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E-Piano auf Trip – Wersi Pianostar

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Das Wersi Pianostar ist sicher das imposanteste und auch klanglich leistungsfähigste E-Piano heimischer Provenienz. Äußerlich ähnelt das wenig bekannte, aber kultige Instrument auf den ersten Blick einem Fender Rhodes, aber bei näherer Betrachtung gehen seine Fähigkeiten weit über den E-Piano-Klangkosmos hinaus.

Wersi

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Wersi gehört zusammen mit Dr. Böhm zu den namhaften deutschen Orgelherstellern. Die Firma wurde 1969 von den Brüdern Wilhelm-Erich und Reinhard Franz im Hunsrück gegründet. Der Name „Wersi“ wurde übrigens aus den Anfangssilben der Geburtsorte der Gründer Werlau und Simmern gebildet (hätte man ja auch selbst drauf kommen können …). Die Firma war vor allem in den 70er-Jahren sehr erfolgreich, hatte dann in den 90ern eine magere Phase und wurde 2010 vom Kölner Music Store übernommen. Neben Orgeln stellte die Firma auch Synthesizer, Drumcomputer und E-Pianos her. Wersi ist momentan einer der führenden Hersteller für hochwertige Entertainer-Keyboards.

Klangbeispiel

Piano-Star Varianten

Das Wersi E-Piano kam 1980 auf den Markt und wurde in mehreren Darreichungsformen angeboten. Da gibt es zum einen die Comboversion T 2000 im Rhodes-Look (unser Testgerät), dann eine Version im Klavier-Outfit mit Holzgehäuse und schließlich eine GrandPiano-Variante, bei der man sogar die Anschlagdynamik mithilfe einer ausgeklügelten Mechanik verstellen kann.

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Achtung, wir betreten jetzt die verbotene Zone! Hier wird eine Welt von Kellerbars, die mit Mini-Discokugeln von Quelle, rustikalen Ziertellern und zu Lichtorgeln umfunktionierten Ampeln ausgestattet ist, mit gnadenlosem Easy-Listening-Sound beschallt. Unumschränkte Herrscher dieses in den 70er-Jahren wurzelnden Kulturkreises sind Tastenmagier wie Franz Lambert und Klaus Wunderlich, deren imposanter Backkatalog übrigens seit den 90ern z. T. wieder Kultstatus besitzt. Diese furchtlosen Orgelkapitäne steuerten neben ehrfurchtgebietenden Schlachtschiffen von Wersi auch normalsterbliche Keyboards wie eben das Wersi Pianostar, das auf diversen Aufnahmen der frühen 80er-Jahre zu hören ist.

Der Kultfaktor des Pianostar wurde mittlerweile auch von Synthfreaks wie etwa den Tastronauten (www.tastronauten.de) erkannt, die das Gerät ihrer sehenswerten Sammlung einverleibt haben und es auch musikalisch einsetzen.

Der weisse Traum

Manchmal wurde das Pianostar-E-Piano anderen Wersi-Instrumenten einverleibt. Dies war z. B. bei Franz Lamberts viermanualigem Orgelmonster SN 1 der Fall, das er in den frühen 80er-Jahren spielte. Diese Sonderanfertigung ist eine Synthese aus den Wersi-Orgeln Galaxis, Komet und dem Pianostar. In der Orgelszene war diese materialisierte Allmachtsfantasie als „Der Weiße Traum“ bekannt. Mit diesem Instrument wurde z. B. das Album „Symphonie d’Amour“ (mit dem Münchener Kammerorchester und dem Gitarristen Sigi Schwab) aufgenommen.

Optisch gleicht der Pianostar T 2000 auf den ersten Blick tatsächlich weitgehend einem Fender Rhodes: Das Vinyl-bespannte Case, die leicht gewölbte Kunststoffhaube und nicht zuletzt das Rhodes-artige Gewicht ähneln dem Vorbild. Auch beim Anspielen der großartigen Holztastatur fühlt man sich angenehm an ein Mark II erinnert. Links über dem Keyboard befindet sich eine Bediensektion mit Lautstärkeregler, einem Transpose-Schalter und einem „Slalom“- Fader für Pitch-Effekte. Außerdem lassen sich hier acht Preset-Sounds (Piano, Stage Piano, E-Piano, Honky Tonk, Banjo, Kinura etc.) abrufen, die auch parallel aktiviert werden können. Auf der rechten Seite findet man ein weiteres Bedienpanel für Filter und Effekte.


Das Wersi Pianostar ist ein echter Geheimtipp für alle, die das Ungewöhnliche lieben. Dank seiner hervorragenden Tastatur ist auch der Spielspaß garantiert. Eingesetzt wurde es aber vor allem in Entertainer-Zirkeln, in denen der Name „Wersi“ einen guten Klang hatte.


Klangerzeugung

Anders, als das Äußere vermuten lässt, besitzt das Pianostar keine elektromechanische Klangerzeugung, sondern es arbeitet vollelektronisch mit einer Frequenzteilerschaltung. Das Besondere ist hier die Möglichkeit, das Ausgangssignal durch ein Tiefpassfilter mit 12 dB Absenkung pro Oktave zu schicken. Es gibt auch einen Resonanzregler und einen LFO zur Modulation der Cutoff-Frequenz mit Speedund Amplitude-Regler. Ein Filter-Tracking wurde auch nicht vergessen. Außerdem stellt das Pianostar noch einen Hawai-Effekt mit automatischer Tonbeugung und Vibrato mit zwei wählbaren Einstellungen zur Verfügung. Für mehr Klangfülle sorgt zudem der OktavEffekt („Oktav-Coupler“), der den Sound eine Oktave tiefer doppelt.

Sound

Ohne Effekte mit nur einem aktivierten Preset wirkt der Sound des Pianostar etwas steif und leblos oder je nach gewähltem Sound leicht cheesy („Kinura“); erst wenn man die Filtersektion oder den Oktav-Effekt einschaltet, erwacht die psychedelische Seele des Pianostar zum Leben. Dann aber geht die Sonne auf, und man erhält wunderbar organische, spacige E-Piano-Sounds, die ihresgleichen suchen. Hier ist von dem subtilen, leicht schwebenden Filter-Effekt bis hin zu verschwurbelten, Synth-artigen Effektsounds einiges möglich. Am besten aktiviert man mehrere Presets und Effekte, dann kommt das Pianostar richtig in Fahrt. Ein ultra rares Instrument, das zu Unrecht vergessen wurde.



№5/6 2017

  • Editorial
  • Facts & Storys
  • Modular Kolumne
  • EVANESCENCE
  • Im Gespräch mit Lars Eidinger
  • HÄMMERN MIT DEN GRANDBROTHERS
  • Reisen & Neuanfänge: Lucy Rose
  • Keys4CRO: Tim Schwerdter
  • Klangbastler Enik & Werkzeugmacher Gerhard Mayrhofer
  • Bei Klavis in Brüssel
  • BACK TO THE ROOTS: AKAI MPC X
  • Dexibell Combo J7
  • DICKES BRETT: POLYEND SEQ
  • Mr. Hyde & Dr. Strangelove jagen Dr. No
  • Visionäre: MIDI In My Head!
  • DIE ELKA-STORY
  • Transkription: Michael Wollny
  • Impressum
  • Inserenten, Händler
  • Das Letzte − Kolumne

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Danke für den Test und die Erinnerung an ein sehr interessantes Instrument.
    Ich sollte es mal wieder hervorkramen…
    Schöne Grüße von den Tastronauten

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