Blue Piano

SP6 – Stage Piano von Kurzweil im Test

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(Bild: Dieter Stork)

Stagepiano-Leichtgewicht! Dieses, lange Zeit als Paradoxon geltende Ideal, schien noch bis nicht vor allzu langer Zeit spätestens bei der Wahl der pflichtgemäßen Hammermechaniktastatur immer wieder ins Land der Legenden und Sagen zu entgleiten. Wie es ausschaut, liegt die Umsetzung dieses ambitionierten Unternehmens aktuell aber wieder voll im Trend und wird mit Kurzweils SP6 nun auch vom amerikanischen Kontinent aus bedient. Einschränkungsfrei?

LENA ist schuld! Dabei handelt es sich nicht um die neue Praktikantin in der Hardware-Entwicklung des von Mastermind Ray Kurzweil bereits Anfang der 80er-Jahre gegründeten Unternehmens, sondern um die neuste Prozessorarchitektur, welche der Mutterkonzern Young Chang dem SP6 in die digitalen Eingeweide pflanzte. In Kombination mit dem vom Forte übernommenen und im Direktzugriff verfügbaren, »Flash Play« genannten Hochgeschwindigkeitsspeicher soll der Neuzuwachs kurze Bootzeiten sowie eine lichtgeschwinde Performance sicherstellen. Das neuste Mitglied der Pro-Keyboard-Serie des koreanisch-amerikanischen Herstellers erweitert die Stagepiano-Reihe, die bereits Boliden wie das Forte oder Artis beinhaltet, in den finanziell magischen Preisbereich um 1.000 Euro.

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Wesentliche Designelemente teilt das neue Stagepiano mit dem ebenfalls in diesem Jahr parallel vorgestellten Einsteigermodell SP1, während die inneren Werte eine Inspiration durch das Flaggschiffmodell Forte nicht wirklich verhehlen können.

Kurzweil SP6 5
Auf der Rückseite präsentiert sich Kurzweils SP6 klassisch und bietet ein nicht weiter überraschendes Setup an Anschlüssen. (Bild: Dieter Stork)

Neben einem überschaubaren Preis will das SP6 aber auch in puncto Portabilität eine neue Tür aufstoßen. Erreicht wird das letztendlich bei rekordverdächtigen 12 kg landende Gesamtgewicht durch eine Vollkunststoffhülle mit angedeutetem Brushed-Metal-Look im Bedienfeldbereich. Letzteren hätte man sich doch besser verkniffen, denn was von einigen Metern Entfernung noch cool und edel ausschaut, mutet bei näherer Betrachtung doch ein wenig wie gewollt und nicht gekonnt an.

Darüber hinaus augenfällig ist die schicke blaue Gehäuseunterschale, mit der sich das Modell deutlich aus der Gruppe der übrigen Kurzweil-Keyboards abhebt. Trotz Fehlens des ansonsten bei Kurzweil zum guten Ton gehörenden Vollmetall-Chassis ist das SP6 dennoch ausgesprochen solide und wertig verarbeitet. Wackelige Potis oder klappernde Taster sucht man bei diesem Stagepiano daher auch vergebens. Selbst die rückseitig montierten Klinkenbuchsen sind mit Metallmuttern verschraubt, ein Detail, auf welches bei so manchem Mitbewerber in dieser Preisklasse bereits verzichtet wird.

Unter den Gesichtspunkten der Kosteneffektivität und der Gewichtsersparnis schloss der Hersteller im Hinblick des Verwendung findenden Tastaturmodells K6 aus der Fertigung des chinesischen Konzerns Medeli einen überraschenden Kompromiss, welcher eine lange Tradition treuer Fatar-Kundschaft zu durchbrechen scheint. Die gute Nachricht: Auch wenn der Unterschied zu den Modellen der gängigen TP-Serie aus Europas Süden merklich und hörbar (Tastengeräusch) ist, macht das Spielen auf der Tastatur des SP6 jede Menge Spaß. Auf eine Aftertouch-Implementation wurde wahrscheinlich ebenfalls aus ökonomischen Gründen verzichtet.

