Studiobesuch bei Andeas Rieke

Sample-Talk mit And.Ypsilon

Anzeige

Zusammen mit seinen drei Musikerkollegen von den Fantastischen Vier gehört And.Ypsilon nicht nur zu den maßgeblichen Wegbereitern der deutschen HipHop-Szene, er ist auch Sampling-Infizierter der ersten Stunde.

(Bild: Markus Thiel)

Was war deine erste Sample-Maschine?

Anzeige

Das war ein kleiner Casio Spielzeugsampler namens SK-5. Heute eine absolute Kultmaschine! Den habe ich mir damals umgebaut und via Tastatur versklavt, sodass er mit meinem selbstgebauten Drummachine-System mitdrummt. Hat gut funktioniert! Damit das klappte, musste ich nur mit einem Transistor im Trial&Error-Verfahren den Tastaturkontakt überbrücken, welcher dann den Kontakt schalten konnte. Das habe ich auch mit meinem Boss Dr. Rhythm gemacht, ging wirklich überraschend gut. Das Ganze fand im Übrigen in Prä-MIDI-Zeiten statt! So konnte ich ausgesprochen einfach mehrere Klangerzeuger über dieselbe Software-Oberfläche ansteuern.

Als dann Mitte der 80er MIDI aufkam, war das mit den ganzen neuen Optionen und Möglichkeiten schon extrem gut − wenn es nur diese elende MIDI-Schnittstelle nicht gegeben hätte, die alles so unfassbar untight macht. Als MIDI gerade neu war, habe ich mich sofort mit dem Keyboard-Verkäufer im örtlichen Musikladen angelegt, da er der Meinung war: »Das ist super!«, und ich fand es einfach nur scheiße − das konnte nur scheiße sein! Als Drum- und Computer-Typ war mir sofort klar: Eine serielle Schnittstelle mit nur 33 kHz Taktrate, das war eine ganz schlechte Idee für die Übertragung von Echtzeit-Musikinformation.

Damit mein damaliger RX21-Drumcomputer von Yamaha synchron über MIDI-Clock mitlaufen konnte, musste ich erst ein Clock-Interface in Hardware dranbauen und ihn über einen Frequenzteiler an einer DIN-Sync-Clock anschließen. Diese Master-Clock war eine Korg DDM-220 Percussion-Drummachine, die ich mal als Restposten für knapp 200 Mark abgestaubt hatte und die DIN-Sync ausspucken konnte − das war mir auf jeden Fall sympathischer. Die Teilung, die ich aus dieser Clock benötigte, habe ich dann einfach in Hardware mittels Chips realisiert, das war eigentlich nicht besonders schwer zu verstehen und umzusetzen.

Mein C64, welcher mein Drum-System sequenzte, sollte möglichst wenig mit Zeit und Timing zu tun  haben − denn Rechnern geht echte Zeit vollkommen ab. Das ist bis heute das Problem mit Computern, wenn es rausgehen soll in die wirkliche Welt. Wie bist du beim Sampling vorgegangen, hattest du immer schon eine gewisse Idee, oder hast du dich eher inspirieren lassen?

 

Bei Fanta-Vier-Stücken war es eigentlich immer so, dass wir extrem viel mit Loop-Samples gearbeitet haben. Da hatten und haben wir zum Glück unseren Michi Beck, der über eine sehr große Plattensammlung verfügt und ebenso ein profundes Wissen über die R&B-Musik mitbringt, also die klassische Sampling-Quelle aller HipHopper. Da kannte er sich schon immer ziemlich aus. Manchmal haben wir auch noch andere Experten dazu geholt, die ein noch tieferes Wissen hatten und dabei halfen, an komplett neue Samples ranzukommen.

Die musikalische Grundidee hängt für mich ganz entscheidend am Sample. Diese Art, mit Musik umzugehen, ist einfach eine DJ-Art, und da war unser DJ natürlich der Mann der Stunde. Ich alleine hätte da nicht den umfassenden musikalischen Überblick über diese Ära gehabt und was es da alles so Geiles an handgemachter Musik gab.

