Ganz in Weiß

Manikin Electronic Memotron – Samplebasierter Mellotron-Clone

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Memotron Mellotron Clone
(Bild: Dieter Stork)

Sind Sie auch einer von jenen Mellotron-Fans, denen der simple Erwerb einer schnöden Software-CD nicht Opfer genug ist, um dem verehrten Instrument die angemessene Reverenz zu erweisen? Dann könnte das Memotron etwas für Sie sein …

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Ja, es ist Hardware, und ja, es macht nur Mellotron-Sounds! Für 1.990 Euro kann man sich nun also endlich mal wieder ein Keyboard auf die Bühne stellen, das für sich genommen schon ein Statement ist. Das Outing als Prog-Rocker dürfte damit spielend gelingen. Wenn man es genau nimmt, ist das Memotron ein Sample-Player mit einer sehr spezialisierten Library und einem Keyboard mit begrenztem Umfang. Das hört sich an wie die Definition eines Mellotrons. Und genau das ist der Punkt: Das Memotron ist etwas für diejenigen, die nicht nur irgendwie Zugriff auf viele Mellotron-Sounds haben wollen, sondern die ein Mellotron wollen, aber keines haben. Oder aber für jene, die eines haben, es aber nicht live einsetzen wollen. Das Memotron ist also erst einmal ein Instrument für Spezialisten. Seiner Attraktivität tut dieser Umstand freilich keinen Abbruch, eher im Gegenteil.

Design und Äußeres

Mellotron-Spielen als Gesamtphänomen hatte natürlich auch immer etwas mit der Optik des Geräts zu tun. Wenige Tasteninstrumente lassen sich auf große Entfernung so zielsicher erkennen wie etwa ein Mellotron M400. Die auffallende weiße Farbe, die charakteristischen Ausmaße des Gehäuses mit seinen klar geführten Schrägkanten … das Mellotron stellt schon rein optisch eine der markantesten Persönlichkeiten unter den klassischen elektronischen Tasteninstrumenten dar.

Rein optisch ist das Memotron eine moderne Variante des Mellotron M400. Salopp gesagt erinnert es an den abgesägten Kopfteil dieses Modells. Im Detail sind die um 2 cm größere Breite von 88 cm sowie die um etwa 16 cm geringere Tiefe von 40 cm zu verzeichnen. Möglicherweise ist es kein Zufall, dass das Memotron in der Tiefe exakt auf die Deckelfläche eines M400 passt! Auch das Memotron selbst bietet noch etwas freie Fläche, auf der sich dekorativ das eine oder andere Gerät platzieren lässt. Für einen Minimoog wie seinerzeit beim Herrn Wakeman wird es eng, aber für einen Laptop und die eine oder andere Kaffeetasse sollte es reichen. Anschlussseitig ist das Gerät mit zwei Line-Ausgängen und einem Kopfhörerausgang bestückt.

Manikin auf der Superbooth18: Stand O370

Neben dem üblichen MIDI-Trio gibt’s auch noch einen Anschluss für ein Volumen-Pedal und einen Steckplatz für eine CompactFlash-Karte zum Ablegen bevorzugter Sounds. Ein CONTRAST-Regler für das LCD auf dem Bedien-Panel komplettiert die Rückseite.

Vorn finden sich der dekorative Slot-In des eingebauten CD-Laufwerks und darüber das Bedienfeld. Dessen Layout kann als programmatisch für das Konzept des Memotron angesehen werden: Die Regler VOLUME, TONE und PITCH sowie ein Drehregler zur Überblendung der drei Tonspuren eines Bandrahmens sind in originalgetreuer Position angebracht. Anstelle des Power-Schalters ist ein Kippschalter für den Halfspeed-Modus angebracht. Oberhalb dieser Einheit finden sich die nötigen Zusätze für das Management der internen Daten in Form eines LC-Displays und eines DATA-Push-Potis samt ESCAPE-Button. Das Ganze sieht wirklich sehr ansprechend aus, und auch Verarbeitung und Haptik der Bedienelemente sind tadellos.

Die Platzierung des Namens und der Herkunft (Mellotron London – England vs. Memotron Berlin – Germany) wurde hier exakt nachempfunden. Man nimmt es also genau, dann wollen wir das auch mal tun.

Klangbeispiel

Bedienung

Das Memotron verhält sich im Prinzip wie ein Sampler. Bei Anschalten des Geräts ist der Speicher immer leer, und die Sounds müssen jedes Mal erst eingeladen werden. Dies kann vom CD-Laufwerk oder gegebenenfalls von der Compact-Flash-Karte geschehen. Der Ladevorgang selbst dauert pro Sound von einer CD ca. 12 Sekunden, von der Karte etwa 20 Sekunden. Ähnlich dem Vorbild kann man auf drei Sounds gleichzeitig zugreifen, indem man sie in die Spuren A, B oder C lädt. Diese Gesamteinheit wird – dem so nachgebildeten Tonbandrahmen zu Ehren – FRAME genannt. Jeder Einzelspur können eine eigene Attack- und Release-Zeit sowie ein individueller Level zugewiesen werden. All diese Einstellungen zusammen ergeben die Einheit eines TRACKS und können komplett als ein solcher auf der Flash-Karte abgespeichert werden.

