Solider Stromkasten

Analogue Solutions Fusebox – Semi-Modularer Analogsynth im Test

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(Bild: Viktoria Gurtovaj)

100 % analoge Signalpfade, keine Presets, keine DCOs, keine quantisierten Parameter − Tom Carpenter ist bekanntermaßen ein radikaler Purist und verteidigt seine Haltung als Synthesizer-Entwickler mit dem Ethos »Authentic Vintage Sound«. Mit seinem neuen knallorangenen Synth-Flagschiff Fusebox stellt er nun eine weitere, sehr persönliche Vision eines schnörkellosen, aber funktionstüchtigen Synthesizers vor. Und wenn er sagt: »There are no gimmicks in the nomenclature or circuits«, dann meint der Typ das auch so.

Den Boutique-Spezialisten unserer potiversierten Zunft ist Tom Carpenter schon lange ein Begriff. Seit nunmehr 35 Jahren benutzt er analoge Synthesizer, seit 25 Jahren entwickelt er auch welche. Leipzig-S, Nyborg-12/24 oder der stark an 80er-Jahre-Synthboliden erinnernde parafonische Polymath: Stets bleibt der englische Entwickler seinem eigenen Dogma treu, denn einer muss es ja schließlich tun: Synthdesign im Carpenterschen’ Sinne bedeutet komplett analoge Schaltkreise im Stile der Synthesizertechnologie der späten 70er. Denn DCOs liefern − in seinen Worten − »bereinigte« (Zitat: »sanitised«) Wertequantisierungen und Steppings, und genau diese Überperfektion versucht er seit jeher zu vermeiden.

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Ebenso gibt es bei Tom keine Speicherplätze oder Effekte, denn die sind analog nicht zu machen und stören den intuitiven Spaß an der Synthese. Analog muss es in jeden Fall sein.

Nur die gute, gelbe, irische Sommerbutter kommt dem Herrn aufs Brot. Sozialisiert wurde er in den 80ern, irgendwie zu gleichen Anteilen von Bands wie Depeche Mode, Human League, Erasure oder Front 242. Dabei ist es ihm wichtig zu betonen, dass er nicht bestimmte Synths nachahmen möchte, sondern eher Geräte baut, mit denen sich der Vintage-Sound dieser Zeit schneller und quasi direkter reproduzieren lässt, um schlicht mehr Zeit für die eigentliche Sache zu haben: das Erstellen Elektronischer Musik.

(Bild: Viktoria Gurtovaj)

Synthwerk Orange: Und da steht er nun breitbeinig auf meinem Studiotisch. Das externe Netzteil (bei Boutiquegeräten wegen potenzieller Störspannungen leider oft notwendiger Standard) schnell eingesteckt, und schon zwinkert mir der Stromkasten in all seiner dreist-orangenen Pracht von links unten mit seiner roten LFO-LED ein pulsierendes »Try me … Try me … Try me …« zu.

Ich muss zugeben, das leicht geneigte Hochformat, welches Tom Carpenter bei den meisten seiner Synths verwendet, wirkt sehr einladend. 52 Potis sowie 22 rote und schwarze Kippschalter versprechen ein zu enträtselndes großes Klanggeheimnis. Und los geht’s: Ich zähle drei VCOs mit jeweils Sägezahn, Rechteckwelle und einstellbarer Pulsweite. Und siehe da: Alle drei Stimmen haben CV-Inputs für Pitch und Pulsweite. VCO1 ist dabei auch stolzer Besitzer eines Oktavschalters sowie eines Switches für Crossmodulation, die er von der Frequenz des VCO2 rübergerufen bekommt. VCO2 kann dafür seinen Oktavumfang per Knopfdruck erweitern (tief herunter bis in den Subbassbereich) und außerdem zu VCO1 gesynct werden.

VCO3 ist ein etwas anderes Kaliber. Den Wide-Range-Schalter hat er ebenfalls, weiterhin kann er aber MIDI-Pitch ignorieren und sich so in einen frei laufenden Oszillator verwandeln. Schließlich möchte ja vielleicht einer der User den atonal-schrulligen Soundtrack von »Forbidden Planet« live aufführen oder mit nicht-harmonischen Frequenzen lange Filterverläufe oder Ähnliches kontrollieren. VCO2 und 3 lassen sich übrigens als LFOs einsetzen.