Für mich war dieser Prozess aus diesem Grunde auch einfach nur oberspannend. Denn es ging immer darum, handgemachte Samples zu verwenden, handgemachte Musik zu verwenden, die dazu noch extrem geil war − und das traf längst nicht auf jede handgemachte Musik zu. Es ging um das Einfangen von Spitzenmusikern in ihren besten Momenten, nur daraus werden tragfähige Loop-Samples. Denn wenn du es loopst, dann läuft das ewig so, und wenn es ewig so laufen soll, dann muss es echt profund sein − sonst wird es einfach auch ganz schnell blöd! Diese Collagenarbeit mit den Samples war dabei die eigentliche Challenge.

Auch mit Tonarten war es sehr spannend, die hab ich vorsorglich einfach immer komplett ignoriert. Ich habe sozusagen die Harmonielehre aus meinem Bewusstsein gestrichen − ich war da auch noch nie richtig gut drin … trotz drei Jahren Klavierunterricht. Als ich meinen ersten Synthesizer (Korg MS-20) im Alter von zwölf Jahren gekauft habe − der war monofon −, da hab ich das eigentlich aufgegeben. (lacht) Ich wusste natürlich, was ein Dur- und Moll-Akkord war, und mittlerweile weiß ich ja auch noch viel mehr, aber für die Arbeit mit den Loop-Samples ist das doch eher hinderlich. Man hätte ja die ganze Zeit verbotene Dinge gefunden, die harmonisch so nicht richtig sind, sich aber komischerweise so ungemein gut anfühlten.

Timestretching war zu der Zeit auch noch kein Thema, obwohl der Akai S1000 bereits einen entsprechenden Algorithmus besaß, den man sich aber nicht wirklich anhören konnte. Also blieb einem nur das Schneller- oder Langsamer-Drehen mit dem damit verbundenen Tonhöhenversatz.

Wir haben oft Samples aus komplett unterschiedlichen Stücken miteinander kombiniert, manches klappte eben und einiges überhaupt nicht. Manchmal funktionierten aber plötzlich auch sehr grenzwertige Dinge, die teils bis zu 50 Cent gegeneinander verstimmt waren. Da sind Dinge auf einmal einen knappen Viertelton auseinander, und es funktioniert hervorragend!

And.Ys selbstgebautes, analoges Drummaschine-System (Bild: Markus Thiel)

Das heißt, du hast deine Entscheidungen zu 100% aus dem Bauch getroffen?

Nur aus dem Bauch raus! Wenn man mit Theorie an Loop-Samples herangeht, dann ist das einfach der komplett falsche Ansatz. Denn schon die Wahl des ersten Musiksamples muss aus dem Bauch raus erfolgen.

Führen moderne DAW-Features wie automatische Tonartenerkennung zu weniger Kreativität?

Zumindest sieht man sofort, dass man das Pitching anpassen könnte, und dann tut man das vielleicht und merkt, dass das Sample irgendwie nicht mehr zieht, und dann kommt halt das nächste. Wenn man erst mal alles richtig gemacht hat, dann kann es auch schon mal schnell richtig langweilig werden. Echte Quellen mit handgemachter Musik, die sind doch eigentlich nur so geil, weil es da die ganzen inneren Bezüge mit unterschiedlichen Tunings, Timings und Intonationen gibt. Die Frage nach dem Ausdruck in der Musik lässt sich mit Harmonielehre überhaupt nicht erklären. Harmonielehre ist nur ein Gerüst, um zu beschreiben, wie die Tonhöhen zueinander in Beziehung stehen. Bei wirklich brillanten Köpfen merkt man immer wieder, dass diese ziemlich freizügig gegen dieses Gerüst verstoßen, da ihnen schon wieder durch eine Art verinnerlichtes Wissen von vornherein klar ist, welcher Verstoß geht und welcher nicht. Schön wird es meiner Meinung nach, wenn man es schafft, sich genau in dieser Grauzone frei und intuitiv zu bewegen.

Mein persönliches Verhältnis zur Harmonielehre ist daher auch zwiespältig, da ich zu spät damit angefangen habe und mittlerweile befürchte, dass ich diesen freien Bereich wohl nicht mehr erreichen werde. Auf der anderen Seite ist es aber auch irgendwie nicht meine Welt, da ich sowieso eher Klangfarben wahrnehme als Harmonien. Eine Harmonie ist für mich eigentlich auch nur Teil einer Spektralordnung, die ich dann wiederum als Klangfarbe wahrnehme.