Im dem mir vorliegenden Modell (OS 1.1) funktionierte das Ablegen der individuellen Trackdaten noch nicht, das Problem soll aber laut Rücksprache mit den Herstellern durch ein Update in naher Zukunft behoben sein. Zudem soll es dann auch möglich sein, ganze Frames abzuspeichern. Das bedeutet, dass man mit einem Ladevorgang drei Sounds mit den Trackparametern in einer festgelegten Verteilung in die Spuren A, B und C laden kann – eine wichtige Verbesserung für den Live-Einsatz, denn bisher kostet es doch noch einige Zeit, das Gerät mit drei Sounds inklusive Fine-Tuning spielbereit zu bekommen.

Memotron Mellotron Clone
Die Bedienelemente des Memotron (Bild: Dieter Stork)

Das Menü bietet neben den MIDI-Einstellungen auch Zugriff auf einige interne Effekte. Angeboten werden hier verschiedene Hallvarianten (Hall, Room, Plate), Delay, Chorus, Flanger und Rotary sowie zwei Kombinationen von Chorus und Room. Einzustellen gibt es außer Bypass und Send-Level nichts, und der Effekt ist stets hinter den gesamten Frame geroutet. Die Qualität der Presets geht aber in Ordnung, sodass die Sektion insgesamt als sinnvolle Ergänzung für die Standalone-Nutzung durchgeht.

Alles in allem ist das Navigieren dank der angemessen einfachen Menüstruktur kein Problem. Die angesprochenen Mankos in der Bedienung sollten mit dem nächsten Update der Vergangenheit angehören.

Die Tastatur ist gut gelungen. Sie vermittelt ein angenehmes Spielgefühl, ganz im Gegensatz zu so manch klapprigem Mellotron-Keyboard. Die Drehregler laufen angenehm mit angemessenem Widerstand. Der Überblendregler hat im Gegensatz zum Original einen recht langen Regelweg, was eine deutlich feinere Dosierung der Mischverhältnisse erlaubt. Der Pitch-Regler bietet Pitchbend um drei Halbtöne nach oben und nach unten, etwa um die Streicher langsam von „unten“ kommen zu lassen (man vergleiche hierzu den Beginn des Albums „Once Again“ von Barclay James Harvest).

Hinter dem Tone-Regler verbirgt sich ein 12-dB-Tiefpassfilter, wodurch die Regelcharakteristik recht anders ausfällt als beim Original. Großangelegte Fahrten ergeben einen leichten Wah-Effekt, der so beim M400 nie eintrat, und bei Linksanschlag des Reglers herrscht Stille. Mir persönlich wäre hier die originale Charakteristik einer sanfteren Höhenabdämpfung lieber gewesen, andererseits kann man sicher auch an den so gewonnenen Klangmöglichkeiten Gefallen finden.

Während der gesamten Testphase arbeitete das Memotron absolut zuverlässig, Abstürze oder ähnliche Ausfallerscheinungen waren nicht zu verzeichnen. Insgesamt hinterlässt die Bedienung des Geräts – nicht zuletzt durch die wertige Hardware – einen positiven Eindruck.

Memotron Mellotron Clone
(Bild: Dieter Stork)

Sounds

Im Lieferumfang befindet sich eine CD mit der „Vintage“-Soundcollection, für 79 Euro, zusätzlich ist die so genannte „Studio Collection“ erhältlich. Nachschub in Form neuer Libraries ist laut Hersteller ebenfalls bald zu erwarten. Die Soundsets sind konzeptionell unterschiedlich gelagert: Die „Studio Collection“ liefert perfekt überarbeitete, optimierte und restaurierte Klänge aus der Mellotron-Library. Diese Klänge sind frei von Störeinflüssen und so reich und kraftvoll, dass manch einer sie so sicherlich gar nicht mit einem Mellotron in Verbindung bringen würde. Zumal sich auch untypische Klänge wie der eines Wurlitzer Electric Grand oder ein neu produzierter, sehr sauberer Celloklang in der Auswahl finden.

Die „Vintage Collection“ ist hingegen auf Authentizität ausgerichtet und zollt den bekannten und charakteristischen Wiedergabeschwächen der verschiedenen Mellotron-Modelle Tribut. Wimmern, unsaubere Attacks oder was auch immer das jeweilige Gerät an Schwächen und damit eben auch Persönlichkeit aufzuweisen hat, sind hier erwünscht. Vergleicht man etwa die Flöte aus der Vintage- mit jener aus der Studio-Collection, so sind schon massive Unterschiede hörbar. Gleiches gilt für die klassischen Violins, die in mehreren Varianten, etwa aus einem MkII und aus einem M400, vorliegen. Hier spielen die unterschiedlichen Verstärkercharakteristiken und natürlich wiederum der individuelle Zustand jedes einzelnen Geräts ihre Rolle in der Klangfärbung.

