Living in L.A.

Filmkomponist David Bertok aus L.A. im Interview

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(Bild: Manuel Hollenbach)

Santa Monica, CA: Sonne, Palmen, Meer! Ein Leben als Musiker nimmt man unter diesen Bedingungen wohl gerne hin … (hust!) Mal im Ernst: Welcher Musiker träumt nicht von einem Leben im Mekka der Musik- und Filmindustrie Los Angeles? Gerade deshalb ist das Angebot an guten Musikern in L.A. allerdings sehr hoch, und die Stadt ist kein einfaches Pflaster. David Bertok hat die Herausforderung angenommen und lebt seinen Traum als Filmkomponist im Sonnenstaat Kalifornien. Im Interview erzählt er von den Sonnen- und Schattenseiten.

Ich treffe David während meines NAMM-Aufenthalts am Rande von Santa Monica in der Wohnung, wo er und seine Frau Kara leben. »Es ist schön, ab und zu mal deutsch zu reden«, freut sich David. Seine Frau Kara ist auch da. Die Amerikanerin betreibt ihr eigenes Business: »Ich veranstalte Karaoke-Events für Firmen und private Feiern. Ich habe sogar zwei Mitarbeiterinnen, und es läuft sehr gut« Was für ein cooler Job! Ich frage sie nach den meist gesungenen Songs: »Nummer 1 ist Bohemian Rhapsody, und an Stelle 2 Don´t Stop Believin´!« Der Name ihres Unternehmens: Kara Karaoke − wie passend!

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In der Wohnung der beiden gibt es ein Wohnzimmer, eine Küche mit Essbereich, ein Schlafzimmer und Davids Regie, in der er mischt und komponiert. »Wir haben zwar nur drei Zimmer, trotzdem ist die Miete unverschämt hoch, obwohl wir nicht in Strandnähe leben. Die Räume können wir gottseidank zu einem Teil von der Steuer absetzen, da wir beide unser Business von hier ausführen«, erzählt David. Aber fangen wir von vorne an!

David, wie kamst du von Bratislava nach L.A., um Filmmusik zu komponieren?

Mein erster Weg führte mit 6 Jahren von Bratislava nach München, wo ich aufgewachsen und zur Schule gegangen bin. München ist auch meine Heimat, obwohl ich auch noch oft in Bratislava bin; erst neulich war ich wegen Orchesteraufnahmen dort. Nach meinem Klavierstudium in Hamburg und Augsburg habe ich hauptsächlich als Tourmusiker gearbeitet, in eigenen Bands gespielt und Klavier unterrichtet. Dann habe ich durch ein Stipendium die Gelegenheit bekommen, an der University of Southern California in Los Angeles Filmmusik zu studieren. Das ist ein Kurs, der neun Monate dauert − neun Monate, in denen man sehr wenig Schlaf bekommt. Es gibt täglich neue Aufgaben, neue Filme, zu denen man die Musik in verschiedenen Besetzungen schreiben soll. Oftmals hatten wir auch Recording-Sessions mit den Top-A-List-Musikern, die sonst für Hans Zimmer oder Alan Silvestri spielen.

Gegenüber der USC liegt eine Filmschule, die jährlich zu der besten der Welt gekürt wird. In der spärlichen Freizeit arbeitet man dann mit den jungen Filmproduzenten und Regisseuren von dort zusammen, um Musik für ihre Abschlussfilme und Projekte zu schreiben. Das hilft einem sehr, um Kontakte zu knüpfen und einen Start zu bekommen.

Nach dem Studium habe ich dann angefangen, für andere Komponisten zu arbeiten, was mir auch dabei geholfen hat, ein Arbeitsvisum zu bekommen. Darunter waren auch deutsche Komponisten wie Wolfram de Marco, der unter anderem den Soundtrack für Fünf Freunde gemacht hat, oder Frederik Wiedmann, der viel in den USA arbeitet und Musik für TV-Shows schreibt. Das waren Arbeiten als Assistent und Orchestrator/Arrangeur, was nach dem Studium viele machen. Da es unglaublich viele Projekte gibt, mit wenig Zeit und engen Deadlines, arbeiten viele im Team. Diese Jobs werden übrigens manchmal auf dem Online-Portal Craigslist ausgeschrieben.

