Der polyphone Supercritical Synthesizers Redshift 6 könnt mit seiner Unisono-Schaltung aus 96 gleichzeitigen Oszillatoren durchaus baufällige Gebäude einreißen. Alternativ löst er Ehrfurcht und frenetische Ergriffenheit bei der elektronischen Tanzgemeinschaft aus. Manche verlieren dabei auch ihre Hosen oder schmeißen begeistert ihre langweiligen Smartphones hinter sich.
Supercritical Synthesizers Redshift 6
Supercritical Synthesizer hat mit dem Redshift 6 auf Basis des bereits im Vorfeld zu Szeneruhm gelangten Demon Core Oscillators, der schon im bewährten Neutron Flux Filter Eurorack-Modul seit ca. 2021 werkelt, auf relativ kleinen Raum so etwas wie einen portablen analogen Desktop-Boliden realisiert, denn das Gerät hat von den Demon-Modulen ganze sechs Stück verschluckt.
Das Gehäusedesign stammt von Axel Hartmann. Den wohl bekanntesten Industriedesigner für Synthesizer-Chassis der Red Ribbon-Award-Klasse kennt man vom Alesis Andromeda 6, dem Waldorf Wave und Quantum oder auch vom Moog Voyager.
Die Mischung aus 80er Jahre Futurismus mit MB Senso-Appeal vermittelt dank des zentral platzierten 2.7-Zoll TFT IPS Farbdisplays, das je oben und unten von 4 klickbaren Endlosdrehreglern und einigen Navigationsbuttons flankiert wird, Übersicht und das Gefühl von funktionaler Kontrolle. Die vielen hexagonalen Taster erinnern entfernt an Simmons-Drums. Ein ungewöhnlicher Akzent sind die teuflisch rot leuchtenden Seitenteile, die eindeutig die glühend-schmorenden Demon Cores im Inneren symbolisieren sollen – oder brennt da was an?!

Update-History & Future
Der Supercritical Redshift 6 ist zurzeit quasi ein „unfinished Finnish Synth“, der in Deutschland gefertigt wird. Die Release-Version der ersten Geräte, die Anfang dieses Jahres erschienen, wurde ziemlich idealistisch gleich schon als V1.1 geführt. Und das, obwohl satte vier Funktionsbereiche, nämlich ARP SEQ / FX / MACROS und MATH noch gar nicht implementiert waren. Ein Klick auf ihre hexagonalen Taster lässt ein lapidares „COMING SOON“ aufleuchten. Dass bei Marktstart die Effektsektion komplett fehlte, ist m.E. schade, da Effekte nun mal das Salz in der Synthesesuppe sind. Aus u.a. diesem Grunde, aber auch der Komplexität des Geräts geschuldet, folgt in einigen Monaten dann von mir noch ein zweiter Teil zu diesem Test.
Zu genauen Zeitpunkten, wann welche Funktion realisiert und in die nächste Firmware einfließen wird, hat sich Supercritical nicht hinreißen wollen, aber „der Herbst könne es werden“. Da ich Finnen für ihre entschiedene Entspanntheit, die sich perfekt zur Akribie eines Synthbauers ergänzt, ernsthaft sehr schätze, rechne ich mit höllisch-rot glimmender und glühweinlastiger Reklame an etwa Vorweihnachten. Hold your pants, Santa!
Ist-Zustand des Redshift 6
Die eben erst erschienene Firmware 1.3 brachte die heiß erwartete volle Multitimbralität, die bei so einem poly- und vielfach paraphonem Synth nicht fehlen darf. Nun kann der Redshifts 6 bis zu sechs Parts auf drei Stereo-Outs oder sechs monophone Synths aufteilen, wobei durch die 5-fache Paraphonie bis zu 30(!) verschieden klingende Noten mit je individuellen Einstellungen für Amp, 2 x Oszillator, Pan etc. realisiert werden können. Hui, bitte was?
Hier würde Spock seine berühmte Augenbraue heben, denn das geht über klassische Paraphonie dann doch deutlich hinaus, da sich damit mit einer einzelnen Stimme Akkorde quasi polyphon vortäuschen lassen. Ich bin mir sicher: Das wird auf einschlägigen Synth-Foren wieder eine Diskussion über die Begriffe Paraphon und Polyphon und ihre semantischen Grenzen auslösen. Ich schlage daher vor, wir beenden das gleich hier und jetzt und bezeichnen den Supercritical Synthesizers Redshift 6 ab V1.3 einfach kurzerhand als „30-Stimmig polypornös“.