Weißes Rauschen gibt es ebenfalls, allerdings lediglich in den Modefarben »High Level«, »Off« und »Low Level«, was den Einsatz an der Post-Pro-Sounddesign-Front etwas einschränkt, aber dort haben ja sowieso schon alle ihre Taschen voll mit Weißem Rauschen und Room Tones. Der Subbass kommt zuschaltbar in Form eines Rechtecksignals, welches vom VCO3 abgezweigt wird und eine Oktave tiefer liegt. Wie ich hörte, wurde er vom selben Designer wie das Weiße Rauschen eingekleidet: High, Off, Low – das muss reichen. Dafür klingt er sehr rund und stabil, und wer sein halbes Leben in Clubs oder auf illegalen Raves zugebracht hat, klebt ihn halt fest.

fuseBox Analog Solutions
(Bild: Viktoria Gurtovaj)

Der obligate Mixer schaltet nicht nur Rechteck oder Sägezahn ein oder aus, sondern trägt auch Mute-Schalter für die drei VCOs. Zwei weitere Inputs nebst Poti dienen im Mixer zum Zuspielen externer Audioquellen, die dann ebenfalls durch das Filter gehen.

Tipp: Mit den zwei zusätzlichen Inputs lassen sich aber auch unerwartete Klangfarbenvarianten in der Art eines seltsam milden, mechanischen Flangings oder extrem subtile Ringoszillator-Artefakte erzeugen. Dazu einfach einen oder mehrere der VCO-Outs (Rechteck oder Dreieck) ein zweites Mal in den Mixer routen.

Alles was im Mixer landet, begegnet final dem mächtigen 12-dB-Multimodefilter. Hier wird es interessant, das Filter regelt nämlich smooth und stufenlos von Low-Pass über Notch zu High-Pass. Die dabei naturgemäß entstehenden Lautstärkeeinbrüche, sobald man Präsenzbereiche notcht, lassen sich sehr einfach mit einem subtil eingestellten Compressor normalisieren und stellen keinen technischen Makel dar.

In der Amplifier(VCA)-Sektion regelt man die Gesamtlautstärke des Synths. Dort lässt sich der VCA über einen Bypass-Switch auf Thru setzen. In diesem Modus kann man die Fusebox als Filter einsetzen. Weiterhin gibt es unten links einen komfortablen LFO mit Vorverzögerung (Fade-In) − gemeinhin als »LFO-Delay« bekannt − und Cutoff sowie Abgriffpunkte für Wellenform und Pulsweitenmodulation (Sinus/Rechteck).

Die beiden Hüllkurven verstecken eine ADSR-Kurve unter ihren drei Potis Attack, Dec/Rel und Sustain. Decay und Release werden also von nur einem Poti gesteuert, was besser funktioniert, als man gemeinhin annehmen würde. Getriggert werden die Hüllkurven wahlweise im Pattern- oder MIDI-Modus.

Apropos MIDI: Fusebox besitzt MIDI-In, -Out und -Thru-Anschlüsse und lässt sich in Windeseile kanalseitig einstellen. Dafür das externe MIDI-Gerät auf den gewünschten Kanal setzen, dann einfach den MIDI-Chan-Knopf oben rechts in der Arpegiator-Sektion der Fusebox drücken, und eine Note am externen Keyboard spielen − fertig.

Weiterhin integriert die Fusebox übrigens ein MIDI/CV-Interface, das wirklich alles Erdenkliche an Anschlüssen wie Pitch, Accent, MIDI-Clock, Gate, VEL und CCSS für das erfolgreiche Andocken an externe Synths oder gar Modular-Systeme bietet.

fuseBox Analog Solutions
(Bild: Viktoria Gurtovaj)

Intervall Generator, Arpeggiator & Patternator! Ich bin mir mit meinen inneren Geistern und Bedürfnissen einig: Die Stärke der Fusebox liegt in den drei verschiedenen integrierten Sequencing-Tools, die dem User auf freundliche Weise ein Interface aufzwingen, welches automatisch auf minimalistisch-archaische Art zu musikalischen Ergebnissen führt, die an die spannende Ära der späten 70er-Jahre erinnert und dank ihrer wohltuenden Simplizität sehr viel Spaß machen. Gleichsam lernt man den effektiven Umgang mit kleinteiligen Sequenzen, Licks und Motiven. Aber zunächst mal ein Klassiker aus dieser Fraktion:

Der Arpeggiator lässt sich über ein externes MIDI-Keyboard spielen, funktioniert alternativ auch als simpler 16-Noten-Sequenzer und gibt seine Arpeggios auch am MIDI-Out aus. So weit, so bekannt.

