Physical-Modeling-Instrument

Modartt Pianoteq 5

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Ich schließe die Augen, greife in die Tasten — ich befinde mich in einem Konzertsaal und spiele einen sündhaft teuren Flügel. Zumindest gaukeln mir dies meine Studiomonitore vor. Denn wenn ich die Augen öffne, gafft mich ein aufgeklappter Laptop an, auf dem Bildschirm Modartts neuster Streich: Pianoteq 5.

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Der französische Software-Spezialist Modartt ist dafür bekannt, Instrumente mit physikalischen Modellen zu simulieren – dabei kann Pianoteq sogar weit mehr als nur akustische Pianos, wenn man es durch Expansions erweitert, so beispielsweise E-Pianos, Mallets, Steeldrum und mehr. Im Fokus soll hier aber das Piano stehen, das in ebenso vielseitigen Varianten verfügbar ist: Vom Upright über den Konzertflügel bis sogar zu historischen Instrumenten.

Jede bisher erschienene Version des Software-Pianos dokumentierte die Fortentwicklung der Simulation akustischer Instrumente nur zu gut. Inzwischen hat diese mit der aktuellen Version 5 ein sehr hohes Niveau erlangt, sodass man als Keyboarder oder Pianist an diesem Software-Instrument nicht vorbeikommt.

Pianoteq ist ein Software-Instrument der besonderen Art. Nicht etwa Gigabyte-schwere Libraries müssen hier in abendfüllenden Sessions auf den Audiorechner transferiert werden, im Gegenteil: Pianoteq ist binnen weniger Minuten von der Website geladen und installiert. Nicht ein einziges Sample wird hier für die Erzeugung virtueller Instrumente genutzt.

Alle Klänge werden auf Basis physikalischer Modelle der (elektro-)akustischen Realität in Echtzeit berechnet. Die nächste, geradezu verzückende Nachricht: Man braucht dafür nicht etwa ein Rechenzentrum, denn ein ganz gewöhnlicher PC oder Laptop bringt genügend Leistung, um das Instrument mit hoher Polyfonie zu spielen.

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Für jeden Bedarf die richtige Version

Pianoteq gibt es in drei Varianten: Die günstigste Version heißt „Stage“ und enthält lediglich Presets bei minimalen Edit-Funktionen. Stage ist für diejenigen zugeschnitten, die einfach nur gute Sounds zum Performen brauchen und nicht daran rumschrauben wollen. Dies erlauben dann die beiden Versionen „Standard“ und „Pro“. Auch hier gibt es eine breite Auswahl an Presets, aber on top kann man die Sounds weitreichend editieren. Schon bei der Standard-Version kann man das Pianomodell tweaken, um Einfluss auf die Beschaffenheit von Saiten und Hämmern oder die Länge des Resonanzbodens zu nehmen. In der Pro-Version schließlich gibt es das Note-by-Note-Editing.

Pianoteq ist standalone lauffähig und integriert sich auf Mac und PC in die DAW deiner Wahl als VST-, RTAS- oder AU-Plugin. Neuerdings unterstützt die Pro-Version auch Sampling-Raten bis 192 kHz.

Mehr Details

Version 5 bringt eigentlich nur wenige neue Features. Die wirklich großen Verbesserungen spielen sich im Sound ab. Modartt hat die Klangerzeugung überarbeitet und das Attack- und Soundboard-Modell weiter verfeinert, das spürt man: Die Sounds klingen insgesamt klarer und griffiger als bei der Vorversion. Mehr Transparenz, mehr Auflösung und mehr klangliche Tiefe resultieren in einer deutlich akkurateren Abbildung.

Von den Verbesserungen profitieren die aktuellen Modelle D4, Blüthner Model 1, YC5 Rock Piano und das neue K2 Grandpiano – ein 2,11 Meter langer Konzertflügel mit einem großen und holzig warmen Timbre. Grandios! Dieses Mehr an spürbaren Klangdetails macht riesigen Spaß. Neu hinzugekommen sind Möglichkeiten in der virtuellen Mikrofonierung, was sich auf die Versionen Standard und Pro beschränkt. Version 5 simuliert nun noch mehr Mikrofontypen und erlaubt auch, Mikrofone unabhängig auszurichten und zu kombinieren, sogar M/S-Mikrofonierungen sind möglich. Wer rein aus Interesse mal einen Flügel mikrofonieren möchte, kann hier schon mal Trockenübungen machen. Ansonsten ist dieses Feature ein tolles klanggestalterisches Element von Pianoteq.

