Audiovisuelles Live- und Studio-Projekt

Popart mit Klavier mit Steffen Wick und Simon Detel

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„Piano meets Elektronik“ ist eine sehr verkürzte Bezeichnung für das Projekt „Piano Particles“. Denn die beiden Stuttgarter Musiker befinden sich damit ständig auf der Suche nach immer neuen Ausdrucksformen, wobei sie auch künstlerische Experimente auf der visuellen Ebene mit einbeziehen. All das fließt in ihre szenischen Live-Shows und clever gestalteten Musikvideos ein — wohltuende Synapsenbefeuerung.

(Bild: Deniz Saylan, Jose Esponda)

Hypnotisch wirkt da beispielsweise das Video zu Aero – ein minimalistisches Pianostück, dessen Tonabfolge durch aufleuchtende Kreise repräsentiert wird. Ähnlich wie bei Einaudis Stücken empfindet man durch die Repetition des Motivs eine Dehnung der wahrgenommenen Zeit. Man wird schon mit den ersten Tönen in den Fluss der Musik hineingezogen. Ein merkwürdiger Effekt, vielleicht auch bedingt durch den futuristisch anmutenden Animationsfilm: Das Stück wirkt elektronisch, und doch hört man die ganze Zeit ein akustisches Klavier!

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Der studierte Pianist und Komponist Steffen Wick versteht es, mit der Wirkung von Tönen, Klängen, Harmonien und Farben umzugehen. In Simon Detel, der zweiten Hälfte des Projekts Piano Particles, hat Wick eine Erweiterung seines Konzepts gesucht und gefunden. So entwickelt sich Piano Particles stets weiter. Stand in den Kompositionen des Debütalbums White noch das Piano im Vordergrund, ist im aktuellen Longplayer Blue die Elektronik weit mehr als eine Erweiterung und nimmt deutlich mehr Platz ein. Immer aber haben wir es – im weitesten Sinne – mit Pianomusik zu tun, wobei man aber das Instrument selbst als Gegenstand zur kreativen Klangfindung betrachtet.

Wie habt ihr euch gefunden?

Steffen Wick: Zusammengekommen sind wir während unseres gemeinsamen Studiums an der Musikhochschule hier in Stuttgart. Wir haben verschiedene Projekte miteinander realisiert und dabei festgestellt, dass wir uns gut ergänzen. Als akademisch ausgebildeter Komponist wollte ich nicht nur zeitgenössische Kunstmusik schreiben, da mich auch Popmusik total begeistert. Zwar kenne ich mich mit den Instrumenten in kompositorischer Hinsicht gut aus, nicht aber mit der Elektronik. Also habe ich jemanden gesucht, der meinen Ausdruck auf dieser Ebene erweitert.

Ihr setzt eure Musik nicht nur in euren Musikvideos, sondern auch auf der Bühne optisch aufwendig in Szene. Es gibt echte Streicher, dazu Bühnenbild und ein tolles Lichtdesign …

Wir finden es sehr spannend, spartenübergreifend mit anderen Künstlern zu arbeiten. Wir wollen uns nicht allein auf die Musik beschränken, sondern auch mit Videokünstlern und Performern arbeiten, um neue künstlerische Ausdrucksformen zu suchen.


№2/3 2017

  • Editorial
  • Facts & Storys
  • Modular Kolumne
  • Mit Mark Forster auf Tour
  • MANDO DIAO IM INTERVIEW
  • Amy Lives: Xanthoné Blacq
  • Ströme− Eurorack Clubbing
  • MARIO HAMMER & THE LONELY ROBOT
  • Peter Pichler: Bewahrer des Trautoniums
  • NONLINEAR LABS C15
  • AKAI MPC LIVE
  • GIPFELSTÜRMER: NOVATION PEAK
  • Auf Lichtung gesichtet: Bigfoot
  • Gute Vibes im Museum
  • DIE HOHNER-STORY
  • Transkription − Chuck Leavell: Song For Amy
  • Impressum
  • Inserenten, Händler
  • Das Letzte − Kolumne

Dennoch ist der Mittelpunkt unüberhörbar das Piano?