Der Patternator dagegen ist ein wunderbar schrulliges Kind: Sein funktional-minimalistisch sowie sparsam ausgelegter und gleichsam sinnstiftender analoger Step-Sequenzer ist ideal für kurze, hypnotische Rhythmen oder Arpeggien. Er besitzt Abgriffpunkte für CV und Gate und moduliert auf Wunsch auch Cut-off und Pitch. Mit zwei Potis regelt man hier z. B. Wahrscheinlichkeiten für Noteneinsätze, auch ohne exotische Module à la Buchla integrieren zu müssen. Fantastisch!

Mit dem Intervall-Generator dagegen lassen sich Sequenzen in Echtzeit über sechs Taster umtransponieren; die Tonhöhe ist dabei stufenlos per Minipoti einstellbar. Ideal für sinnliche Live-Jams.

Gestimmt wird selbstredend nach Gehör, genau wie in guten alten Zeiten, wo Sequencing eine umständliche Sache war und ein Interface eher maschinen- als menschenfreundlich. Bei meinem allerersten Patch-Versuch während dieses Tests gelang mir innerhalb weniger Minuten eine Sequenz, die mich stark an Human Leagues experimentelles Electronica-Frühwerk The Dignity Of Labour I erinnerte und mich direkt in das Jahr 1978 nach Sheffield katapultierte. Eine bessere Zeitmaschine für diesen Zweck ist mir nicht bekannt.

fuseBox Analog Solutions
(Bild: Viktoria Gurtovaj)

Praxis Dr. Carpenter: Auf die Frage »Wie arbeitet es sich denn nun mit der Fusebox eigentlich?« gibt es zwei Antworten: Für Einsteiger ist die Fusebox nicht gedacht. Blutige Synthese-Anfänger, die sich an dieses Synth-Ungetüm setzen, werden sich nach 20 Minuten fühlen, als sei ein riesiger, persönlich von Syd Mead designter, orangener 70er-Jahre-Luxusvan langsam und genussvoll über sie drübergefahren. Man sollte schon etwas weiterführende Ahnung von Klangsynthese haben, ansonsten ist die Demotivation vorprogrammiert. Hier gelten dieselben Gesetze wie für modulare Synthesizerwände.

Versierte Synth-Heads, Elektronerds und geneigte Filterfahrer dagegen werden einen Heidenspaß an diesem semimodularen Tischboliden haben, denn ähnlich wie die Tardis von Dr. Who ist dieses Ding von innen größer, als man von außen vermuten würde. Offiziell wird die Fusebox als semi-modularer Analogsynth klassifiziert. Und das stimmt, da viele seiner internen Verschaltungen fest »vorgepatcht« sind, man aber gleichzeitig sehr viele Zugriffspunkte zum Umpatchen hat.

Dieser Synth hat allerdings derart viele schöpferische Möglichkeiten, dass sich damit wirklich die meisten der klassischen Modularsynth-Sounds nachbilden lassen, nur eben ohne allzu komplexe Patches verknoten zu müssen. Der Verteilerkasten vermittelt einem aufgrund seines Interfaces und Sounds exakt das Fahrgefühl einer längst untergegangenen Ära der 70er. Wer also Vintage-Sounds aus der berühmten Sheffield-, Jarre- oder Berlin-School-Ära sucht, wird die Fusebox lieben. Allerdings klingt sie dank der sehr stabilen VCOs etwas zeitgemäßer als damals, und zwar im Sinne von »runder« und »tighter«. Stimmstabilität gehört bei Analogue Solutions sowieso zum guten Ton. Zudem ist das von Tom Carpenter implementierte Filtermodell sehr rund, exakt und ohne Tadel.

analoguesolutions.com/fusebox/

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