(Bild: Manuel Hollenbach)

Du hast bereits Musik für die Netflix-Serie Chef’s Table geschrieben. Wie kam es dazu?

Das war ein sehr spannendes Projekt. Bei der Serie wurde sehr viel Wert auf die Musik gelegt, was für einen Komponisten natürlich ein Geschenk ist. Es war auch sehr herausfordernd. Jede Episode handelt von einem anderen Starkoch, die immer sehr außergewöhnliche und exotische Personen sind. Dieses international gemischte Flair haben wir dann jeweils versucht umzusetzen, natürlich nicht klischeemäßig, (lacht) aber so, dass es beispielsweise die chinesische oder europäische Kultur reflektiert. Zusammen mit einem guten Orchesterklang hat das sehr gut funktioniert. Ein sehr guter Freund von mir, Duncan Thum, hat den Regisseur über die USC kennengelernt und den Auftrag bekommen. Dazu hat er vier Kommilitonen mit ins Boot genommen, unter anderem auch mich, weil er wusste, dass es der Arbeitsaufwand immens wird.

Bei so einer Serie, die episodisch und nicht linear ist, kommt es in der Post-Production oft zu Überschneidungen. Es kam zum Beispiel oft vor, dass die Regisseure mit dem Schnitt unzufrieden waren und die Episoden gekürzt wurden.

Das macht dann vieles von unserer Arbeit zunichte. Wie sieht es mit dem Budget für solche Produktionen aus?

Das Budget kann sehr unterschiedlich ausfallen. Es gibt ein Budget für die kreative Arbeit, also das Musikschreiben. Das Budget für Recordings ist wieder eine ganz andere Geschichte. Wenn man Glück hat und die Regisseure und Produzenten verstehen, wie wichtig die Musik ist, was bei Chef’s Table der Fall ist, kann man als Komponist gut argumentieren und sich für ein Live-Recording einsetzen. Eine Serie wie Chef’s Table kann man alleine mit Sample-Instrumenten nicht produzieren. Gerade bei Streichern gibt es klanglich Riesen-Unterschiede!

Bei anderen Netflix-Produktionen gibt es meistens ein Honorar für das gesamte Paket: Musikschreiben und Recordings. Dann bekommt man zum Beispiel eine Pauschale von 15.000 Dollar, und den Produzenten ist dann egal, wie viel man für Live-Recordings ausgibt, sondern die wollen am Ende einfach nur die fertige Musik. Das Produkt muss dann aber stimmen. Da muss man dann kalkulieren und selbst schauen, wie wichtig die Live-Recordings sind.

Je nach Budget nimmt man dann auch mal ein Streichquartett oder sogar ein ganzes Orchester auf. Es wird heute viel mit Sample Libraries gearbeitet, aber Live-Instrumente dazuzumischen, macht schon sehr viel aus. Die Orchesteraufnahmen finden dann in Ost-Europa bzw. in Bratislava oder Prag statt. Mittlerweile gehen viele Komponisten von Filmmusik, auch für große Filme, für ihre Orchesteraufnahmen nach Ost-Europa. Die Orchester in London und L.A. sind sechs bis acht Mal so teuer, aber nicht sechs bis acht Mal so gut. Die Musiker in Ost-Europa haben natürlich auch eine gute klassische Ausbildung und werden immer besser, weil sie dank Internet immer mehr Aufträge bekommen. Mit Source Connect kann man sich dann auch von hier in Echtzeit bei den Aufnahmen mithören.

Bei einem Projekt mit geringem Budget muss man auch pokern und sowohl die Verlagsrechte als auch die Kompositionsrechte am Track behalten. Das ist ganz wichtig! Dann kann man die live aufgenommenen Tracks, die man nicht einfach am Computer erstellen kann und die einen qualitativ hochwertigen Sound haben, beispielsweise für Music-Libraries lizenzieren, um damit noch anders Geld einzuspielen. Wenn ich an ein Projekt geglaubt habe, das keine High-End-Produktion war und es kein hohes Budget gab, habe ich das auch schon so gemacht. Man freut sich dann auch, wenn man irgendwann feststellt, dass seine Tracks aus den Libraries in irgendwelchen TV-Shows laufen.