Ich habe auch schon früh so mit 14, 15 mit meiner eigenen Art von Gehörbildung angefangen, indem ich einfach ganz viele tolle Platten gehört habe − und zwar im meditativen Zustand, teilweise mit Kopfhörern und Augen zu. Ich wollte einfach immer genau wissen, was es da alles zu hören gibt, und das ganz ohne harmonische Analysekategorien. Und da sind wir eigentlich auch schon bei genau dieser Feedbackschleife, durch die ein Produzent Musik macht.

(Bild: Markus Thiel)

Arbeitest du auch heute noch mit Loop-Samples?

Eigentlich nicht mehr. Da hat sich der Fokus in den letzten Jahren doch deutlich verschoben. Na ja, wir haben das ja nun auch schon lange genug gemacht. Stilistisch ist das mittlerweile ja auch wirklich eher 90s − auch wenn ich das selber nicht so gerne höre, aber es ist so! Nichtsdestotrotz schätze ich diese Technik immer noch sehr, da sie imstande ist, aus geilen Grooves wieder neue geile Grooves zu machen. Ich hab da auch immer viel dazu programmiert − dadurch habe ich wirklich viel über Timing und Musik gelernt. Vor allen Dingen auch über die Kraft der Abweichung. Durch diese intensive Schule bin ich heute sogar in der Lage, Drummer-artige Grooves step by step im Rechner nachzubauen. Da hab ich aber eigentlich gar keinen Bock drauf, denn dann kommt man wieder an den Punkt, dass wir im Ergebnis einen Groove erhalten, welcher − egal wie gut er gemacht ist − letztlich einen Drummer imitiert. Du kommst damit musikalisch einfach nicht dahin, wo ein Drummer hinkommt! Natürlich gibt es auch Grenzfälle, wo genau das in einem Song gut funktioniert oder gewünscht ist, aber ansonsten habe ich da überhaupt keine Aktien drin.

Durch jahrelanges Training höre ich, wenn man die Snare einen Sample vor- oder zurückschiebt. Auch wenn viele da gar keinen Unterschied hören, nehme ich das noch als Timing wahr. Für die anderen ändert sich dabei wohl eher der Ausdruck und für mich natürlich auch.

Aus diesem Grund passiert es oft, dass man sich an Beats im falschen (Micro-)Timing später im Mix wirklich die Zähne ausbeißt. Wenn eine Snare auch nur ein bisschen zu spät kommt, dann funktioniert sie eben nicht mehr so, wie sie gemeint ist, auch wenn man versucht, sie im Mix so aggressiv wie möglich klingen zu lassen. Das, was an Emotionalität durch Timing bestimmt wird, kann man durch Sound nicht wettmachen. Man bekommt es höchstens ein bisschen abgemildert, aber nicht beseitigt.

Auch die vermeintliche Genauigkeit eines Computers schlägt oft in der Realität gerne mal zurück. Wenn du beispielsweise einen Song im falschen Tempo anlegst, und sei es nur ein halbes BPM zu langsam, dann wirst du im weiteren Verlauf versuchen, auf allen Manipulationsebenen das eigene Gefühl auszugleichen, welches dich unweigerlich nach vorne zieht. Hätte man das richtige Tempo gehabt, könnte man mit allem viel entspannter und lässiger umgehen, und auch das Ergebnis würde einfach souveräner. Dazu spart man sich auch noch jede Menge Arbeit. Für so etwas wie eine Grundkomposition muss man sich aber wirklich Zeit nehmen.

Als Beatmensch fange ich einen Song meist sehr minimalistisch mit Bass, Snare und Hi-Hat an und überleg mir dann in Ruhe, wo das denn so hingehen soll. Dabei lass ich das Tempo eigentlich nie unangefasst, bis ich das Gefühl habe, das könnte jetzt so passen. Tempo ist wirklich ein hoch variabler Faktor! Für echte Musiker gibt es sowas eigentlich gar nicht − jedenfalls nicht in diesem ultrapräzisen und festgelegten Computerstyle.

