Polyphones Schwergewicht

Vintage Park: Moog Polymoog

Anzeige
wall-of-sound
WALL OF SOUND! Was passt perfekt zu einem polyfonen Schwergewicht? Natürlich ein monofones Schwergewicht wie der Minimoog. (Bild: Jörg Sunderkötter)

Wenn der Begriff »Schlachtschiff« je auf einen Synthesizer zutraf, dann auf den Polymoog, und zwar nicht nur wegen seiner ca. 43 kg Gewicht. Der Polymoog erzeugt bei der Synthesizer-Gemeinde gleichermaßen Liebe und Hass. Manche Kritiker bezeichnen ihn als anfälliges Monster mit begrenzten Möglichkeiten, die Fürsprecher lieben seinen fetten, schwebenden Klang. Immerhin haben u. a. namhafte New-Wave-Acts wie Gary Numan, Devo oder Blondie die vollpolyfone Legende gerne eingesetzt. Was ist dran am Polymoog?

Echte Freunde sind Bob Moog und David Luce nie wirklich geworden. Nachdem Dave Waytena (der Moog in einer wirtschaftlich kritischen Phase in den frühen 70er-Jahren übernommen hatte) die Firma Moog an Norlin verkauft hatte, wurde der MIT-Absolvent Dave Luce 1973 technischer Leiter im Hause Moog. Bob Moog beschreibt Luce als »highly intelligent, technically trained person … who liked complicated solutions to seemingly simple problems«. Wenn man den schnörkellosen Minimoog dem komplexen Polymoog gegenüberstellt, ist man geneigt, dem Firmengründer recht zu geben, denn der Polymoog war Luces Baby. Das Instrument mit der Modellbezeichnung 203a ist mit Elektronik vollgestopft, und vielen Servicetechnikern läuft schon beim Erwähnen des Wortes »Polymoog« ein kalter Schauer über den Rücken.

Anzeige

Luce wurde übrigens 1977 unter bizarren Umständen Präsident von Moog Music: Nachdem der bisherige Präsident, Bob Moog gegangen war, unterzog die Mutterfirma Norlin vier Bewerber, darunter Herb Deutsch, einem Intelligenztest, den David Luce gewann. 1986 ging Moog Music pleite.

Der Polymoog (Modell 230a) kam 1975 zum stolzen Preis von 5.295,− Dollar (damals ca. 13.000,− Mark) auf den Markt. Er galt mit Features wie Vollpolyfonie, Anschlagdynamik, Bi-Timbralität und einem Tastaturumfang von 71 Tasten Mitte der 70er-Jahre als konkurrenzloses Traumgerät. Problematisch war nur, dass vieles mit heißer Nadel gestrickt und ein großer Teil der ersten Gerätegeneration sehr anfällig und z. T. defekt war, was den Ruf des Synths nachhaltig beschädigte. Bis 1981 wurden ca. 3.000 Polymoogs gebaut.

Für diejenigen, die es sich leisten konnten,

… war der Polymoog ein willkommenes und lange ersehntes Traum-Tool. Neben den oben genannten New-Wave-Acts gab es viele namhafte Musiker aus allen Lagern, die den innovativen Polysynth sowohl im Studio als auch auf der Bühne einsetzten. Darunter sind Tastengrößen wie Chick Corea und Larry Fast (beide waren auch bei den Prototypentests des Gerätes dabei), Rick Wakeman, Klaus Schulze (z. B. auf Body Love und Mirage, 1977), Tomita (Cosmos, 1978), Kraftwerk (Computer World Tour, 1981) Kate Bush (The Kick Inside, 1978), Genesis (Then They Were Three, 1978), Godley & Creme (auf dem großartigen Isism-Album, 1981), Peter Gabriel (auf seinen ersten vier Soloalben), Rush, Saga, ABBA und viele mehr.

Schwergewicht

Das Instrument ist ein ziemlicher Trümmer und müsste wegen seiner Maße und seines Gewichts von ca. 43 kg eigentlich eine eigene Postleitzahl bekommen. Das Bedienfeld liegt direkt über der Tastatur, was schnelle Klangänderungen erleichtert. Dank der Schieberegler lassen sich die Einstellungen optisch sehr gut überprüfen. Die (Pratt Read-) Tastatur umfasst 71 Tasten, lässt sich splitten, ist gewichtet und anschlagdynamisch. Sie spielt sich sehr angenehm und gehört zu den besten Synth-Keyboards der 70er-Jahre, kann allerdings mit den Jahren »klebrig« werden. Als Spielhilfe steht neben dem monströsen Fußpedal (s. u.) ein Ribbon-Controller statt eines Pitchwheels zur Verfügung. Ausgangpunkt für Klangveränderungen sind acht Voreinstellungen in der Preset-Sektion (String, Piano, Organ, Harpsichord, Funk, Clavinet, Vibes, Brass).