Wie sieht es denn an dieser Stelle mit Tantiemen aus?

Die Tantiemen für Netflix-Produktionen fallen viel niedriger als bei TVShows im Fernsehen aus. Netflix rechnet nämlich nicht mit der Anzahl der Streams ab, die sie sowieso nirgends veröffentlichen, sondern zahlt nur einen Pauschalbetrag − das ist ein Deal mit der Verwertungsgesellschaft hier in den USA.

Ist der sonnige Weg in L.A. als Musiker nicht auch schwierig?

Wie hart ist der Kampf, sich hier zu etablieren? Darüber gibt es viele Bücher, und ich könnte auch selbst eins darüberschreiben! (lacht) Durch die USC und meine Arbeit als Assistent für andere Komponisten war ich schon am Anfang mit sehr vielen Leuten aus der Branche vernetzt. Mit vielen Kommilitonen bin ich noch sehr gut befreundet, und man hilft sich gegenseitig mit Jobs aus. Egal ob mit gemeinsamen Projekten oder Empfehlungen: Gerade wenn man aus einem anderen Land kommt, man keinen Rückhalt und auch nicht die Option hat, irgendwas anderes zu machen, ist das enorm wichtig.

Auf dem Weg lernt man auch viel durch Fehler. Man schreibt die Musik für Independent Movies, wo sie dich am Anfang manchmal abziehen, oder man arbeitet als Ghostwriter auch für Projekte, wo man am Ende nicht in den Credits gelistet ist, man aber ganz viel Musik geschrieben hat. Da muss man sich auch immer überlegen, was der nächste sinnvolle Schritt für einen ist, und man muss sich dabei Grenzen setzen.

Durch das Internet kann ich natürlich viel international arbeiten. So habe ich auch schon viele Jobs für Europa gemacht. Außerdem mache ich auch viel Musik für Kanadier, die mögen mich aus irgendeinem Grund. (lacht)

Der Soundtrack zum Dokumentarfilm »Botero« über den weltberühmten Maler Fernando
Botero wurde in Bratislava mit einem 20-köpfigen Streichorchester aufgenommen. Der
musiklastige Film hat bei einer Spielzeit von 80 Minuten über eine Stunde Musik.
Der Soundtrack wurde von David komponiert und ist seit Ende März auf allen Streaming-
Portalen verfügbar.
(Bild: Manuel Hollenbach)

Was war in diesem Prozess für dich die wichtigste Erfahrung?

Das Umdenken in eine andere Kultur. In den USA bist du selbst immer dein eigenes Business und eine eigene Marke. In Deutschland habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht, wie man nicht nur seine Musik, sondern auch sich selbst als Marke etabliert. Es ist sehr wichtig, wie man sich selbst vermarktet und wie man als Persönlichkeit auftritt. Das fing schon an der USC an. Die Amerikaner sind da viel offener, direkter und geben dir Selbstmarketing-Strategien vor. Da muss man lernen, das anzunehmen, und offen sein.

Auch die falsche Bescheidenheit abzulegen, war für mich ein längerer Prozess. Wenn dich jemand im Preis drücken will, muss man ihm eben auch sagen, was die Konsequenzen sind. Was beispielsweise bedeutet, dass die Musik ohne Live-Recordings vielleicht nicht so gut wird. Das Dealen gehört eben dazu, schließlich konkurriert man hier in dieser Stadt mit einer Menge anderer professioneller Filmkomponisten.

Trotzdem ist man als Filmkomponist Dienstleister und arbeitet für die Regisseure oder den Produzenten. Die Kommunikation mit ihnen ist auch sehr sensibel und diffizil. Die Filmemacher haben natürlich beim Feedback ein anderes Vokabular und sagen dir nicht, dass ihnen der D9-Akkord oder die Klarinette nicht gefallen. Die drücken alles in einer sehr blumigen Sprache aus. Das muss man oft erst mal entziffern. Am Ende muss denen deine Musik gefallen. Wenn du bis dahin den Cue zehn Mal ändern musst, musst du da durch. Das ist mir bisher nicht häufig passiert, aber wenn, dann hat es den Track am Ende auch wirklich besser gemacht, gerade wenn ich für einen erfahrenen Filmemacher gearbeitet habe.