Das Hauptfenster von Pianoteq 5 liefert die wichtigsten Parameter zur Gestaltung des Grundsounds. Längere Saiten, mehr Response vom Resonanzboden, mehr Saitenresonanzen — alles kein Problem, um den Fantasie-Flügel seiner Träume zu bauen.
Im Note-Edit lassen sich alle Parameter der Klangerzeugung pro Ton individuell verstellen, sodass mann virtuell dem Sound eine persönliche Note geben kann. Die Töne im gezeigten Note-Window werden mittels „Mute“ mechanisch gedämpft.
Klanggestaltung mittels virtueller Mikrofonierung: Es gibt nicht nur neue Mikrofonmodelle, sondern die Mikrofone lassen sich nun auch völlig frei positionieren.

Sound, Dynamik und Performance

… sind drei Dinge, die zusammengehören – wenn man Piano spielt, dann möchte man über die Anschlagdynamik den Klang des Instruments formen. In dieser elementaren Disziplin spielt das Pianoteq gegenüber Sampling-Klavieren einen großen Trumpf aus, denn die Klangdynamik wird bei Sampling-Technik durch sogenannte Velocity-Layer erzielt, die eine mehr oder weniger hörbare Stufen- Dynamik erzeugen. Auch bei einer entsprechend hohen Auflösung durch mehr Velocity-Layer (die nebenbei bemerkt der Grund für den Speicherhunger Sampling-basierter Instrumente ist) ist eine weitere klangliche Besonderheit beim Klavier, dass Töne sich, im Zusammenhang gespielt, gegenseitig beeinflussen – und das geht weit über die Saitenresonanzen hinaus, die bei getretenem Sustain-Pedal auftreten.

Physical Modeling hat klar den Vorteil, all diese kleinen Details aus Saitenschwingungen, Hämmern, Resonanzen, Nebengeräuschen, Phasenauslöschungen usw. zu berücksichtigen. Das fängt bei ganz simplen Details an, wie dem Repetieren einer einzelnen Note im Haltepedal. Eine Sampling-Klangerzeugung spielt hier u. U. identische Aufnahmen eines Tons ab, während bei der Physical Modeling-Klangerzeugung – ganz wie beim akustischen Klavier – jeder Attack ein bisschen variiert. Es wird eben jeder Ton individuell berechnet, wobei immer der gesamte Klangkörper in seinem aktuellen Zustand einbezogen wird. Es macht einen Unterschied, ob eine Saite aus dem Ruhezustand angeschlagen wird, oder ob und wie stark sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schwingung befindet. Dies gelingt beim Pianoteq 5 erstaunlich gut – die dynamische Auflösung ist immens, und es macht wahnsinnigen Spaß, die unzähligen Nuancen aus den Pianosounds herauszuspielen, die Pianoteq bereithält.

Der Klangrealismus schließt hier übrigens auch das linke „Una Corda“-Pedal ein. Eine Dämpfung der Obertöne durch simples Filtern (ist bei den Digitalpianos in der Regel so) führt hier nicht zum Ziel. Beim Flügel wird hier die Mechanik verschoben, sodass ab der Mittellage aufwärts nur zwei statt drei Saiten pro Ton angeschlagen werden. Der Sound wird leiser, bleibt aber klar. Da die Hammermasse nun weniger Saiten in Schwingung bringen muss, verteilt sich die Energie anders, was zu einem anderen dynamischen Klangverhalten führt. Pianoteq setzt das sehr gut um. Beim Upright-Modell wird übrigens auch die Dämpfung durch ein Filzband simuliert (ganz wie bei beim Klavier daheim).

