Filmmusik live

Helmut Zerlett und Akademix

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Fünf renommierte Filmmusikkomponisten in einer Liveband − Akademix spielte während der Berlinale am roten Teppich auf. Als Organist der Band hatte Helmut Zerlett allerdings ein kleines logistisches Problem: Für seine Hammond B3 und das Leslie war hier leider kein Platz. Eine Alternative musste her. 

Helmut Zerlette1

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Manche kennen Helmut Zerlett als Keyboarder von Marius Müller-Westernhagen, den meisten wird er als TV-Bandleader der Harald-Schmidt-Show bekannt sein. Und wer in der Kölner Szene ein wenig unterwegs ist, der hat Helmut Zerlett immer wieder auch im Zusammenhang mit dem Musikerkollektiv Trance Groove wahrgenommen. In den 80ern spielte er mit der Food Band (Wolf Maahn), mit dem Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit in der Phantomband, spielte die Orgel bei Joachim Witt (Goldener Reiter), produzierte mit den Unknown Cases den Dancefloor-Hit Masimbabele, spielte u. a. mit den Beatsteaks und ist als Studiomusiker auf vielen Alben anderer Musiker zu hören.

Außerdem ist Helmut als Filmmusikkomponist tätig und hat die Soundtracks von über 50 Filmen für Kino und TV sowie für über 80 Folgen verschiedener Fernsehserien (Der Clown, Rennschwein Rudi Rüssel) produziert, darunter die Neuauflage des Films Jerry Cotton, woraus eine enge Zusammenarbeit mit dem Komponisten der Romanverfilmungen aus den 60ern entstand: Peter Thomas, den Helmut als eines seiner großen musikalischen Vorbilder nennt.

Ein aktuelles Projekt ist Akademix, eine Band mit prominenter Besetzung, die Bandmitglieder sind allesamt Filmmusikkomponisten: An den Keyboards Ali N. Askin (Türkisch für Anfänger, Pettersson und Findus), Gitarre spielt Michael Beckmann (Fack ju Göhte 1 & 2), am Bass Jochen Schmidt-Hambrock (Nirgendwo in Afrika, Jenseits der Stille), an den Drums Christoph Zirngibl (Männerhort) und an der Orgel Helmut Zerlett (Die Vampirschwestern, Die Mannschaft) − die ideale Besetzung für einen Gig am roten Teppich während der Berlinale.

In der Audi-Lounge brachte die Band berühmte Filmmusik-Hits (Janes-Bond-Theme, Peter Thomas, Lalo Schifrin u.v.m.) auf die Bühne und spielte auch eigene Werke. Selbst bei den etwas schwierigen akustischen Verhältnissen in der Audi Lounge war es ein echter Genuss, Filmmusik mal auf so rockige Weise und vor allem live gespielt zu hören.

Da schon vorab klar war, dass auf der kleinen Bühne für Helmuts B3 plus Leslie kein Platz sein würde, musste eine Alternative gefunden werden. »Eigentlich mag ich mit einem B3-Clone nicht so gerne spielen«, erklärt Helmut, »aber in diesem Fall ging es einfach nicht anders. Ich habe mich dann umgeschaut und wollte unbedingt auch mal die neue X3 von Uhl Instruments ausprobieren, auch wegen des geringen Gewichts natürlich − ich konnte die mit der Post nach Berlin schicken, echt praktisch, versuch das mal mit einer B3! (lacht)«

Wie bist du auf dem Gig mit der X3 klargekommen?

Helmut Zerlett: Recht gut, wobei es für mich aber etwas ungewohnt war, kein Leslie dabeizuhaben − normalerweise steht das immer direkt neben meiner B3. Vom Sound hat mir die X3 super gefallen − sie klingt wie eine Hammond und ist für mich auch von der Haptik her sehr nah dran. Die Tastatur spielt sich vielleicht ein bisschen anders, aber alles in allem fühlt sich das gut an. Vor allem finde ich alle Funktionen wie etwa die Zugriegel und den Leslie-Schalter dort, wo ich es gewohnt bin.

Die B3-Clones von Clavia haben mich besonders in diesem Punkt enttäuscht. Die Zugriegel sind so klein, dass die Finger nicht intuitiv zu den richtigen Drawbars greifen. Für andere Musiker mag das okay sein − viele Organisten spielen ja nicht mit den Drawbars! Sie stellen sie einmal ein und bewegen sie dann kaum noch. Mir ist diese Modulationsmöglichkeit aber sehr wichtig, weil sich damit auch tolle dynamische Klangverläufe und sogar Soundeffekte erzielen lassen.

Meinst du damit die Soundeffekte, wie sie in alten Spielfilmen der 50er und 60er gemacht wurden?

