhersteller. Was tun?

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Findige Elektronik-Künstler mit entsprechenden technischen Skills haben heute die Möglichkeit, sogar recht komplexe, Software-gesteuerte Tools erfolgreich und im Alleingang selbst zu entwickeln. Mitunter sind die Ergebnisse so gelungen, dass die einstige Individual-Lösung schnell eine erstaunlich hohe Nachfrage generiert. Der Schritt zum markfähigen Produkt ist nun immer noch groß, aber durchaus realisierbar. Kostenlose Werbung über Foren und kurze Online-Vertriebswege tun ihr Übriges zum Erfolg.

Wir schauen zwei ebenso besonderen wie typischen Vertretern dieser Künstler/Entwickler-Szene neugierig über die Schulter.

Tobias Münzer – Tubbutec 

Die Berliner Firma Tubbutec ist seit etwa drei Jahren im Geschäft und seitdem vor allem unter Vintage-Fans hoch angesehen. Nicht verwunderlich, denn Tobias Münzer hat einigen unserer Lieblings-Synths zu unverhofften Fähigkeiten verholfen. Doch der Reihe nach.

Neben seinem E-Technik-Studium repariert Tobias regelmäßig das Equipment seiner Musikerkollegen. Zu den häufigen Patienten zählt der Korg Polysix (ausgelaufene Batterie etc). Selbst Polysix-Fan, entwickelt Tobias schließlich ein Hardware-Upgrade, welches u. a. das Gegeneinander-Verstimmen der VCOs ermöglicht − sogar mit modulierbarer Intensität. Die Resonanz ist riesig: Schon bald verlässt kein Polysix Tobias’ Werkstatt ohne »Polysex«-Mod.

MIDI Headz
(Bild: Tubbutec, Audiowerkstatt, Rasmus Bell)

Noch einen drauf setzt wenig später »ModyPoly«: Ein CPU-Upgrade verhilft Polysix, Poly-61 und MonoPoly zu einem äußerst leistungsfähigen On-Board Sequencer/Arpeggiator sowie zu einem MIDI-Interface und zahlreichen weiteren Funktionen. Mit diesem Schritt ist auch die Firma Tubbutec geboren.

»Während Polysex zunächst als Experiment startete, war das CPU-Upgrade für die Korgs mein erstes, von Anfang an als solches geplantes Produkt«, erinnert sich Tobias. »Mundpropaganda und Online-Foren haben für eine erstaunlich schnelle Verbreitung gesorgt. Aktuell dürften rund 500 Geräte mit dieser Mod ausgestattet sein.«

Nicht nur Korg-Fans können sich freuen − ähnliche Upgrades mit entsprechenden Features existieren mittlerweile auch für Rolands Juno-6/60 (»Juno-66«), SH-101 (SH-1oh1«) und demnächst für die MC-202. Das »UniPulse«-Interface stattet nahezu jeden beliebigen Vintage-Drummy mit einem leistungsfähigen MIDI-Interface aus. Bemerkenswert ist, dass alle Upgrades »in the Field« eingebaut werden können. Tobias: »Im Wesentlichen wird nur der CPU-Chip getauscht. Ich nutze eine moderne CPU, emuliere darauf das Original-Betriebssystem des Synths und ergänze es um neue Features. Somit lassen sich auch alle Originalfunktionen ausnahmslos erhalten.«


 


№5/6 2017

  • Editorial
  • Facts & Storys
  • Modular Kolumne
  • EVANESCENCE
  • Im Gespräch mit Lars Eidinger
  • HÄMMERN MIT DEN GRANDBROTHERS
  • Reisen & Neuanfänge: Lucy Rose
  • Keys4CRO: Tim Schwerdter
  • Klangbastler Enik & Werkzeugmacher Gerhard Mayrhofer
  • Bei Klavis in Brüssel
  • BACK TO THE ROOTS: AKAI MPC X
  • Dexibell Combo J7
  • DICKES BRETT: POLYEND SEQ
  • Mr. Hyde & Dr. Strangelove jagen Dr. No
  • Visionäre: MIDI In My Head!
  • DIE ELKA-STORY
  • Transkription: Michael Wollny
  • Impressum
  • Inserenten, Händler
  • Das Letzte − Kolumne