Klang & Klaviatur

Selbstverständlich kann man im Prinzip mit jeder Tastatur, die halbwegs konsistent auf die Anschlagdynamik reagiert, überzeugende Klavier-Tracks einspielen. Pianoteq hat aber viel mehr Potenzial, um mit pianistischem Anspruch das Optimum aus den Sounds zu holen. Dafür braucht man eine vernünftige Tastatur. Für den Test des Pianoteq 5 habe ich daher Kawais Controller-Keyboard VPC 1 eingesetzt – schon im Testbericht in Ausgabe 3.2013 durften wir feststellen, dass es keinen vergleichbaren Controller gibt, der zu diesem günstigen Preis (ca. 1.330,– Euro) einen so tollen Spielkomfort bietet. Echte Holztasten und eine sehr präzise arbeitende Hammermechanik sind schon mal eine gute Voraussetzung, aber der VPC 1 besitzt darüber hinaus speziell entwickelte Dynamikkurven, perfekt auf Pianoteq abgestimmt.

Lieblingsklavier

Mit seinen Presets liefert Pianoteq bereits die unterschiedlichsten Pianos für Klassik, Jazz, Rock, Pop etc. Meine Favoriten sind die Grandpianos D4 und K2 sowie das Upright. Die Sounds sind perfekt mit Effekten und EQ abgestimmt, und wurden sehr akkurat programmiert. Sie reagieren in der Dynamik teils recht unterschiedlich – man sollte da nicht ungeduldig sein: In manchen Fällen muss man sich eben ein wenig auf den neuen Sound einspielen, so ist’s bei echten Pianos schließlich auch.

Die Standard- und die Pro-Version bieten darüber hinaus die Möglichkeit, die vorhandenen Klänge nach Belieben zu editieren. Ohne das jetzt ausufernd zu beschreiben: Einstellen lassen sich die Eigenschaften der Saiten, die Größe des Resonanzbodens und die Intensität der Resonanzen sowie viele andere Details. Man kann dabei ganz intuitiv an den Reglern schrauben, denn das Ganze ist weitgehend selbsterklärend. Die Möglichkeiten reichen sogar so weit, dass man den Sound komplett verformen kann, sofern man das will. Ein Power-Feature ist das Note-by-Note-Editing der Pro-Version – genau die richtige Funktion, die es ermöglicht, einem Sound subtile Ungenauigkeiten zu geben, die bei einem guten Pianosound durchaus erwünscht sein können. Vor allem die Upright-Pianos profitieren davon und klingen sehr authentisch. Das Note-by-Note-Edit geht sogar so weit, dass sich damit Prepared-Piano Sounds realisieren lassen.

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Fazit

Wie bisher jede neue Version liefert auch Pianoteq 5 deutliche Verbesserungen und zeigt einmal mehr, welches Potenzial in Modartts Physical-Modeling-Technologie steckt. Wer nach einer Piano-Simulation sucht, die nicht nur fantastisch klingt, sondern auch die Spielperformance, Ausdrucksmöglichkeiten und Klangdetails akustischer Pianos authentisch und überzeugend abbilden kann, kommt an Pianoteq 5 nicht vorbei. Sensationell spielen sich die Sounds in Verbindung mit Kawais Piano-Controller VPC 1. Hinsichtlich der klanggestalterischen Flexibilität übertrifft Pianoteq 5 jedes andere Software-Piano.

Pro und Contra

+ sehr gute Klangentfaltung

+ realistisches Spielverhalten

+ weitreichendes Editieren (Standard/Pro)

+ erweiterbar durch Extensions

+ neue Mikrofonmodelle

Hersteller- und Produktinfos

Hersteller/Vertrieb Modartt / Tomeso

Internet www.pianoteq.com, www.tomeso.de

Unverbindliche Preisempfehlungen Stage: 99,— Euro, Standard: 249,— Euro, Pro: 399,— Euro, Studio (Bundle mit sämtlichen Extensions): 649,— Euro

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Kennt jemand ausser dem oben vorgeschlagenen Kawai noch andere Keyboards, die sich für Pianotec 5 eignen? Danke für Infos.

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  2. Schade, dass die historischen Klaviere im Testbericht nicht gewürdigt werden. Gibt es Keyboards, die den “leichteren” Anschlag historischer Klaviere simulieren können, oder gar den Anreißwiderstand der klanglich hervorragenden Cembali?
    Für eine Antwort dankend,
    W. Riedelbauch

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