Clavia Nord Grand – Stagepiano im Test
Für viele Stagepianisten dürfte es wohl unübertrieben die wohl spektakulärste Traumhochzeit der vergangenen Jahre sein. Zum allerersten Mal in der Geschichte des sympathischen Unternehmens aus Stockholm erfährt das weltweit beliebte schwedenrote Bühnenklavierkonzept eine gravierende Klaviaturveränderung und, damit verbunden, die Unterstützung einer der renommiertesten japanischen Pianomanufakturen. Bühne frei für eine neue Lovestory mit Zukunft: Clavia meets Kawai!
Hätte man vor wenigen Jahren versucht, das mittlerweile in die Tat umgesetzte Joint-Venture als hoffnungsvolles Gerücht zu verbreiten, es wäre wohl an der Oberfläche des gemeinen Wunschdenkens abgeperlt wie saurer Regen an einer Lotusblüte. Die Tatsache, dass das Nord Grand nun wahrhaftig vor uns steht, spricht zum einen für den Innovationsgeist, aber auch den wohlwollenden Kooperationswillen zweier außergewöhnlicher Unternehmen, die sich beide noch nie dem allgemein Gängigen unterordnen konnten. Also was erwartet uns hier?
Let’s have a look! Optisch vollzieht das Nord Grand schon einmal einen unverkennbaren Design-Shift, mit dem es sich klar vom übrigen Produktportfolio abgrenzt. Das Bedienpanel wurde im klassischen Fender-Rhodes-Stil stumpfwinklich zur Tastatur montiert, was während der Performance eine ausgezeichnete Auf- und Übersicht gewährt. Einer der größten Vor- und auch Nachteile einer solchen Umsetzung ist natürlich die Möglichkeit, Programme und Parameter während des Spiels noch schneller umschalten zu können − beabsichtigt wie unbeabsichtigt. Um Verschaltungen bei expressiven Pianoläufen zu unterbinden, wurde dem Nord Grand allerdings vorsorglich noch ein praktischer Panel-Lock-Taster spendiert, welcher die einmal justierten Einstellungen und gewählten Programme vor Unfällen dieser Art praktikabel und effektiv schützt. Ansonsten reflektiert das schwarz gehaltene Panel eine in die Länge gezogene Variante des Nord-Piano-Layouts inklusive sämtlicher Funktionen. Zudem gute Nachrichten: Die noch vom Nord Piano 3 bekannte und auf mysteriöse Art und Weise beim Nachfolger verschwundene Piano-Type-Anzeige feiert beim Nord Grand ein willkommenes Comeback!
Im Vergleich zum Nord Piano 4 wurde zudem auch gleich der zur Verfügung stehende Speicher für die passende Nord-Piano-Library von 1 auf satte 2 Gigabyte erweitert, was einer intensiven Nutzung der detailreicheren XL-Samples sehr entgegenkommt. Der Sample-RAM der Synth-Sektion verbleibt hingegen in der gleichen, 512 MB umfassenden Größenregion des nun »kleinen« Schwestermodells. Selbstverständlich hätte sich auch in diesem Bereich niemand ernsthaft über ein analog zum Pianospeicher verdoppeltes Volumen für Sounds aus der Sample-Library 3.0 beschwert, bei einem Stagepiano dürfte es letztlich thematisch aber zu verschmerzen sein. Auch beim Nord Grand lassen sich insgesamt 400 Programme, organisiert in 16 Bänken à 25 Speicherplätze, hinterlegen, womit auch extravagantere Keyboarder in der Lage sein sollten, einen maximal abwechslungsreichen Gig zu spielen. Wo wir gerade beim Spielen sind …
“IN GLEICHEM MASSE SCHEINT DIE DYNAMIK EINE DEUTLICHE ERWEITERUNG DES PIANISSIMO UND FORTE-BEREICHS ERFAHREN ZU HABEN.”
Die Herkunft der Tastatur und ihre Existenz in Clavias Nord Grand ist für sich genommen schon ein Uni- wenn nicht sogar Politikum, denn sie vereint auf einen Schlag die Anhänger unterschiedlicher Evangelistenlager vor ein und dem gleichen Produktaltar. Die Wahl zwischen Clavias Stagepiano-Serie und Kawais MP-Flotte dürfte in der Vergangenheit bereits so manch kaufwilligem Keyboarder bis zur letztlichen Entscheidung etliche schlaflose Nächte beschert haben. Dabei ging es letztlich eigentlich immer nur um zwei scheinbar unvereinbare Merkmale: Tastatur oder Bedienphilosophie. Mit einer modifizierten Variante der unteranderem aus dem Kawai MP 7 bekannten RH2-Tastatur mit Druckpunktsimulation und dreifacher Hammersensorik wischt Clavia einen unter Pianisten in der Vergangenheit oft geäußerten Kritikpunkt der Nord Pianos mit einem souveränen Handstreich beiseite. Verzichtet wurde bei der mit Ivory-Touch versehenen Klaviatur jedoch auf die flügelgetreue Graduierung, was meiner Meinung nach in der Praxis aber nicht sonderlich stört. Speziell abgestimmte Velocity-Kurven stehen analog zum Nord Piano ebenfalls in drei Preset-Varianten zur Verfügung.