Du hast bereits erwähnt, dass du dich hier gegen viele andere Filmkomponisten durchsetzen musst. Wie sieht denn der aktuelle Markt aus?

Durch Netflix hat sich das Angebot extrem verändert, vor allem dadurch, weil sie viele Eigenproduktionen veröffentlichen. Daneben gibt es noch die Streaming-Portale Amazon Prime, YouTube-Premium und HULU. Zusätzlich produzieren auch die TV-Sender noch ihre eigenen Serien. Es gibt also sehr viel zu tun. Man kann daher nicht wirklich sagen: »Früher war alles besser.« Klar hat Netflix jetzt nicht das Budget wie beispielsweise NBC, dafür hat man aber ein großes Angebot. Manche Serien brauchen auch nicht unbedingt Live-Recordings. Wenn man zum Beispiel an einem Thriller mit viel Percussion arbeitet, kommt man mit Software-Instrumenten schon sehr weit, da kann man schon mal viel abarbeiten.

Man muss sich am Markt mit Qualität, Persönlichkeit und Branding − also wer bist du und was macht dich aus, was andere nicht haben − durchsetzen.

War L.A. für dich immer ein Traum als Filmkomponist?

Interessanterweise ja! Ich habe mir bereits mit 13 − Mitte der 90er − neben Rock- oder Metal-CDs schon Soundtracks von Filmen gekauft. Für mich war das alles Musik, die mir gefiel, ich habe da nicht kategorisiert. Beim Soundtrack finde ich den orchestralen Anteil sehr spannend, da ich als klassischer Pianist natürlich klassische, aber auch orchestrale Musik liebe. Heute hat man die Möglichkeit, ein Live-Orchester mit elektronischer Musik zu kombinieren. Da war Hans Zimmer jemand, der den Soundtrack praktisch salonfähig gemacht und diesen Sound kreiert hat, den plötzlich alle wollten.

Aber um auf deine Frage zurückzukommen: L.A. ist eben das Zentrum der Filmmusik. Mir hat das amerikanische Kino immer gefallen. Das muss man den Amerikanern einfach lassen. Man trifft hier in der Filmbranche so viele begeisterte Leute, die sehr leidenschaftlich und mit viel Idealismus arbeiten. Das gefällt mir hier schon sehr gut!

Gibt es eine Kehrseite der Medaille?

Frag meine Frau! (lacht) Ich bin seit sieben Jahren hier, und die ersten vier Jahre waren nicht leicht. Ich habe sehr viel gearbeitet, nicht viel verdient. Das merkt man natürlich dann auch psychisch, wenn man ständig arbeitet und sehr selten frei hat, was hier durch die Arbeitsmoral der Amerikaner fast normal ist. Man muss einfach wissen, was gesund ist, und muss klug sein und langfristig denken. Man braucht auch mal Zeit für sich, muss Sport machen, um den Kopf freizubekommen und loszukommen vom ständigen Arbeiten und dem Konkurrenzgefühl, das hier durch die Ellbogen-Mentalität oft entsteht. Dagegen muss man sich schützen und wissen, damit umzugehen.

Man muss das, was man tut, lieben, von vorne bis hinten davon begeistert sein und vor allem als Musiker auch die Business-Seite annehmen. Ich würde aber nicht tauschen wollen, ich fühle mich hier sehr wohl, weil ich die positive Mentalität vor allem hier in Kalifornien sehr mag!

Zum Abschluss gehen wir zusammen essen. Wohin? Zum Spanier! »Die Europäer sind, was das Kochen angeht, immer noch weit vor den Amerikanern«, macht David klar. Das kann ich nur bestätigen, das Essen war der Hammer! Es hat mich sehr gefreut, den bodenständigen und sehr sympathischen Filmkomponisten in seinem privaten Umfeld zu besuchen, und freue mich schon auf unser nächstes Treffen zur NAMM 2020! Bis dahin übe ich schon mal … »Just a small town girl, livin’ in a lonely world …«

 

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