Bei Piano Particles ist der Name schon ein bisschen Programm. Das Piano ist der Mittelpunkt des Projektes, um das herum wir eine Welt aufbauen, in der die Partikel ganz unterschiedliche Form annehmen. Einerseits schon musikalisch, aber auch z. B. vom Bühnenbild her. So setzt sich die Idee fort in Bewegung, Video, Installation.

Setzt ihr das Piano puristisch ein, oder wird auch der Klangkörper „Piano“ in Partikel zerlegt?

Schon, aber es ist bei uns eine auch eine Entwicklung. Wir haben ja bisher zwei Alben herausgebracht, wobei das erste Album White den musikalischen Ausgangspunkt darstellt. Hier ist das Klavier eher klassisch eingesetzt und wird mit subtiler Elektronik ergänzt.

Auf dem zweiten und jetzt aktuellen Album Blue hat die Elektronik eine schon viel größere Rolle bekommen. Außerdem haben wir hier das Piano als Klangkörper genutzt, wobei wir einzelne Sounds aufgenommen haben, um sie dann verfremdet als zusätzliche Klangquellen einzusetzen. Zum Beispiel im Stück Sawtooth Brush wurden viele perkussive Sounds aus dem Klavier gewonnen, die dann elektronisch weiterbearbeitet wurden.

Simon Detel: Steffen komponiert eigentlich klassisch, hat dabei auch musikalische Vorstellungen für bestimmte Aktionen. Diese Dinge nehmen wir dann schon mit dem Klavier auf, bearbeiten sie weiter und transformieren sie bereits ein bisschen in die elektronische Welt. Teilweise erweitern wir aber schon das Klavier als Klangquelle an sich, indem wir es präparieren.

Setzt ihr bei euren Konzerten dann auch z. B. Ableton Live ein?

Simon: Bisher noch nicht. Es liegt ein bisschen daran, dass Steffen seine Partituren vorgibt, in denen er oft auch mit Tempoänderungen und Taktwechseln arbeitet, was sich nicht so leicht in ein durchgängiges 4/4-Loop-Schema übersetzen lässt. Aber ich schätze, es wird irgendwann dazukommen. Wie Steffen schon sagte, es ist alles im Aufbau und entwickelt sich weiter. Momentan arbeite ich in meinem Elektronik-Setup mit Cubase, das auf einem PC-Laptop läuft.

Vermutlich spielt ihr eure Stücke dann live auch linear nach einer Cubase-Partitur. Die Besonderheit von Ableton Live ist ja eine nichtlineare Arbeitsweise, was gerade für die Integration von elektronischen Parts in Live-Situationen große Freiheiten bieten kann …

Steffen: Teilweise schon, dennoch gibt es auch Stücke, wo die Elektronik freier ist. Man muss aber auch bedenken, dass wir mit einem Streichquartett zusammenspielen, wobei es uns immer um eine sehr feine Verschmelzung der akustischen Instrumente mit den elektronischen Klängen geht. Ich finde es z. B. extrem reizvoll, wenn sich ein Sound von einem originalen Instrument fortentwickelt und durch einen elektronischen Zusatz beinahe unmerklich eine neue Dimension bekommt. Dabei sind oft so viele Feinheiten im Spiel, sodass das live in einem freien Spiel kaum zu realisieren ist. Also setzen wir ein paar technische Hilfsmittel ein.

Aufwendig inszenierte Live-Show: Der Künstler und Designer Marc Engenhart hat aus ca. 300 partikelartigen Papierskulpturen eine Bühneninstallation entworfen, welche vom Lightdesigner Chris Beckett, der bereits David Copperfields Shows inszenierte, in Licht und Farbe getaucht wird. Die Installation wurde mit dem „red dot award: communication design 2011“ ausgezeichnet. (Bild: Deniz Saylan, Jose Esponda)

Bei einem gleichförmigen 4/4- Arrangement wird man das vielleicht besser hinkriegen. Aber so, wie in der klassischen Musik ein Stück von z. B. Ritardandi atmet, so ist es bei unseren Stücken auch.