Kurzweil SP6 5
Vorbildliche Bedienung: ein gut lesbares monochrom gehaltenes Display mit 128×64 Pixeln, Alpha-Dial, Cursortasten und Zehnerblock. (Bild: Dieter Stork)

Starke Gene! Auch Kurzweils Jüngster profitiert selbstredend von der mittlerweile legendären V.A.S.T. (Variable Architecture Synthesis Technology) Soundengine, welche sich in der Branche durch ihre Vielseitigkeit und ausgesprochene Flexibilität einen exquisiten Ruf erarbeitet hat. Gepuffert von einem 2 GB großen Flash-Speicher bietet das SP6 von Haus aus 256 Programme sowie 130 Multi-Setups. Insgesamt lassen sich bei Bedarf 1.024 eigene Programme und ebenso viele Multis durch den User an- und ablegen. Kenner von Kurzweils Synthese-Architektur werden allerdings schnell bemerken, dass die Editiermöglichkeiten beim vorliegenden Stagepiano-Modell im direkten Vergleich zu den großen Geschwistern Artis und Forte sowie der PC-Reihe deutlich eingedampft wurden. Daran ändert auch eine kostenfrei erhältliche Editorsoftware nicht sonderlich viel, aber zumindest ein wenig. Für den Live-Einsatz dürften die über vier Potis zugänglichen drei Parameterebenen, über die sich neben Attack und Release, Effekte, EQ und Filter beeinflussen lassen, allerdings voll und ganz ausreichen. Im Falle der integrierten KB3 Orgelsimulation steht über die Control-Knobs zudem die Bedienung der neun virtuellen Zugriegel zur Verfügung. Dieses für sich genommen schöne Feature entpuppt sich in der Praxis jedoch durch die mit der Shift-Taste zu durchsteppenden Ebenen als ausgesprochen ungelenke und unintuitive Drawbar-Alternative.

Die rechter Hand von Display und Alpha-Dial untergebrachte Mode- und Category-Rubrik wird im Gegensatz dazu vielen Kurzweil-Kennern ausgesprochen vertraut vorkommen. Hier lassen sich nicht nur die einzelnen Modi (Program, Multi, User und Global) sondern auch Programme wahlweise per 10er-Block direkt oder via Bankdurchstöbern (Pfeiltasten oder Alpha-Dial) selektieren. Von den ebenfalls bereits von PC3 & Co bekannten und direkt unter dem Display positionierten Preset-Speicherplätzen zur schnellen Direktanwahl stehen beim SP6 insgesamt fünf zur Verfügung.

Klanggewalt: Die klangliche Ästhetik der Kurzweil Sound- Libraries nimmt im Synthese- und Samplekosmos als letzte Bastion des amerikanischen Sounds eine gewisse Sonderrolle ein. Die Spezialität der V.A.S.T-Engine besteht nämlich vor allem in einem: Durchsetzungskraft − und davon braucht ein für den Live-Einsatz konzipiertes Instrument jede Menge. Wie es sich für ein Stagepiano gehört, sind die heimlichen oder auch unheimlichen Stars im Soundrepertoire selbstverständlich unter den Flügelklängen zu suchen − und die sind, was das SP6 betrifft, wirklich bemerkenswert. In engster Anlehnung an Kurzweils Forte sowie Artis sind dies zwei speziell abgestimmte Premium-SampleGrandpianos deutscher als auch japanischer Herkunft. Ergänzt wird das hochwertige Library-Set durch Kurzweils »String Resonant Modeling«-Architektur (KSR), welche während dem Spiel sympathetische Schwingungen generiert, wie sie auch bei einem echten Flügel oder Klavier entstehen. Auf diese Weise erhalten die Piano-Sounds ein natürliches und dynamisch differenziertes Oberton- und Interferenz-Spektrum. Sogar das Halbpedalspiel ist auf diese Weise vorbildlich integriert und umgesetzt.