Helmut Zerlett: Ja, genau. Das habe ich in meiner Kindheit entdeckt. Es war die Zeit der Science-Fiction-Serie Raumpatrouille, in der viele Soundeffekte eben mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln gemacht wurden. Diese Sounds haben mich fasziniert, und ich konnte die natürlich super mit der Hammond L100 meines Vaters selber machen: Man drückt über eine Handbreit oder eine ganze Armlänge die Tasten runter und verändert die Zugriegel. Man spielt keine einzelnen Töne, sondern Cluster. Den Begriff kannte ich damals natürlich nicht, aber ich wusste: Cluster sind meine Welt. (lacht)

Das gilt zwar für Soundeffekte, aber würdest du grundsätzlich sagen, dass dieses dynamische Spielen der Drawbars zu einem wichtigen Ausdrucksmittel deiner Spielweise wurde?

Helmut Zerlett: Genau. Die Ausdrucksmittel einer Orgel sind ja relativ begrenzt: die Lautstärke, das Leslie und eben der Klang, der sich aus dem Obertongemisch der Drawbars ergibt. Wenn man alles einsetzt, wird die Orgel aber zu einem sehr ausdrucksstarken Instrument. Diese Spielweise birgt aber auch Schwierigkeiten. Bei Studioaufnahmen sollte ich mal eindroppen und stellte fest, dass das gar nicht so leicht war, mit der richtigen Zugriegel-Einstellung einzusteigen, da ich die beim Spielen ja ständig ändere. Die Maxime beim Einspielen ist für mich daher »One Take«.

Das heißt, beim Spielen steuerst du über die Obertonmischung und die Klangdichte den Ausdruck eines Melodiebogens?

Helmut Zerlett: Richtig, und ich nehme lieber kleinere Fehler in Kauf als am Ende so ein aneinandergestückeltes Orgelsolo zu hören, in welchem zwar alle Noten, so gesehen, richtig sind, aber im Ganzen gesehen der Ausdruck bzw. dieser Spannungsbogen nicht stimmt. Daher versuche ich, mir immer im Vorhinein alles so gut wie möglich einzuprägen, sodass ich das Ding in einem Take durchspielen kann.

Dein Sound bei dem Berlinale-Konzert war nicht sehr dreckig oder verzerrt, spielst du mit einer echten B3 mit einem aggressiveren Sound?

Helmut Zerlett: Okay, es gibt prinzipiell ja die Möglichkeit, den Vorverstärker im Leslie zu überfahren, um einen angezerrten Sounds zu bekommen, was ich aber eigentlich nicht so gerne mache, auch nicht, wenn ich eine echte B3 spiele. Ich mag es, wenn der Sound so ein bisschen knuspert − das ist völlig okay, aber eine richtig verzerrte Orgel finde ich nicht so spannend. Das Tolle an der Hammond ist ja, dass sie sich so ausgewogen und musikalisch verhält, gerade wenn es um diesen leicht angezerrten Sound geht.

Wenn man Melodien solo spielt, ist der Klang kräftig und hat eine schöne Färbung. Spiele ich Akkorde, zerrt es zwar, aber es bleibt harmonisch. Das macht die X3 von Uhl Instruments übrigens sehr gut. Dabei könnte man die noch viel mehr in die Zerrung fahren, wenn man es wollte.

Was mir hier wirklich gut gefällt, ist, dass man an eine Kompensation der Lautstärke gedacht hat. Man kann bei der X3 sehr genau das Verhalten von Zerrung und Lautstärke dosieren. Bei einer echten Hammond ist es ja anders: Sie wird sehr, sehr laut, sobald man verzerrt spielt. Es ist schon richtig, dass man meistens auch ein Solo laut spielt, aber unter Umständen möchte man auch mit angezerrten Akkorden begleiten. Mit einer echten B3 ist das unter Umständen dann nicht machbar, da man ja nicht zwischendurch mal ins Leslie kriechen will, um an dem Amp zu schrauben.

Bekommst du ansonsten eigentlich immer eine original B3 bei Konzerten gestellt?

Helmut Zerlett: Ich bestehe eigentlich drauf, eine echte B3 zu bekommen, aber das lässt sich halt nicht immer realisieren. Nicht immer steht ein Instrument zur Verfügung, und gute Instrumente werden ja auch immer seltener. Erstens wird es immer teurer, eine B3 plus Leslie zu mieten, und zweitens kannst du dich nicht darauf verlassen, ein Instrument in gutem Zustand zu bekommen. Da kann es vorkommen, dass du ein Instrument hast, das nach der ersten Hälfte des Konzerts schlapp macht. Außerdem hat jede Hammond ihren eigenen Klang. Meine Hammond habe ich mir aus zehn Instrumenten ausgesucht − alle B3s, alle klangen sie total anders.

