Kolumne mit Martha Bahr

Officer K’s Leidenschaft für archaische Instrumente

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Panic_Girl Martha Bahr
Martha Bahr aka. Panic Girl

Wir schreiben das Jahr 2049. Dichter Smog umgibt die Häuserfassaden des hochtechnologisierten Los Angeles, das nicht nur von Menschen bewohnt wird, sondern auch von sogenannten Replikanten, gentechnisch erzeugte Wesen, die sich rein äußerlich nicht von Menschen unterscheiden lassen.

Officer K, selbst ein Replikant, dessen Job es ist, defekte Artgenossen aufzuspüren und aus dem Verkehr zu ziehen, kehrt nach einem langen und mühsamen Tag im Dauerregen des Stadtmolochs in sein kleines Apartment im 46. Stock eines heruntergekommenen Gebäudes zurück. Er reinigt seine Wunden, schenkt sich einen Whiskey ein und setzt sich auf die Couch im Wohnzimmer mit Blick auf die gegenüberliegende Fensterfront.

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Er murmelt »Patch #407« in sich hinein, und wie von Geisterhand gleiten die Bodenplatten vor ihm mit einem leisen Summen auseinander, und ein riesiger modularer Synthesizer schwebt empor. Das Case aus grauem, massivem Marmorstein, die Module durchweg in Anthrazit und Schwarz gehalten, während die Buchsen in einem gedimmten Rot leuchten. Unmengen an Patchkabeln, die auf den ersten Blick kaum sichtbar sind, verbinden die einzelnen Module miteinander.

Die Luft rechts neben dem Case beginnt kurz zu flackern, bis Joi, seine holografische Freundin, sichtbar wird und ihm eine Handvoll transparente Patchkabel reicht. Krude sieht der Stromschalter am rechten Rand des Gehäuses aus, ein Artefakt aus der Pre-Replikanten-Ära, wie auch der restliche Modularsynthesizer. »Ich mag es, dass du eine Schwäche für Altes und Skurriles hast,« sagt Joi mit einem Augenzwinkern und setzt sich zu ihm. Er lächelt kaum merklich und lässt vor seinem inneren Auge alte Aufnahmen aus dem Jahr 2019 ablaufen: Festivals, Live-Events, Meetings, die sich alle dieser Art des Musikmachens widmeten, Menschen, die sich solche Gerät in ihre Wohnzimmer, Hobbyräume und Studios stellten, und schließlich immer mehr Menschen, die sich durch das GAS in den Ruin trieben und am Ende alles verkaufen mussten.

K steht kurz auf, um den Stromschalter umzulegen. Das Gerät beginnt kaum merklich zu surren, bis der Patch den gesamten Raum über ein 360°-Lautsprechersystem erfüllt. Warme, kraftvolle Bässe, die über den Boden wabern, sanft gefilterte Töne, die einzeln durch den Raum schwirren, Geräuschcollagen von Fröschen und Zikaden, wie man sie noch aus den alten Geschichtsbüchern kennt.

In den transparenten Patchkabeln werden kleine Symbole sichtbar, die in unterschiedlichen Farben und Geschwindigkeiten von Buchse zu Buchse schießen und eher an eine archaische Urschrift erinnern als an musikalische Zeichen. Vor den einzelnen Modulen flackern holografisch erzeugte Wellenformen auf, die dem Benutzer visuelles Feedback zum aktuellen Output des Moduls geben.

»Erinnerst du dich an die Geschichten über Rachel und Deckard, wie sie sich verliebten?«, fragt er sie, ohne seinen Blick von all den blinkenden Modulen abzuwenden. Joi durchforstet in Sekundenschnelle die zentralen Archive der Stadt zu und rezitiert: » ›Schließlich küssten sie sich erstmals in Deckards Wohnung zur Musik eines Modularsynthesizers, den sie kurz davor gemeinsam gepatcht hatten.‹ Jetzt verstehe ich, warum du das Ding so gerne magst,« sagt sie lächelnd. »Na, dann lass uns mal weiterpatchen.«

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