Tubbutecs neuestes Werk ist »MicroTune«, ein höchst präzise arbeitendes USB/MIDI-Interface im Eurorack-Format. Als Besonderheit erzeugt es beliebige Micro-Tunings, deren Speicherung im Modul und via SD-Card erfolgt. Während alle bisherigen Tubbutec-Produkte online im Eigenvertrieb erhältlich sind, wird man zumindest das MicroTune-Modul auch bei Schneiders Laden antesten und kaufen können. »EurorackModule sind für kleine Firmen dankbare Produkte. Man braucht nicht über Netzteile und aufwendige Gehäuse nachzudenken. Was aber nicht heißt, dass nicht auch Tubbutec-Tools einmal größer werden könnten …«

Mehr Infos unter www.tubbutec.de


Aus der Praxis für die Praxis

Die Produkte von Audiowerkstatt und Tubbutec entstammen fast ausnahmslos der Musikerpraxis beider Entwickler. Die findige Lösung eines speziellen, aber durchaus verbreiteten Problems bildet vielfach den Anlass für eine neue Produktkonzeption.

Olaf Giesbrecht – Audiowerkstatt 

Die MIDI-Tools der ebenfalls in Berlin angesiedelten Audiowerkstatt entstammen direkt den Livemusiker-Bedürfnissen und DIY-Fähigkeiten ihres Entwicklers Olaf Giesbrecht. Die Anfänge starten noch recht bescheiden: Seit jeher Technik-affin, ergänzt Olaf in seinen Bühnen-Setups zunächst hier einen Fußschalter und dort einen Trigger-Input. Ermutigt von zahlreichen Musikerkollegen, durchforstet Olaf bald das Web nach geeigneten Open-Source-Projekten und fundiertem technischen Know-how. Vielversprechende Experimente mit Lötkolben und Microcontroller-Entwicklungssystem bestätigen schließlich die Machbarkeit von Olafs Vorhaben: Wenig später gründet er die Audiowerkstatt mit dem festen Ziel, langfristig elektronisches Equipment zu fertigen.

“Die Ideen entnehme ich meist meinen Bedürfnissen beim Live-Jammen und denen meiner Musikerkollegen.”

Sämtliche Aktivitäten sind sorgfältig und langfristig geplant: »Von Anfang an stand fest: keine Fremdfinanzierung, kein Crowdfunding. Zudem müssen die Produkte so konzipiert sein, dass sie meine Möglichkeiten nicht überfordern. Abgesehen von den Boards verzichte ich bisher auf speziell angefertigte Bauteile. So muss ich kaum Verpflichtungen gegenüber Zulieferern eingehen und kann je nach Bedarf auch kleinste Stückzahlen realisieren oder schnell Bauteile zukaufen. Bezüglich der Fertigungsqualität gehe ich keine Kompromisse ein. Deshalb werden die Platinen in der EU hergestellt und ausschließlich beste Markenbauteile verwendet.«

MIDI Headz
(Bild: Tubbutec, Audiowerkstatt, Rasmus Bell)

Entwicklung, Montage, Qualitätskontrolle und Support erledigt Olaf selbst. Der enge Austausch mit professionellen Kollegen, aber auch DIYlern ist dabei wichtig. Dinge wie Buchhaltung und Steuern werden von Anfang an Experten überlassen. Abgesehen vom britischen Juno-Records-Shop erfolgt die Vermarktung im Selbstvertrieb. Soziale Medien und Mundprogaganda sorgen kostenlos für Popularität.

Olafs Konzept ist aufgegangen: Die Audiowerkstatt existiert seit dreieinhalb Jahren und wächst wie geplant langsam, aber stetig. Aktuell sind acht Produkte im Programm, die Mehrzahl davon für die Lösung von Sync-Problemen: Teilen, vervielfältigen, verschieben oder Timing-korrektes Einstarten von MIDI-Clockund DIN-Sync-Signalen wird ebenso einfach möglich gemacht wie die Konvertierung dieser Daten. Auch ein Live-tauglicher MIDI-Sequenzer mit spannenden Features ist mittlerweile erhältlich. Olaf: »Glücklicherweise ist individuelles Equipment sehr angesagt. Die Ideen entnehme ich meist meinen Bedürfnissen beim Live-Jammen und denen meiner Musikerkollegen. Einige Geräte sind auf speziellen Kundenwunsch entstanden. Wenn man einen Prototypen baut, lassen sich auch leicht mehrere Exemplare verwirklichen.«

Olafs Zukunftspläne beinhalten verschiedenste Optionen: »Es wird sicher nicht für alle Zeiten ausschließlich bei MIDI-Tools bleiben. Natürlich ist auch die analoge Klangerzeugung ein sehr spannendes Feld …«

Mehr Infos unter www.audiowerkstatt.de

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