Mit der HALF-SPEED-Funktion können einigen Mellotron-Sounds noch einmal ein paar neue Nuancen abgewonnen werden. Mike Pinder von den Moody Blues nutzte diesen Effekt seinerzeit gern für ultra-breite und natürlich ultratiefe Flächenklänge.

Wer bereits im Besitz der umfangreichen „Tape Banks“ für das G-Media M-Tron ist, der kann diese ebenfalls problemlos in die Tracks des Memotron einlesen. Der Import funktionierte tatsächlich völlig problemlos.

Wie schon bei einigen dieser Tape Banks zeichnet auch hier mit Klaus Hoffmann-Hoock ein ausgewiesener Mellotron-Experte für die Sounds verantwortlich. Es verwundert daher nicht, dass sowohl Auswahl als auch Qualität der Sounds durchweg überzeugen. Das Konzept der unterschiedlich aufbereiteten Sounds macht die Memotron-Bibliothek wirklich reizvoll, und gerade das gleichzeitige Spiel von nahe verwandten Sounds ergibt häufig interessante Ergebnisse. Die Soundauswahl macht klar, dass der Anspruch eigentlich über das rein „Authentische“ hinausgeht und macht das Memotron quasi zum „Metatron“.

Memotron Mellotron Clone
Ein M400 diente während des Tests als exklusiver Keyboardständer. (Bild: Florian Zwißler)

Fazit

Mit dem Memotron ist Manikin Electronic ein wirklich gutes Gerät gelungen. Das Gesamtpaket aus einer interessant ausgewählten Library und den klassischen Regelmöglichkeiten geht meines Erachtens auf. Gerade das Experimentieren mit dem Überblenden unterschiedlicher Varianten von Violins und Flute führte immer wieder zu überraschenden Klangergebnissen. Das Memotron erlaubt außerdem durch sein kompromissloses Konzept tatsächlich eine konzentrierte Beschäftigung mit dem Mellotron-Klang, die nicht durch die Beliebigkeit eines Plug-in-Instrumentes unter vielen untergraben wird. Innerhalb einer rechnergestützten Produktion mag man häufig auf die einfache Einbindung der Plug-in-basierten Konkurrenz nicht verzichten wollen, aber es dürfte bereits klargeworden sein, dass dies nicht die Front ist, an der das Memotron kämpft.

Was die Authentizität der Bedienung angeht, sind die entscheidenden Punkte bereits angedeutet worden: Tastatur und Spielgefühl stimmen, die Anordnung der Regler ebenfalls. Die Unterschiede in den Charakteristiken des einen oder anderen Reglers sind Geschmackssache – in jedem Fall hat Manikin hier gute Arbeit geleistet. Überhaupt sind Verarbeitung und nicht zuletzt das Design absolut überzeugend.

Sicherlich – im Detail bietet ein Mellotron immer noch Möglichkeiten, die sich jenseits des Gebotenen bewegen, vor allem im Bereich des Spiels mit dem Bandandruck an Welle und Tonkopf. Ganz Pingelige könnten vielleicht auch das Bedürfnis nach einer Simulation der trägen Bandrückholfeder verspüren, die ein neuerliches Abspielen vom Beginn des Bandes an erst nach maximal einer Sekunde erlauben würde. Den Sinn der Simulation solcher zugegebenermaßen nicht unbedeutenden Feinheiten darf man aber bezweifeln. Zudem steckt das Memotron das Vorbild andernorts locker in die Tasche, wenn man sich die Streicher nun einmal à la M400 und einmal à la MkII kommen lassen kann.

Der Preis von 1.990 Euro erscheint angesichts der gebotenen Qualität des Produkts angemessen, dürfte in der Tat aber den Kundenkreis nochmals etwas einschränken. Dem noch besser betuchten Fan bleibt für eine Neuanschaffung zuletzt noch als Alternative das neue Mellotron Mk VI (siehe KEYBOARDS 03/06), das preislich allerdings in einer anderen Liga spielt. Und um es abschließend prägnant zu formulieren: Selbst angesichts meines alten M400, das dem Memotron für einige Tage als Ständer diente, gebe ich den digitalen Familienzuwachs nur ungern wieder her.

Hersteller- und Produktinformationen

Hersteller: Manikin Electronic

Internet: www.manikin-electronic.com

Unverbindliche Preisempfehlung: 1.990,– Euro

 

Pro und Contra

+ Design

+ Verarbeitung

+ Klangauswahl

+ stimmiges Gesamtkonzept

+ kompatibel mit der M-Tron-Library

– momentan noch kleinere Unstimmigkeiten in der Software

 

Das Memotron gibt es inzwischen auch schon der zweiten Generation: das Memotron M2K. Es wird von Manikin Electronics mit einer deutlich gesenkten UvP von 1.590,- Euro angeboten.

 Manikin Memotron mk2 Diagonal

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