Durch jahrelanges Training Höre ich, wenn man die Snare einen Sample vor- oder zurück schiebt. (Bild: Markus Thiel)

Mein ursprünglicher Drumcomputer hatte einen analogen Tempoknopf, mit dem sich das Tempo einfach stufenlos ohne digitale Raster regeln ließ. Wenn ich einen Beat laufen hatte, habe ich immer wieder mal an diesen Regler gefasst und ein »richtiges« Tempo einfach nach Gefühl mit einem Schwung eingestellt. Das ist im Übrigen etwas, was man in der digitalen Welt einfach nicht hinbekommt und wo die analoge Welt aufgrund unseres eigenen analogen Seins einfach besser funktioniert.

Analog lassen sich Dinge wirklich »richtig« machen in einer Art, wie es digital einfach nicht geht. Das ist mit ein Grund, wieso ich wieder verstärkt auf analoge Systeme wie Modular-Synthesizer setze, weil mich die Arbeit mit Maus und gerasterten Parametern in der digitalen Welt einfach frustriert! Denn nur so kann meine intuitive Fähigkeit Musik zu machen, wirklich zum Zuge kommen. Beim Arbeiten will ich eigentlich gar nicht denken, sondern mich komplett auf mein Gefühl verlassen. Das ist eine Dimension, die ich bei der Arbeit mit dem Computer wirklich sehr vermisse.

Um den Kreis wieder zu schließen: Macht das vielleicht den besonderen Reiz von Loop-Sampling aus? Punktuell etwas Analoges einzufangen, was man mit dem Computer so nicht hinbekommen hätte?

Ja, durchaus! Was mich dabei besonders fasziniert hat, ist die Definition von Zeit und im weiteren Sinne die Definition von Groove, die einfach so stark wird durch diese maschinelle Repetition. Das war ein starkes, neuartiges Erleben von Groove − so wie es ein Drummer wiederum nicht kann. Ich bin von Anfang an nicht mit den Maschinen angetreten, um echte Musiker nachzumachen − das ist völlig uninteressant. Erst da, wo man mit der Maschine einen Spezialbereich betritt, den der Mensch nicht abdecken kann, da wird es für mich interessant. Auch bei der Programmierung von Rhythmen habe ich anfangs immer versucht, etwas zu kreieren, was ein Drummer so eben nicht spielen kann. Zum Beispiel stand ich eine Zeitlang − wie viele andere auch − sehr auf 16tel-Bassdrums.

In den 80ern war das Geschrei unter den Drummern schon ganz schön groß, als die Studiojobs plötzlich ausblieben, weil jetzt die Maschinen-Ästhetik musikalisch einfach mal dran war. Das war halt eine bestimmte Groove-Architektur, an die Drummer nur schwerlich rankamen und die sie prinzipiell auch nie abliefern konnten. Im Nachgang hat das im Übrigen auch wieder eine ganz neue Drummer-Generation hervorgebracht, bei welcher 16tel in der Bassdrum spieltechnisch überhaupt kein Thema mehr sind. Unser Drummer Flo Dauner gehört beispielsweise zu dieser Generation, welche die Maschinenherausforderung angenommen haben. Durch genaues Hören, was da eigentlich passiert, und das Weiterentwickeln von Techniken haben Menschen wie er ein komplett neues Groove-Level erreicht.

Wie würdest du die eigentliche Essenz eines Samplers beschreiben?

Sampler haben die Soundwelt mit ihrem Versprechen, jeden potenziellen Sound einfach realisieren zu können, komplett neu definiert. Es ist dabei ja völlig egal, ob man natürliche Sounds sampelt oder auch mal einen analogen Synthesizer. Darüber hinaus ist im Sampler bereits die gesamte Bandbreite digitaler Klangerzeugung mit angelegt. Letztlich ist es aber diese Organik, die einfach nur mit einem Sampler zu erreichen ist, da kann auch heutzutage immer noch kein Synthesizer mitkommen.

 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ein And.Ypsilon redet ganz schön viel Müll in Interviews. 1 Sample Versatz zu hören, also bei 44.1khz sind das 0.023ms Versatz. Der Mann scheint das Gehör von Superman zu haben. In einem anderen Interview der Keyboards hat er angegeben nicht unter 96khz im Rechner zu arbeiten. Und klar war Midi scheiße als es damals rauskam Mitte der 80er…moment Rieke ist 67 geboren und Midi wurde 83 auf den Markt gebracht. And.Ypsilon war da 17 Jahre alt? Naja, Wunderkind halt. Dieser Mensch ist absolut unglaubwürdig.

    Auf diesen Kommentar antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.