Firmware-Update geht kinderleicht
Der Update-Prozess ist unverschämt einfach. Das Gerät kann über USB einfach an einen Windows-, Linux- oder Apple-Rechner angeschlossen werden, die heruntergeladene Update-App macht dann alles von selbst. Vertrauen in Technik sollte man aber schon mitbringen, weil zwischendurch der Menü-Screen kurz wegwuppt und anfängt ein erratisch wirkendes Geblitze abzufeiern, das stark nach Computerepilepsie aussieht. Aber keine Panik! Final belohnt wird man dann mit der beruhigenden Meldung: „All done – bleep away!“. Auch das ist Liebe.

„Variable Character Synthesizer“
So möchte der Hersteller seinen Redshift 6 konzeptionell verstanden wissen. Dessen Demon Core-Oszillator ist nach der Terminologie von Supercritical Synthesizers ein sogenannter MDCO (Multiperiod Digitally Controlled Oscillator). Da das Viele da draußen immer wieder verwechseln: Ein DCO ist ein digital gesteuerter analoger Oszillator, mitnichten ein digitaler!
Ein einzelner Demon Core-Oszillator kann also simultan mehrere Wellenformen erzeugen, inklusive Tonhöhen- und Phasensteuerung. Obwohl die analogen Oszillatoren im Demon digital angesteuert werden, kann dieser Synthesemanipulationen erzeugen, die die Fähigkeit klassischer DCOs deutlich hinter sich lassen. Im Prinzip können sämtliche der 16 analogen Oszillatoren der jeweils 6 Stimmen individuell angesteuert werden. Und genau auf diese Weise kann das kleine Synth-Biest bis zu atemberaubende 96 Oszillatoren gleichzeitig raus hupen.

Artefakte analoger Varianzen der Signalkoherenz!?
Diesen Subtitel habe ich extra kompliziert schwadroniert, weil genau jene Details im Bereich der Fehlerhaftigkeit analoger Signalwege tatsächlich das magische i-Tüpfelchen am legendären Ruf dieser Synthesizergattung sind. Es ist der Mangel an solchen Signalfehlerchen, der das ein oder andere virtuell-analoge Gerät manchmal dünn wirken lässt. Aber auch in der Welt heutiger Analogysnths können die Dinge manchmal schlicht zu sauber und zu perfekt klingen.
Das menschliche Gehirn hat im Laufe seines Lebens nun mal gelernt, dass natürlich auftretende Signale komplexer, aber niemals einfacher Natur sind. Das kommt dem Redshift 6 gar nicht erst in die superkritische Tüte: Der Demon Core-Oszillator des Desktop-Boliden bietet Stereospreizung und eine CV-steuerbare Kernstabilitätsfunktion, ähnlich wie bei den legendären Sequential Synthesizern.
Drift me, Baby!
Doch das ist nicht alles. Mit einer einem klassischem VCO-angenäherten Driftfunktion kann die Frequenz einzelner Oszillatoren subtil moduliert werden, was gemeinsam mit der Implementierung von zartem Jitter (Varianz des zeitlichen Abstands des An- oder -abstiegs von Signalflanken – weniger ist hier mehr!) den Dämon wirklich locker wie einen fetten Polysynth der 80er Jahre klingen lassen kann, wahlweise auch ein leicht gealtertes Modell. Ausgemachte Synthesefüchse mit doppelläufigem Lötkolben und mindestens einem Teleequipment Analogoszilloskop lüften jetzt kurz respektvoll die Kappe gen Finnland. Me kiitämme teitä!
Ist Supercritical Synthesizers Redshift 6 paraphon?
Muss man einfach immer wieder erklären: Während Polyphonie bedeutet, dass jede Stimme einer beispielsweise zweihändigen Akkordbegleitung je eigene, individuell getriggerte Amplituden-Hüllkurven und Filterkaskaden durchläuft, kann es bei Parapahonie anders zugehen. Der Redshift 6 ist offiziell 6-stimmig polyphon, wobei jede Stimme eben 16 Oszillatoren auslösen kann. Jede der 6 Stimmen kann aber auch zusätzlich 5-Noten paraphonisch zum Schwingen bringen. Jede dieser paraphonischen Noten kann dank des DCOs also seine eigene Amplituden-Hüllkurve (DCO ENV) tragen.