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Die Controller-Bedienung ist aufgrund der Drei-Ebenen-Funktion mittels Shift-Taste nicht optimal, aber zufriedenstellend gelöst. (Bild: Dieter Stork)

Wo Akustisches auftrumpft, darf aber auch Elektrisches nicht fehlen. Auch bei den E-Pianos greift das SP6 auf den reichen Klangfundus des Forte und speziell des Forte SE zurück. Neben druckvollen Rhodes- Samples und trocken schnalzenden Wurlitzer-Sounds kommen auch Clavinet und vor allen Dingen Orgeln nicht zu kurz. Letztere basieren auf der bereits erwähnten und an V.A.S.T. angegliederten, KB3 benannten Modeling-Synthese, mit welcher sich samt Echtzeitsteuerung amtliche Hammond-Sounds samt virtuellem per Fußpedal schaltbarem Leslie generieren lassen.

Darüber hinaus liefert das Stagepiano ein reichhaltiges Angebot langjährig erprobter und ständig weiterentwickelter Soundsets aus der PC3-Reihe von Strings und Pads über Brass und Synthie-Flächen und Leads (via KVA, Kurzweils Virtual Analog Synthesizer Engine) bis hin zu E-/A-Gitarren und Bässen.

Eines der wesentlichen Highlights eines KurzweilInstruments ist abgesehen von der hohen Klangqualität und des ehrlichen Charakters die DSP-gestützte und äußerst reichhaltige Effektsektion. Bei insgesamt bis zu 32 Effekteinheiten stehen dem User mehrere hundert fertige Effektketten zur Seite. Diese lassen sich zwar nur über die zugehörige Editorsoftware mittels PC, Mac und bald auch iPad auf recht rudimentäre Weise editieren, aber immerhin.

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Bei einem echten Kurzweil dürfen selbst bei einem Stagepiano natürlich die »Wheels« (Pitch und Modulation) nicht fehlen. (Bild: Dieter Stork)

Praktisch! Wer live gerne mit Layern und Split-Zonen arbeitet, darf sich beim SP6 je nach Bedarf direkt über maximal vier mögliche Instanzen vom einen oder anderen freuen. Insgesamt liefert Kurzweils neustes Stagepiano einen ungemein portablen, reichhaltig ausgestatteten sowie einfach zu bedienenden Begleiter für Bühne und Proberaum. Die so manchen Kurzweil-Novizen schier erschlagende Flut virtueller Möglichkeiten der mächtigen V.A.S.T.-Engine wurde bei diesem Modell bewusst ausgeklammert − und dies nicht nur, um sich von den kostspieligeren Geschwistern des K-Universums zu unterscheiden.

Die lange Jahre gehegte und gepflegte Meinung, dass ein Me(e)hr an Features im Instrument letztlich beim Gig die bessere Musik spielt, ist mittlerweile dem Bewusstsein gewichen, dass fokussierter technischer Purismus auch der Kreativität zuträglich sein kann. Im Idealfall zehn Finger, 88-Tasten und ein Sound, der nicht nur die eigenen Ohren verwöhnt − mehr braucht es nicht zum perfekten Konzert! Dass Kurzweils SP6 dazu noch ganze drei Software-Addons (eine Controller-App, einen rudimentären SoundEditor sowie ein VST/AU-Plug-in zur Einbindung in eine DAW) zum kostenfreien Download bereitstellt, ist purer, aber im Normalfall gar nicht nötiger Luxus. Wer auf der Suche nach einem All-In-One-Bühnenbegleiter ist, sollte das SP6 auf alle Fälle einmal anspielen. Für ein knappes K Euronen bekommt man mit Kurzweils Lösung ein ausgezeichnet klingendes und vielseitiges Stagepiano, welches so manch weitaus teureren Konkurrenten den Wind aus den Segeln nehmen könnte.


Hersteller/Vertrieb: Kurzweil / Sound Service GmbH
Internet: www.kurzweil.com
Preis: 1.039,− Euro

Unsere Meinung:
+ ausgezeichnete und durchsetzungsfähige Klaviersounds
+ Gewicht
+ vorbildliches Preis/Leistungs-Verhältnis

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