Simon: Das Ganze auf die Bühne zu bringen, dann auch noch mit einem Streichorchester, ist sehr anspruchsvoll, gerade um diese grundverschiedenen Klangkörper von akustischen Instrumenten – Streicher, Klavier – mit elektronischen Sounds zu verbinden …

Steffen: Natürlich kann man heute mit dem Computer unglaubliche Sachen machen, aber wenn du bei einem Live-Konzert ein Streichquartett dabei hast, das so ausdrucksstark spielen kann und regelrecht den Sound atmet, das überträgt sich auf das Publikum, und es gibt mir wiederum den Ansporn, darauf zu reagieren. Das gibt einen solchen Energie-Kick, das können Computer-Sounds – auch mit den tollsten Libraries – einfach nicht ersetzen.

Es gibt ja zum einen die Stücke explizit für Streichquartett, aber auch welche für Streichorchester. Bei den Konzerten haben wir versucht, zum einen den Live-Charakter der vier Musiker auf der Bühne zu haben und durch Zuspielung einen größeren Gesamtklang zu erzielen. Tatsächlich haben uns nach einem unserer letzten Konzerte recht etablierte Popleute gefragt, warum denn unser Streichquartett so geil klingt. (lacht)

Simon: Der „Trick“ ist der, dass das Quartett auf der Bühne die Stimmführer sind, während das Orchester quasi virtuell dahinter sitzt und von Cubase zugespielt wird, wobei es sich einerseits um diese Zuspieler handelt, aber es kommen auch ein paar Effekte und Software-Instrumente zum Einsatz.

Aber auch die Streicher setzt ihr für experimentelle Sounds ein, oder sind das Samples?

Als zeitgenössischer Komponist setze ich das Streichquartett auch nicht nur normal mit schönen gestrichenen Tönen ein, sondern bediene mich bei den experimentellen Spieltechniken wie z. B. col legno batutto (die Saiten werden nicht mit den Haaren des Bogens, sondern mit der hölzernen Rückseite angeschlagen; Anm.d.Aut.), sodass Streichinstrumente plötzlich zu Beat-Instrumenten werden können. Oder eben geräuschhafte Atmos durch bestimmte Strichmöglichkeiten – damit haben wir z. B. die Ausdrucksmöglichkeit, die man bei einem Synthesizer mit dem Filter umsetzen würde, auf die Streichinstrumente übertragen.

Simon Detel mit Live-Setup: Sein zentrales Tool ist Steinberg Cubase, Software-Instrumente steuert Simon über ein Roland-Masterkeyboard und einen MIDIPad-Controller. Weitere Sounds kommen aus dem Virus TI. (Bild: Deniz Saylan, Jose Esponda)

Simon, beschreib uns doch kurz das Setup, das du live einsetzt?

Wie gesagt, arbeite ich mit Cubase, über das Spuren und Elemente zugespielt werden. Außerdem kann ich Sounds über die Pads meines Roland-Masterkeyboards auslösen. Dann habe ich noch ein MIDI-Drum-Pad für diverse Percussion-Geschichten. Und als Synthesizer habe ich einen Virus TI. Alles in allem recht minimalistisch, aber wir haben ja nicht mit einem Elektronik-Setup angefangen, sondern zunächst ganz puristisch mit dem Klavier, dann kam die Elektronik hinzu. Und so entwickelt sich das ganze Projekt ständig weiter.

www.pianoparticles.com

Aktuell erschienen ist das Album Blue (Modul/-Universal). Mehr über das Projekt von Steffen Wick und Simon Detel findest du auf der Website und im KEYBOARDS-Blog.

 

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