Filter mit Drive und Character
Die 16 Oszillatoren pro Stimme laufen in ein 4-poliges analoges Multimode-Filter, das auch noch DRIVE (Rot) und CHARACTER (Kobaltblaugrau) mit je eigenen Potis anbietet. Dank der links-mittig am Gerät angebrachten stabilen Potis sind diese beiden Features meines Erachtens sehr direkt integriert. Tatsächlich liefert das spontane Herumspielen und Drehen an den diversen mitgelieferten und exzellenten Factory Presets in schon wenigen Minuten sehr viel Inspiration und Synthesespaß.
Genau wie der Hersteller online behauptet, schafft der Redshift 6 absolut mühelos so ziemlich alles von derben Mono-Synthlines zu dicken und breiten Flächen oder sehr authentisch klingenden Synth-Bässen wirklich jeder Couleur. Auch Jupiter-8-verwöhnte Polysynth-Fans, die scharf auf feist-warme Synth-Bläser oder ultradicke Flächen sind, werden hier schnell mit Anime-mäßig im Augenwinkel zitterenden Freudentränen kämpfen müssen. Gestandene ACID-Heads werden sich über den Driveregler wie Bolle freuen und in ihrer alten Plattentasche nostalgisch nach den letzten Ecstasy-Krümeln kramen.
Dabei muss man unbedingt erwähnen, dass noch gar nicht alle Engines wie z.B. Super Saw oder die Transistororgel implementiert sind. Die bisher einzige nutzbare DUAL-DCO-Engine ist aber extrem flexibel, drückt, glänzt und schiebt, dass es eine schiere Freude ist.
Aprops Drive
Keine Frage und egal bei welchem Charakterprofil: DRIVE klingt im Redshift 6 richtig gut, richtig fett und erspart externes Equipment oder zerrende Tretminen. Als penibler Sounddesigner und engagierter Live-Pilot bin ich allerdings ein großer Freund davon, dass die kontinuierliche Lautstärkeerhöhung aufgrund zunehmender Saturation halbwegs automatisch und linear kompensiert wird. Hier geht das bisher nicht direkt im Drive-Menü – oder ich habe da schlichtweg etwas übersehen.