Hit me hard! Wer die Ansprache des bisherigen signalroten Bühnenprimus’ kennt, wird vom Spiel auf dem Nord Grand begeistert sein. Und dies liegt nicht nur am bloßen Tastaturgefühl, sondern ebenfalls an der Tatsache, dass sich durch dieses und die präzise Abstimmung der Hammersensoren die Samples der Nord-Piano-Library selbst anders anfühlen. Die Tastenkontrolle scheint präziser, sensibler und natürlicher. In gleichem Maße scheint die Dynamik eine deutliche Erweiterung des Pianissimo und Forte-Bereichs erfahren zu haben. Besonders in Verbindung mit dem hervorragenden White Grand sowie dem binaural mittels Kunstkopf gesampelten Royal Grand 3D mag man die Finger gar nicht mehr von den Tasten nehmen. Man hat förmlich das Gefühl, dass die für Nord vollkommen neue Sensorik, kombiniert mit einem optimierten Druckpunkt, das Potenzial der charakterlich ohnehin einmaligen Piano-Samples noch einmal expliziter und weitreichender ausreizt.
Neben Rhodes, Wurly und Co. profitieren aber natürlich auch andere Samples wie Mallets, Glocken, aber auch Akustikgitarren von den verbesserten Artikulationsmöglichkeiten auf den Tasten. Apropos Sound: Ich muss gestehen, dass ich bei Einführung von Clavias neuem Monitoring-System »Nord Piano Monitor« zunächst konzeptionell nicht viel anzufangen wusste. Spezielle Studio-Monitore zur Montage an einem Bühnenpiano erschienen mir optisch wie logistisch zumindest problematisch, was zunächst wohl auch den Dimensionen des Nord Piano geschuldet gewesen sein konnte. In Kombination mit dem Nord Grand offeriert sich da schon eine ganz andere Relation.
Die von Audio Pro − einem ebenfalls in Schweden angesiedelten Unternehmen − in Kooperation mit Clavia entwickelten Aktiv-Systeme, können allerdings auch klanglich überzeugen. Denn anstatt einfach ein − trotz optischer Ähnlichkeit − bestehendes Hi-Fi-Monitormodell in Vereinsfarben zu tauchen und mit entsprechendem Branding zu versehen, hat man sich ganz augenscheinlich die Mühe gemacht, das klangliche Spektrum der optional erhältlichen kompakten Lautsprechersysteme perfekt auf die Bedürfnisse von Pianosounds und Anverwandten zuzuschneiden. Gemessen daran relativiert sich auch der aufgerufene Anschaffungspreis von zusätzlichen 500 Euro. Auch die Winkelung der mitgelieferten Halterungen, auf denen sich die Monitore nicht nur in Wohnzimmer und Proberaum, sondern auch im Live-Geschehen sicher montieren lassen, präsentiert sich als gut durchdachter Kompromiss für eine Vielzahl anatomisch unterschiedlicher Spielertypen.
Fazit Mit dem Nord Grand ist Clavia ein wirklich phänomenaler Wurf gelungen. Mit seiner ausgezeichneten Tastatur aus der Entwicklungsabteilung des Klavierherstellers Kawai ermöglicht das neuste Stagepiano-Konzept von Clavia, dank optimierter Ansprache und natürlichem Repetierverhalten, nun ein noch facettenreicheres Spiel, kombiniert mit der allseits bekannten sowie außergewöhnlichen Nord-Soundqualität. Das von hochwertigem Holz ummantelte Grand ist ein rundherum perfektes Livewerkzeug. Wer bisher mit den bereits umfangreichen Artikulationsmöglichkeiten des Nord Piano nicht so richtig glücklich wurde, sollte sich das Nord Grand − empfehlenswerterweise inklusive des optional erhältlichen Nord Piano Monitorsystems − einmal genauer unter den Fingern zergehen lassen. … und wehe, irgendein Banause stellt beim Gig sein Bier auf der Holzoberfläche ab, das gibt Hausverbot!
Hersteller/Vertrieb: Clavia / Sound Service GmbH
Internet: www.nordkeyboards.com
Straßenpreise
Nord Grand: ca. 3.400,− Euro
Nord Piano Monitor: ca. 500,− Euro
Unsere Meinung
+ Stagepiano-Konzept
+ Sound & Bedienung
+ Original Kawai-Tastatur