Die Klangerzeugung

…des Polymoog arbeitet mit einer Frequenzteilerschaltung; anders wäre die Vollpolyfonie (71 Stimmen) nicht in einem sinnvollen Kostenrahmen zu realisieren gewesen. Diese Art der Klangerzeugung ist typisch für Stringmachines und Transistor-Orgeln. Manche Kritiker nahmen das zum Anlass, den Polymoog als eine aufgeblasene Orgel zu bezeichnen, was eine grobe Fehleinschätzung ist, denn das Instrument bietet interessante und eigenwillige klangliche Möglichkeiten, die man so nirgendwo anders findet.

Eine Polymoog-Stimme basiert auf zwei Oszillatoren mit Sägezahn- und Puls-Wellenformen (mit modulierbarer Pulsbreite), die gegeneinander verstimmt werden können. Zur Klangformung dient eine dreistufige Lautstärken-Hüllkurve (Decay und Release werden mit einem gemeinsamen Fader geregelt) und natürlich ein Moog-Kaskadenfilter mit Resonanz und eigener ADS-Hüllkurve sowie einem LFO mit Sample & Hold.

Eine Resonatorbank

…mit drei Bändern (Bässe, Mitten, Höhen) steht zusätzlich zum Lowpass-Filter zur Verfügung, die zu den charakteristischen Features des Polymoog gehört. Mit ihr kann man energisch ins Klanggeschehen eingreifen, denn sie kann wahlweise im Low-, Hi- oder Bandpass-Modus arbeiten. Außerdem bietet sie die Möglichkeit, Gain, Frequenz und Resonanz pro EQ-Band zu bestimmen. In einem Mixer werden fünf Signalquellen (Resonatorbank, Tiefpassfilter, untere und obere Keyboard-Hälfte sowie das unbehandelte Signal) zusammengeführt.

Der Polymoog Keyboard 280a

…war eine kostengünstigere Alternative zum Polymoog (Modell 203a) und kam 1978 für ca. 4.000,− Dollar auf den Markt. Er ist eine abgespeckte Version mit eingeschränkten Regelmöglichkeiten nur für Lautstärke, Tune, Hochpassfilter und LFO, bietet dafür aber mehr Presets als der 203a. Unter den 14 (neuen) Preset-Klängen sticht vor allem der Sound »Vox Humana« heraus. Er wurde zum Markenzeichen von Gary Newman, der ihn auf seinen bekanntesten Stücken, wie z. B. bei Cars (vom Album Pleasure Principle) zu hören. Auf dem Polymoog 203a lässt sich der Sound übrigens nicht erstellen, da er mit eigenen Schaltungen im Polymoog Keyboard realisiert wurde.

Mit seinem Sound

…kann der Polymoog auf der ganzen Linie überzeugen: Er wirkt dicht, breit und lebendig, setzt sich gut durch und bietet sowohl breite Pad und String-Sounds als auch kraftvolle Bässe oder interessante Cembalo-Sounds. Alle, die ihn als bessere Orgel oder Stringmachine geschmäht haben, müssen Abbitte leisten, wenn sie ihn hören. Natürlich gibt es Limitationen, denn alle Stimmen müssen sich ein Filter teilen und experimentelle Sounds gehören nicht zu seinen Stärken, dafür ist er aber auch vollpolyfon. Bei Kennern (wie etwa dem Detroiter Electro-Producer und Synth-Freak Jimmy Edgar, bei dessen Produktionen das Instrument zum Einsatz kam) gilt der Polymoog bis heute als charakterstarker und eigenständiger Synth.

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Fehlt unter den prominenten Nutzern des Polymoog nicht der Keith Emerson? Der hatte doch immer hauswandhohe Synthies auf der Bühne.

    Auf diesen Kommentar antworten
    1. Keith Emerson setzte den Apollo, einen Vorgänger des Polymoog ein, war jedoch unzufrieden damit und verwendete dann den Yamaha GX-1. In den späten siebziger Jahren kam bei ihm auch der Korg PS 3300 als polyfoner Synth zum Einsatz.

      Auf diesen Kommentar antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.