Charakter hat man – oder eben nicht?
Oder man stellt ihn einfach ein. Im Supercritical Synthesizers Redshift 6 leben fünf verschiedene CHARAKTER PROFILES. Jede einzelne Stimme kann damit hinsichtlich Stimmung, Gain-Stageing, Filterverhalten, Verstärkung und Hüllkurvenverhalten minutiös in ein jeweils angestrebtes stilistisches Syntheseverhalten überführt werden. Von brutal ehrlich-digitaler Sachlichkeit auf der einen Seite, geht es in fünf Riesenschritten hinüber zu völlig wild verzerrter Unanständigkeit à la Polivoks-Klangschubserei auf die andere Straßenseite.
Die Fünf aus der Klanggang
Diese Charakterprofile heißen passenderweise LIQUID, CRISP, FAT, SOUR oder MEAN und lassen sich mit gedrückter SHIFT-Taste tatsächlich auch stufenlos morphen! Mischformen sind dabei also möglich – was auch den kerligsten Sounddesigner freudig zum Kreischen bringt. Das ist m.E. sensationell cool und sollte schlicht weltweiter Standard sein. Gehen wir die Charaktere mal der Reihe nach durch.
Mit LIQUID klingt eine Filterresonanz satt, saftig und räumlich. CRISP hat ein leicht angebräuntes Toast als Symbol und simuliert das Signalwegverhalten eines kompletten State-Variable-Filters, auf Hinkeldeutsch gerne mal Zustandsvariablenfilter genannt. Traditionell ermöglicht er die drei wichtigsten Filterformen Hochpass, Tiefpass und Bandpass in einer Schaltung, wobei es immer eine Regelung für den Q-Faktor gibt, mit dem sich in Verbindung mit der Resonanz auch Betonungen wie „Glanz und Glitzer“ an der Einsatzfrequenz schön herausarbeiten lassen. „Denn niemand lebt lange gut ohne Güte!“, sagte schon Laotse, als er beim Einstellen der Resonanzflanke kurz abrutschte und sich die Essstäbchen brach.
Man kennt diese Filter
Wofür FAT steht, errät wirklich jede Person: Hier wird ein Moog-artiges Ladder-Filter simuliert. Gerade in Verbindung mit DRIVE und der Spreizung kann man sich hier tatsächlich in deftig-sahnige Moog-Welten hinein schummeln. Ich persönlich bin da aber raus, da zu oft gehört. Vielleicht ticke ich auch einfach mehr so West Coast. Da lasse ich mich lieber SOUR an der Ecke schmuddelig ansprechen: Mit dieser Charaktereinstellung lässt sich, vor allem im VCF-Engine-Modus Classic, eine astrein ätzende und funky-nölig daher quäkende Acid-Sequenz der authentischsten Machart quasi Rave-realistisch in die PA einbraten.
MEAN ist noch gemeiner und klingt auch so. Damit lassen sich latent instabile Brutalosynths wie etwa ein klassischer Polivoks umsetzen. Tipp: Traditionell gehört da eigentlich ein Opto-Kompressor mit 1-2 dB Gain Reduction dahinter, damit man das im komplexen Ensemble eines Mixdowns auch irgendwie dem Hörer stabil vermittelt bekommt.
Hüllkurven, Modulationsmatrix, LFOs und Engines!
Die vier Hüllkurven und vier LFOs des Redshift 6 können über eine 32-fache Modulationsmatrix komfortabel miteinander verdrahtet werden. Außerdem besitzt der Demon Core-Oszillator prinzipiell die Möglichkeit, diverse Engines umzusetzen, um das Grundverhalten einer Stimme zu variieren. Aktuell lebt „nur“ die DUAL-DCO-Engine, sowie eine Filterengine „Classic VCF“ im Gerät, aber weitere sollen folgen: Ob traditionelle Dual-OSCs, Supersaw, ein flangiger Phase Sync oder authentisch klingende Transistorschaltung für den erwachsenen Orgelspieler, die geplanten Engines decken eine Vielzahl möglicher Farbpaletten und Stilwelten an Klangsynthese ab. Ich bin persönlich sehr gespannt, was da noch alles nachgeliefert werden wird!
Fazit, Update-Ausblick und ein Tipp
Supercritical Synthesizers Redshift 6 macht keine Kompromisse. Er ist ein schnell und sehr intuitiv bedienbarer, dabei ziemlich mächtig funktionaler Analogsynth, der fast im Alleingang eine kleine Keyboardburg aus den 70ern / 80ern ersetzen könnte. Meiner Vermutung nach wird das ein beliebter Live-Synth werden, da auf relativ engem Raum bis zu drei sehr üppig ausgestattete Synthparts realisierbar sind, die auch noch auf den drei Stereo-Outputs verteilt werden können.
Jeder Part dabei mit eigenem „Character“. Die Liebe zum Detail der finnischen Synthliebhaber wird auch in der noch nicht fertigen V1.3 überall deutlich: Per SHIFT + KEY leuchtet die obere Reihe der kleinen Hexagontasterreihe auf und realisiert ein einfaches MIDI-Keyboard „on-board“ – sehr praktisch.

Auch wenn das Gerät erst Ende 2025 komplett fertig sein wird, lohnt sich m.E. die Investition jetzt schon, denn Supercritical ist für gewissenhafte Entwicklung nah an der Userbasis bekannt und hat noch eine Menge vor mit dem Redshift 6: Im nächsten Firmware-Update sollen MPE- sowie Sequenzer / ARP-Support folgen, danach kommen die Effekte dran, die vorrangig erst die üblichen Verdächtigen wie Delay, Reverb und Chorus abdecken sollen, später aber auch exotischeres.
Hinter dieser Update-Sequenz sollen mit einem letzten Waschgang die nerdfaktorversprechenden Funktionen MATH und MACROS kommen. Für Ungeduldige möchte ich hier aber unbedingt den sehr versöhnlich stimmenden O-Ton von Jussi Viiri von Supercritical einwerfen: „Wir planen diesen Synth über viele Jahre lang mit Updates zu supporten und haben eine extensive Liste mit Ideen, die wir noch implementieren wollen!“. Man darf also zurecht sehr gespannt sein, wie sich dieses aufregende Gerät über die kommenden Jahre noch weiter entwickeln wird.
Pro
- 96 Oszillatoren
- mehrere Filter-Charaktere
- satter Analog-Klang
Contra
- nicht fertig entwickelt, auf Updates warten
- noch kein MPE-Support, ARP/Sequenzer
- noch keine Effekte
Link zur Herstellerseite Supercritical Synthesizers
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Supercritical Synthesizers Redshift 6
Supercritical Synthesizers Redshift 6, analog, 6 Stimmen, 4 Hüllkurven & LFOs, Effekte, Demon Core Oscillator, Neutron Flux Filter
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