Es verhält sich vermutlich ähnlich wie mit dem akustischen Klavier und Digitalpianos − das echte Instrument möchte man eigentlich lieber spielen, aber manchmal ist man mit der digitalen Simulation besser bedient, auch wenn es ein Kompromiss ist …

Helmut Zerlett: Grundsätzlich ist es schon mal ein merkwürdiges Gefühl, wenn der Sound da ganz ohne Luft direkt aus dem Monitor kommt. Das fühlt sich sehr anders an.

Was meinst du damit: »ohne Luft«?

Helmut Zerlett: Ich habe einfach ein viel besseres Gefühl, wenn ich da so ein rotierendes Ding neben mir stehen habe. Das hat auch eine gewisse Souveränität. Denn ist der Monitormix noch so schlecht, ich kann mir sicher sein, dass ich meinen Sound bei mir habe. Der LeslieEffekt in der X3 ist schon bemerkenswert gut − bis man eine echte Hammond so gut klingend abgenommen hat, dafür muss man schon einiges tun. Trotzdem bleibt für mich ein echtes Leslie wohl doch ein extrem wichtiger Bestandteil des Sounds.

Als Musiker bist du in den unterschiedlichsten Bereichen tätig: Studio- und Tour-Keyboarder, TV-Bandleader, du schreibst und produzierst zahlreiche Filmmusiken.

Helmut Zerlett: Was bedeutet das Live-Spielen für dich? Zu Zeiten der Harald-Schmidt-Show hatte ich ja zumindest ein paar Mal die Woche live zu spielen, zwar jeweils nur kurz, aber wir haben immerhin live gespielt. Als Stefan Krachten (Drummer von Trance Groove, Goldman; Anm.d.Red.) noch lebte, haben wir immer wieder Gigs in kleineren Clubs und zum Teil sehr besonderen Locations (Andy Warholes Savoy Hotel, Radstadion) gespielt. Das ist jetzt beides nicht mehr da, und Akademix auszubauen lag eigentlich auf der Hand, da wir alle fünf vom Live-Spielen kommen.

Es ist ja so, dass wir alle durch die Filmkomposition die meiste Zeit im stillen Kämmerlein verbringen. Man arbeitet zwar mit verschiedenen Musikern zusammen, aber nicht immer geschieht das zeitgleich in einem Studio, und man arbeitet schon gar nicht live.

Das Schöne am Live-Spielen ist, dass das gesagte Wort steht. Man kann es nicht reparieren oder noch mal anders machen. Das Live-Spielen hat einen Reiz, den ich unheimlich inspirierend und für meine Kreativität sehr wichtig finde. Denn durch das Zusammenspielen mit anderen Musikern komme ich auf Ideen, auf die ich sonst nicht gekommen wäre.

№2/3 2017

  • Editorial
  • Facts & Storys
  • Modular Kolumne
  • Mit Mark Forster auf Tour
  • MANDO DIAO IM INTERVIEW
  • Amy Lives: Xanthoné Blacq
  • Ströme− Eurorack Clubbing
  • MARIO HAMMER & THE LONELY ROBOT
  • Peter Pichler: Bewahrer des Trautoniums
  • NONLINEAR LABS C15
  • AKAI MPC LIVE
  • GIPFELSTÜRMER: NOVATION PEAK
  • Auf Lichtung gesichtet: Bigfoot
  • Gute Vibes im Museum
  • DIE HOHNER-STORY
  • Transkription − Chuck Leavell: Song For Amy
  • Impressum
  • Inserenten, Händler
  • Das Letzte − Kolumne

In einem früheren KEYBOARDS-Interview mit Trance Groove habt ihr den Begriff »Instant Composing« ins Spiel gebracht …

Helmut Zerlett: Momentkomposition, genau. Das ist ja genaugenommen die alte Can/Jaki-Liebezeit-Schule. Damals in der Phantomband haben wir gelernt, aus dem Moment heraus frei zu spielen. Die allererste Maxime war hier das Zuhören, das ist die wichtigste Voraussetzung, um etwas entstehen zu lassen. Jaki Liebezeit hat uns nahegebracht, auch mal ganz woanders zuzuhören, sodass unser musikalisches Spektrum viel, viel weiter wurde.

Eine sehr interessante Zeit, aber auch hart. Denn sobald du deine Aufmerksamkeit auf einen dir unbekannten Bereich lenkst − z. B. ethnische Musik − und so etwas wie Rock, Jazz usw. komplett ausblenden sollst, bleibt nicht mehr viel von all den tollen Riffs und Licks, die du dir mit viel Mühe draufgeschafft hast. Aber genau das ist dann der Moment, wo man anfängt, wirklich kreativ zu werden.

Wie geht’s weiter mit Akademix?

Helmut Zerlett: Die Aktivitäten wollen wir jetzt ausbauen. Die nächsten Live-Gigs stehen auch schon an, für die Verleihung des Deutschen Filmpreises und z. B. das Filmmusikfestival in Halle.

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